Prof. Otfried Höffe, Philosophie:

„Das Unrecht des Bürgerlohns“

Die Ableitung von Hartz IV aus der Sozialethik der Erwerbsarbeit

Die F.A.Z. hält die Bürgerlohn-Idee für dummes Zeug. Um dieser Ablehnung höhere Weihen zu verpassen, stellt sie dem Tübinger Philosophie-Professor Otfried Höffe gerade rechtzeitig zu Weihnachten eine ganze Seite zur Verfügung (22.12.2007): Gleich in der Einleitung seines Artikels „Das Unrecht des Bürgerlohns“ lässt dieser uns wissen, dass bei der Diskussion um den Bürgerlohn entscheidende Aspekte vergessen werden. Selbstverständlich gehört für ihn – rein volkswirtschaftliche betrachtet – diese Idee ohnehin auf den Müllhaufen der Geschichte der Versündigungen gegen die Marktwirtschaft. Die Sozialethik, also er, hat aber auch noch Wesentliches zu ihrer Ablehnung beizutragen: Die Debatte um den Bürgerlohn zeige, so seine Auskunft, dass in unserer Gesellschaft der Begriff „Arbeit“ einseitig ökonomisch und damit mangelhaft bestimmt sei.

Um einen für unsere menschenfreundliche Ökonomie passenden Arbeitsbegriff zu erschaffen, entwirft unser Professor eine aus fünf Punkten bestehende Skizze einer „Sozialethik der Erwerbsarbeit“, die beweisen soll, dass Arbeit nicht „bloß dem Lebensunterhalt“ dient, sondern noch sehr viel Höherem:

In der Bürgerlohn-Idee findet Prof. Höffe all das nicht berücksichtigt. Ja, schlimmer noch: Sie will doch tatsächlich Gelder vergeben an Leute, ohne dass die zuvor einen Beitrag für die Gemeinschaft abgeleistet haben! Und das ist ethisch gesehen ganz ganz falsch: Weil „man (…) einem erheblichen Teil der Bürger die Arbeitswelt versperrt“, wo doch Arbeit „weit mehr leistet, freilich auch weit mehr verlangt“ als nur dem Lebensunterhalt zu dienen, ist Bürgerlohn letztlich – Unrecht.

Dass wir das so schwer einsehen, haben wir dabei den alten Griechen zu verdanken. Die nämlich setzten „die Tätigkeiten, die ihren Zweck in sich selbst haben und daher eines freien Mannes würdig sind, gegen die Knecht- oder Sklavenarbeit (…) ab, bei der man einen außerhalb liegenden Zweck verfolgt und sowohl einem Herrn als auch der zu bearbeitenden Natur untertan ist“. Diese „Trennung eines Reiches der Notwendigkeit von einem Reich der Freiheit“ gehört für Prof. Höffe überwunden, weil sie seinem Begriff der Arbeit, den er sich in seiner „Sozialethik der Erwerbsarbeit“ gestrickt hat, einfach nicht mehr gerecht wird.

Nun gibt es ja nach wie vor Leute, die arbeiten müssen, weil sie sonst nichts zum Leben haben, und die nur arbeiten können, wenn ein Unternehmen sie gewinnbringend für sich einsetzt, Leute, deren Arbeit und Einkommen also davon abhängen, dass sie einen „außerhalb liegenden Zweck“ verfolgen. Damit sind sie einem „Herrn“, ihrem ,Arbeitgeber‘, „untertan“, der Arbeitsbedingungen und Arbeitslohn seinem Profitinteresse gemäß festlegt und die Beschaffenheit, also „Natur“, ihres Arbeitsplatzes bestimmt, dessen Anforderungen sie nachzukommen haben. Der Begriff der Lohnarbeit ist das allemal, mit dem Begriff der Arbeit soll es aber , so will es der Professor, nichts zu tun haben. Schließlich hat sich ja längst die Lesart durchgesetzt, dass alles, was ein Einkommen abwirft, „Arbeit“ heißt, und dass sogar Geld „arbeitet“. So gesehen gibt es hierzulande durchaus auch Arbeit, die „zum angenehmen, sicheren, vielleicht sogar großzügigen Leben“ beiträgt. Das trifft z. B. auf Leute zu, die im Staatsdienst von den normalen Existenzsorgen freigestellt werden, damit sie ohne die Plackerei und Unsicherheiten des Lohnarbeiterlebens an den Unis die unendliche Weisheit unseres Gesellschaftssystems hochleben lassen können. Das bringt dann sogar noch Anerkennung.

Den anderen, die von ihrem Arbeitseinkommen kaum bis gar nicht leben können, beschert die Arbeit zwar ein eher unangenehmes Leben. Aber dass sie mit ihren nach allen Regeln der betriebswirtschaftlichen Kunst bis aufs Existenzminimum oder darunter gedrückten Löhnen arm wären, darf niemand behaupten, wo doch jeder Mickerlohn der „persönlichen und sozialen Identität“ auf die Sprünge hilft und wahrer Reichtum sich ja sowieso nicht in Geld bemisst.

Und diese schöne Sinnwelt wollen böse Bürgerlohn-Befürwortern ihren Mitmenschen versperren! Herr Höffe ist empört über das Ausmaß dieses ethischen Vergehens. Bloß:

1. Wer soll eigentlich das Subjekt („man“) sein, das hier „versperrt“? Würde mit dem Bürgerlohn etwa eine Anti-Arbeits-Agentur eingeführt werden, die es den Bürgerlohn-Empfängern verböte zu arbeiten?

2. Den Bürgerlohn-Protagonisten tut Prof. Höffes Überlegung einfach Unrecht: Auch die gehen davon aus, dass, wer zusätzlich zum Bürgerlohn arbeiten will, dies auch soll. Sie halten es sogar für einen Vorteil, dass diese das dann auch wirklich wollen, weil sie sich sicher sind, dass der Wunsch, zu dem mickrigen Grundeinkommen noch etwas dazuzuverdienen, zur existenziellen Notwendigkeit wird. In puncto Lebenssinnstiftung und Gemeinschaftsdienst sind sich Höffe und Kontrahenten hier durchaus einig.

3. Die einzigen, die zu der kritisierten Sperre fähig wären, sind zum einen dieselben, die es auch heutzutage schon tun, die ‚Arbeitgeber‘, die es selbst bei den dann anvisierten Niedrigstlöhnen einfach nicht lohnend finden, für mehr Arbeit zu bezahlen, und zum anderen diejenigen, die beschließen, dass ihnen angesichts der Qualität der gebotenen Arbeitsplätze ein Bürgerlohn zum Leben reicht und die deshalb nicht arbeiten wollen.

In Letzteren hat Prof. Höffe nun das eigentliche „Unrecht des Bürgerlohns“ entdeckt: Dass die sich dann, wenn „sich (!) der Abstand zwischen Arbeitslohn und Bürgerlohn verringert“ nicht danach drängen, die „Mühen“ der Lohnarbeit umsonst auf sich zu nehmen, macht sie zum arbeitsscheuen Gesindel, das der Bürgerlohn nachgerade unterstützen würde, anstatt dass ihm und dem gesamten Rest der Mannschaft der rechte Standpunkt zur Arbeit eingebläut wird. Insofern muss sich der Sozialstaat in allen Bereichen darum bemühen, diesen Standpunkt verpflichtend zu machen, und darf gar nicht erst den Verdacht aufkommen lassen, ein zur arbeitenden Klasse Gehöriger könne auch ohne Arbeit sein Leben fristen.

Problem- und ausgesprochen umstandslos schafft Prof. Höffe damit den Übergang von der Moralphilosophie zur Angewandten Ethik – und deren Postulate kommen uns doch sehr bekannt vor: Die Sozialhilfesätze müssen gekürzt werden (Hartz IV ist „immer noch ziemlich großzügig“); der Abstand zwischen Nettoarbeitseinkommen und Sozialhilfe muss größer, die Sozialhilfe also niedriger werden, wenn der Lohn sinkt (wg. „generell drohende[r] Gefahr eines sozialen Trittbrettfahrens“); der Lohn muss sinken, denn das „hohe Maß an Regulierung und an Lohnnebenkosten“ ist „kräftig“ abzubauen; die „zu hohe[n] Schutzbestimmungen für Arbeitsplatzbesitzer“ müssen gekappt werden (natürlich im Interesse der Arbeitssuchenden, für die so schneller ein Job frei wird, den sie dann aber auch schneller wieder loswerden…) usw. usf.

Alles in allem also Forderungen, die genau so in den Kommuniqués aus BDI-Jahresversammlungen oder Wirtschafts- und Sozialministerien zu hören sind. Nur werden sie hier von einem von der Tübinger Uni bestallten und wissenschaftlich legitimierten Filosofen abgesondert. Dieser Fachmann für Ethik braucht noch nicht mal den Schein des Argumentierens; ihm reicht die umstandslose moralische Be- und Verurteilung des Themas und seiner Befürworter. Seine Einwände entnimmt er dabei dem Schatzkästlein der Fanatiker einer kapital- und standortförderlichen Massenverarmung. Und da die FAZ sich was darauf zugute hält, ein Sprachrohr dieses Fanatismus zu sein, dürfte bei ihr wohl selbst ein „Schrumpfhörniger Schnarchkackler“ (aus: Harry Potter, Band 7) publizieren, wenn er mit der Autorität einer Uniprofessur gesegnet wäre. Das sollten einem die Studiengebühren doch wert sein!

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