Was ist Philosophie?
In der Philosophie werden Fragen für wichtiger erachtet als deren Beantwortung. Auf Wissen zielen die Fragen der Philosophen also nicht. Nicht nur, dass sie in dem nunmehr über 2000 Jahre währenden „Diskurs“, als den sie ihre Disziplin vorstellen, keine einzige ihrer Fragen abgehakt haben: Sie warnen sogar vor dem Bedürfnis nach Wissen. Wenigstens die Philosophen scheinen sich an diese Warnung gehalten zu haben: Die heutigen Lehrer dieser Disziplin wissen in der Tat nichts mehr. Das macht aber nichts. Die Fragen, die sie in philosophischen Vorlesungen und Seminaren vorlegen, sind nämlich schon die fertigen Antworten, die ihre Liebe zur Weisheit hervorbringt. Und zwar Antworten, die für sie außer Frage stehen.
Teil II:
4. Ontologie Was ist das Sein?
„Was ist …?“-Fragen sind in der Philosophie ganz unüblich. Kaum hat sie sich einmal zu einer solchen Frage durchgerungen, ist der Gegenstand, nach dessen Beschaffenheit sie fragt, prompt ein einziger Fehler: Das Sein als solches, „reines Sein“, ist die widersprüchliche Fiktion eines Gegenstands, dessen Eigenschaft darin bestehen soll, keine zu haben, einer unbestimmten Existenz, über die daher auch nichts gewusst werden kann.
Dieses Un-Ding erheben seriöse Philosophen zum Gegenstand ihrer „Wissenschaft“ – der Ontologie – und kreiden der „normalen“ Wissenschaft an, dass sie
„…sich mit den besonderen Wirklichkeitsbereichen beschäftigt, – z.B. … die Physik mit dem Materiellen…, ohne nach ihren Voraussetzungen zu fragen. Dieser mehr oder minder Philosophie darüber hinaus (!) fragen, …sie muss grundsätzlich das Sein und das Seiende zu ihrem Thema machen.“ (Fischer-Lexikon Philosophie, Stichwort „Ontologie“)
Der Ontologe tut so, als habe er durch die bloße Tatsache, dass – z.B. – physikalische Gesetze überhaupt besondere Bestimmungen haben, die Berechtigung gewonnen, deren Erklärungsanspruch anzugreifen. Sein Argument dafür lautet, dass alle Gründe, die zur Erklärung von –z.B. – Naturphänomenen angeführt werden, sehr unsicher seien, weil davon abhängig, dass es die sie wiederum begründenden Gründe gibt. Dieses ontologische Argument ist
– erstens falsch, da die Leistung eines Grundes, die Notwendigkeit einer bestimmten Sache zu begründen, nicht im Mindesten davon beeinträchtigt wird, dass er selbst einen Grund hat
– zweitens ein frecher Dogmatismus, da es der Wissenschaft zumutet, sie solle die von ihr geleistete Erkenntnis der Gründe ihrer Gegenstände bescheiden von der vorrangigen theoretischen „Existenzsicherung“ aller Gründe durch die Verankerung ihrer Notwendigkeit in einem „letzten“ bestimmungslosen Grund, über den man einfach nicht mehr hinausdenken können soll, abhängig machen.
Der „Einwand“ gegen die Wissenschaft, dass jeder bestimmte Grund ein „nur“ bedingter sei, weil es ihn nicht gäbe, wenn sein eigener Grund nicht existierte, ist nicht nur dämlich, sondern muss es auch sein: Für das philosophische Ideal eines Grundes, der die Existenz der begründeten Sache nicht „nur“, insofern er existiert, sondern mit un-bedingter, absoluter Notwendigkeit setzt, kann es kein richtiges Argument geben, denn dazu muss auch die Existenz des Grundes selbst unbedingt sein – womit an ihn die Anforderung gestellt ist, nicht nur die Sache, sondern auch sich selbst zu begründen: Dieses „Absolute“ ist das „Sein“, das sein eigener Grund ist (denn der „Grund“ einer bestimmungslosen Qualität kann selbst ja auch keine Bestimmungen aufweisen; da sich aber „reine Unbestimmtheiten“ nicht von einander unterscheiden, ist hier der Grund mit seinem Begründeten identisch).
Die logische Kategorie des Grundes wird auf diese Weise in eine moralische verwandelt: als von den Bestimmungen des jeweiligen Gegenstandes (der als bestimmter eben immer einen besonderen Grund hat) unabhängige positive Notwendigkeit für ihn, nicht als Erklärung, sondern als Daseinsberechtigung, wird sie zum Wert. Wenn es somit alles, was es gibt, aus gutem Grund gibt, ist alles gerechtfertigt, weil es es gibt.
5. Geschichtsphilosophie Was darf ich hoffen?
Die Geschichtsphilosophie führt sich mit der befremdlichen Behauptung ein, dass der Erklärung geschichtlicher Vorgänge ohne die geschichtsphilosophische Betrachtung etwas abginge: nämlich ihre Voraussetzung. Nicht, dass sie etwas an der Geschichtswissenschaft zu kritisieren hätte, und schon gar nicht, dass sie sich selbst wissenschaftlich mit der Geschichte befassen würde. Sie will vielmehr in aller Bescheidenheit mit der Klärung dieser Voraussetzungen ein Resultat der Geschichtsbetrachtung – ohne diese Betrachtung angestellt zu haben – festlegen. Der diesbezügliche Schluss hat den Charakter eines Selbstbetrugs, der in die Wissenschaft Eingang gefunden hat: Hätte die Geschichte keinen Sinn und kein Ziel, so wäre alles sinnlos. Also – lautet der Beschluss – müssen wir einen Sinn hineinlesen, damit wir ihn nachher wieder herauslesen können. Dies die „moralische Verpflichtung“, die ein Geschichtsphilosoph sich und seinen Kollegen auferlegt, ohne dass ihn jemand darum gebeten hätte.
Und der Nutzen dieser Veranstaltung ist ungeheuerlich: Klar ist, dass eben derselbe Standpunkt, den man der Geschichte zugeschrieben hat – in ihr erweist sich „der Mensch“ als ein „destruktives“ oder „vernunftbegabtes“ aber auch „Gott suchendes“ Wesen – bei dieser Betrachtungsweise der Geschichte als deren Zusammenhang auch wieder herauskommen muss. Jetzt hat dieser Standpunkt aber – den sie in der Wirklichkeit stets nur als „eigentlich“ aufzeigen können – die ganze Wucht der Geschichte hinter sich, braucht sich also nicht mehr des Idealismus verdächtigen zu lassen. So sind die hohen Ideale, denen immerzu die Realität abgeht, schon fast keine Fiktionen mehr, sondern – wenigstens in der Vorstellung des Geschichtsphilosophen – als das Movens der Geschichte wenn schon nicht verwirklicht, so doch wenigstens auf dem Wege ihrer Verwirklichung. Man darf also trotz aller Widrigkeiten auf die schönen Ideen hoffen – die Geschichte, entsprechend interpretiert, erlaubt es. Wenn das nicht tröstlich ist
6. Naturphilosophie Die Frage „Wozu?“
„Von Seiten vieler Naturwissenschaftler heißt es, die Naturphilosophie sei nicht (mehr) nötig bzw. sinnvoll, da die modernen Naturwissenschaften ihre Rolle übernommen hätten. … Dagegen lässt sich philosophisch zeigen, dass die Wirklichkeit nicht rein naturwissenschaftlichmathematisch zu verstehen ist. … Die Naturphilosophie dagegen arbeitet auf einer höheren Abstraktionsstufe, indem sie bis zum innersten Wesen sowie den Bedingungen der Möglichkeit (siehe Teil I!) des Natürlichen aufsteigt. Naturphilosophie bedeutet eine Rückführung auf allgemeinste Prinzipien und damit(!) eine ausdrückliche Bindung an die Metaphysik.“ (Wikipedia-Artikel „Naturphilosophie“)
Um Wissenschaft geht es also schon mal nicht. Die „Wirklichkeit“ verlangt nach einer weiteren Betrachtungsweise, die uns ihren höheren Sinn und Zweck erschließt – zumindest „lässt sich“ das philosophisch so „zeigen“. Also los:
„Der Mensch“ z.B. ist nicht etwa ein spezieller Fall von „Natur“ – beides schon reichlich dürre Abstraktionen -, sondern steht zugleich innerhalb und außerhalb derselben:
„Dass das Bleiben in der Natur gegen die Natur ist, diese Paradoxie löst sich nur, wenn wir den Begriff der Natur teleologisch fassen und den Menschen als von Natur auf Überschreiten der Natur angelegtes Wesen verstehen.“ (R. Spaemann)
Schon falsch! Der Grund, aus dem der Philosoph die Notwendigkeit eines teleologischen Verständnisses herleitet, setzt nämlich die teleologische Betrachtungsweise schon voraus: „Gegen“ die Natur kann man nur verstoßen, wenn ihr Zwecke immanent sind, ansonsten ist es ihr reichlich gleichgültig, was in ihr veranstaltet wird – „Natur“ bleibt sie allemal.
Aber sei`s drum: Die Natur hat also den Menschen so „angelegt“, dass er sie überschreiten muss – was nicht heißen soll, dass der Mensch ein übernatürliches, immaterielles Wesen ist, er bleibt ein Teil von ihr. Gemeint ist: Der Mensch kann sich qua Denken aus seiner Naturverhaftetheit lösen, sich Zwecke setzen und sie realisieren. Der menschliche Geist bzw. Wille ist also die eigentliche Entgegensetzung zur „Natur“: zwar von ihr erschaffen, aber eben problematisch darin, dass er sich gegen die Absichten seiner Schöpferin wenden kann und wendet, anstatt zu begreifen, dass er dem Menschen verliehen wurde, damit der aus freien Stücken auf die Stimme seiner Herrin hören kann.
Und dazu hat der Philosoph umgekehrt das Subjekt „Natur“ erfunden: als ständigen Widerpart des Menschen nämlich, an dem dieser sich moralisch zu bewähren hat. Im Umgang mit der Natur ist eben nicht alles erlaubt, man hat Respekt vor ihr zu haben.
Um diesem Appell Nachdruck zu verleihen, scheut sich der Philosoph nicht, alle möglichen Schäden, die infolge der kapitalistischen Geschäftstätigkeit an den natürlichen Quellen des Reichtums auftreten, zu zitieren. Aber nicht, um deren Ursachen herauszufinden und zu bekämpfen, sondern um dem Menschen vorzurechnen, dass er versagt hat, insofern er nicht dem Bild entspricht, das sich der Philosoph von ihm gemacht hat. Er hat die Jahrtausende alte „Symbiose von Mensch und Natur“ vergessen zugunsten einer „progressiven Herrschaft“. Und weil das böse ist, empfindet der Moralphilosoph kindische Freude bei seiner düsteren Prophezeiung: demnächst wird sie – falls wir uns nicht bessern – zurückschlagen und uns z.B. eine Klimakatastrophe bescheren.
Dass man die Natur gar nicht zerstören kann, weil auch ein ruinierter Wald und eine verpestete Luft noch den Naturgesetzen gehorchen, braucht den Philosophen nicht zu stören, da er nicht gewillt ist, gegen die Ruinierung der Brauchbarkeit der Natur anzutreten. Er wollte ja nur ein Sittengemälde entwerfen, in dem der Mensch eine ziemliche Sau ist, weil er sich nicht nach der Vorschrift richtet, die die Natur in „ihrem innersten Wesen“ darstellt.
Dass die dafür notwendige Konstruktion eines zwecksetzenden Natursubjekts der gleichen Logik gehorcht wie die bekannten Scherzfragen – „Wozu hat die Giraffe einen langen Hals?“ „Damit Kokosnuss…“ – stört den Philosophen nicht. Wenn er sich bei jedem Naturphänomen die Frage vorlegt „Wozu?“, also nach dem „eigentlichen“ Zweck der Natur fragt, ist das schon die Antwort: Sie hat einen Sinn und der Mensch soll sich danach richten.
So hat die Naturphilosophie ein bedenkenswertes Resultat: Sind die Naturvölker mangels Wissen den Naturmächten unterworfen, so erteilt diese moderne Wissenschaft den moralischen Auftrag, dass sich der Mensch den Naturmächten unterordnen muss. Wozu „Wissen“ alles taugen kann!
7. Moralphilosophie Was sollen wir tun?
Auch ein Philosophiestudent kommt zuweilen in eine Lage, in der er mit irgendwelchen Schwierigkeiten im Studium, im Job oder im Privatleben nicht mehr recht weiter weiß und einen Rat will. In so einem Fall käme er wohl nie auf die Idee, in eine Moralphilosophievorlesung zu gehen, denn keiner verwechselt das Thema der Veranstaltung „Was sollen wir tun?“ mit dem Angebot eines Lebensberaters. Auch verwechselt es niemand mit einer Informationsveranstaltung für gesetzesunkundige Menschen, die sich nach ihren Pflichten erkundigen – der Professor verbringt sogar einen Großteil seines Semesters damit, vor solchen Missverständnissen zu warnen. Praktische Probleme und deren Lösungen interessieren ihn nicht nur nicht, als „Klugheits“- oder „Zweckdenken“ können sie nicht oft genug zurückgewiesen werden. Ein zweckmäßiger Umgang mit der Welt gilt als einzige Verhinderung der Erfüllung dessen, was „wir“ tun sollen. Man fragt also, als sei dies eine Selbstverständlichkeit und Aufgabe der Wissenschaft, ganz prinzipiell nach Pflichten, die „der Mensch“ als solcher zu erfüllen habe – weswegen die Gesetze, die es wirklich gibt, schon mal ganz gut wegkommen: immerhin zügeln sie das „Eigeninteresse“ und es stellt sich bei ihnen nur die Frage, ob sie auch die „wahren“ Pflichten sind.
Offensichtlich reicht es der Moralphilosophie nicht, dass den Leuten per Gesetz eine ganze Menge auferlegt wird – sie begreift es als den Auftrag ihrer Wissenschaft zu beweisen, dass Pflichten allgemein vernünftig sind, dass Beschränkungen ganz jenseits allen Zwangs, mit dem sie in die Welt gesetzt werden, zum Menschen dazugehören, wenn nicht überhaupt seine „Natur“ – seine „eigentliche“, versteht sich – ausmachen.
Das Argument dafür heißt schlicht und einfach, dass man doch wohl nicht bestreiten könne, dass die Leute moralisch denken und handeln. – Das soll auch nicht bestritten werden, doch ist das Faktum der Moralität weder deren Erklärung noch ein Ausweis ihrer Vernünftigkeit.
Eine solche Veranstaltung sollte man also tunlichst nicht besuchen, denn
1. ist es wissenschaftlich gesehen ein Unsinn nachweisen zu wollen, dass der Mensch sich schadet, wenn er seinen Interessen nachgeht,
2. ziemlich arrogant, ständig darüber zu rechten, was die Leute zu tun und zu lassen haben und
3. sollte man sich lieber fragen, wieso man immerzu Geboten gehorchen muss und zusehen, dass man sie loswird, anstatt sich allerlei gute Gründe für sie auszudenken.