Versus 17-Leserbrief-Antwort

1. Dein Lob ist ja doch nur ein sehr bedingtes: Du attestierst unserem „F.A.Z.-Bashing “ zwar eine wenigstens „z. T. gelungene Argumentation „, sagst aber gleich darauf, wir würden doch nur, genauso wie die F.A.Z., „von einem vorgefertigten Weltbild aus „ argumentieren, nur eben von einem konträren. Mag ja sein, dass die F.A.Z. tatsächlich ein „erzkonservatives “ Weltbild hat, aber sie hält es offenbar für nötig oder zumindest der sonntäglichen Erbauung förderlich, zu begründen, warum unser Staat sein muss und gut für uns ist. Auch diese Zeitung will also nicht einfach an den Glauben appellieren, dass eine Sache gut ist, weil sie das so sieht, sondern meint, dass mit ihren Argumenten das für andere einsehbar wird. Dass die F.A.Z. etwas einerseits für „selbstverständlich “ hält, dennoch aber ein Argument dafür bemüht und das „hinterfragen “ nennt, ist deren Problem. Wir haben uns erlaubt, die Argumente der F.A.Z. für den Staat zu prüfen – und zwar nicht, weil die F.A.Z. so reaktionär ist, sondern weil sie die gängigen ideologischen Rechtfertigungen des Inventars der bürgerlichen Gesellschaft verkündet. Die Prüfung der Argumente nach ihrem Inhalt – nicht nach ihrem „Weltbild “ – hat uns zu der „Schlussfolgerung “ gebracht, dass diese ernst (also „seriös „) genommen alles andere als ein Lob der Sache darstellen, zu deren Feier sie erfunden wurden. Die Dummheit dieser Rechtfertigungen – wir müssen das leider so hart sagen – korreliert dabei eng mit der Schäbigkeit der Verhältnisse, die durch sie gerechtfertigt werden. Bessere Argumente scheinen sich offenbar für unsere Gesellschaft einfach nicht finden zu lassen.
Den Schluss, der daraus folgt, nämlich dass dann wohl die Verhältnisse wie die sie lobenden „Argumente “ besser auf den Misthaufen der Geschichte gehören, willst du aber einfach nicht haben, so etwas darf beim „Hinterfragen “ von Selbstverständlichkeiten auf keinen Fall herauskommen. Du bist so frei, das „erwartest “ du einfach. So etwas kann für dich noch nicht einmal eine falsche, sondern einfach nur gar keine Schlussfolgerung sein, so dass du uns fragst: „Aber wo bleibt die Schlussfolgerung? „ Sind eigentlich nur „realistische “ Schlussfolgerungen erlaubt – „realistisch “ im Sinne von Anerkennung der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse? Wozu die dann überhaupt noch „kritisch hinterfragen „? Ist das nicht ausgesprochen weltbildmäßig?

2. Was deine Argumentation betrifft, so stellen wir fest, dass du die der F.A.Z., auch wenn die nicht dein Lieblingsblatt ist, offenbar irgendwie teilst und wir richtig damit liegen, die F.A.Z. aufs Korn zu nehmen. Offenbar hast du dich so sehr am Stil unserer Schreibe ergötzt, dass du den Inhalt dabei verschlafen hast – jedenfalls wiederholst du als Argument gegen uns den Zirkel der F.A.Z., ohne unsere Widerlegung dazu überhaupt zur Kenntnis zu nehmen. Deshalb noch mal kurz die Sudellogik:

Man stelle sich die bürgerliche Gesellschaft, die in ihr herrschenden Interessen, deren Gegensätze, Mittel und Abhängigkeiten vor, denke sich einen funktionellen Bestandteil dieser Gesellschaft weg und den jeweiligen Rest als naturgegebenes Sorgeobjekt – und schon ist klar, dass der Sinn und Zweck des weggedachten Bestandteils darin liegt, die Probleme zu beheben, die entstünden, wenn es ihn nicht gäbe. Kein Zweifel, „es “ – nämlich die bürgerliche Gesellschaft – geht nicht ohne: Ohne Geld, wie soll man da einkaufen? Wie soll ohne Markt die Ware zum Käufer finden? Wie sollen ohne Kapital die Lohnabhängigen Arbeit finden – und, fällt uns nebenbei noch ein, wie sollten die ohne ihre Armut dazu motiviert werden, mit ihrer Lohnarbeit fremden Reichtum zu mehren? Oder eben diesmal F.A.Z.-Folge Nr. 26: Ohne Staat – wie soll da das Eigentum geschützt werden; käme da nicht notwendig Chaos oder Anarchie raus? Dieselbe Logik, mal auf eine heute verfemte Gesellschaft angewandt – z.B.: Was wäre ein Sklave ohne seinen Herrn? Ein Vogelfreier! Gut, dass es Herren gibt! – da würde jeder sofort gegen deren offensichtliche Parteilichkeit und Dummheit protestieren! Aber wenn es darum geht, diesen Staat dafür zu loben, was alles ohne ihn nicht geht, wird diese Dummheit an allen Institutionen durchgezogen: ohne Militär keine „Landesverteidigung “ (sprich Krieg; daraus haben mal Staatsidealisten den Schluss gezogen: „Schwerter zu Pflugscharen „!), und ohne Grundbuchamt keine Grundbücher, weiß die schlaue F.A.Z. Ohne Polizei keine Durchsetzung der Gesetze, fügst du hinzu. Zweifelsohne, der Staat braucht seine Organe. Aber wir? Die ganze Palette staatlicher Gewaltausübung, von Gesetzgebung, Justiz, Polizei bis zum Militär – nichts als Dienst an den Bürgern, über die der Staat herrscht, gerade auch an den armen unter ihnen, an den Hartz IV-Empfängern, die „sich eine eigene Privatpolizei gar nicht leisten könnten? “

Die Polizei sorgt dafür, dass der arme Schlucker seine Zahnbürste nicht geklaut kriegt? Klar, die Staatsgewalt sorgt mit ihrer Exekutive für den Respekt vor dem Eigentum. Aber vielleicht ist ja das der Grund dafür, dass bei den einen kaum mehr als das Zahnbürstel zu klauen ist, während andere die ganze Potenz der materiellen Produktion in Gestalt des Eigentums an Produktionsmitteln besitzen. Die einen können also nicht einfach hingehen und damit produzieren, was sie brauchen; und sie können sich die da produzierten Produkte auch nicht einfach abholen. Es geht beim Eigentum wirklich nicht um die eigene Zahnbürste oder die Villa, die man nicht mit jedem teilen möchte!

(Ausführungen dazu findest du in dieser Zeitung im Artikel zur F.A.Z.-Frage: „Warum und wozu verpflichtet Eigentum „)

Nebenbei: Es könnte einem schon auffallen, dass der von dir erwähnte Hartz IVler mit der staatlichen Exekutive hauptsächlich in Gestalt von Kontrolleuren zu tun bekommen. Die passen auf, dass er angemessen schäbig wohnt, bloß keine noch so schäbige „stille Reserve “ hat, seine Elendsexistenz nicht durch „Schwarzarbeit “ zu verbessern sucht, ihm aber andererseits aufzwingen, jeden Scheißjob, den die Exekutive für ihn „findet „, auch anzunehmen und außerdem noch danach fahnden, ob nicht ein Freund in Haftung genommen werden kann. So geht Eigentumssicherung bezogen auf arme Schlucker! Richtig gut kann man das ja noch nicht mal mehr mit der ohne-nicht Logik finden, die hier wohl lauten würde: Ohne Staat hätten die Arbeitslosen in dieser Gesellschaft noch nicht mal 345 €. Die bräuchten sie aber auch gar nicht, wenn der Staat nicht diese Wirtschaftsordnung garantierte!

3. Du bescheinigst den Gesetzen, „zumal denen in Deutschland „, „vernünftig “ zu sein – und hast kein Problem damit, dass diese Gesetze immerzu gegen die durchgesetzt werden müssen, die sie sich doch angeblich selbst – so das von dir gemalte Bild – in Gestalt ihrer Volksvertretung zwecks Regelung eines vernünftigen Zusammenlebens gegeben haben? Wieso würde sich eigentlich so selbstverständlich niemand an die angeblich so „vernünftigen “ Gesetze halten, wenn es keine Polizei und keine Richter gäbe? Sind die Leute alle bescheuert oder schizophren? Wie kommt es eigentlich, dass dieselben Leute, die immerzu schauen, wie sie das Gesetz austricksen können, dessen volle Härte auf die anderen, die Halunken angewendet wissen wollen? Hat das nicht vielleicht doch was damit zu tun, was die Gesetze regeln – lauter Interessensgegensätze nämlich, die es nur gibt, weil in dieser Gesellschaft alle und alles von Geld und Eigentum abhängig gemacht sind, und weil Geld heißt: Potenz zur exklusiven Verfügung über, also zum Ausschluss anderer vom Reichtum?

Und was ist eigentlich der Maßstab der Vernunft staatlicher Gesetze, wenn sie eine Gesellschaft regeln sollen, in der alles vom Geschäft der hiesigen Unternehmer, vom „Wachstum „, abhängt, der Lebensunterhalt der Lohnabhängigen ebenso wie die Handlungsfreiheit des Staats? Vom Standpunkt des Wachstums mag es ja vernünftig sein, dass der Staat z.B. den rücksichtslosen Umgang, den die Unternehmer mit Arbeitern, Verbrauchern und Natur als Mittel ihres Konkurrenzkampfs pflegen, gesetzlich regelt, damit das auch funktioniert – aber auch vernünftig für die, die immerzu noch billiger, flexibler und leistungsbereiter sein sollen, damit das Wachstum vorankommt?

Und, zu guter Letzt, wie regelt der Staat die Kollisionen in seiner Gesellschaft: Er sortiert als Gewaltmonopol das gewaltsame Austragen der Gegensätze in seiner Gesellschaft in erlaubtes und unerlaubtes Handeln. Ersteres hat damit die Gewalt des Staats hinter sich; letzteres ist damit auch nicht aus der Welt, sondern wird von ihm geahndet, indem er seinerseits dem Gesetzesbrecher als Strafe Gewalt antut – und diese Idylle soll man als Vernunft goutieren?

4. Was das Militär und sein Geschäft, den Krieg, betrifft: Hast du eigentlich kein Problem damit, auch diesen Gipfelpunkt staatlicher Brutalität, wo der Bürger restlos nur noch als Material des Staats zählt, einzuordnen in dein Bild vom gütigen Vater Staat? Über den „Nutzen des Militärs „, meinst du uns konzedieren zu müssen, könne man ja verschiedener Meinung sein, „ideologisch “ gesehen. „Realistisch gesehen “ muss man wohl einfach akzeptieren, dass es das nun mal gibt? Oder braucht? Für wen eigentlich, wofür – keiner weiteren Befassung wert? Ganz ideologiefrei: Den Nutzen des Militärs für den Staat würden wir nie und nimmer bestreiten – aber dass man Panzer und Atomraketen braucht, damit der Russe nicht die Freundin vergewaltigt oder der Taliban sie verschleiert, wirst du ja wohl auch nicht glauben. Uns fällt dagegen auf, dass alle Mitglieder der „Staatengemeinschaft „ immerzu verkünden, sich und ihre Interessen (vorgetragen als ihr Recht, überhöht als ihre Werte) gegeneinander verteidigen zu müssen, wenn sie ihre monströsen Vernichtungsmaschinerien gegeneinander in Stellung bringen. Wäre es nicht mal angebracht, sich näher mit den staatlichen Interessen zu beschäftigen, die da weltweit verteidigt werden und die Drohung mit und den Einsatz von kriegerischer Gewalt dauernd nötig machen? (Tipp: „Imperialismus heute – Weltmarkt und Weltmacht “ im Gegenstandpunkt 4/06)

5. Schön und gut, kritisieren kann man ja vieles, hören wir dich sagen, aber wo bleibt unsere „Alternative „, unsere „Lösung „? Es gibt keine Alternative zum Staat in einer Gesellschaft, in der es ausschließlich ums Verdienen und Vermehren von Geld geht! Und eine Gesellschaft, deren herrschender Zweck die Mehrung kapitalistischen Reichtums und staatlicher Macht ist, ist selbst auch keine gute, verbesserungswürdige oder misslungene „Lösung “ irgendwelcher urmenschlichen Probleme des Zusammenlebens, weil es in ihr um etwas anderes geht. Worum, dazu haben wir ein paar Argumente, das ist der Gegenstand und Inhalt unserer Kritik. Diese Gesellschaft ist selbst das Problem für das Lebensinteresse der meisten Leute. Und das ist unsere Schlussfolgerung, die wir gerade auch ideologischen Lobhudeleien auf Marktwirtschaft und Demokratie entnehmen.

Wenn du wissen willst, was wir wollen, befasse dich mit unserer Kritik – welche Konsequenzen daraus folgen und was man verbessert, abgeschafft oder sonst wie verändert haben will, wird sich schon dem entnehmen lassen, was man am Kapitalismus kritisiert. Also lass dein Bedürfnis nach Weltbildern und streite mit uns deine Differenzen zu unserer Kritik aus – wozu wir dich hiermit auffordern und herzlich einladen.

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