‚VW versus Prevent‘:


Klarstellungen zum Outsourcing-Geschäftsmodell der Automobilbranche

Im August eskaliert ein Streit des Volkswagen-Konzerns mit Zulieferbetrieben, die der bosnischen Prevent-Gruppe angehören. Nach und nach ermittelt die Öffentlichkeit die Hintergründe: Weil VW einen projektierten Großauftrag, für den der Zulieferer Car Trim bereits Investitionen getätigt hat, einseitig kündigt, fordert der Betrieb Schadenersatz. Nachdruck bekommt die Forderung, als neben Car Trim noch ein weiterer Zulieferer – ES Automobilguss – die Lieferungen an VW bis auf weiteres einstellt. Bis die Parteien sich wieder handelseinig werden, fallen für ein paar Tage Lieferungen von Sitzbezügen und Getriebeteilen aus, weshalb die Autoproduktion bei VW an mehreren Produktionsstandorten ins Stocken gerät. 22 000 Autos können nicht planmäßig vom Band gehen, und Experten schätzen den finanziellen Schaden, der VW aus dem Produktionsausfall entstanden ist, auf über 100 Millionen Euro.

Angesichts dieses „bizarren Streits“ (fr-online.de, 19.8.16) zwischen dem Weltkonzern und der „350-Mitarbeiter-Bude aus Sachsen“ (manager-magazin.de, 23.8.) rechtet die Öffentlichkeit ausgiebig über die Frage, wer hier der eigentliche Täter und wer das Opfer der Erpressung ist, und weiß zu vermelden:

„Der Streit zwischen Prevent und Volkswagen ist auch ein Stellvertreterkrieg der Autobranche. Zulieferer und Autobauer können nicht ohne einander – doch die Macht ist ungleich verteilt. ‚Die Hersteller bestimmen die Spielregeln‘, sagt Autoexperte Stefan Bratzel von der Fachhochschule Bergisch Gladbach.“ (Spiegel Online, 22.8.)

In welchem Spiel?

Outsourcing als Mittel der Kostpreissenkung

Konzerne betreiben Outsourcing, um dadurch ihre Kosten zu senken. Speziell auf den eigenen Produktionsprozess zugeschnittene Vorprodukte, die vielleicht bis neulich in einer Fabrik oder Abteilung des Konzerns hergestellt wurden, sind günstiger zu bekommen und in die Fertigung zu integrieren, wenn eine „Bude“ aus Sachsen oder ein anderes externes Unternehmen mit deren Herstellung beauftragt wird. Wo es nötig ist, wird der dafür in Anspruch genommene Geschäftssinn der Gegenseite selber gestiftet, indem ein Bestandteil des Konzerns mitsamt Startkapital und Know-how rechtlich abgespalten und mit einer auf eigene Rechnung kalkulierenden Geschäftsführung ausgestattet wird. Über die letzten Jahrzehnte ist das Outsourcing in der Automobilbranche zur gängigen Praxis avanciert; von eigenen Arbeitskräften alles ‚selber machen lassen‘ ist ziemlich aus der Mode. Die ‚Produktionstiefe‘ ist immer weiter gesunken, und es ist ein Netz von kleineren und größeren Zulieferbetrieben rund um die großen Autokapitale ‚entstanden‘, die inzwischen bis zu 75 % der im Auto verbauten Teile herstellen. Die Konzerne lassen ihre Fertigungsstraßen just in sequence mit den an den unterschiedlichsten Standorten und von den verschiedensten Unternehmen produzierten und über den halben Kontinent gekarrten Einzelteilen beliefern und nehmen die Endmontage vor.1)

Warum begründet diese Arbeitsteilung eine Verbilligung?

Vom Standpunkt des Autokapitals ist die Trennung des eigenen Betriebs von Momenten der Produktion zugunsten einer Inanspruchnahme externer Dienste – Outsourcen eben – selbst die Quelle der Verbilligung: Da bewährt sich die eigene Kapitalgröße und Marktmacht, mit der die Konzerne externen, ihrerseits konkurrierenden Geschäftsinteressen gegenübertreten, als Hebel zur Senkung der Herstellungspreise der Automobile. Den konkurrenzfähigen Kostpreis, den die Autokapitale für ihr internationales Geschäft mit dem Mobilitätsbedürfnis der Menschheit – nicht nur in Krisenzeiten – unbedingt brauchen, 2) machen sie in weiten Teilen selbst zur für sie käuflichen Ware, wenn sie im Kontrakt mit Zulieferbetrieben dank ihrer Macht als Großabnehmer ihnen genehme Verkaufspreise festschreiben.

Wie der Zulieferbetrieb es hinbekommt, die in Auftrag gegebene kostengünstige Produktion zu Wege zu bringen und seinerseits zur Quelle von Gewinn zu machen, geht den Großkonzern nichts an, ist aber auch überhaupt kein Geheimnis: Es mag zwar sein, dass manch ein Zulieferer auf seinem Produktionsfeld zu einem hochspezialisierten Profi wird, der Einsparungseffekte durch riesige Losgrößen erzielen kann, weil er die halbe Welt mit seinen Produkten beliefert. Aber die zahlreichen mittelständischen Betriebe wie ES Automobilguss, Car Trim und Co, die ebenso fester Bestandteil des ‚Zuliefernetzes‘ sind, produzieren nicht auf so einem Maßstab und gehen auch ansonsten keineswegs mit einer höheren Produktivität als VW zu Werke, die es gestatten würde, die betreffenden Bestandteile des Fahrzeugs mit weniger Aufwand herzustellen. Neue Produktionstechniken und Maschinengenerationen, die Produktivitätsfortschritte versprechen, stehen VW ja ebenso zu Gebote. Und auch was den Beschaffungspreis angeht, sind die Rohstoffe, Werkshallen und Maschinen von solchen Betrieben im Prinzip nicht günstiger zu erwerben als von VW – denn diese Posten werden nicht dadurch billiger, dass ein kleines anstelle eines großen Unternehmens sie beschafft. Es ist der andere große Posten in der betriebswirtschaftlichen Kostenkalkulation, auf den es entscheidend ankommt: Die zu leistende Arbeit muss schlicht billiger zu kriegen sein. Die Verbilligung des Kostenfaktors Arbeit ist der beabsichtigte Effekt dieser unternehmerischen Arbeitsteilung. Die Organisation der notwendigen Arbeit durch Unternehmen, die nicht unter die Haustarifverträge der Automobilkonzerne fallen, in denen die Gewerkschaften um Tarifpartnerschaften und Anerkennung kämpfen müssen oder in denen so manche Tätigkeit schlicht anders eingruppiert wird, offenbart gewaltige ‚Einsparungspotentiale‘. Ein großer Teil der Branche ist über Werkverträge mit den Automobilkonzernen im Geschäft: Dienstleistungs- und Logistikunternehmen sind unmittelbar auf dem Betriebsgelände angesiedelt, die bei ihnen angestellten Monteure, Gabelstaplerfahrer und Putzkräfte arbeiten Hand in Hand mit der Stammbelegschaft des Automobilkonzerns, werden jedoch nach anderen Konditionen bezahlt und verdienen deutlich weniger. In anderen Fällen erweitert das Outsourcing das Feld des internationalen Vergleichs von Lohnkosten; es ermöglicht deutschen Automobilkonzernen am deutschen Standort ein Stück Emanzipation von den hiesigen Sitten in Sachen Lohn & Leistung. Die schönste Art, das klarzustellen, besteht darin, den Sachverhalt als hartherzige Erpressung der Zulieferer durch die Automobilkonzerne zu schildern:

„Ein … Ex-Prokurist beklagt den ‚Cost-Break-Down‘, den die Hersteller zunehmend von Zulieferern verlangen … das ist die vollständige Offenlegung der Kalkulation bis hin zum Preis der Vormaterialien. Auf Basis dieser Zahlen begännen die Einkäufer, dem Komponentenhersteller vorzuschreiben, wo er die Kosten zu reduzieren habe, egal, ob er dazu in der Lage sei. ‚Daimler etwa kalkuliert auf Basis einer rumänischen Musterfirma zu Löhnen, die sich in Deutschland nie abbilden lassen‘, erzählt der Manager.“ (Krankes System. Die brutalen Methoden der Autokonzerne gegen Zulieferer, wiwo.de, 19.1.15)

Und so weiter. Indem die Konzerne das Kommando über die Arbeit in fremde, geschäftige Hände geben, denen gegenüber sie ihre Ansprüche an die Arbeit – ihre Leistung, ihren Preis – in Form vertraglich vereinbarter Warenpreise geltend machen, sichern sie sich den Nutzen aus dieser Arbeit: Im Outsourcing fungiert rentable Arbeit, für deren Herrichtung sie nicht selbst zuständig sind, als Quelle ihres geschäftlichen Erfolgs.

Konkurrenz um den Nutzen aus der Lohndrückerei

Dieser Dienst der Zulieferer ist zugleich ihr eigenes Geschäftsmittel – ihren Gewinn bilanzieren sie als die Differenz der ausgehandelten Verkaufspreise zu den darum unbedingt klein zu haltenden Lohn- und sonstigen Kosten. Das Outsourcing-Geschäftsmodell schließt den Gegensatz der kooperierenden Geschäftspartner daher immer ein: Jeder Gewinn, den die Zulieferbetriebe für sich erwirtschaften, zeigt einem Konzern wie VW bloß, dass in Sachen Senkung der Einkaufspreise noch Luft nach unten besteht. Mit Einkaufsleitern, deren Geschäftsusancen der eigenen Kapitalmacht angemessen sind, machen sie diesen Standpunkt ihren Geschäftspartnern gegenüber geltend, exekutieren ihnen gegenüber den süßen Zwang zur ständigen Kostensenkung, nötigen ihnen also die verschärfte Anwendung des genuinen Mittels eines jeden kapitalistischen Geschäfts als Bedingung für die weitere Zusammenarbeit auf.3) Noch jede Klage über rohe Verhandlungssitten und jeder Seufzer über hohe Entwicklungskosten 4) und abschmelzende Margen stellt in Rechnung, dass die Zulieferer ihr aufreibendes Engagement für ihren Gewinn betreiben. Solange sie es vermögen, die Erpressung, die sie erfahren, an ihre Belegschaften weiterzureichen, bleiben sie im Geschäft. Darum rationalisieren sie nach Kräften – nicht in dem Sinne, dass Arbeitsaufwand eingespart würde, sondern indem sie sich die Bezahlung des nach wie vor nötigen Aufwands ersparen – durch schlichte Lohndrückerei. Das müssen auch ihre Belegschaften einsehen: Wenn die Preisvorgaben aus der Automobilindustrie schon so streng sind, wie sie es eben sind, dann muss intern ausgelotet werden, wie auch daraus noch ein Geschäft zu machen geht – die Arbeitsplätze hängen schließlich davon ab.

Der in der deutschen Öffentlichkeit so unbeliebte Prevent-Konzern, der nach und nach kleine Zulieferbetriebe der Automobilbranche aufkauft und unter seinem Dach versammelt, versucht, das so einseitig ausfallende Erpressungsverhältnis zwischen Automobilkonzernen und Zulieferern zu seinen Gunsten zu korrigieren: Die Konzentration von Kapitalmacht auf seiner Seite soll für eine bessere Verhandlungsposition gegenüber der Automobilindustrie sorgen – große Zulieferer wie Bosch, ihrerseits ausgestattet mit ordentlicher Kapitalgröße und einem breiten Portfolio an Produkten und Kunden, machen vor, wie gut das fürs Geschäft ist. Und in diesem Sinne fordert er von VW die Einhaltung versprochener Aufträge – und VW damit heraus. Um diesen Anspruch grundsätzlich zurückzuweisen, ist VW bereit zur Eskalation des Streits; der Konzern besteht darauf, dass er als monopolistischer Abnehmer die Abmachungen ganz nach seinen Geschäftsbedürfnissen gestalten können muss, die mittelständischen Zulieferer also quasi sein Besitzstand sind und bleiben sollen. Also weist VW alle Forderungen zurück und nimmt das Risiko eines Produktionsausfalls in Kauf, dessen Kosten die Schadenersatzforderungen der Zulieferer deutlich übersteigen.

Belegschaften als Kampfmittel

Als es dann zum Produktionsausfall kommt, hält sich der VW-Konzern an seiner Belegschaft schadlos: Auf einen Schlag schickt er zigtausend Angestellte nach Hause und beantragt beim Staat konjunkturelles Kurzarbeitergeld, greift also auf Regelungen zurück, mit denen der Staat den Geschäfts- und Konkurrenzinteressen seiner Großunternehmen zu Lasten der Beschäftigten Rechnung trägt. Mit rechtlicher Rückendeckung erweist sich die freie Verfügung über eine Belegschaft, deren Arbeit rundum flexibilisiert ist, auch in diesem Fall als Waffe im Erpressungskampf mit anderen Unternehmen.

Die Belegschaft macht ihrer Eigenschaft als Besitzstand des Konzerns ihrerseits alle Ehre in Gestalt ihrer Vertreter, die das alles natürlich auch auf den Plan ruft. Der Betriebsrat beschwert sich kräftig – über die Unverfrorenheit der Kleinbetriebe, die es wagen, sich mit VW anzulegen und tausende Angestellte in Gefahr zu bringen. Mit einem vergifteten Gruß an die Kolleginnen und Kollegen in den Zulieferbetrieben und im Namen aller betroffenen Beschäftigten hält er ‚seinem‘ VW-Konzern die Stange:

„ES Automobilguss und Car Trim hätten anstatt eines Lieferstopps besser Verhandlungen mit VW aufnehmen sollen und die bestehenden Lieferverpflichtungen eingehalten. Durch die brachiale Vorgehensweise der Prevent-Gruppe wurden fast 30 000 VW-Beschäftigte und die Kolleginnen und Kollegen von Car Trim und ES Automobilguss zu Opfern eines beispiellosen Konfliktes, der auf ihrem Rücken ausgetragen wurde. 500 Lieferanten gerieten in Schwierigkeiten, konnten ihre Teile nicht ausliefern und mussten Bestände aufbauen. Keine guten Voraussetzungen für eine weitere, langfristige Zusammenarbeit. Ich mache mir große Sorgen um die Zukunft der rund 400 Beschäftigten des Zulieferbetriebes ES Automobilguss.“ (VW-Betriebsrätin Carola Pape, 26.8.16)

VW sichert mit seinem Geschäft hunderttausende von Arbeitsplätzen, der verantwortungslose Zulieferer gefährdet sie, so das parteiliche Weltbild der VW-Betriebsrätin. Weil der Konkurrenzerfolg von VW für den Betriebsrat der selbstverständliche Ausgangspunkt sämtlicher Arbeitsplatzansprüche ist, liegt die Schuld also eindeutig bei Prevent, wenn VW die Kosten seines Konkurrenzkampfs mit seinem Zulieferer seiner Belegschaft aufbürdet und bei Zulieferern demnächst womöglich Arbeitsplätze gestrichen werden, weil VW sie nicht mehr als Geschäftspartner anerkennt.

1) „Teile werden nach dem sogenannten ‚Just in Sequence‘-Prinzip geliefert: Das bedeutet, die Bauteile kommen nicht nur pünktlich zur Montage in die Fertigung, sondern auch in der richtigen Reihenfolge (‚Sequence‘) der produzierten Fahrzeuge. Kommt etwa eine Karosse angefahren, haben die Arbeiter sofort das genau für dieses Auto gebrauchte Teil griffbereit. Fehlen Teile, stockt sofort die gesamte Produktion.“ (businessinsider.de, 18.8.)

2) Die Natur dieses Bedürfnisses und des Geschäfts, das es bedient, wird im Artikel „Die Automobilindustrie. Fallstudie über eine ‚Schlüsselindustrie‘ des Kapitalismus, den weltweiten Wettstreit der Kapitale und die Standortkonkurrenz der Nationen“ in GegenStandpunkt 2-06 ausführlich erläutert.

3) Das findet der marktwirtschaftliche Sachverstand, wie gesagt, gelegentlich total ungerecht. Exemplarisch ein Auszug aus dem bereits zitierten rührseligen Bericht aus dem Jahr 2015: „Ausbooten, austricksen, ausnehmen – noch nie waren die Methoden der Autokonzerne gegenüber kleinen und mittelgroßen Subunternehmern so brutal. Und die Umgangsformen drohen weiter zu verrohen, weil Volkswagen, BMW und Co sparen wollen. Seit neun Uhr morgens sitzt Ralf Berger in einem Hotelzimmer bei Frankfurt. Er schwitzt, behält das Jackett aber an und ringt um Haltung. Denn gleich ist es zwölf Uhr. Und jeden Moment kann der Einkaufschef des großen deutschen Automobilherstellers hereinkommen und ihm das Angebot eines anderen Zulieferers präsentieren – eines Wettbewerbers, der sich im Zimmer nebenan einquartieren musste. Berger weiß genau, was ihm dann blüht. Der Einkäufer wird ihm erklären, dass der Konkurrent einige Tausend Euro preiswerter anbietet – so wie er das auch vor einer Stunde erklärte. Dann wird der Einkäufer ihn wieder auffordern, den Preis des Angebots zu reduzieren. Und wieder wird Berger hinnehmen müssen, dass sein Gewinn noch schärfer gegen null tendiert. Doch die Tür zuzuwerfen und aus dem Hotel zu stürmen, das kann er sich nicht erlauben. Wenn er jetzt aussteigt, kann er von diesem Autobauer keine Aufträge mehr erwarten. Das hat ihm der Einkäufer gleich gesagt.“ (wiwo.de, 19.1.15)

4) Es ist nicht unüblich, dass die Automobilkonzerne mit einer genauen Vorstellung hinsichtlich Preis und Beschaffenheit Teile in Auftrag geben, welche der Zulieferer erst noch entwickeln muss. Die so erzielte Einsparung von Entwicklungskosten gilt als der entscheidende Vorteil des sogenannten single sourcing, also der Vergabe eines Lieferauftrags für ein bestimmtes Teil an einen einzigen Zulieferer. Das multiple sourcing hingegen, die Beauftragung mehrerer Zulieferer, ist darauf berechnet, weniger abhängig von einzelnen Geschäftspartnern zu sein.

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