Die ‚Generation Praktikum’
Da wird die Allianz aus Politikern, Arbeitgeberverbänden und öffentlicher Meinung nicht müde, die Bedeutung von „Bildung“ und „Qualifikation“ zu beschwören – „unser rohstoffarmes Land“ könne seinen „Lebensstandard“ und seine „Spitzenposition“ nur mit gut ausgebildeten jungen Menschen halten, Bildung sei aber auch für den einzelnen das „Mittel gegen Arbeitslosigkeit“ und der Schlüssel zum „persönlichen Erfolg“ im Berufsleben – und dann wird mit denjenigen, die sich nach den angeblichen Erfordernissen der „Wissensgesellschaft“ verhalten, alles andere als pfleglich umgegangen. „Prekäre Beschäftigungsverhältnisse“ beim Einstieg in den Beruf sind für junge Hochschulabsolventen zur Normalität geworden. Anstatt wie geplant eine Karriere zu starten, müssen Nachwuchsakademiker heute schlechte Bezahlung, befristete Anstellungen, oder erzwungene Selbstständigkeit in Kauf nehmen. Dazu gehören seit einiger Zeit auch so genannte „Praktika“. Berufsanfänger mit Hochschulstudium dürfen sich erst einmal ohne Bezahlung oder bestenfalls gegen ein paar 100 Euro Taschengeld nützlich machen, bevor man ihnen eine bezahlte Stelle anbietet – oder auch nicht. Dabei ist es kein Geheimnis, woher der kleinliche Umgang mit dem angeblich so dringend benötigten „klugen und hoch qualifizierten Nachwuchs“ rührt: „Es ist ein simpler Mechanismus: In Zeiten der Massenarbeitslosigkeit können es sich Unternehmen leisten, die Angst der Absolventen vor dem Zurückbleiben auszunutzen“. (Zeit, Campus online, 25.9.2006, so oder ähnlich äußern sich alle einschlägigen Berichte). Dem entnehmen wir: Unternehmen sind ganz grundsätzlich darauf aus, Leute, die auf sie angewiesen sind, auszunutzen. Sobald sie die Möglichkeit dazu sehen, tun sie es. In diesem Fall ist es die „Angst“ von Nachwuchsakademikern, schon zu Beginn des Berufslebens ziemlich endgültig den Eintritt in die Welt der besser bezahlten, angenehmeren und sichereren Jobs zu verpassen, die den Unternehmen gerade Recht kommt – ebenso wie die „Masse“ der von ihnen Entlassenen, die sie offenbar auch bei Akademikern als Druckmittel einsetzen können, um billige Dienste zu erpressen. Was für die frisch Diplomierten eine „Notlage“ ist, ist für die Unternehmen eine günstige Gelegenheit, die sie nicht verpassen. Mit einem Wort: hier liegt „Ausbeutung“ vor, wie die ZEIT und andere messerscharf erkennen. Ein schönes Urteil also darüber, wie in dieser Gesellschaft mit den „Humanressourcen“ umgesprungen wird – sehr verschwenderisch nämlich. Die Menschen und das, was sie gelernt haben, interessieren nur als Ressource für den Geschäftserfolg der Unternehmer und wie weit ihr Dienst daran honoriert wird, hängt nicht von ihren Anstrengungen und Leistungen ab, sondern fällt ins Belieben der Nutzer dieser „Ressource“.
Als Aufruf zum Widerstand an alle „Billiglöhner“ sind solche Diagnosen freilich nicht gemeint. Das böse Wort von der „Ausbeutung“ fällt den Erfindern des Schlagworts von der „Generation Praktikum“ ein, weil sie die Behandlung der Studierten als billige Arbeitskräfte für unpassend halten. Bekanntlich werden Zeit, Spiegel, Stern und Konsorten nicht müde, bei nicht so „Hochqualifizierten“ die von Kapitalisten gezahlten Hungerlöhne zwischen 3 und 6 Euro als zwar harte, aber unumgängliche Notwendigkeit fürs Arbeiten-Dürfen zu propagieren oder zusammen mit der Gewerkschaft die Auffassung zu vertreten, dass bei 7,50 brutto Mindestlohn, wenn es ihn denn gäbe, von „Ausnutzen“ und „Ausbeutung“ nicht mehr die Rede sein kann. Wenn der Spiegel einen „Missbrauch von Hochqualifizierten als unter- oder gar unbezahlte Ersatzarbeiter“ (Spiegel online, Januar 2007) konstatiert oder von „hochqualifizierten Billiglöhnern“ (ARD) die Rede ist, dann liegt der ‚Skandal’ darin, dass die potenzielle Elite hier einmal so behandelt wird, wie es der große Rest des gewöhnlichen Menschenmaterials offenbar verdient. Während sonst das „Besitzstandsdenken“ gegeißelt wird, ist man von der Berechtigung der Ansprüche des akademischen Standes überzeugt und sieht Missbrauch, wenn die unternehmerische Kostenkalkulation sich von diesen „Ansprüchen“ nicht beeindrucken lässt. Oder es ist gleich die „deutsche Wirtschaft“ selbst, die sich des Mitgefühls besorgter Kommentatoren sicher sein kann. Sie, die deutsche Wirtschaft, schadet nämlich in erster Linie sich, wenn sie den „dringend gebrauchten hoch qualifizierten Nachwuchs“ (Zeit) so schlecht behandelt. So wird sich eingefühlt in die Interessen der Wirtschaft und das „schamlose Ausnutzen einer Notlage“ dann doch nur als ungeschickte, kurzsichtige Geschäftspolitik registriert. Der Geschäftserfolg wird als oberster Gesichtspunkt anerkannt und versichert, er ginge doch ganz prima mit einem dem Status dieses Nachwuchs angemessenen Umgang zusammen.
Und die Betroffenen? Sie setzen sich zur Wehr – aber wie! Die am eigenen Leib gemachte Erfahrung, dass nicht Qualifikation sondern kapitalistischer Bedarf ein Einkommen bringt, erschüttert sie nicht im Glauben an die ‚Leistungsgesellschaft’ und ihrem Anrecht auf eine besondere Stellung in ihr. Sie wollen nicht das Prinzip entdecken sondern einen ungerechten Umgang mit ihrem Stand. Ihr Widerstand ist deshalb an Bescheidenheit kaum zu überbieten. Sie wenden sich untertänig mit Petitionen an die Abgeordneten und machen konstruktive Vorschläge zur Beendigung des „unregulierten Zustands, der zum Missbrauch der Arbeitskraft von Hochschulabsolventen führt“ (homepage students-at-work.de der DGB-Jugend).
Nach dem Studium ‚Erfahrungen in der Praxis’ sammeln – selbstverständlich, aber bitte nicht zu lange: „Der Deutsche Bundestag möge beschließen, dass Praktika von Hochschulabsolventen, die länger als drei Monate dauern und in dem Berufsbild abgeleistet werden, für das der Hochschulabsolvent ausgebildet wurde, in ein reguläres Arbeitsverhältnis umgewandelt werden“. (Petition der ehemaligen Dauerpraktikantin Désirée G. an den Bundestag).
Eine bisschen Anerkennung für die geleistete Arbeit wäre auch nicht schlecht (Petition der Vertreterin des DGB „Mindestlohn von 300 Euro“) und die Mitbegründerin des Selbsthilfevereins „Fairwork“ verlangt 1200 Euro brutto, wenn es dann doch nicht bei den drei Monaten bleibt – „damit orientieren wir uns am europäischen Mindestlohn“ – sowie eine akademikergerechte Benamsung, die klarstellt, dass es sich nicht um mies bezahlte Arbeit, sondern um einen Einstieg in den Aufstieg handelt: „Die Zeit nach dem Abschluss sollte nicht Praktikum genannt werden, sondern Trainee-Programm oder Volontariat“ (Spiegel-online Interview mit Bettina König, 10.05.).
Der Bundestag mochte sich bisher mit den Anträgen nicht beschäftigen und auch dem Bundesminister für Arbeit sind die Nachwuchsakademiker nicht mehr wert als dem Kapital. Er denkt gar nicht daran, den Kapitalisten Grenzen beim kostengünstigen Einsatz auch des akademischen Personals zu ziehen. Im Gegenteil: Wie beim gewöhnlichen Rest der Menschheit wird auch hier jede gesetzliche Auflage beim „Ausnutzen“ von Arbeitskräften als Hindernis von ‚Beschäftigung’ gesehen. Stattdessen „setzt das BMAS verstärkt auf Aufklärung“ (ein Ministeriumssprecher), die man sich seit Anfang des Jahres beim extra dafür geschaffenen Internetportal „Generation Praktikum“ abholen kann. Nach dem alten Motto des Satiremagazins Titanic‚ das den hungernden Negern „Spachteln!“ als Lösung ihres Problems empfiehlt, bekommt man dann folgenden heißen Tipp: „Sich nicht unter Wert verkaufen … zusammen mit dem künftigen Arbeitgeber die Möglichkeit prüfen, statt einen Praktikumsvertrag einen zeitlich befristeten Arbeitsvertrag zu schließen“. Genau, so entkommt man der „Praktikumsfalle“: einfach nicht reintappen!