Was ein werdender Staatsbürger alles wissen muss

Der „Wissens- und Wertetest“ für einbürgerungswillige Ausländer

Von der Schwierigkeit, die wahren Deutschen herauszufinden

Einbgerung-taz

Woran erkennt man einen Deutschen? Normalerweise am Pass – wenn man ihn hat. Ein Ausländer, der diesen Pass erst noch bekommen will, muss sich hingegen einer besonderen Prozedur unterziehen: Er muss beweisen, dass er es wert ist, Deutscher zu werden. Dafür genügt es nicht, dass er seit geraumer Zeit in Deutschland arbeitet und lebt. Es soll auch nicht mehr genügen, dass die Ausländerbehörde den Aufenthalt seit Jahren genehmigt hat, weil sie den Kandidaten zu dem ausgewählten Teil der Ausländer zählt, auf deren Dienste Deutschland Wert legt. Bloßer Wille zur Pflichterfüllung reicht nicht mehr aus. Denn die Einbürgerungskandidaten stehen prinzipiell unter dem Verdacht, den Status eines Deutschen nur aus ihren eigennützigen Berechnungen heraus anzustreben – und diesen Verdacht haben sie vor ihrer Einbürgerung auszuräumen. Ein Kandidat, der für wert befunden wird, ein Deutscher zu werden, muss „uns“ zeigen, dass seine angestrebte Eindeutschung ein „Bekenntnis zu Deutschland“ ist, das ihn auch innerlich berührt. Die „innere Hinwendung an Staat und Gesellschaft“, die er als Voraussetzung für seine Einbürgerung beweisen muss, ist von ganz anderer Art als die Hinwendung an Familie, Freunde oder was einem sonst lieb und teuer ist. Verlangt ist hier eine Parteinahme, die unabhängig von allen persönlichen Abwägungen und Interessen zustande kommt, und die für die Neubürger zu ihrem ureigensten Herzensanliegen werden soll. Dass die neuen Bürger wirklich nicht mehr ihrer alten Herrschaft, sondern ausschließlich der neuen die Treue erweisen und in ihrem nationalen Herzen niemand mehr wohnen soll als Deutschland allein – das will Deutschland seinen neuen Untertanen nicht unbesehen glauben. Zwar könnte eine Herrschaft sich auch damit zufrieden geben, dass die Einwanderer als billige Arbeitskräfte für das nationale Wirtschaftswachstum gut funktionieren. Deutschland aber hat sich entschieden, in den Gewohnheiten und Sitten der Einwanderungswilligen ein Indiz für eine undeutsche Gesinnung und eine nicht ak-zep-table „Parallelgesellschaft“ zu sehen. Daher bekommen die Antragsteller die Aufgabe, das Misstrauen in ihre Qualifikation als Staatsbürger auszuräumen – und zwar in einem Verfahren, das die „innere Hinwendung“ an unser schönes Land auch äußerlich sichtbar machen soll.

Im ersten Anlauf entwirft Baden-Württemberg einen Wertetest, der manchem guten Katholiken die Schamröte ins Gesicht treiben müsste („Wie verhalten Sie sich, wenn Sie bemerken, dass ihr Sohn homosexuell ist?“). Die Vorlage kommt zwar direkt zur Sache und nimmt speziell die zweifelhafte Gesinnung des muselmanischen Kulturkreises ins Visier. Das gilt aber zugleich auch als Einwand gegen sie: Kritiker plagt der Verdacht, dass sie, wenn sie Bekenntnisse verlangen, womöglich nur Lippenbekenntnisse bekommen, dass ein bloßer Gesinnungstest gar nicht leistet, was ein Gesinnungstest leisten soll. Das Land Hessen „versachlicht“ daraufhin das Verfahren und entwickelt einen „Wissens- und Wertetest“, welcher der Sache den Beigeschmack einer Gewissensprüfung nehmen soll: Im ersten Drittel widmet sich der Wissens- und Wertetest der Geographie („drei deutsche Flüsse“, „drei deutsche Mittelgebirge“) und der Geschichte („Reformation und wer hat sie eingeleitet?“). Offensichtlich ist für die verlangte „Hinwendung zu Staat und Gesellschaft“ die Befassung mit den aktuellen politischen und gesellschaftlichen Zuständen wenig nützlich; die Verfasser des Fragebogens jedenfalls ziehen es vor, das Liebenswerte an Deutschland zunächst an unschuldigen Mittelgebirgen oder Flüssen sowie an Jahrhunderte zurückliegenden, von Vorfahren der heutigen Deutschen ausgelösten weltgeschichtlich bedeutsamen Umbrüchen zu illustrieren. – In welchem Jahr trat die deutsche Verfassung in Kraft? Das muss man als Nächstes wissen – gewiss nicht, um sich ein Urteil über sie zu bilden. Aber seinen Respekt vor ihr stellt man mit solchen Auskünften schon unter Beweis – solche Fragen verlangen von dem werdenden Staatsbürger politische Bildung. Er soll, völlig unbekümmert von den eigenen Sorgen und Nöten, das politische Prozedere und den landesüblichen demokratischen Pomp mit Sympathie und Anteilnahme verfolgen. Dabei darf er sich natürlich niemals die Frage vorlegen, welcher staatliche Zweck durch eine Verfassung eigentlich geregelt wird und welche Rolle dabei für einen wie ihn selbst vorgesehen ist.

Doch dann nimmt der Fragebogen Kontakt zur Lebensrealität der Prüflinge auf: In der raffiniert verschlüsselten Absicht, die Bereitschaft zur Erfüllung sittlicher Vorschriften zu testen, die bei uns schon seit kaum drei Jahrzehnten gelten, fragt er:

„Welche Möglichkeiten haben Eltern, die Partnerwahl ihres Sohnes oder ihrer Tochter zu beeinflussen? Welche Handlungen sind verboten?“

Merke, Türke: In unserer Werteordnung droht man Kindern mit Geld- und/oder Liebesentzug, wenn sie sich in den Falschen verlieben. Man darf sie auch mal grob anschreien, solange sie die Füße unter den Tisch des Vaters stecken und dennoch nicht parieren. Man darf der Tochter aber nicht verbieten, die Straße ohne Kopftuch und familiäre Begleitung zu betreten, und „zwangsverheiratet“ wird auch nicht! Freundlicherweise gibt der bayerische Landesvater Entscheidungshilfe: „Es muss für jeden neuen Deutschen klar sein, dass bei uns das Gewaltmonopol des Staates gilt und nicht etwa das Gewaltmonopol des türkischen Mannes.“ (FAZ.net, 23.3.)

Zwischendrin findet sich plötzlich eine Erinnerung an ein trübseliges Kapitel deutscher Geschichte: „Erläutern Sie den Begriff ‚Holocaust‘!“ Wie das da hineingerät, erhellt sich kurz darauf: „Erläutern Sie den Begriff ‚Existenzrecht Israels!“ Hier ist also nicht daran gedacht, Neubürger das Entsetzen vor Deutschen zu lehren, die vor nicht allzu langer Zeit die damalige „Parallelgesellschaft“ kaltblütig bis begeistert ausgelöscht haben. Vielmehr klärt der Fragebogen die Eintrittsbedingung in das Land der Täter: Weil „wir“ die Juden umgebracht haben, haben einzubürgernde Araber und andere Moslems zu kapieren, dass sie sich von ihrem Antizionismus verabschieden müssen. Ansonsten haben alle Fragen des Wissens- und Wertetests eines gemeinsam: Sie sind unverschämt abstrakt. Das „Grundwissen Deutsch“ befasst sich gar nicht erst damit, dass in Deutschland gearbeitet wird, dass Steuern gezahlt, Sozialbeiträge erhoben und verwaltet, Waren im- und exportiert werden usw. – all das existiert in der wundersamen Welt des Fragebogens einfach nicht. Allenfalls eine von 100 Fragen spielt auf den Umstand an, dass das Leben in Deutschland von elementarer Unsicherheit geprägt ist – und auch das nur, um daraus einen Ehrentitel für Deutschland zu verfertigen: „Nennen Sie drei Elemente der sozialen Sicherung in Deutschland!“. Wer mag da fragen, aufgrund welcher sozialen Verunsicherung es solche Sicherungen wohl braucht?

Nun ist der Test am Ende der Fahnenstange angelangt und kann zum Kern der Sache kommen:

98. Welche Farben hat die deutsche Bundesflagge und wie sind sie angeordnet?
99. Wie heißt der Nationalfeiertag der Bundesrepublik Deutschland und wann wird er begangen?
100. Wie heißt die deutsche Nationalhymne, mit welchen Worten beginnt sie?

Wenn ein Einbürgerungswilliger dies alles beantworten kann, dann soll ihn das zu einem guten Staatsbürger qualifizieren? – Einerseits natürlich nicht. Zu einem guten Staatsbürger gehört nämlich vor allem das, wovon der Test gerade abstrahiert: Dass er praktisch seinen Dienst tut, dass er ‚uns nützt‘ und ‚uns nicht ausnützt‘, und dabei eine Gesinnung an den Tag legt, die dieser Test überhaupt nicht erfasst. Andererseits – eine Grundvoraussetzung hat einer, der diesen Test ernst nimmt, schon erfüllt. Denn so funktioniert staatsbürgerliches Bewusstsein tatsächlich: Wer dazu bereit ist, über seine gesellschaftliche Lage in einer Weise nachzudenken, die all seine Erfahrungen einfach nicht zur Kenntnis nimmt; wer als notwendiges und hinreichendes Wissen über sein Gemeinwesen Auskünfte akzeptiert, die vornehm von all dem absehen, wie er von der Ausübung der staatlichen Hoheit betroffen ist, wer also glaubt, alles Wissenswerte über Deutschland sei auf dem Feld zu finden, auf dem der „Wissens- und Wertetest“ seine Fragen stellt – der tickt in der Tat so, wie es sich gehört.

„Muss ein guter Deutscher das alles wissen?“ – Diese Frage wirft der Test besonders unter der geistigen Elite auf: Abiturklassen versuchen sich an dem Test und bekennen ihr Scheitern, Zeitungen decken die Bildungslücken politischer Größen auf, die Deutschland regieren. Der deutsche Literaturpapst Reich-Ranicki – selbst ein Mann mit Migrationshintergrund – bekennt, noch nicht einmal er hätte den Test bestanden, und fragt sich, wie „Pförtner und Putzfrauen“ das schaffen sollen. Deutsche Intellektuelle kokettieren mit Schwierigkeiten bei der Beantwortung eines Tests, der haargenau das abfragt, was man im Gymnasium als Wissen über politische Verfassung, Kultur und Geschichte der deutschen Heimat lernt. So genannte Gebildete mokieren sich über den „Wissensballast“ des Einbürgerungstests, und geben bekannt, dass der alltäglich praktizierte Nationalismus ganz gut auch ohne Wissen auskommt. Recht haben sie damit: Dass jemand zu dumm und zu unwissend dafür sein könnte, ein guter Deutscher zu sein, das gibt’s wirklich nicht – das ist nun tatsächlich millionenfach bewiesen!

So kommen die Kritiker des Wissens- und Wertetests auf den Ausgangspunkt der Debatte zurück: Sie entdecken, dass die verlangte staatsbürgerliche Haltung durch noch so viel Wissen über Deutschland nicht zu erzeugen ist. Umgekehrt blüht diese Haltung dort, wo von Wissen und Bildung nun wirklich nicht die Rede sein kann: unter lauter arm, aber redlich gebliebenen Volksgenossen. Als deren Anwälte finden sie, dass es der Rolle der einbürgerungswilligen Zuwanderer und der von ihnen verlangten sittlichen Einstellung am besten entspricht, wenn sie sich für nichts anderes interessieren als „zu arbeiten und sich um die Familie zu kümmern“. In Bezug auf die Klasse, deren staatsbürgerliche Pflicht im Gehorchen besteht und deren Wertetest die Bewältigung ihres Alltags ist, erscheint der gebildeten Elite der Deutschen das ganze Wissens- und Wertegesumse als l

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