Zyklon über Birma: Der imperialistische Kollateralnutzen einer Katastrophe

Denen werden wir helfen!

Ein „verbrecherisches“ Regime …

Die Militärregierung in Birma erfreut sich seit Jahrzehnten der herzlichen Feindschaft der „freien Welt“. Die handelte sie sich durch die unverzeihliche Weigerung ein, Geschäftsträger aus den westlichen Weltwirtschaftsmächten samt den von diesen empfohlenen Wirtschafts- und Regierungsformen in ihr Land hinein- und an seine beträchtlichen Reichtümer an Öl, Gas, Tropenholz und Edelsteinen heranzulassen. Europa und die USA verhängten deshalb Wirtschaftssanktionen, die dem Land „enorm schaden“ (tagesspiegel.de 9.5.) und sich inzwischen, so klagt die freie Presse, nicht mehr dazu eignen, den auf ihm lastenden Druck zu erhöhen, weil sie „nicht mehr verschärfbar“ sind (ZDF-heute 13.5.).

Zur Armut der birmanischen Bevölkerung trägt das nicht unerheblich bei. Das ist durchaus erwünscht, weil die Veranstalter der Strafmaßnahmen darauf hoffen, dass die Bevölkerung dies den regierenden Generälen anlastet und sich gegen diese erhebt – selbstverständlich nicht nur wegen ihrer materiellen Lage, sondern vor allem wegen der Menschenrechte. Die gehen den Birmanen nämlich ab: Sie dürfen ihre Armut nicht in aller Freiheit im Dienst des Weltmarktes nützlich machen und – z. B. – für westliche Kapitalisten billige Adidas-Schuhe nähen! Statt dessen werden sie von ihrer Junta damit beschäftigt, Birma zu einem der größten Reisproduzenten der Welt zu machen. Und sie dürfen die Regierung, die ihre Armut organisiert und verwaltet, noch nicht einmal richtig frei wählen, wie dies in den nachhaltig „armen Ländern“ der demokratischen Welt doch auch geht!

Stattdessen achtet die Militärregierung mit gern zitierter „eiserner Faust“ darauf, dass die Birmanen nur so ausgenützt und regierungsseitig drangsaliert werden, wie sie das für richtig hält. Und es gelingt ihr, durch wirtschaftliche Beziehungen zur asiatischen Konkurrenz der westlichen Nationen, ihrem Land das Überleben unter dem Sanktionsregime zu ermöglichen und sich in ihm an der Macht zu halten. Das ist der Grund dafür, dass die demokratischen Weltordnungsmächte, selbstverständlich im selbsterteilten ideellen Auftrag des „geknechteten birmanischen Volkes“, auf die Beseitigung dieses Regimes dringen. Was sie mit Birma, seinem wichtigen Reichtum und seiner strategischen Lage anfangen könnten, wollen sie nicht davon abhängig machen, ob es „überalterten, weltfremden
Generälen“ (SZ, 6.5.) einleuchtet.

… wird von der Natur aufgeweicht

Zu ihrem Bedauern konnten die Medien, die die Aktivitäten ihrer Regierungen anteilnehmend und kommentierend begleiten, bisher nicht den gewünschten Erfolg vermelden. Da kommt plötzlich Hilfe aus einer unerwarteten Ecke, genau gesagt, aus dem Golf von Bengalen. Für Meteorologen, die es nicht besser wissen, handelt es sich dabei um den Zyklon „Nargis“. Für aufgeweckte Journalisten, die von Berufs wegen einen Sinn dafür haben, woher der Wind weht, ist da möglicherweise eine Wende in der Birma-Frage unterwegs:

„Manchmal ändern sich die Dinge, wenn schon keiner mehr damit rechnet. Manchmal kommt die Wende verkleidet als Katastrophe.“ (SZ, 6.5.)

Diese „Wende“ hat es in sich, das ist der umfänglichen Berichterstattung zu entnehmen: Der Sturm fegt über das tief gelegene Delta des Irrawaddy-Stroms mit einer Heftigkeit, wie sie nach sachkundiger Beurteilung alle vierzig Jahre einmal vorkommen soll. Zigtausend, vielleicht mehr als hunderttausend Menschen ertrinken, Millionen sind obdachlos, Infrastruktur und Produktionsanlagen der Region sind völlig zerstört und weite Teile des Deltagebietes überschwemmt. Die Überlebenden sind auf organisierte Hilfe angewiesen, die – so viel ist schon durch das Ausmaß der Zerstörung und die Millionenanzahl der Sturm–opfer von Anfang an klar – einen enormen materiellen und technischen Umfang haben muss und dennoch für viele der Überlebenden nur zu spät kommen kann.

Das alles ermuntert die Beobachter der Lage zu den schönsten Hoffnungen:

„Birma ist politisch in einer Sackgasse, denn aller ziviler, von buddhistischen Mönchen getragener Protest führte nicht zum Befreiungsschlag. … Dann kam der Zyklon. Die internationale Hilfe, die nun kommen darf, wird den Boden lockern. Das können auch die Militärherrscher nicht verhindern. … Am Ende hat die Wucht der Natur den Militärs den größten Schlag versetzt.“ (Die Welt, 8.5.)

Hier spricht die Begeisterung über die unwiderstehliche Einheitsfront von demokratischem Wirbelsturm und zyklonischer Demokratie, die vermittels der im Gefolge daherkommenden internationalen Hilfe den Generälen den finalen Schlag versetzen werden, gleich im Indikativ, als wäre der auch weiterhin glückliche Verlauf der Angelegenheit nur mehr eine Formsache, als könnte die Militärregierung nun gar nicht anders, als technisch hochgerüsteten Helfertruppen aus Nationen, die ihr feindlich gegenüberstehen, einmarschieren zu lassen und als wäre das naturwüchsig der Anfang ihres Endes.

Die guten Helfer

An der Verwirklichung eines solch traumhaften Erfolges beginnen die Interessenten umgehend mit praxisnahen Mitteln zu arbeiten. Angesichts des Umstandes, dass die Militärregierung von Anfang an Hilfe aus nicht verfeindeten Staaten wie Indien, China, Thailand, Russland, Bangladesch und anderen schnell und umstandslos ins Land lässt (SZ, 8.5.), erheben die imperialistischen Weststaaten lauthals und im Namen der Sturmopfer sowie der von ihnen hauptseitig verwalteten Menschlichkeit den Anspruch, ebenfalls schnellstens ins Katastrophengebiet zu dürfen, und zwar nicht nur mit Lieferungen, sondern auch mit Personal und Technik.

Ohne die überlegene Ausrüstung und Kompetenz von THW, Rotem Kreuz und sonstigen NGOs, so wird behauptet, sei jede Hilfe von Haus aus zu langsam und zu wenig, was unzählige weitere Menschenleben kosten würde. Ob mit westlicher Hilfe wirklich weniger Flut-opfer sterben würden, oder ob das birmanische Regime durch sein Misstrauen gegen die angekündigten freiheitsfördernden Effekte der Hilfsaktionen seiner Feinde eher „einen Wildwuchs“ der Hilfe verhindert hat, „wie nach dem Tsunami in Aceh“, wo sich die Helfer „gegenseitig auf den Füßen standen“ (SZ, 19.5.), wird man nie erfahren. Mit und ohne westliche Helfer verlieren im Katastrophengebiet unzählige Betroffene ihr Leben.

Aber um das Retten von Menschenleben geht es ja nur bedingt. Es kommt nämlich auf keinen Fall in Frage, die dringend benötigten Hilfsgüter einfach der birmanischen Regierung zur Verfügung zu stellen. Deutschland knausert mit Hilfsgeldern, dient aber fortwährend starke Kräfte diverser Hilfswerke an, die unbedingt alle selber ins Land müssten. Behauptet wird, dass deutsche Wasseraufbereitungsgeräte für birmanische Helfer zu kompliziert und die örtlichen Soldaten zu blöde zum Päckchenverteilen seien – „die verteilen die Kartons einfach in der Menge“ (ein NGO-Helfer in der ARD-Tagesschau, 6.5.) –, in Wirklichkeit aber geht es darum, zu verhindern, dass die Regierenden „damit ihre Herrschaft stabilisieren“ (taz, 8.5.). Schließlich hat die humanitäre Hilfe den gerade entgegengesetzten Zweck! Westliche Hilfe soll die Birmanen der Aufgabe gewogen machen, die der Westen für sie vorgesehen hat: Sie sollen einen Aufstand gegen die Militärregierung inszenieren.

„Die Bevölkerung dürfte sich noch lange daran erinnern, wer ihr nach der Katastrophe geholfen hat – und wer nicht. … Helfern aus dem Ausland Einfluss einzuräumen birgt politische Risiken für die Junta. … Dem Volk würden diese Helfer dann – und nicht die Regierung in Erinnerung bleiben.“ (AP-yahoo.de, 8.5.)

Weil auf eben diese „Risiken“ Wert gelegt wird, werden Lieferungen lieber für einige Zeit vollständig zurückgehalten, wenn man sie nicht selber verteilen darf. Und als die Regierung schon in Birma befindliche Hilfsgüter der UN beschlagnahmt und verteilt, wird das weltöffentlich zum Skandal erklärt und mit zeitweiliger Aussetzung der Hilfslieferung beantwortet.

Um den unverhofften imperialistischen Windfallprofit auszunutzen, bemühen sich die der birmanischen Regierung feindlich gesinnten Staaten nach Kräften zu helfen und dabei das missliebige Regime zu schwächen und sich Einfluss zu verschaffen. Die NGOs, die, wie der Medienkonsument zu seinem Erstaunen erfährt, bereits zahlreich in diesem „völlig abgeschotteten“ Land unterwegs sind, werden dafür eingespannt, und alle Beteiligten wissen, dass „die USA und Europa ihre Vorposten im Land nutzen (könnten), um gegen das Regime und für Demokratie Stimmung zu machen“ (spiegel.de 8.5.). Aber nicht nur das: Man bietet Militärkräfte als Hilfstruppen an, und als sich Birmas Regierung wenig begeistert zeigt, wird laut über die Möglichkeit nachgedacht, der Humanität gewaltsam Bahn zu brechen.

Die USA würden gerne mit Frachtflugzeugen, Kriegsschiffen und Schnellbooten in Birma landen und mit Zivil- und Militärkräften Decken und Zelte ins Irrawaddy-Delta zu bringen. Und Condoleezza Rice beteuert, „es gehe nicht um Umsturz, nur um Hilfe“ (SZ, 7.5.08) und findet einmal mehr das Zögern der Junta „unverständlich“. Schließlich wären die Amis doch gewiss die Ersten gewesen, die kubanisches oder venezolanisches Militär als Helfer auf amerikanischem Boden auch ohne Einladung mit offenen Armen begrüßt hätten, damals in New Orleans, als sie nach einem eigenen Wirbelsturm mit ihrer „ausgefeilten und erprobten Katastrophen-Choreographie“ (spiegel.de, ebd. über die heutige Helferkompetenz der US-Kräfte) bei sich zu Hause einmal nicht so gut zurecht kamen.

Frankreichbeschäftigt schon drei Tage nach dem Zyklon den Weltsicherheitsrat mit Überlegungen der Art, man müsse die Regierung gegen ihren Willen per Ratsbeschluss und mit Gewalt zu der Hilfe für ihr Volk zwingen, die Frankreich im Namen der freien Welt für angemessen hält. Weil die Militärs in Birma, wie erwartet, Lieferungen durch die französische Kriegsflotte vor ihrer Küste ablehnen, erhalten sie erst einmal gar nichts. Statt dessen wird überlegt, ob und wie sie wegen Verletzung der völkerrechtlichen Pflicht zur Hilfe für ihr Volk zur Rechenschaft gezogen werden können. Diese Hilfe gilt im vorliegenden Fall als unterlassen, wenn und weil sie nicht unter der freiheitlichen Regie der westlichen Demokratien stattfindet. Eine entsprechende UN-Sicherheitsratsresolution, die sich mit der militärischen Durchsetzung dieses Völkerrechts befassen soll, kommt allerdings nicht zustande weil, Russland und China sich dem Thema verweigern. Die sind derzeit nicht an der Beseitigung der birmanischen Regierung durch einen humanitären Handstreich des Westens unter dem Dach der UNO interessiert.

Die bösen Generäle

Für den Einsatz von USA, UNO und EU wird versucht, mit allen Mitteln Druck auf das Regime zu machen. Weil dieses den westlichen Helferstaaten nicht die beantragte Freiheit einräumt, schreien Medien und Politik jeden Tag ihre Kritik an „Inkompetenz“ und „Zynismus“ der birmanischen „Despoten“ in die Welt hinaus. Völlig unfassbar soll deren Handeln sein und ein weiterer Beweis für den menschenverachtenden Charakter des Regimes, das Hilfe nur verhindern will und damit für den Westen einmal mehr „unerträglich“ (Merkel und Steinmeier für alle) wird.

Bei all dieser Aufregung wird durchaus zur Kenntnis genommen und gebracht, dass die Militärregierung „in dieser heiklen Phase ihrer Macht“ (SZ, 8.5.)durch ausländische Katastrophenhilfe technisch, politisch und moralisch in Bedrängnis gebracht werden soll. Dass die den moralischen und diplomatischen Druck weitgehend abprallen lässt und zunächst ihr Überleben organisiert, wird ihr übel genommen und der Erfolg, den sie dabei hat, erst recht. Die geschundenen Menschen, die im Delta ums Überleben kämpfen, inszenieren keinen Aufstand, die Sturmschäden in Rangun werden behoben, die Reisversorgung durch Importe aus China, Indien und Thailand sichergestellt, und das anstehende Verfassungsreferendum reibungslos durchgezogen. Leider wird erst mal nichts aus der schönen „Hoffnung …, der Sturm könne quasi nebenbei auch das Militärregime hinwegfegen. Frustriert, ausgehungert und verärgert, müsste sich Birmas Volk doch erheben und dem Spuk der Militärjunta ein Ende bereiten – damit die Katastrophe wenigstens ein Gutes (!) gehabt hätte. Doch die Junta blieb starr und stark.“ (spiegel-online, t-online-nachrichten, 19.5.)

So viel zur Menschenfreundlichkeit der westlichen Hilfe!

Die in Birma regierenden Generäle lassen sich mit der gleichen Kaltblütigkeit wie ihre Feinde von der Achse des Guten auf ein Erpressungsspiel ein, dessen Endstand noch nicht feststeht, wohl aber seine Verlierer: die Flutopfer. Die „Guten“ bieten Hilfe an, aber nur um den Preis, dass die Regierung die Kontrolle über Land und Leute zumindest teilweise aufgibt und damit geschwächt, wenn nicht gestürzt wird. Anderenfalls wird verzögert oder gar nicht geliefert, jedenfalls nicht unter der Regie und Aufsicht des „Regimes“. Das kostet nach eigenen Auskünften der westlichen Helfer wohl viele Birmanen das Leben. Und auch die Kalkulation der Junta, das Angebot der Guten anzunehmen, sie aber nur unter möglichst vollständiger eigener Kontrolle ins Land zu lassen, kostet physisch viel Volk, das die Regierung aber politisch ganz zu verlieren fürchtet, wenn es seinen „humanitär“ gesinnten Feinden, die dem Volk dringend zu einer neuen Obrigkeit verhelfen wollen, freie Hand ließe. So sind die Westler bereit, die einheimische Bevölkerung für das Ziel einer besseren, westlich orientierten Regierung bluten zu lassen. Und die Militärregierung kann man so wenig wie jede andere Regierung auf dem Globus mit dem Leiden ihres Volkes erpressen, solange dieses Leiden vom Volk genug für die Vorhaben der Führung übrig lässt.

Für den Westen jedenfalls ist und bleibt eines klar: Ein Aufstand der „tapferen Birmanen“ steht an, und wenn „Nargis“ nicht dafür sorgen konnte, dann muss dem eben von außen nachgeholfen werden.

[(gekürzte Fassung aus GegenStandpunkt 2-08) u]

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