Der Kampf der Parteien um die globale Energiewende ist vorläufig entschieden

Längere Laufzeiten für AKWs im nationalen Energiemix

Nun ist es also soweit: Deutsche Kernkraftwerke, auch die ganz alten, müssen bis auf weiteres nicht dicht gemacht werden. Das hat die Regierung so beschlossen. Dafür fängt sie sich Lob und Tadel ein. Zum einen finden es Kommentatoren bemerkens- und lobenswert, wie konfliktfrei und souverän die Schwarz-Gelben die Entscheidung gefällt haben, dass Deutschland auf den nationalen Nutzen der Kernenergie nicht einmal in den von rot-grün sehr großzügig und langfristig gesetzten Grenzen verzichten wird. Zum anderen wird von Seiten der Opposition und der ihr nahestehenden Presse der Vorwurf der Klientelpolitik erhoben: Die Regierung habe sich mit ihrer Entscheidung, die Laufzeiten der AKWs zu verlängern, ganz auf die Seite der AKW-Betreiber geschlagen und nationale Interessen deren Gewinninteresse verantwortungslos untergeordnet. Worin bestehen aber nun die nationalen Interessen an einer mit großem politischen Aufwand ins Werk gesetzten Atomwirtschaft, und die politischen Streitigkeiten über deren Leistungen, die mit einem enormen Schadenspotential einhergehen?

Das staatliche Atomprogramm

Ein Staat, dem daran gelegen ist, den nationalen Standort so herzurichten, dass er in der Konkurrenz um den Weltmarkt und auf ihm erfolgreich bestehen kann, dessen Wirtschaft sich also in und an der ganzen Welt bereichern soll, sieht sich bei der Energieversorgung zu planerischen Eingriffen herausgefordert. In früheren Zeiten wurde die Energieversorgung oft genug staatlich oder halbstaatlich betrieben, und auch jetzt gibt es keine Konkurrenz der Energiekapitale ohne ständige staatliche Begleitung und Direktiven. Der Staat will es diesen Kapitalen nämlich nicht allein überlassen, welche Mengen an Energie sie zu welchem Preis bereitstellen. Das kapitalistische Wirtschaftsleben der Nation, aus dem der Staat den Zuwachs seines Geldes und seiner Macht schöpft, braucht unbedingt die freie Verfügung über jede erforderliche Menge Energie, und zwar zu einem Preis, der den Konkurrenzerfolg des nationalen Kapitals auf dem internationalen Markt fördert und nicht bremst. Schließlich ist der Energiepreis Bestandteil der Kosten eines jeden Geschäfts. Diese Sicherstellung der Energieversorgung fürs Kapital ist nicht gleichzusetzen mit einer günstigen Energieversorgung für Otto Normalverbraucher. Der muss die Preise bezahlen, die die Energiekapitale für ein gewinnträchtiges Geschäft auch mit den privaten Kleinabnehmern von Strom-, Heizöl und Gas kalkulieren, und wird darüber hinaus – ganz anders als sog. energieintensive Unternehmen – mit diversen Steuern und Abgaben belastet.

Wenn der Staat von „Energiesicherheit“ spricht, heißt das: „Sicher“ kann sich das kapitalistische Deutschland nur fühlen, wenn es Zugriff auf eine große Auswahl an Energiequellen, am besten auf alle, hat, auch wenn sie im Nahen Osten oder in Sibirien liegen. Energiepolitik ist keine national beschränkte Angelegenheit, sondern erhebt Anspruch auf die Energieschätze der ganzen Welt. Die nationale Abhängigkeit von Öl und Gas, über das andere Staaten verfügen, wird nicht einfach hingenommen. Umgekehrt soll es sein: Die Rohstoffländer sollen davon abhängig sein und sie sollen sich dafür herrichten, dass Deutschland ihnen ihren Stoff abkauft. Mit ihrem Atomenergieprogramm hat sich die deutsche Nation einen Weg der Energieerzeugung verschafft, der von der Einfuhr fossiler Brennstoffe unabhängig ist. In der Konkurrenz um den Zugriff auf diese Brennstoffe und um deren Preise hat sie damit ein Erpressungsmittel in der Hand: Sie kann einem Land, das die Lieferbedingungen zum eigenen Vorteil gestalten will, androhen, auf seinem Stoff sitzen zu bleiben.

Eingehandelt hat sich Deutschland damit ein unkalkulierbares atomares Risiko. Der alltägliche Betrieb der AKWs schließt alle möglichen garantierten Strahlenexpositionen für Mensch und Material ein, und er beschert jede Menge an schwach-, mittel- und hochradioaktivem Abfall und damit das sog. Entsorgungsproblem, dessen Namen einigermaßen beschönigend ist. Entsorgen im Sinne von unschädlich machen, kann man das Zeug nämlich nicht, man kann es nur „strahlensicher“ vergraben, hat aber nirgendwo einen Ort, an dem das dauerhaft möglich ist. Die gefährlichen Strahlenquellen gammeln deswegen auf unabsehbare Zeit in diversen Zwischenlagern vor sich hin. Wenn bei der „kontrollierten Kettenreaktion“ nahe des „kritischen Zustands“ mehr schief laufen sollte als beim Normalbetrieb mit seinen regelmäßigen Störfallen der Kategorien „N“ (Normal) bis „E“ (Eilt), sodass eine Atomstromfabrik „durchgeht“, dann lässt sich die Strahlenbelastung der Republik nicht mehr in die sog. natürliche Hintergrundstrahlung hineinrechnen. Dann geht ziemlich viel lebendes wie totes Staatsinventar kaputt, und mehr oder weniger große Teile des Standorts D sind dauerhaft nicht nur für das internationale Kapital unbewohnbar.

Zu ernsthaften politischen Zweifeln an dieser Sorte nationaler Energieerzeugung, geschweige denn zu ihrer Infragestellung haben die von der Atomenergie gar nicht zu trennenden Wirkungen in Sachen Zerstörung und Strahlung jedoch nie geführt. Der Nutzen der Atomkraft für die Erfolgsbilanz eines bundesdeutschen Staatswesens war dafür zu eindeutig. Die Abhängigkeit des ökonomischen Lebens der Nation von auswärtiger Macht galt der Politik fraglos als das noch viel größere Risiko. Um einen atomaren Nutzungsbetrieb unbedingt machbar zu machen, wurde es als „sicher“ definiert, die schädlichen Wirkungen auf ein nationalverträgliches „Restrisiko“ herunterzudämmen. Das Verfahren ist bekannt: Noch eine Umhüllung der Strahlung und noch eine „Redundanz“ der Sicherungssysteme, bis nach allen Regeln der Wahrscheinlichkeitskunst die Rechnung der Reaktorsicherheitskommission ergibt, dass der größte anzunehmende Unfall – Harrisburg hin, Tschernobyl her – in Deutschland „praktisch“ ausgeschlossen ist und sich der Normalbetrieb mit seinen diversen Störfällen im Durchschnitt an die großzügig festgelegten staatlichen Grenzwerte halten wird.  
Auch hinsichtlich der Entsorgungsfrage ist „sicher“ das, was man dazu erklärt. Angesichts dessen, dass es ein Endlager nicht gibt, in dem man radioaktiven Müll für Tausende von Jahren so verstauen kann, dass seine Strahlung nicht nach außen dringt, und dass auch keines in Sicht ist, macht man sich daran, das für dauerhaft tauglich zu erklären, wo der Müll jetzt schon drin ist. Gorleben lässt grüßen!

Der Einstieg in den Ausstieg

Heute werden ca. 30 % des nationalen Strombedarfs mit Atomenergie gedeckt. Deutschland ist – zivile – Atommacht, seine Nukleartechnologie ist führend auf dem Weltmarkt. Nach der Vermarktwirtschaftlichung des Ostblocks allerdings hat sich Deutschland durch eine „strategische Partnerschaft“ mit Russland Zugriff auf reichliche und billige fossile Energiequellen verschafft und sich damit ein Stück weit aus der früher als allzu einseitig betrachteten Abhängigkeit von der Erdölzufuhr aus dem Nahen und Mittleren Ostens befreit. Auf Basis dieses energiepolitischen Erfolgsweges stellte sich die Frage, ob die Nation noch so viel Bedarf an Kernkraftnutzung habe, oder nicht doch einiges dieser risikoreichen nationalen Energieproduktion einsparen könne – selbstverständlich ohne die Konditionen, die östliche Öl- und Gaslieferanten setzen, akzeptieren zu müssen. Die weitere Diversifizierung der Energiegewinnung sollte das vermeiden. Die damals rot-grüne Regierung erklärte deshalb einen neuerlichen energiepolitischen Aufbruch zur Voraussetzung für einen Einstieg in den weit in der Zukunft liegenden Ausstieg aus der atomaren Stromproduktion. Die Nation sah es als dringend notwendig an, der nuklearen Option alternative
Energiequellen zur Seite zu stellen, die langfristig den gleichen Zugriff auf preisgünstige, national produzierte Energie gewährleisten sollten. Bei der Herstellung alternativer Energietechniken weltmarktführend zu werden und dem deutschen Export neue Geschäftsgelegenheiten zu eröffnen, war in diesem Energieprogramm gleich mit drin. Da das alles allerdings noch Zukunftsmusik war und die angestrebten Alternativen (noch) gar nicht das Gleiche leisteten wie der Atombetrieb, war das, was vor zehn Jahren von der Schröder-Regierung als „historischer Beschluss zum Ausstieg“ gefeiert wurde, darauf abgestellt, nichts von dem zu gefährden, woran der Nation an dieser Sache gelegen ist. Kein einziger Atommeiler wurde stillgelegt. Alle erhielten rechtssichere Betriebsgenehmigungen mit unterschiedlichen, in jedem Fall aber auf Jahrzehnte berechneten Fristen. Diese sollten von den Energiekapitalen dazu genutzt werden, im Sinne der Fortsetzung des Erfolgsweges der nationalen Energieproduktion den Aufbau von alternativen Energiequellen im Lande voranzutreiben und so für billige, national verfügbare Energie zu sorgen. Nur auf dieser Basis wurde der Verzicht auf das atomare Risiko für den Standort ins Auge gefasst. 
Als kleine Entschädigung dafür, dass sie bei der „Jahrhundertreform“ mitzog, erhielt die Atomwirtschaft von der Politik die Zusage, während der Restlaufzeit der Kernkraftwerke Planungs- und Investitionssicherheit nicht mit „überzogenen Sicherheitsbedenken“ in Frage zu stellen. Schrottlauben, die nach den heute geltenden Bestimmungen so gar nicht mehr zugelassen würden, gehören weiterhin zum deutschen Energiemix.

Der Umstieg beim Ausstieg

Schon vor zehn Jahren hat das beschlossene Ausstiegsszenario CDU/CSU und FDP so nicht gepasst. Nicht, dass sie gegen den „ökologischen Umbau“ der deutschen Stromwirtschaft im Namen der nationalen Energiesicherheit etwas gehabt hätten. Sie sahen jedoch sowohl im gesteigerten Einsatz von russischem Öl und Gas als auch im eingeplanten Kauf von Atomstrom aus dem Ausland neue Fälle von nationaler Abhängigkeit, die dem Verzicht auf nuklearen Besitzstand entgegenständen. Wenn die schwarz-gelbe Regierung jetzt um 8 bis 14 Jahre längere Laufzeiten für Kernkraftwerke genehmigt, gibt sie das Grundanliegen des früheren „Ausstiegs“-Beschlusses nicht preis. Die neue Regierung, die wie die alte keine neuen AKWs in Deutschland plant, will – wie sie programmatisch ankündigt – „den Weg in das regenerative Zeitalter gehen und die Technologieführerschaft bei den erneuerbaren Energien ausbauen“. Im Rahmen dieses Programms bemühte sie sich, auf internationalen Klimakonferenzen CO²-Standards durchzusetzen, deren Einhaltung weltweit energietechnische Investitionen erforderlich und deutsche Energietechnologien zum Verkaufsschlager auf dem Weltmarkt machen sollte. Das firmierte nicht unter dem Titel, dem Rest der Welt im Zugriff auf Energie und im Geschäft mit ihr voraus zu sein, sondern als der Weg zur „Rettung der Menschheit vor der weltweiten Klimakatastrophe“. Ein verbindliches Ergebnis konnte dennoch nicht erzielt werden. Andere Nationen zeigten sich gar nicht aufgeschlossen für Merkels Klimaappelle, die sie im Einklang mit ihren neuerdings „grünen“ deutschen Geschäftemachern verkündete. Dem deutschen Ansinnen, den Rest der Welt von deutscher Technologieführerschaft abhängig zu machen, setzten sie ihre eigenen konkurrierenden Energiepläne entgegen – im Namen ihrer nationalen Energiesicherheit und für den Zugriff ihrer Energieunternehmen auf den weltweiten Energiemarkt.

Die Bundesregierung ist jetzt zu dem Schluss gekommen, dass für den Auf- und Ausbau der „Technologieführerschaft bei den erneuerbaren Energien“, vermehrte Profite aus deutschen Atommeilern nötig sind. Mit ihrem Kapital sollen die AKW-Betreiber das Geschäft mit den erneuerbaren Energien, in das sie schon längst eingestiegen sind, noch entschiedener weiterentwickeln. Das ist mit „Brückentechnologie“ nämlich gemeint: Kapitalkräftige Investoren sollen gefunden werden, die die neuen, zum Teil noch nicht ausgereiften Technologien finanzieren, und sich damit eine neue Gewinnquelle erschließen. Die muss natürlich so beschaffen sein, dass eine mögliche Reduzierung der alten Gewinnquelle durch die neuen Gewinne mehr als kompensiert wird. 
Gleichzeitig sollen die Kapitalvorschüsse, die bereits in „nachhaltige Energie“ geflossen sind, wenigstens schon mal in der Heimat garantierte Absatzmärkte und Renditen finden. Die neue Energiepolitik will deshalb per staatlichem Dekret von den Profiten aus den weiterlaufenden Atommeilern etwas in einen „Fonds“ abzweigen, um damit – beispielsweise – den Ausbau der Stromnetze zu finanzieren. Freilich will und darf sie andererseits die Profite der Atomkonzerne, ihren Beitrag zum nationalen Wachstum und ihre Investitionen in „nachhaltige Energiegewinnung“ nicht zu sehr belasten.  
Und dann ist auch noch Krise, und die Regierung braucht die „Brennelementesteuer“ oder wie auch immer die strahlende Einnahme am Ende heißt, für einen „soliden“ Staatshaushalt, den sie für die Bankenrettung und zugleich einen guten Eindruck bei den Spekulanten zum Einsatz bringen will.

Lauter in Deutschland anerkannte, nämlich herrschende Interessen von Kapitalen und Staat sollen da bedient werden. Dafür, so beschied Frau Merkel, seien die deutschen AKWs für ein weiteres Jahrzehnt allemal sicher genug, was man schon daran sehen könne, dass sie und die anderen dafür verantwortlichen Politiker ihren Betrieb sonst „niemals genehmigt“ hätten. Das sollen sich besorgte Bürger und die wieder auflebende Anti-AKW-Bewegung gefälligst hinter die Ohren schreiben. Wer das angesichts der Beschaffenheit der Atomtechnologie und der Atommeiler mit gutem Grund bestreitet, ist sehr ungünstig bestrahlt, wenn er meint, das als Appell an die Politik vorbringen zu können. Die hat Leben und körperliche Unversehrtheit ihres Volkes schon immer da in die nationale Energiefrage eingebaut, wo sie hingehören: als abhängige Variable vom Geschäft mit der Energie.

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