Doping-Krise im Radsport:

Die Glaubwürdigkeit des deutschen Sports fordert:

Faire deutsche Sieger müssen her!

Nachdem im Radsport schon seit Jahren ein Doping-Skandal den nächsten jagt, ein Spitzenfahrer nach dem anderen bei der Tour de France positiv getestet wird und ganze Mannschaften des systematischen Gebrauchs unlauterer Mittel überführt worden sind; nachdem sich in der letzten Saison die Gerüchte verdichtet haben, dass auch „unser“ Telekom-Team gewisse Doping-Probleme haben soll, und die Staatsanwaltschaft gegen Jan Ullrich ermittelt; nachdem dann auch noch der „saubere Neuanfang“, den die sportliche Leitung des deutschen Teams für die diesjährige Tour versprochen hatte, durch eine Serie von Geständnissen bereits im Vorfeld arg ramponiert worden ist und ARD und ZDF aus der Tour-Berichterstattung ausgestiegen sind, ist nun auch bei der Stuttgarter Rad-Weltmeisterschaft die angestrebte „Selbstbereinigung“ des Radsports nicht gelungen. Ausgerechnet der Italiener Bettini, dessen Start die Stadt Stuttgart durch Gerichtsbeschluss verhindern wollte, weil er die UCI-Ehrenerklärung nicht unterschreiben wollte, hat das Straßenrennen gewonnen. Das macht, zumindest für die Stuttgarter Zeitung, die Rad-WM zum „Fiasko“. Und der Chefredakteur des ZDF, das zum Leidwesen der Stuttgarter Veranstalter das Rennen nicht live übertragen wollte, stellt fest: „Das hat hier mit vielem zu tun, aber nichts mit Sport.“. (StZ 1. Oktober 2007) Wie hätte ihm die Veranstaltung denn wohl gefallen? Ein Radrennen, in dem einfach der Bessere gewinnt und nichts als die sportliche Fairness zählt? War da nicht noch etwas? Die Stuttgarter Zeitung fasst das WM-Ergebnis so zusammen: „Es hätte besser laufen können, z. B. mit einem Erfolg von Stefan Schumacher.“. (a.a.O.) Beim Sport in den Medien geht es eben doch maßgeblich darum, wie die Deutschen abschneiden.

Von diesem Gesichtspunkt lebt die ganze Sportberichterstattung . Sie besteht in nichts anderem als darin, dass ein ganzes Heer von Reportern und Kommentatoren vermeldet, was diesbezüglich von Interesse ist. Das fängt bei der Sportart an: Sendezeit und die Aufmerksamkeit des Publikums werden konsequent auf die Sportarten gelenkt, in denen aus nationaler Sicht Erfolge zu verbuchen sind. Das breite Publikumsinteresse an einem Sport wächst, entsteht überhaupt erst und wandelt sich dementsprechend mit den Siegen, die vermeldet werden können. Ist das massenhafte Interesse einmal erfolgreich gestiftet, wird es umfassend bedient mit Informationen darüber, mit wem man gerade mitfiebern darf, welche Chancen wir uns ausrechnen dürfen, wer unsere Hoffnungen erfüllt und wer sie enttäuscht hat. Ziemlich gleichgültig ist dabei, ob das Deutsche, dem man die Daumen drücken soll, eine Nationalmannschaft wie im Fußball ist, oder eine Mannschaft, die von einer deutschen Telefongesellschaft gesponsert wird, oder ein deutscher Fahrer, der im kasachischen Astana-Team mitfährt. Überhaupt darf man nicht allzu wählerisch sein, was den Gegenstand der Anteilnahme betrifft. Wenn gerade nichts sportelnd Deutsches greifbar ist, wird man mit dem Hinweis unterhalten, dass der Trainer der Schweizer Mannschaft ein Deutscher ist; es tut aber auch die Mitteilung, dass der Architekt der Sportstätte, aus der man gerade berichtet, einen deutschen Vater hat. Am schönsten ist es natürlich, es steht ein richtig deutscher Weltstar wie Boris Becker im Tennis oder Jan Ullrich im Radsport als „Idol“ zur Verfügung. Dann kennen die professionellen Organisatoren der Öffentlichkeit endgültig kein Halten mehr. Auf allen Sendern wird das Publikum dann dazu animiert, sich wie ein Mann hinter unsere Jungs zu stellen, damit die mit ihren Siegen Ruhm und Ehre für Deutschland einspielen und -fahren. Die Stimmung, in die man sich versetzen lassen soll, exerzieren einem national-verzückte Moderatoren in penetrantester Weise vor. Der Zuschauer wird so auf den Standpunkt eingeschworen, dass alles, was unsere Athleten dafür tun, um an der Weltspitze mitzumischen, unser aller Anerkennung verdient. Der ganze Wahnsinn eines modernen Hochleistungssportlers, den er sich antut, um außergewöhnliche Körperleistungen vollbringen zu können, wird besprochen als etwas, was ihm – und damit uns! – unbedingt zur Ehre gereicht. Dafür sind diese zu Idolen erhobenen Sportler der Nation umgekehrt aber auch entsprechende Leistungen schuldig! Und wenn sie die schuldig bleiben, sind die professionellen Vertreter der Öffentlichkeit die Ersten, die unsere Helden gnadenlos zur Schnecke machen. Im Namen des sportbegeisterten Publikums, das ein Recht darauf hat, sportliche Erfolge zu sehen, treten sie fordernd der sportlichen Elite entgegen. So als hätten die genauso verbissen trainierenden Konkurrenten aus den anderen Nationen nicht ein Wörtchen mitzureden, wenn es darum geht, wer gewinnt, verlangt man von den eigenen Sportskanonen Siege. Sportler, die sowieso nichts anderes im Kopf haben, als mit Hilfe von Trainer, Sportmedizin und Motivationstraining alles aus sich herauszuholen, werden bezichtigt, sie ließen es am nötigen Leistungswillen fehlen. Jan Ullrich musste sich neulich noch im Interview mit Fernsehmann Beckmann die Frage gefallen lassen, warum er im Winter nicht härter trainiert, wenn er im Sommer immer bloß Zweiter wird, und hatte sich anschließend dafür zu rechtfertigen, dass er mit einem Weißbier gesehen worden ist. So einer ist nach dem Urteil unseres Journalisten natürlich fehl am Platze, wenn es darum geht, auf dem Feld des Sports Ehre für Deutschland einzulegen.

Bevor dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen die Moral vom sauberen und fairen Wettkampf wichtiger wird als der Erfolg, den die Nation verdient hat und es sich mit Grausen von einer Sportveranstaltung abwendet, in der leistungssteigernde Drogen eingenommen werden, muss also viel passieren. Es sind gerade die Profis der Sportberichterstattung die mit der größten Unerbittlichkeit das Recht der Nation auf sportliche Erfolge vertreten – selbstverständlich stets im Namen ihres sportbegeisterten Publikums. Dabei tun sie alles, um ihr Publikum entsprechend zu fanatisieren und in einen Grad an nationalistischer Verblödung reinzuquatschen, der ziemlich beeindruckend ist. Mit all den Mitteln, die die moderne Kommunikationstechnik ihnen zur Verfügung stellt und mit dem unverhohlenen Willen zur erfolgreichen Manipulation tragen sie den nationalen Erfolgsstandpunkt in das sportliche Geschehen hinein, bis er alles durchdringt. Nichts lassen sie unversucht, um ihr Publikum in die nationale Hysterie zu versetzen, die sie z. B. rund um ein internationales Fahrradrennen verbreiten. In dem Maße, in dem ihnen das gelingt, wird die Veranstaltung zusätzlich zu einem Quotenrenner, auf den sich dann auch noch das große Geschäft pflanzen kann: Fernsehrechte werden teuer gehandelt, Firmen steigen als Sponsoren ein, sodass Geld beim Aufblasen des Zirkus’ keine Rolle mehr spielt. Unternehmen machen eigene Mannschaften mit großem Aufwand und allen verfügbaren Mitteln erfolgstüchtig, damit sie als Werbeträger für ihre Produkte ganz vorne mitfahren. Damit ist dann alles beieinander für eines jener nationalen Events, die in aller Munde sind und denen sich niemand mehr so recht entziehen kann. Wie sehr ein sportliches Großereignis tatsächlich das Produkt einer von den Medien inszenierten Öffentlichkeit ist, sieht man nicht zuletzt daran, dass mit dem Einstellen der Fernsehübertragung sofort die ganze Veranstaltung in Frage gestellt ist. Das gilt für die Tour de France …

‚Für die Veranstalter ist das eine wirkliche Bedrohung‘, sagt Brender: ‚Ohne das Fernsehen steigen auch die Sponsoren aus.‘ Die Macht des Markts Deutschland dürfe nicht unterschätzt werden, sagt Struve.“ (SZ, 19.07.07)

… ebenso wie für die WM in der Schwabenmetropole:

„Was sich Stuttgart geleistet hat nennt man gemeinhin ein finanzielles Debakel. … Nicht nur, dass sich die Zuschauer auf den bezahlten Plätzen dünne gemacht haben; weil auch das öffentlich rechtliche Fernsehen viel weniger als geplant von der Weltmeisterschaft übertragen hat, drohen der Stadt hohe Ausfälle.“ (StZ, 1. Oktober 2007)

Im Bewusstsein des Gewichts ihrer Entscheidung befinden die deutschen Fernsehanstalten über die Übertragung von Tour de France und Rad-WM und bestehen darauf, dass diese Veranstaltungen ihre Inszenierungen sind. In Anlehnung an die Regelungen der Welt-Antidoping-Agentur, haben sie eine klare Vorstellung davon wo der faire Wettkampf aufhört und die unfaire Manipulation von sportlichen Leistungen anfängt: Leistungssteigernde Veränderungen des Blutbildes durch Höhentraining gehören heute zur seriösen Vorbereitung, der Gebrauch von unerlaubten Dopingpräparaten aber ist grob unsportlich – jedenfalls dann, wenn er auffliegt. Und wo nachweislich unsaubere Praktiken zur Anwendung kommen, da sind sie es sich, dem Ansehen ihrer Anstalt, ihrem Publikum und dem Sport überhaupt schuldig, auf Distanz zu gehen. Sie sehen sich aufgerufen, die Glaubwürdigkeit der von ihnen geschaffenen Veranstaltung zu retten. Auf sportliche Erfolgen, die mit unerlaubten Mitteln erzielt wurden, kann die Nation ja nicht mehr ungetrübt stolz sein.

Weil es darum geht, was für ein Bild die Nation in der sportlichen Konkurrenz abliefert, weil das tatsächlich die Sache ist, auf die es aus nationaler Sicht ankommt, ergeht an diejenigen, die in dieser Konkurrenz die Nation repräsentieren, ein eigentümlich doppelter Auftrag. Sie sollen zum einen unbedingt Konkurrenzerfolge erzielen! Dafür wird einiges getan – Staat und Sponsoren lassen Millionen springen, Sportgeräte und –bekleidung werden endlos verbessert und verfeinert, ausgeklügeltes, permanentes Hochleistungstraining passt die Körper (und oft genug auch den Kopf) der Sportler haargenau und häufig über die Grenzen gesundheitlicher (oder intellektuellen) Unbedenklichkeit hinaus der betriebenen Sportart an – und all das gilt als notwendigerBeitrag zum ehrenwerten Ringen um den Sieg. „Unfair“, wird die sportliche Vorbereitung dann und nur dann, wenn der körperlichen Leistungskraft zwar förderliche, aber per Dopingliste verbotene Mittel zum Einsatz kommen. Und unfair in diesem Sinne dürfen, zum anderen, die sportlichen Erfolge eben nicht erzielt werden. Dieser Nachsatz wird immerhin so ernst genommen, dass man sich aus der Veranstaltung auch einmal zurückzieht, wenn sich der Schein „ehrlichen“ Einsatzes nicht mehr wahren lässt.

Über den macht sich dennoch niemand etwas vor. Mit der Beherzigung der Tugenden der Konkurrenz alleine, mit sportlich fairem, ansonsten aber erfolglosem Verhalten ist kein Blumentopf zu gewinnen. Und Siege sind in der sportlichen Konkurrenz immer noch klar erkennbar die Hauptsache! Wenn besagter Schein einer „fairen“ Sportlichkeit wieder einmal aufgeflogen ist, dann sollen ehrliche Bemühungen um die Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit die Sache wieder ins Lot bringen. Dafür in Stuttgart nicht gesorgt zu haben, werfen Sportberichterstatter jetzt den Radsportverbänden vor. Aber vielleicht fährt ja bei nächster Gelegenheit einer unserer „sauberen“ jungen Hoffnungsträger nach vorn. Dann ist die deutsche Radsportwelt auch wieder in Ordnung.

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