Not braucht viel Gebot

Wie der Rechtsstaat in Deutschland mit der Terrorgefahr mobil macht

Die Kanzlerin „will schärfere Sicherheitsgesetze“ und Deutschland damit auch auf einem Feld modernisieren, auf dem sie dringenden Nachholbedarf weiß. Sie fordert, der Einsatz der Bundeswehr müsse auch im Inneren „im Zusammenhang mit terroristischen Gefahren in ausgewählten Bereichen möglich sein“. Es sei nämlich „die alte Trennung von innerer und äußerer Sicherheit von gestern … .“ (SZ 3.7.07)

Deshalb befreit sie ihre zuständigen Minister von allen „Denkverboten“, und die lassen sich nicht lumpen. Schäuble stellt Überlegungen an: über Möglichkeiten, Staatsfeinden mit Internet- und Handy-Verboten die Kommunikation abzuschneiden; über die online-Überwachung sämtlicher auf nationalem Terrain befindlicher Computer; darüber, ob man „potenzielle Terroristen, sogenannte Gefährder“, also Leute, gegen die man erst einen Verdacht, aber noch keine Beweise hat, schon „wie Kombattanten behandeln und internieren“ könnte; ob man sich nicht am amerikanischen Beispiel orientieren sollte, wonach man die Bin Ladens dieser Welt, sobald man ihren Aufenthaltsort kennt, „mit einer Rakete exekutieren“ könnte; und darüber dass, wenn der Staat „als Ganzes“ bedroht ist, ein Quasi-Verteidigungsfalls“ auszurufen sei, bei dem auch größere Mengen eigener Bürger einen finalen Kollateralschaden erleiden könnten. Und Verteidigungsminister Jung möchte „um unsere Bürger zu schützen“ ein entführtes Passagierflugzeug abschießen mit Berufung auf außergesetzlichen Notstand.

Das geht, so versichern die Herren Minister unisono! Andrerseits ist dem Umstand, dass man sich mit diesen hübschen Maßnahmen außerhalb der für nicht notständige Normalzeiten geltenden Gesetze stellt, ein noch zu bearbeitendes Auftrag zu entnehmen. Gesetzgeberische Vorarbeit ist angesagt, um rechtsstaatlich einwandfrei zu solch schönen Kontroll- und Terminierungserfolgen zu kommen. Schäuble empfiehlt, „solche Fragen möglichst präzise verfassungsrechtlich zu klären, und Rechtsgrundlagen zu schaffen, die uns die nötigen Freiheiten im Kampf gegen den Terrorismus bieten. Ich halte nichts davon, sich auf einen übergesetzlichen Notstand zu berufen, nach dem Motto: Not kennt kein Gebot.“ (Spiegel. 28/07)

Für die politische Konkurrenz ist es zunächst politische Routine, die Anti-Terrorpläne schlecht zu machen. SPD-Struck bezeichnet Schäuble als „Amokläufer“, und versichert, dass „für die SPD Sicherheit an erster Stelle stehe, aber gleichrangig mit der Freiheit des Bürgers“. Westerwelle wirft sich wortungestüm der „Guantanamoisierung der deutschen Innenpolitik“ entgegen; und der Grünen-Vorsitzenden graust es gar vor einer „Lizenz zum politischen Mord“. Sogar einige in der CDU „gehen auf Distanz“ und sogar der Bundespräsident mischt sich ein und weist auf Verfahrensprobleme hin. Hinsichtlich der von Schäuble vorgestellten „Tötung eines vermeintlichen Terroristen“ hat er „persönliche Zweifel“ daran, „ob man das ohne Gerichtsurteil so von der leichten Hand machen kann“ (SZ 16.7.07).

In der zweiten Runde, wenn das demokratische Denunzieren und die Geschmacksfragen zunächst einmal erledigt sind, zeigt sich, dass sich die Kritiker gar nicht so schwer tun, das „Undenkbare“ mitzudenken:

Der Berliner SPD-Innensenator will Schäuble nicht gleich einen „Amokläufer“ nennen, wie seine demonstrativ wütenden Parteigenossen, er hält bloß Schäubles Lageeinschätzung für übertrieben. Er sieht „den Bestand der Republik, unserer Gesellschaftsordnung oder unserer Lebensart als solcher durch terroristische Anschläge nicht bedroht“ (Spiegel, 29/07) und kann deshalb(!) auch Schäubles Gefährdungsszenario einer ineinander verschwimmenden inneren wie äußeren Bedrohung nicht nachvollziehen. Vom gesetzgeberisch irgendwie „hyperaktiven“ Innenminister fordert er eine an den Realitäten orientierte legislative Technik und wünscht sich, man möge die „Abwehrmaßnahmen nach der tatsächlichen Gefährdung ausrichten“ und nicht jetzt schon(!) „Gesetze gegen alles und jeden machen, der potenziell einmal zu einer Bedrohung werden kann.“ (a.a.O.)

Rechtskundige Journalisten zeichnen nach, dass man vieles, was Schäuble verlangt, doch eigentlich heute schon darf: „Trifft man einen Bin Laden in Afghanistan im Kriegsgebiet an, gilt ohnedies das Kriegsrecht.“ Und schon ist eine „gezielte Tötung von Terroristen“ wieder denkbar! Trifft man ihn „im eigenen Land“ auf frischer Tat an – kein Problem! Es „gelten seit langem die Vorschriften über den finalen Rettungsschuss.“

Der kernige Aufruf, man solle doch zuerst einmal ausschöpfen, was an gewalttätiger antiterroristischer Energie in der schon geltenden Rechtslage steckt, zeigt, dass da zwar immerhin konstruktiv mitgedacht wird. Am Generalanliegen, das mit den ministeriellen Überlegungen durchgesetzt werden soll, geht der durchaus kämpferische Ansatz aber vorbei.

Natürlich können auch Merkel, Schäuble und Jung „innere und äußere Sicherheit“ unterscheiden und kennen den Unterschied zwischen einem Krieg, in dem Staaten mit ihrer militärischen Gewalt offiziell über einander herfallen und einem Terroranschlag, bei dem aufgebrachte NGO-Mitglieder mit privater Militärgewalt in einer asymmetrischen Anstrengung einem Staatswesen größtmögliche Nachteile zufügen. Wenn sie aber diese Unterscheidung nicht mehr kennen wollen und es zu einem gefährlichen politischen Fehler erklären, weiterhin an ihr festzuhalten, haben sie ihre Gründe. Mit denen halten sie und ihre Mitstreiter auch nicht groß hinter dem Berg: Sie zielen offensiv auf die Rechtsfolgen dieser bislang gültigen Differenzierung, die sie nicht mehr länger dulden wollen. Sie halten eine Paragrafenlage, in der der Zugriff auf die jeweils geeignetste Waffe im „Krieg gegen den Terror“ rechtliche Umstände macht, in der etwa der Einsatz der Armee im Inneren nur über den Umweg der Amtshilfe zu haben ist, eigentlich für einen Skandal, auch wenn – und gerade weil – dieser unhaltbare Zustand immer noch gültiges Verfassungsrecht ist. Weil die Verfügbarkeit der Gewaltmittel gemäß gültiger rechtsstaatlicher Geschäftsordnung eine Rechtsfrage ist, wird die Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Sicherheit, mit ihrer juristisch belangvollen Zuordnung der jeweils einschlägigen Einsatzkompetenzen, Polizei, Geheimdienste und Militär betreffend, für die Regierung zum Gegenstand dringenden rechtspolitischen Reformbedarfs. Im Kampf gegen jedwede Feindschaft, die die weltweite Tätigkeit der kapitalistischen Nationen auf sich zieht, will sie rechtliche Regelungen staatlicher Gewalttätigkeit loswerden, die sie vom Standpunkt ihres Bedarfs heute zu Beschränkungen erklärt. Sie will volle Handlungsfreiheit in ihrem Kampf haben und ist bestrebt sich die erwünschten Gewaltmittel auf juristischem Wege verfügbar zu machen, indem sie „die Dinge rechtlich sauber löst“ und sich so „die nötigen Freiheiten im Kampf gegen den Terrorismus“ schafft.

Mit der Ausrufung einer Bedrohungslage, die keine innere oder äußere Sicherheit mehr kennt, sondern nur mehr einen einheitlichen, polizeilich-militärischen Bedarf, der sich ausschließlich an sicherheitstechnischen Fragen zu orientieren hat, hat die Regierung ihren Maßstab für die Entwicklung einer neuen (verfassungs)rechtlichen „Begrifflichkeit“ gefunden. Die Proklamation eines andauernden Kriegszustandes ohne offenen Krieg; einer fortwährenden verdeckten Bedrohung, deren Gefährlichkeit die Regierenden mit wechselnden Alarmstufen im öffentlichen Bewusstsein halten, begründet aus dem Fundus ihres Geheimwissens, eines stets möglichen Verteidigungsfalls – das ist die Art, in der Merkel, Schäuble und Co. die Souveränität der politischen Führung gegen die geltende Rechtslage geltend machen. Ihr Handlungsbedarf soll mit Berufung auf die neue Normalität des sicherheitspolitischen Ausnahmezustandes zur Leitlinie der Weitergestaltung des Rechts werden. Und die soll gefälligst dafür sorgen, dass die Freiheit zur aktiven Staatssicherheit künftig jederzeit geltende Regel wird.

Die Politiker wollen die rechtliche Ermächtigung dafür, den Alltag all ihrer Bürger mit den ihnen erforderlich scheinenden Mitteln nach terrorverdächtigen Aktivitäten zu durchforsten. Sie wollen wirkliche und vermeintliche Gegner wie feindliche Kombattanten behandeln und all das, was sie an besonderen Behandlungsarten gegenüber dieser Klientel für angebracht halten, auch dürfen. Sie wollen nicht länger auf die unbeschränkte Verfügung über den mächtigsten Gewaltapparat im Land, die Armee, verzichten, die rechtlichen Umstände und Umständlichkeiten mit denen der Einsatz der Armee im Inland verbunden ist, abschütteln und dafür eine verfassungsrechtlich einwandfreie Genehmigung. Und sie wollen, gestützt auf ihren immerzu schwebenden Kriegszustand, einen juristischen Freibrief dafür, nicht nur Soldaten mit der Pflicht zum staatsnützlichen Sterben zu konfrontieren. Wenn schon innere und äußere Sicherheit nicht mehr zu unterscheiden ist, und der Kriegszustand nicht mehr so klar von dem des Friedens, dann sind alle Bürger immer auch ein wenig wie Soldaten. Mit der rechtlichen Folge, dass dann die Ansprüche an „die solidarische Einstandspflicht des Einzelnen“, wie die FAZ streng folgert, im Falle eines Angriffes auf „das Staatsganze“ erheblich höher wären. Dann müsste sich dieser Einzelne eben auch klaglos und solidarisch mit einem „Terrorflieger“ abschießen lassen.

Die Frage, ob mit seinen Vorschlägen nicht „eine rote Linie“ überschritten und „unsere Gesellschaft unwiderruflich verändert“ würde, lässt Schäuble, der ja gerade die Gesellschaft und ihre rechtliche Verfasstheit nach den Bedürfnissen seines antiterroristischen Kriegszustandes verändern will, reichlich kalt:

„Die rote Linie ist ganz einfach: Sie ist immer durch die Verfassung definiert, die man allerdings verändern kann.“(Spiegel, 28/07)

So erinnert der Innenminister daran, dass auch in der neuen, auf Dauer angelegten Ausnahmelage des Gemeinwesens verfahrenstechnisch das Übliche gilt: Die Gewalt schafft sich ihre Rechtsformen nach ihren Bedürfnissen und kann insofern, wenn die behauptete Bedrohung des „Staates als Ganzes“ nur groß genug ist, auch mit Zugriffen der gröberen Art kaum mehr ernsthafte Fehler machen. Es muss eben eine beizeiten geschaffene, „präzise verfassungsrechtliche Rechtsgrundlagen“ vorliegen. Beachtet die Politik diese Verfahrensweise, dann leistet sie, so der Innenminister, der Verfassung damit einen wichtigen Dienst:

„Das Grundgesetz würde doch zerbrechen, wenn wir es nicht anpassen würden“. (Spiegel, 28/07)

Weil das Grundgesetz an der geänderten Realität zerbrechen würde, ist derjenige, der als amtierender Innen- und Verfassungsminister mit seinem politischen Bedarf diese Realität definiert, auch dazu berufen, für die bruchgefährdeten Artikel der Verfassung Sorge zu tragen: Indem er sie durch Anpassung an die aktuellen Bedürfnisse der Staatssicherheit geschmeidig hält. So geht der nachhaltige Verfassungsschutz, den jedes Grundgesetz braucht.

(gekürzte Fassung; der vollständige Artikel ist zu finden unter: www.gegenstandpunkt.com/gs/07/3/Notstand.html)

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