Der neoliberale Turbo-Kapitalismus ist gescheitert! Wir wären bessere Manager!
Anhänger der „Zusammenbruchstheorie des Kapitalismus“ kündigen seit ewigen Zeiten die Selbstzerstörung dieses Systems an. Von Marx wollen sie gelernt haben, dass es nicht darum geht, den Widersinn und die Arbeiterfeindlichkeit dieses Wirtschaftssystems zu kritisieren und es abzuschaffen, sondern darum nachzuweisen, dass es auf Dauer sowieso nicht bestehen kann. Seine Gegner, so diese revolutionäre Hoffnungslehre, müssen nur warten können, um im rechten Moment auf der historischen tabula rasa etwas Neues zu errichten.
Ein Stück davon ist jetzt eingetreten. Das Finanzsystem zerstört sich selbst, die Macht des Geldes schwindet, der Lebensprozess der kapitalistischen Gesellschaft, alles Produzieren und Konsumieren wird rapide heruntergebremst. Stellt sich nun die freudige Erwartung des nächsten Kollaps ein? Setzt die Linke auf den lange prognostizierten Zusammenbruch, um auf den Trümmern der alten Welt endlich ihre neue zu bauen?
Keineswegs. Die Leute, die sich von Attac über Die Linke bis zur DKP links nennen, die sich im „Neuen Deutschland“, im „Freitag“, in der „Jungen Welt“ und der „Jungle World“ zu Wort melden, fänden einen solchen Standpunkt „völlig verantwortungslos“ (Pedram Shahyar, attac, Nürnberg, 15.11.08). Die Weltverbesserer nehmen die radikalste Krise seit Jahrzehnten zur Gelegenheit einer Klarstellung: Ihre Alternativen zum Kapitalismus, die alles besser machen sollen, was der schlecht macht, Alternativen also, die sich an allen Leistungsparametern des Kapitalismus bewähren und darin besser sein wollen als das Original, sind keine Alternativen zum Kapitalismus sondern Alternativen in ihm – und sie sind auch genau so gemeint. Wenn es darauf ankommt, bekennen sich die Leute, die immer sagen, eine andere Welt sei möglich, uneingeschränkt zur Verteidigung der Welt, die es gibt. Mag sein, dass nicht alle aus dem genannten Spektrum sich zu diesem politisch-praktischen Klartext verstehen. Er hat aber seine Konsequenz und ist in all den kritischen Diagnosen und Therapien angelegt, mit denen sie sich ihren Reim auf die laufende Katastrophe machen.
Es geht los mit einer schrägen Systemkritik
„Die Finanzkrise hat globale Auswirkungen. … Die Folgen für die Beschäftigten, die Arbeitslosen, Rentner usw., für die Armen in dieser Welt, aber auch für den Mittelstand in den entwickelten kapitalistischen Ländern sind in ihrem ganzen Umfang noch nicht absehbar … Der Kapitalismus hat die verheerenden Auswirkungen dieser Krise erzeugt … Krisen gehören zum kapitalistischen System.“ (Erklärung der DKP ,in: kapital& krise, Beilage der Jungen Welt, 29.10.08)
Wichtig an der Krise findet die DKP die schlimmen sozialen Auswirkungen auf die Beschäftigten, die in guten Zeiten für den Gewinn der Unternehmen arbeiten dürfen; auf die Arbeitslosen, die das auch dann nicht dürfen; sowie auf „die Armen dieser Welt“, die auch in der Hochkonjunktur nichts zu beißen haben. Der Kritikwille wirft sich auf die Verschlechterung, die Differenz der krisenhaften Lebensbedingungen zur Normalität des Kapitalismus. Wie viel Parteilichkeit für den normalen Gang der kapitalistischen Dinge diese Krisenkritik enthält, verrät der süße Mittelstand, den die DKP auch zu den sozialen Opfern der Krise zählt. Diesen kleinen Kapitalisten (bis 200 Beschäftigte) verhagelt der Finanzcrash das redliche Ausbeuten, das in guten Zeiten so viel Segen in Form von Arbeitsplätzen stiftet. Die Vergleicherei stellt die Ausnahmesituation, die die Krise ist, in Gegensatz zur kapitalistischen Normalität, die dadurch als schutzwürdige Existenzbedingung zu Ehren kommt, als immerhin vergleichsweise akzeptable Lebensgrundlage für die armen Wichte, die sie hervorbringt.
Was die DKP zweitens interessiert, ist die Frage nach der Ursache: Wer oder was ist verantwortlich für diese verheerenden Auswirkungen auf unseren geliebten Alltag? Das kapitalistische System! Auch das ist eine Systemkritik, aber eine miese: Kapitalismus ist von Übel, weil er sein regelgerechtes Funktionieren nicht dauerhaft garantieren kann und aus dem guten Normalen heraus periodisch Abstürze drohen.
Statt dem System sein Nicht-Funktionieren vorzuwerfen, sollten sich die deutschen Kommunisten damit befassen, was die Krise ist, dann würden sie bemerken, dass in der Krise nur die zu dieser Produktionsweise gehörigen Widersprüche explodieren. In der Phase, in der das Wachstum des Kapitals an sich selbst scheitert, tritt der feindliche Gegensatz unvermittelt hervor zwischen dem Standpunkt der Kapitalisten und dem der Beschäftigten. In normalen Zeiten manifestiert sich der Gegensatz in knappen Löhnen, langen Arbeitstagen, Leistungsdruck und in einer schwankenden, stets vorhandenen Anzahl Arbeitsloser. In der Krise radikalisiert sich dieser Gegensatz: Kapitalisten, die aus Arbeit keinen Profit mehr schlagen können, lassen die Arbeit einstellen, die die Arbeitskräfte für ihren Lebensunterhalt brauchen; ein noch einmal wachsender Teil der Arbeitsbevölkerung kann von Lohnarbeit nicht mehr leben. In der Bankenkrise wird darüber hinaus deutlich, dass alles Produzieren – auch das Gewinnemachen der industriellen Kapitalisten – nichtig ist, sofern es nicht zur Quelle und Grundlage finanzkapitalistischer Bereicherung taugt. Krise ist die Phase, in der das Prinzip, dass der ganze Lebensprozess der Gesellschaft dazu da ist, um aus Geld mehr Geld zu machen, terroristisch gegen die Gesellschaft durchgesetzt wird: Das Produzieren und Konsumieren wird so lange und so weit zurückgefahren und unterbunden, bis sich alles wieder fürs Interesse der Kapitalverwertung re-arrangiert und die Profitmacherei von vorne beginnt.
Leute, die dem Kapitalismus hauptsächlich seine Krisenhaftigkeit, die Abweichung von seinem – dagegen als positiv verbuchten – normalen Funktionieren zum Vorwurf machen, wollen davon freilich nichts wissen. Sie fahnden lieber danach, ob er nicht auch ohne seine Krisen zu haben wäre. Joachim Bischoff, früher DKP, heute Linkspartei, formuliert den Übergang von der falschen Kritik des Systems zur Sorge um es mit Hilfe einer Dialektik von Allgemeinem und Besonderem:
„Die Instabilität von Finanzmärkten ist ein inhärentes Merkmal des Kapitalismus im Allgemeinen und des neoliberalen Kapitalismus im Besonderen. (Sozialismus, 2.10.08.)
Bischoff räumt ein, dass die Instabilität schon ein Webfehler des Systems sein mag, aber offen zutage tritt diese Schwäche erst, wo eine Variante der Wirtschaftspolitik – neoliberal! – sie verstärkt. Im Fokus der Kritik steht nun nicht mehr das kapitalistische System, sondern die neoliberale Irrlehre seiner wirtschaftspolitischen Verwaltung. Es geht nicht mehr um die kapitalistische Notwendigkeit der Krise, sondern um eine von schlechter Politik verursachte, ansonsten unnötige Fehlentwicklung.
Als nächstes wird der Verursacher an den Pranger gestellt: Neoliberale Wirtschaftspolitik hat den Kapitalismus kaputt gemacht.
Die Linken haben ihr Thema! Seit Jahren kritisieren sie den Turbo-, Kasino- und sonstigen Bindestrich-Kapitalismus, wobei der Wortzusatz stets eine Degeneration des gar nicht so schlechten Wirtschaftssystems anzeigt. Die große Welt hat nicht darauf gehört. Auf einmal kritisiert dieser verfälschte Kapitalismus sich mit seiner Katastrophe nun selbst; und den ignorierten Linken wächst wirtschaftspolitische Kompetenz zu. Sie freuen sich darüber und lassen sich gerne als Fachleute für Funktionsmängel des Kapitalismus interviewen.
Sie sonnen sich im Bewusstsein, mit ihrer Kritik am Neoliberalismus Recht bekommen zu haben – erstens von der Wirklichkeit höchstpersönlich und zweitens von kleinlaut gewordenen neoliberalen Gegnern. Recht bekommen – womit? Ist etwa ihre soziale Anklage bestätigt worden, dass der Neoliberalismus zugunsten der Profite die Arbeiter gezielt geschwächt, Arbeitslosigkeit und Armut vergrößert hat? Dass Ansätze zur Wirtschaftsentwicklung in der Dritten Welt durch die Liberalisierung des Welthandels zerstört werden? Dass der neoliberal entfesselte Kapitalismus in ruinöser Weise die Ressourcen der Erde verbraucht und das Klima zerstört? Alles das hat nichts gegolten! Jetzt, wo der Kapitalismus sich selbst gefährlich wird, das Finanzkapital und damit das ganze Wirtschaften zusammenbricht, bekommen die Warner vor einer übertriebenen Liberalisierung Recht. Dieses Ergebnis haben die neoliberalen Wirtschaftspolitiker wirklich nicht gewollt. Den Blues, der sich darüber einstellt, nehmen Linke als Bestätigung ihrer Kritik! Haben sie es denn nie anders gemeint? Hat sie immer schon die Sorge um den Bestand und den Erfolg der kapitalistischen Ordnung getrieben, wenn sie Elend, Unterentwicklung und Umweltzerstörung verurteilt haben? So klar hingesagt wohl kaum. Sie können ihre sozialen und ökologischen Anklagen nur eben nicht unterscheiden von einer Sorge um Bestand und Erfolg der Nation. Sie sind so sehr idealistische Anhänger des kapitalistischen Gemeinwesens, dass sie beides identifizieren und das eine für das andere sprechen lassen: Wenn der Reichtum der nationalen Wirtschaft wächst, sehen sie Chancen für den Wohlstand der Massen; wenn diesen aber Verarmung zugemutet wird, dann – so linke Warnungen – tut das langfristig auch dem Wachstum des Kapitals nicht gut.
Sahra Wagenknecht, Vorsitzende der kommunistischen Plattform in der Partei Die Linke, kennt sich da aus:
„Letztlich ist die aktuelle Finanzkrise nichts anderes als das Resultat neoliberaler Umverteilung: Durch die Senkung von Unternehmens-, Vermögens- und Spitzensteuersätzen sowie eine Politik des Lohn- und Sozialdumpings sind jene Rekordgewinne entstanden, die anschließend auf den Finanzmärkten auf der Suche nach immer höheren Renditen verspekuliert wurden.“ (Junge Welt, 15.10.08)
Sie nimmt es mit der Ursachenforschung nicht übertrieben genau; kümmert sich einfach nicht darum, dass auch durch verschärftes Lohn- und Sozialdumping erzeugte Rekordgewinne nie und nimmer an die Summen heranreichen, die jetzt an den Finanzmärkten zusammenbrechen. Es ist ihr egal, dass da schon eine etwas andere Art der „Wertschöpfung“ vorliegen muss, als die, die in Werkshallen zustande kommt. Aber was soll’s? Für die gute Botschaft müssen Vereinfachungen erlaubt sein. Und wie sonst ließe sich überzeugend darlegen, dass die Steigerung der Ausbeutung den Ausbeutern selbst schadet? Sie wissen mit Rekordgewinnen nichts Besseres anzufangen, als sie zu verzocken. Wenn das Böse schon nichts nützt, könnte man es doch auch unterlassen – oder? So folgen aus einer guten Theorie immer auch gute Ratschläge:
„Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass eine Umverteilung zugunsten der Beschäftigten, der Rentnerinnen und Rentner sowie der Arbeitslosen auch das beste Mittel ist, um zukünftigen Finanzkrisen vorzubeugen“ (ebd.)
Das ist mal ein überzeugendes kommunistisches Argument für eine bessere Entlohnung der arbeitsamen Armen: Sie bewahrt das Finanzkapital vor Überspekulation, glättet die Konjunktur und befördert in jeder Hinsicht die Stabilität unserer Ordnung.
Die Jungle World bietet den schönen Gedanken noch einmal kindgerecht:
„Wird den Kapitalisten zu viel Freiheit gelassen, untergraben sie die Grundlagen ihres Wirtschaftssystems. Sie verhalten sich wie kleine Kinder vor einem Eisstand. Ein Vierjähriger will unbedingt alle Kugeln probieren und von seiner Lieblingssorte gleich fünf Kugeln essen. Wird ihm der Wunsch gewährt, verdirbt er sich den Magen. Kommt er ein paar Tage später noch einmal an den Eisstand, erinnert er sich zwar an die Bauchschmerzen, aber da ist das viele Eis, und schon will er wieder alle Kugeln haben. Jemand muss dafür sorgen, dass er nur drei Kugeln bekommt. Das Kind mault, insgeheim aber ist es sogar dankbar, denn es ahnt, dass es sich selbst nicht vor den Bauchschmerzen bewahren könnte … Die Kapitalisten würden maulen, wären aber insgeheim sogar ein bisschen dankbar, denn sie ahnen, dass sie als Klasse mit unbeschränkten Freiheiten unfähig sind, die Wirtschaft zu stabilisieren.“ (Jörn Schulz, jungle-world, 39/2008)
Wir verstehen: Interessensgegensätze im Kapitalismus verdanken sich dummer und kurzsichtiger Vorteilssuche, die sogar dem schadet, der sich den Vorteil sichert. Wohlgezügelt herrscht schönste Harmonie der Interessen, mit etwas Maßhalten kommt der Ausbeuter zu seinem Profit, wie der Ausgebeutete zu seinem Arbeitslohn. Eine weitblickende Obrigkeit muss die Raffkes zu ihrem Glück zwingen, und letztlich wissen die selbst, dass sie das brauchen. Mit so viel Theorie ist der Praxis der „interventionistischen Linken“ aufs Beste vorgearbeitet.
Dann wird der Kapitalismus gerettet
„Auf kurze Sicht haben die Lohnabhängigen von einem Zusammenbruch des Finanzsystems nichts zu gewinnen, denn das würde das Ende des Kredits bedeuten. Und das Ende des Kredits bedeutet die Unmöglichkeit, die realen Aktivitäten der Produktion von Gütern und von Dienstleistungen zu finanzieren, also eine dramatische Beschleunigung der sozialen Krise. Es gibt daher keinen prinzipiellen Grund, sich der Rettung der Banken zu widersetzen.“ (Cédric Durand, Ligue Communiste Révolutionaire, in Junge Welt, 29.10.08)
Niemand braucht eine erfolgreiche Spekulationsbranche so nötig wie die Lohnabhängigen. Und dabei behauptet auch der Linke aus Frankreich weder, dass diese Leute Nutznießer vergebener Kredite, noch, dass sie Subjekt der kapitalistischen Güterproduktion und ihrer Erträge wären. Sie hängen nur von den Geschäften ab, die andere untereinander und mit ihnen machen. Ausgerechnet wegen dieser negativen Abhängigkeit sollen sie sich stark machen für die Genesung der Banken. So ist das mit den revolutionären Kommunisten: Ihr erster Programmpunkt ist die Wiederherstellung des kapitalistischen Funktionierens.
Soweit die Gemeinsamkeit des revolutionären Anliegens mit Merkel und Steinbrück. Das Linke der linken Intervention ist damit nicht aufgegeben, es steckt im Wie der Bankenrettung. „Die Zeit ist reif für eine neue Regulationsweise des Wirtschafts- und Finanzsystems.“ (Gretchen Binus, l.c.) Man glaubt es kaum, auch die Sanierung des Finanzkapitals lässt sich links, besser, sozialer, gerechter, demokratischer anpacken, als es die blamierten Neoliberalen tun. Und damit das auch passiert, hat sich ein „’Bündnis gegen Bankenmacht’ aus Mitgliedern von attac, GEW, IG Metall ,Die Linke, Frankfurter Sozialbündnis, Antinazikoordination, DKP und anderen“ gegründet, das den Mächtigen auf die Finger schaut: Nur mit „demokratischer Kontrolle“ kann die Rettung der Banken gelingen. „Das US-Beispiel zeigt, warum die Billionenhilfe vergebens war: Die Banken nutzen die Staatszuschüsse zum Stopfen ihrer Bilanzlöcher, anstatt damit Kredite an Privatleute und Unternehmen zu vergeben.“ (Jürgen Elsässer, Neues Deutschland, 24.10.08,). Gesellschaftliche Kontrolle sollte die Banken wohl zwingen, ihre Löcher ungestopft, fällige Zahlungen unbezahlt zu lassen und stattdessen reichlich neuen Kredit zu vergeben?! Die unfähigen Finanzpolitiker in Washington hätten halt Sachverständige aus dem linken Lager fragen sollen, zumal die noch mehr praktikable Vorschläge auf Lager haben.
Zweckmäßige soziale Bankenrettung statt der unwirksamen unsozialen
„Regierungen der EU konnten über 1.600 Milliarden Euro für die Banken locker machen, dabei fehlt seit Jahren zur Lösung existenzieller Krisen das Geld (Armut, Hunger, ökologische Katastrophe)“ (attac Flugblatt, 30.10.08).
Aus den Unsummen, die die Regierungen für die Rettung der Banken einplanen, schließen deutsche Linke nicht darauf, wofür im Kapitalismus zur Not Geld lockergemacht wird und wofür eben nicht, sondern aufs glatte Gegenteil: Das Geld, von dem die Mächtigen immer behaupten, es sei nicht da, ist die ganze Zeit da gewesen und hätte jederzeit für bessere Ziele ausgegeben werden können. „Ohnehin wird deutlich, dass die ganzen Behauptungen, für Soziales wäre kein Geld da, nicht glaubwürdig waren.“ (Die Linke Flugblatt, 19.10.08)
Tatsächlich war das Geld nie und ist auch jetzt nicht einfach „da“. Regierungen stiften den Banken frisches Kapital und übernehmen Bürgschaften, die, wenn sie dafür eintreten und zahlen müssen, jeden Staatshaushalt sprengen und die Staatsverschuldung auf ganz neue Niveaus heben. Und auch das nur so lange, wie Regierungen Käufer für ihre vermehrten Staatsschuldtitel finden und nicht selbst den Staatsbankrott anmelden müssen. Die Euro-Staaten machen ihr Gemeinschaftsgeld unsolide und nehmen das Risiko seiner Zerstörung in Kauf. So viel ist dem Staat die Rettung des Finanzsystems wert, denn mit dem steht und fällt seine finanzielle Macht und das Funktionieren der Herrschaft des Geldes über die Gesellschaft. Die politische Herrschaft ruiniert zur Not sich selbst für ihre Banken, weil sie ohne die Banken sowieso ruiniert ist. Für den Lebensstandard von Sozialhilfeempfängern gilt das nicht. Der Bereitschaft der Politik, für die Banken Milliardensummen locker zu machen, während sie an den Hartz IV-Empfängern jeden Cent spart, entnehmen deutsche Linke nicht die Unverträglichkeit der in dieser Ordnung geltenden Prioritäten mit dem Lebensunterhalt der arbeitenden und arbeitslosen Mehrheit. Sie lernen umgekehrt daraus, dass soziale Härten in dieser Gesellschaft eigentlich unnötig sind, weil es übergenug Geld gibt, das man lauter wohltätiger Verwendung zuführen könnte.
Wohltätig sogar im Sinne der Kapitalisten. Jörg Huffschmid rechnet am Beispiel des amerikanischen Bankenrettungsplans vor, dass soziale Fürsorge und höhere Löhne die ganze Finanzkrise nicht nur verhindert hätten (siehe S. Wagenknecht), sondern auch beim Banken retten das Geld lieber den Häuslebauern gegeben werden sollte, statt den Banken faule Kredite abzukaufen.
Darüber denkt inzwischen auch der US-Finanzminister nach. Wenn die Vermögenstitel und Bilanzen der Banken so kaputt sind, dass sie durch Geld von oben gar nicht mehr zu retten sind, dann vielleicht durch einen wieder zuverlässigen Zinsdienst der kleinen Schuldner von unten. Wären deren Hypothekenkredite nicht mehr faul, könnten sich vielleicht auch die mit ihnen besicherten komplizierten Papiere wieder erholen. Und als schöne Nebenwirkung dürften die überschuldeten Häuslebauer zudem in ihren Behausungen bleiben. Immer wieder muss sich die Linke über die Einfallslosigkeit der Mächtigen wundern: Warum nur tun die das nutzlose Böse, anstatt das nützliche Gute? Vielleicht lernt Mr. Paulson ja. Für wahrscheinlich hält es die linke Gemeinde allerdings nicht. Denn neben den praktikablen Vorschlägen zur effektiven Rettung des Finanzsystems wälzen sie die Frage der Gerechtigkeit. Und die stellt sich ja nur, wo einseitige Belastungen und einseitige Vorteile auszuhalten sind. Sie geht also selbst davon aus, dass angesichts der verfahrenen Lage eine gewisse ungerechte „Sozialisierung der Verluste“ der Banken nicht zu vermeiden sein wird.
Gerechtigkeit für die Armen
Ohne Gerechtigkeit kann und darf der Kapitalismus nicht gerettet werden. Die dringend erforderliche Gerechtigkeit kann, wo den Banken die Milliarden nun mal zugeschustert werden müssen, keine soziale und ausgleichende, sie muss strafende Gerechtigkeit sein. Die Anständigen, deren erste Lebensbedingung – die solide Bank – aus privater Profitsucht an die Wand gefahren worden ist, haben ein Recht darauf, dass die Schuldigen zur Verantwortung gezogen werden. Strafe muss sein, unbeschadet dessen, dass die Summen, die den Finanzmanagern strafweise abzunehmen wären, nichts an den Kosten der Bankenrettung ändern. Sie verschafft Genugtuung; und zwar denen, die sowieso alles auszubaden und nichts zu melden haben. Sie haben ein Recht auf die Demonstration, dass es in dieser Ordnung Pflichten auch für andere gibt, und sie insofern als Volksgenossen gleichgestellt und ernstgenommen sind. Die mindeste Strafe ist eine „sofortige Belastung der Millionäre durch eine Millionärssteuer“; an deren prozentualer Höhe entscheidet sich die Radikalität des Vorschlags. Da heißt es kalkulieren: Gerät die Forderung zu hoch, blamiert sie sich als unrealistisch, ist sie zu niedrig, wird man womöglich vom Bundeskabinett links überholt. In ihrem Ehrgefühl verletzte Linke können sich aber auch wirklich schlimme Strafen für Finanzjongleure vorstellen: Erziehungshalber einmal so leben müssen wie nicht wenige der Leute, in deren Namen Linke sprechen. „Mindestens ein Jahr lang sollten sie unter den Bedingungen von Hartz IV leben. Dann würden sie am eigenen Leib spüren, wie es ist, wenn man vor der Teilnahme an einer öffentlichen Veranstaltung überlegen muss, ob man sich die Straßenbahnfahrt dorthin leisten kann“ (G. Lang, Bündnis gegen Bankenmacht, 1.11.08).
Zuletzt wird die Krise verboten
Gesellschaftliche Kontrolle ist das Zauberwort, mit dem sich alles Schlechte des Kapitalismus zum Guten wenden lässt. Bankkrise und Fehlspekulation hätte es nie geben können, wenn ehrliche Geschäfte unter dem wachsamen Auge der Gesellschaft abgewickelt worden wären:
Die Linkspartei fordert eine Kontrolle des Investmentbanking und zwar eine strenge.
„Gewährleistung ausreichender und zinsgünstiger Kreditversorgung … speziell für kleine und mittelständische Unternehmen; weitgehende Beschränkung der Aktivität von Banken auf das Einlagen- und Kreditgeschäft; harte Spielregeln; dauerhaftes Verbot von Leerverkäufen; Zurückdrängung und strenge Kontrolle des Investmentbankings, öffentliche Aufsicht von Ratingagenturen, FinanzTÜV.“ (Die Linke, Parteivorstandsbeschluss, 29.9.08)
Öffentliche Ratings, die Finanzgeschäfte als superzuverlässig ausweisen, die „wir“ Linken haben wollen – zum Beispiel Kredite an mittelständische Kapitalisten. Das wär’s doch! „Nein!“, sagt die noch radikalere DKP. Sie sieht sich von der Katastrophe und durch den Ernst der Lage zu weitergehenden Änderungen aufgerufen: Als Sofortmaßnahme will sie den Status quo erhalten: „Sicherung der Sparkassen, öffentlichen Banken und des Gemeinschaftswesens vor Privatisierung“ (Erklärung der DKP, 29.10.08). Für die Zukunft peilt sie die Vergesellschaftung der privaten Banken an. Banken in Volkes Hand! Zins- und Spekulationsgeschäfte im Interesse der Arbeiterklasse! Das ist Kommunismus!