Die Finanzkrise will einfach nicht aufhören. Da schmieden die Staaten einen Pakt nach dem anderen, mobilisieren Hunderte von Milliarden Euro. Aber die zündende Idee, wie man das Vertrauen der Finanzmärkte zurück gewinnen kann, hat niemand. Es muss eben alles zusammen passieren: Sparen, den Haushalt sanieren, gleichzeitig das Wachstum fördern – egal ob das eine das andere ausschließt. Und dann will Kanzlerin Merkel noch quasi eine Geheimwaffe in petto haben: „Die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, das ist die Voraussetzung für nachhaltiges Wachstum“, was sie nicht nur Deutschland, sondern ganz Europa und eigentlich der ganzen Welt als den Königsweg aus der Krise ans Herz legt.
Dabei weiß Frau Merkel durchaus zu unterscheiden: Dass die Konkurrenzstellung der deutschen Wirtschaft innerhalb Europas überragend ist, das wird sie nicht müde zu betonen, und dafür soll sich Deutschland auch gar nicht schämen. Es sind doch eher die anderen südlicher gelegenen Staaten, die sich in der Vergangenheit viel zu sehr auf die „faule Haut“ gelegt und „uns“ den ganzen Schlamassel eingebrockt haben. Deutschland dagegen hat „eine riesige Kraftanstrengung, politisch bekannt als ‚Agenda 2010‘“ für seine Position unternommen und „mutete vielen viel zu. […]. Der Erfolg ist hart erkämpft und bitter bezahlt. Ihn einfach so preiszugeben wäre töricht.“ (SZ, 9.2.2012)
Da wird heftig auf der Gerechtigkeit des deutschen Erfolges bestanden. Allerdings wird damit auch Eines eingestanden: Deutschland hat sich seine dominierende Wirtschafts- und Finanzmacht durch eine „riesige Kraftanstrengung“ erarbeitet, die sein arbeitendes Volk „hart erkämpft und bitter bezahlt“ hat. Der Fehler der anderen war dann wohl, dass sie nicht genauso auf ihre Leute losgegangen sind. Das selbstbewusste Deuten auf den erreichten Erfolg und die ‚Agenda 2010‘, mit der dieser Erfolg eingefahren wurde, besagt: Deswegen habt ihr den Konkurrenzkampf verloren. Mit der Kombination aus einer Kapitalmacht von überlegener Wucht und Größe und einer durch die ‚Agenda 2010‘ herbeiregierten Billiglohnmannschaft wurde unter anderem die griechische Firmenwelt platt gemacht. Im Stolz auf diese Glanzleistung werden also die angeblichen Gründe über die griechische Krise Lügen gestraft: von wegen, dieses Völkchen hat verantwortungslos „über seine Verhältnisse“ gelebt. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Deutschland hat alles dafür getan, aus der Konkurrenz als Sieger hervorzugehen.
Das hindert die Kanzlerin allerdings überhaupt nicht, den Griechen und allen anderen Krisenstaaten zu raten – oder besser gesagt: zu verordnen –, es genauso wie Deutschland zu machen und an ihrer Konkurrenzfähigkeit zu arbeiten. Mit der Kopie von Konkurrenzerfolgen ist das freilich so eine Sache: Alle kämpfen schließlich um dasselbe, nämlich darum, ihren Mit-Wettbewerbern Umsatz und Gewinn wegzunehmen. Konkurrenten machen sich ihren Erfolg streitig; eine Konkurrenz mit lauter Gewinnern hat noch keiner erfunden – und Deutschland ist sowieso wild entschlossen, für seine Partner auch und gerade darin Vorbild zu sein und zu bleiben, dass es seinen nationalen Erfolg unter Einsatz aller Mittel und mit äußerster Härte gegen den Rest der Welt verteidigt. Der wird dann auch nicht „einfach so preisgegeben“, sondern im Gegenteil weiterhin gegen alle anderen durchgesetzt. Dann will man Exportchampion sein, was heißt, dass die anderen eben nicht auch Exportchampion sein können und sollen. Mit der eigenen Konkurrenzfähigkeit macht man die anderen ökonomisch kleiner – bis hin zu deren wirtschaftlicher Vernichtung, wie man an Griechenland studieren kann.
Daran gibt es allerdings auch einen Widerspruch: Die niederkonkurrierte Staatenwelt entfällt als Wirtschaftspartner, also als zahlungsfähige Nachfrage für „unsere“ Wirtschaft. Der Aufruf zur Herstellung der Konkurrenzfähigkeit heißt nach der Seite: Richtet euch so her, dass „wir“ mit euch wieder Geschäfte machen können. Gemeint ist damit natürlich nicht: Richtet euch so her, dass ihr „uns“ niederkonkurrieren könnt – die deutsche Überlegenheit muss stehen. So hat es bei dem Paradoxon zu bleiben: Eine Konkurrenz muss her, in der alle gewinnen, aber gegen Deutschland darf keiner gewinnen.
Aber die Forderung: „Werdet konkurrenzfähig!“, hat ja Höheres im Sinn. Es geht darum, dass sich Europa als Ganzes eine Wirtschaftskraft erarbeitet, mit der es sich gegen die Weltmarktkonkurrenten – allen voran die USA – durchsetzen kann. So konfrontiert die deutsche Regierung – im Verbund mit anderen „Nord“-Staaten – die Verlierernationen vom Standpunkt ihrer überlegenen Konkurrenzmacht mit der Forderung nach Ausbildung von Konkurrenztugenden für eine erfolgreiche Teilnahme am europäischen und weltweiten Wettbewerb. Das ist eine zweifache Zumutung: Erstens wird den Verlierernationen vorgehalten: „Strengt euch mehr an, ihr Flaschen“!, zweitens wird ihnen klar gesagt, für wen sie sich anstrengen sollen: Für „uns“, die „wir“ dieses Europa bestimmen. Deutschland beansprucht dabei ziemlich gradheraus die Führung: Es sieht sich berufen, den Kampf gegen die Krise als Programm zur Wiedergewinnung von Konkurrenztüchtigkeit auf die Tagesordnung der EU zu setzen, die dafür verlangte Haushaltskonsolidierung für die gesamte EU politisch verpflichtend zu machen, das ganze Verfahren maßgeblich zu beaufsichtigen und letztlich zu entscheiden, welchen Krisennationen „geholfen“ werden soll und welche als aussichtslose Fälle ausgeschieden und ausgeschlachtet werden müssen. Dabei ist „diplomatische Höflichkeit nicht mehr angebracht, wenn europäische Innenpolitik gemacht wird.“ Das sagt ein Schäuble, der nicht müde wird zu betonen, dass Europa jetzt eine ganz neue und durchgreifende Art von Aufsicht brauche – wer da unhöflich in die „europäische Innenpolitik“ hineinregieren will, ist kein Geheimnis.
Und wie geht das nun – die Herstellung der Konkurrenzfähigkeit? Ganz einfach: nach demselben Rezept, wie die Gewinnernationen sich bisher ihren Konkurrenzerfolg ‚erarbeitet‘ haben: es kommt doch nur darauf an, das Verhältnis von Lohn und Leistung erfolgreich zu gestalten, genauer: „dank jahrelanger Lohnzurückhaltung billiger zu produzieren als die Nachbarn“ (SZ, ebd.); darüber gibt es, einmal mehr, keine ernsthafte Uneinigkeit. Die Kritik, die Verlierer hätten ihre lohnempfangende Bevölkerung nicht rechtzeitig und nicht radikal genug „bitter bezahlen“ lassen für den Erfolg des nationalen Kapitals, weist ihnen auch gleich den Weg in eine bessere Zukunft: Sie alle haben ihre jeweils nationale ‚Agenda 2010‘ nachzuholen bei Löhnen, Sozialleistungen, öffentlicher Beschäftigung und allen Staatsausgaben, die nicht unmittelbar der Rettung und Förderung des Geschäfts am Standort dienen. Der Reichtum der Nation beruht nun mal auf der Armut der Massen, und wenn der Konkurrenzerfolg ausbleibt, muss diese Armut eben beizeiten neu organisiert werden. So spielt die Armut des Volkes ihre übliche trostlose Rolle im Kampf auch gegen die große Krise der Euro-Staaten. Schlecht bezahlte, flexibel einsetzbare und leicht kündbare Arbeiter stehen eben für das, was ein niederkonkurriertes Land, das gnadenlos zum Sparen verpflichtet wird, nach allgemeiner Überzeugung am dringendsten braucht: eine Reichtumsquelle, die umso mehr Wachstum und Erfolg in der Konkurrenz verspricht, je weniger der Anwender für sie bezahlt.
Dann kommen freilich die Mahner und Warner: Wenn man die Massen so verarmt, dann hat das doch auch einen Nachteil – dann fällt ja ihre „Kaufkraft“ aus. Da kann man erstens nur sagen: Das ist eben einer der Widersprüche ihres so wunderbaren Systems. Zweitens muss man diesen menschenfreundlichen Mahnern aber auch sagen: Wofür ist denn diese „Kaufkraft“ bei euch eingeplant? Doch nur dafür, dass die Kapitalisten sie brauchen, um ihre Waren losschlagen, also ihre Profite zu machen. Drittens schließlich: Europa sagt doch, wie mit diesem Widerspruch umzugehen ist: Man greift die „Kaufkraft“ der restlichen Welt ab. Ob das für Völkerverständigung sorgt?