„Du bist mehr. Mehr als eine Nummer. Mehr als ein Kostenfaktor. Du hast Würde. Zeig sie!“

Heuer ruft der DGB die Arbeiter und Angestellten mit einem sauberen Motto zu den Mai-Kundgebungen:

1.

Die tröstliche Mitteilung, der arbeitende Mensch sei „mehr als …“, unterschreibt, dass er zuallererst und zweifellos die berühmte Nummer in der Buchführung staatlicher und privater Stellen und der fürs Kapital stets zu teure Kostenfaktor ist. Im Trost, dass das nicht alles gewesen sein soll, geben die Kämpfer vom Deutschen Gewerkschaftsbund auch noch zu, dass, eine Nummer und ein Kostenfaktor in der Gewinnrechnung anderer zu sein, eine durch und durch beschissene Rolle ist. Das stimmt ja auch: Wenn der Lebensunterhalt der Lohnabhängigen für die Geschäfte der Firmen eine leidige Unkost ist, die den Gewinn beschränkt und gesenkt gehört, dann ist der Lebensunterhalt der Arbeitenden offensichtlich nicht der Zweck, für den in diesem Land gearbeitet und gewirtschaftet wird. So ganz nebenbei gibt der Maiaufruf die denkbar umfassendste Kritik dieser Wirtschaftsweise zu Protokoll: Der Lohn – der Lebensunterhalt – der Arbeitskräfte ist die negative Größe der kapitalistischen Wirtschaft. Der Erfolg des Kapitals braucht niedrige Löhne. Also vertragen sich auch umgekehrt die Interessen der Arbeiterschaft nicht mit der Profitmacherei.

2.

Das alles soll halb so schlimm sein und gar nichts ausmachen, denn der Mensch ist, dem DGB zufolge, ja nicht nur Kostenfaktor und Nummer. Er ist außerdem ein menschliches Wesen mit einer Würde, zu deren Schutz sich unser Staat in seinem Grundgesetz verpflichtet hat – eine Verfassung, die ein paar Artikel weiter das Privateigentum schützt, und damit das Recht der Vermögenden, Arbeiter je nach ihrer Geschäftsrechnung in ihren Betrieben billig anzuwenden oder zu entlassen. Dass der Heuer ruft der DGB die Arbeiter und Angestellten mit einem sauberen Motto zu den Mai-Kundgebungen: „Du bist mehr. Mehr als eine Nummer. Mehr als ein Kostenfaktor. Du hast Würde. Zeig sie!“ Kostenfaktor eine Würde hat, soll alles ungeschehen machen und heilen, was an Armut, Belastung und Existenzunsicherheit mit der Rolle des Kostenfaktors notwendigerweise einhergeht. Es stimmt ja: Der Staat schützt die Würde auch des Lohnarbeiters. Auch der ist eine Rechtsperson. Auch mit ihm dürfen die wirtschaftlich Mächtigen nicht alles machen: Sie dürfen ihn nicht umbringen, einsperren, foltern und – nicht mehr ausbeuten als es die liberalen Gesetze dieses Landes vorsehen. Aber was hilft denn die Vorschrift, dass der Unternehmer mit seinen Arbeitskräften nicht alles machen darf, gegen alles das, was er nach Recht und Gesetz mit ihnen machen darf?

3.

Nichts – und das wissen die Autoren des Mai-Aufrufs selbst ganz genau, und die Verantwortlichen in den Gewerkschaften handeln in ihrer alltäglichen Praxis danach. Sie lassen sich dazu herbei, auf Unternehmens- und Betriebsebene jede Menge Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen abzuschließen, in denen sie den Forderungen der Unternehmer nach Lohnkürzungen, nach Verlängerung der Arbeitszeiten ohne Lohnausgleich, nach Überstunden und Wochenendarbeit ohne Zuschläge, nach immer größerer Freiheit beim Umgang mit Arbeitszeitkonten usw. zustimmen, um so die Arbeitsplätze zu „garantieren“ – bis zur nächsten Entlassungswelle. Wer „einsieht“, dass die Erhöhung der Gewinne wichtiger ist als die Sicherung von Lohn und Arbeitsbedingungen; wer eine Lohnsenkung nach der anderen unterschreibt oder hinnimmt; wer die Verbesserung des „Standorts Deutschland“ für wichtiger hält als die Sicherung seiner eigenen Lage, der kann sich zum Trost zum nutzlosen Fetisch seiner Würde bekennen.

Na dann: Heraus zum 1. Mai!

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