Die große Flut und wie sie benutzt wird
Die politischen und wirtschaftlichen Berechnungen der Katastrophenhelfer …
Spätestens in Phase 2 nach dem erstem Erschrecken über das Ausmaß der Zerstörungen und die Leichenberge werden die internationalen Hilfsangebote von den professionellen Kennern und Kommentatoren der bürgerlichen Welt selber sachkundig und kritisch in ihre tatsächlich gültigen Bestandteile zerlegt. Jede womöglich vorhandene Täuschung über die wohlmeinenden Absichten und menschfreundlichen Zwecke, die die maßgeblichen Akteure der Weltpolitik verfolgen, wird ausgeräumt. Aufgeklärte Journalisten klären unnachsichtig auf über die staatlichen Berechnungen hinter all der Grenzen übergreifenden Wohltätigkeit – wie immer besonders gern über diejenigen auswärtiger Souveräne. Aber auch im eigenen Staatswesen kommt so leicht keiner der staatlichen Wohltäter und Krisenmanager unentlarvt davon: –
Grundsätzlich geht es allen Nationen bzw. deren Machern darum, vor der ominösen Instanz namens Weltöffentlichkeit gut dazustehen:
„Die Hilfe für die Flutopfer in Asien ist zunehmend eitel und selbstgefällig. Sie gibt sich protzig und dröhnt, statt leise und selbstlos daherzukommen. Und sie ist – ungeachtet aller hehren Ziele – auch gesteuert von einem politischen Eigeninteresse…“ (SZ, 7.1.05)
„Allerdings sollte man sich von der Welle der Solidarität nicht täuschen lassen. Auch die Hilfe folgt eigenen, nicht immer feinen Gesetzen. Selbst Katastrophen haben viel mit Ökonomie und Politik zu tun. Hätte der Tsunami eine Region getroffen, die touristisch, wirtschaftlich und strategisch weniger interessant ist als Süd- und Südostasien, dann wäre das Engagement der USA und Europas wohl wesentlich geringer ausgefallen.“ (Handelsblatt, sentlich 7.1.05) „…längst konkurrieren die Spender um den politischen Einfl uss, der mit der Verteilung des Geldes einhergeht.“ (SZ, 7.1.05)
Derartige Interessen und unfeine Kalkulationen werden nach- und nebeneinander allen Beteiligten vorgerechnet. Am ausführlichsten den USA:
„Hilfsaktion poliert US-Image in Asien auf“ „Außerdem spielt Indonesien beim Kampf gegen den globalen Terror eine wichtige Rolle, und die USA würden das Land dafür gerne stärker einspannen. US-Außenminister Colin Powell nennt die Hilfsaktion daher auch ‚eine Investition in unsere nationale Sicherheit’“ (Handelsblatt, 5.1.05)
Frankreich, dessen Führung den Amerika-Kritikern die Stichworte liefert, kommt auch nicht besser weg:
„Das beständige Pochen in Paris auf die der Uno zukommende Führungsrolleverriet französische Befürchtungen über eine dominierende Rolle Amerikas bei der Hilfsaktion. Präsident Bushs Ankündigung einer multinationalen Hilfskoalition … provozierte offenbar ähnliche Abwehrreflexe auf französischer Seite wie die Irak-Krise.“ „ „Indem Frankreich die internationalen Gremien wie die Uno zusammen mit seinem eigenen Beitrag in den Vordergrund rückt, will es sich offenbar wieder einmal gegen die amerikanische ‚Hypermacht’ profilieren.“ (NZZ, 4.1.05)
Worum es der indischen Regierung geht, wenn sie angebotene Hilfe ablehnt und ihrerseits Hilfe für betroffene Nachbarn mobilisiert, wissen aufmerksamen Kenner der Szene ebenfalls :
„Auch beim Wiederaufbau geht es um Politik und Geld. Indien und Thailand lehnen fremde Hilfe ab – sie wollen sich nicht vom Westen abhängig machen und ihre Entwicklung selbst steuern.“ (Handelsblatt, 7.1.05) „Indien unterstreicht mit der Fluthilfe seinen Anspruch als Regionalmacht“ (Handelsblatt, 5.1.05)
Bei Japan ist schon gleich alles klar:
„Die japanischen Bemühungen fallen in eine Zeit, da die Regierung – ähnlich wie die deutsche – um eine größere Rolle in der Weltpolitik bemüht ist. … Die Flutkatastrophe bietet Koizumi nun wieder eine Gelegenheit, den Willen seines Landes zu größerer Verantwortung zum Ausdruck zu bringen“ (FAZ, 3.1.05)
Im Fall China weiß man ebenso Bescheid:
„Das Erdbeben markiert einen strategischen Wandel: … Zum ersten Mal hat China angesichts eines weltweiten Dramas wie jeder westliche Staat und nicht wie die anderen Entwicklungsländer reagiert. Peking verbirgt nicht seine weltweiten Ansprüche und lädt sich ganz unzweideutig selbst in das Konzert der Nationen ein. …die Rivalität mit den USA (hat) schon begonnen.“ (Figaro, zitiert in SZ, 8.1.05)
Nicht einmal Deutschland kommt ohne Aufdeckung seiner weltpolitischen Berechnungen davon, auch wenn deren „Entlarvung“, soweit von Seiten deutscher Kommentatoren vorgenommen, vergleichsweise wohlmeinend ausfällt:
„Hierzulande kann einen fast schon der Verdacht beschleichen, dass die Welle ausschließlich Urlauber an deutschen Stränden verschlungen hätte, oder dass über die Zukunft Südostasiens jetzt im Kanzleramt entschieden würde.“ (SZ, 7.1.05) „Deutschland wünscht funktionsfähige Vereinte Nationen. Auch Schröders Bemerkung, humanitäre Hilfe sei Teil eines ‚erweiterten Sicherheitsbegriffs’, richtete sich an Washington: Wer dem Terror das Wasser abgraben will, darf nicht nur aufs Militär setzen.“ (Kölner Stadt-Anzeiger, zitiert in FAZ, 7.1.05)
Kritisch begutachtet werden aber nicht nur die doppelbödigen Absichten der Regierenden; auch politökonomische Zusammenhänge kommen zur Sprache: – Schon das Ausmaß der Katastrophe selbst – so erfährt man – ist nicht bloß geotektonisch zu erklären:
„der Hinweis, dass es sich bei den von der jetzigen Katastrophe Getroffenen ganz überwiegend um arme Länder handelt, liefert auch eine Begründung für das Ausmaß des Schadens, doch alles andere als eine Entschuldigung. Denn die These, Arm stirbt eben früher und schneller, trifft schließlich nicht nur auf besonders spektakuläre Fälle, sondern auf das gesamte Problemspektrum der Dritten Welt zu.“ (Handelsblatt, 28.12.04) „Dabei ist das Muster derartiger Katastrophen stets ähnlich. Sie reißen vor allem diejenigen ins Verderben, die ohnehin schon Tag um Tag ums Überleben kämpfen müssen. Ja, es hat auch Touristen getroffen. Doch nichts in der Welt macht so verletzlich wie die Armut.“
Dabei geht es auch anders; bei den Kommunisten z.B.:
„Auch arme Länder können im Katastrophenschutz viel leisten, wenn sie den politischen Willen dazu aufbringen. Beispiel Kuba: Dort funktionierte die Evakuierung vor dem jüngsten Hurrikan mindestens ebenso gut wie in den USA.“ (SZ, 28.12.04)
Den Reichtum der Reichen trifft es dagegen erheblich weniger:
„Nach Einschätzung von Experten werden sich die Belastungen für die Rückversicherer in Grenzen halten. ‚Es trifft wirklich nur die Ärmsten der Armen, die nur selten versichert sind’, sagte ein Analyst.“ (SZ, 28.12.04) „Einig sind sich Volkswirte darüber, dass die wirtschaftlichen Folgen der Katastrophe geringer ausfallen werden als die der SARS-Krise im Jahr 2003. Denn die am stärksten betroffenen Regionen in Indien, Sri Lanka und Indonesien sind extrem arm und spielen volkswirtschaftlich kaum eine Rolle.“ (Handelsblatt, 4.1.05) –
Auch in der Tourismusbranche verteilen sich die Schäden höchst unterschiedlich auf Kapital und Knechtsarbeit vor Ort:
„Studien zeigen, dass der größte Teil der Reiseausgaben – in manchen Entwicklungsländern bis zu 90 Prozent – in den Händen der ausländischen Reiseunternehmen bleibt und/oder für Importe aufgewendet werden muss… Den Reibach machen in erster Linie ausländische Reiseveranstalter, Fluggesellschaften und Hotelketten. Die Brotsamen vom Tisch der Reichen teilen sich dann Hotelangestellte, Fischer, Kleinbauern, fliegende Händler und die Huren in den Bars und Bordellen von Phuket. So lebt tatsächlich jeder in seiner Welt vom Tourismus.“ (FR, 5.1.05)
Dass Europas Reise-Industrie – ganz im Gegensatz zu den Lohnarbeitern in ihren exotischen Dependancen – praktisch keine Einbußen erleidet, berichten alle Wirtschaftsredaktionen. – Auf der andern Seite erscheint höchst zweifelhaft, ob die Hilfe viel hilft. Denn erstens weiß der erfahrene Berichterstatter, dass nur ein Bruchteil überhaupt ankommt:
„Grosse Ernüchterung brachte … die … Bilanz über die laufenden Hilfsprogramme. … nur ein Beispiel: Nach dem Erdbeben, das die historische iranische Altstadt von Bam weitgehend zerstört hatte, wurde über eine Milliarde Dollar an Unterstützung versprochen; bis heute ist davon ein Betrag tatsächlich ausbezahlt worden, der nicht einmal 2 Prozent der Gesamtsumme erreicht.“ (NZZ, 12.1.05)
Zweitens weiß man von den zuständigen Politikern, dass sie ihre Großzügigkeit an der einen Stelle mit Kürzungen anderer Hilfs-Budgets „gegen zu finanzieren“ pflegen:
„Es ist zu befürchten, dass die Katastrophe den weltweiten Kampf gegen die Armut eher bremsen denn beschleunigen wird. … die Flut im Indischen Ozean ist ein doppeltes Desaster, weil sie nicht nur Millionen Asiaten in akute Not gestürzt hat, sondern weil dies andernorts zu gefährlichen Engpässen in der Hilfe führen wird, besonders in den Elendsgebieten südlich der Sahara. Der Beistand für die Flutopfer bindet Milliarden Dollar und viele Experten, die dort nun fehlen. “ (SZ, 4.1.05)
Überhaupt erscheinen die Maßstäbe in mancher Hinsicht ziemlich verschoben:
„Im Kongo haben jahrelang alle vier Monate so viele Menschen ihr Leben verloren wie bei dem Tsunami. In Bangladesch sind im Jahr 1991 140.000 Menschen durch eine Flut gestorben – wo war da das Kabinett? Die Vereinten Nationen haben empfohlen, 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts in Entwicklungshilfe zu stecken. Davon ist Deutschland mit derzeit 0,3 Prozent weit entfernt.“ (Nürnberger Zeitung, 7.1.05)
Zum Thema ‚ungleiche Verteilung’ gibt es auch noch Grundsätzlicheres anzumerken:
„Eines hat die Spendenbereitschaft der wohlhabenden Länder, die ja nicht ihr letztes Hemd geben, überdeutlich gezeigt: Wie obszön ungleich Wohlstand und Elend auf der Welt verteilt sind.“ (SZ, 8.1.05)
Und nicht nur die Verteilung, auch die Verwendung des Reichtums ist kritikabel:
„So kommt ein inakzeptabler Kontrast ans Tageslicht: Zwischen der hervorragenden Organisationsmaschinerie, die die reichen Länder in Gang setzen, wenn sie entscheiden, einen Krieg zu führen, und der Armut in der Art, mit der sie einer globalen Naturkatastrophe begegnen, die mehr als 150.000 Tote gefordert hat, darunter viele aus dem Westen.“ (La Repubblica, zitiert in SZ, 4.1.)
Nach Lage der kapitalistischen Dinge ist im Übrigen Vorsicht geboten, wenn Gläubigernationen großzügig werden: Schuldenerlass oder auch schon Zahlungsaufschub, wie ihn Mitglieder des ‚Pariser Clubs’ für die am schwersten getroffenen Länder planen, können mehr schaden als nützen. Zwar rückt schon einBlick auf die Kreditverbindlichkeiten dieser Staaten die Dimensionen zurecht:
„Zwei Milliarden Dollar sind, verglichen mit früheren Spendenaktionen, tatsächlich ein Sprung nach vorn. In Relation zu 131 Milliarden Dollar, mit denen beispielsweise Indonesien bei den Industrienationen verschuldet ist, wird jedoch deutlich, wie schnell die Hilfe durch Zinsen wieder zurückerstattet wird. Mit einer Senkung dieser Last könnten die G-7-Staaten … weit mehr leisten.“ (Thüringer Allgemeine, zitiert in FAZ, 7.1.05)
Jedoch: „Schuldenmoratorium stößt in Asien auf wenig Gegenliebe. Die von der Katastrophe betroffenen Länder fürchten eine Herabstufung ihrer Kreditwürdigkeit und ein Eingreifen des IWF“; Indien, Thailand und Malaysia wollen sich das nicht leisten und lehnen die Offerte daher ab, und auch der indonesische Außenminister kennt seine Gläubigerbanken:
„’Allen guten Vorsätzen zum Trotz haben wir Sorge, dass unser Kreditzinsniveau durch einen Aufschub gefährdet werden könnte’, sagte Wirajuda.“ (FAZ, 14.1.05) te’,
…. sind die Bedingung für die Hilfe
Die Profis der öffentlichen Meinung kennen sich aus – und im Großen und Ganzen haben sie recht: So ist sie tatsächlich beieinander, die politische Welt. Sobald den berufenen Staatenlenkern etwas hinreichend Wichtiges auf ihre Tagesordnung gerät, es kann sein was will, leben in den Hauptstädten der „1. Welt“ schlagartig sämtliche imperialistischen Berechnungen auf, die dort ohnehin andauernd angestellt werden. Von wegen, irgendein zuständiger Machthaber hätte, vom großen Notfall im Indischen Ozean beeindruckt, auch nur eine Sekunde lang „umgedacht“. Der Entschluss zur Nothilfe wird nach denselben Kriterien getroffen, die Hilfe selbst nach Maßgabe derselben ausgreifenden Interessen abgewickelt wie noch jede Exportvereinbarung, jede Entwicklungs- „Zusammenarbeit“, überhaupt jede der ansonsten üblichen zwischenstaatlichen Freundlichkeiten und Erpressungen. Es geht um Einflussnahme auf die Willensbildung der regierenden Instanzen, deren Länder von der Katastrophe betroffen sind und die sich insofern, geschwächt oder jedenfalls in Schwierigkeiten, besonders leicht beeinflussbar zeigen könnten. Zugleich wird damit auf der höheren, entscheidenden Ebene der imperialistischen Konkurrenz eine Initiative im permanenten Ringen mit den gleichermaßen engagierten „Partnern“ um Federführung bei der Formulierung und Praktizierung einer „gemeinsamen“ Politik, um einen gewichtigen Platz in der Oberliga der global aktiven Ordnungsmächte gestartet.
Genau darin besteht der entscheidende, nämlich der ganze politische Inhalt der Hilfe, die die dazu fähigen Staaten den Tsunami-Opfern leisten: Sie ist nicht mehr und nicht weniger als ein Instrument der Welt(rang)ordnungspolitik, um die es in der maßgeblichen Staatenwelt ohnehin ununterbrochen geht.
Sie mag kein besonders machtvoller Hebel sein – ein Investitionsschutzabkommen hat ohne Zweifel ein größeres Gewicht als eine hergeschenkte Wasseraufbereitungsanlage: Und eine echte Waffenbrüderschaft mit all ihren schönen politischen Konsequenzen wird nicht gleich daraus, wenn die Bundeswehr in einem von der großen Welle noch zusätzlich verwüsteten Bürgerkriegsgebiet ein Notlazarett aufstellt und auch nicht daraus, dass ein regulärer Flugzeugträger der USA mit seinen Kampfhubschraubern Trinkwasser und Nahrungsmittel ausliefert. Für das Austesten der Kooperationsbereitschaft auswärtiger Herrschaften jedoch, für erste oder neue Schritte hin zu politischen Allianzen, die man unterhält und pflegt, um in Streitfragen der substanzielleren Art, von der nächsten WTO-Runde bis zur Regelung von Staatsschulden und von der Machtverteilung in der Uno bis zur Formierung von Fronten im globalen ‚Anti-Terror-Krieg’ voranzukommen, dafür bietet eine Katastrophe so großen Ausmaßes und in einer so interessanten Weltgegend allemal eine, sogar ganz unverhofft eine ganz ausgezeichnete, Gelegenheit. Und sie taugt auch als ein Anlass dafür, das politische Kräfteverhältnis zu den konkurrierenden Global-Strategen weiterzuentwickeln, die einander sowieso ständig belauern.
Auch Lektionen hält das Großereignis bereit, von deren Wichtigkeit nicht nur irgendwelche schießwütigen Knallköpfe in Frankfurter Redaktionsstuben überzeugt sind. Dort bringt man die Sache nur unbeschönigt auf den Punkt: „Um zur größten internationalen Rettungsaktion der Geschichte einen nennenswerten logistischen Beitrag zu leisten, fehlen Europa, die Kraft, die Präsenz, das Material. Wirksame Hilfe leisten nicht die Netten, sondern die Starken, nicht Versorgungsschiffe, sondern Flugzeugträger. Der Startschuss zum Großeinsatz fiel nicht in Brüssel, sondern in Washington.
„Wenn die große Naturkatastrophe fast ohne Zutun der Europäer gemeistert werden kann, kann man auch auf anderen Gebieten auf sie verzichten. Das besorgniserregend zu fi nden ist kein deplazierter Chauvinismus.“ (FAZ, 6.1.05)
Der Militarismus , beim Blick auf die Welt in Flugzeugträgern zu denken ist in der Welt von heute jedenfalls nicht deplatziert. Das haben sicher auch die amtierenden Profi s in Berlin mitgekriegt, die andererseits auch ohne derart schweres Gerät in der Tsunami-Katastrophe die Chance sehen und wahrnehmen, in ihrem Mehrfrontenkampf um Einfl uss in Ostasien, um politische Bevormundung der EU, um Fortschritte in Richtung auf mehr weltpolitische Gleichrangigkeit mit den USA und um eine bedeutende Rolle in der Uno ein Stückchen weiterzukommen. Den Nerv ihres wunderbaren marktwirtschaftlichen Systems trifft die erregte Weltöffentlichkeit ebenso genau, wenn sie die ökonomischen Berechnungen wiedergibt, die sich mit dem Unglück, der Hilfe und dem fälligen Wiederaufbau der verwüsteten Gegenden verbinden.
Es ist wirklich so, dass „die Weltwirtschaft“ über die Katastrophe ebenso wie über das materielle Elend, das sie nach sich zieht, mit einem Achselzucken hinweggeht, weil „das Wachstum“ dadurch so gut wie gar nicht beeinträchtigt wird. Nicht einmal das Versicherungsgewerbe muss größere Zahlungen fürchten, weil in den betroffenen Elendsgegenden sowohl die versicherten Schäden als auch die „Versicherungsdichte“ überhaupt sehr gering sind; um so größer sind die Chancen fürs Neugeschäft mit potenteren Kunden, die der Tsunami „sensibilisiert“ hat. Auch die Tourismuskonzerne erleiden kaum Einbußen: Sie haben sowieso alle Natur-Attraktionen auf dem Globus in eine Konkurrenz um Angebote für ihr Geschäft mit den kompensatorischen Freizeitbedürfnissen halbwegs zahlungsfähiger Massen einbezogen und verdienen an den Umbuchungen, die sie anzubieten haben. Der Wiederaufbau wird das nächste Großgeschäft; auf die dafür spendierte Zahlungsfähigkeit freuen sich schon die Multis der Bau- und Ausstattungsbranche und so viel steht sowieso fest:
Das Programm „Wiederaufbau“ ist wörtlich zu nehmen – etwas anderes als die Wiederherstellung der Armut in den „abgelegenen“ Gegenden, der einträglichen Benutzungsverhältnisse in den Tourismusgebieten, alles ungefähr haargenau so, wie es vorher war, findet nicht statt. An den Zuständen hat es ja schon vorher keine wirksame Kritik gegeben, im Vergleich zum Elend nach der Katastrophe sehen sie erst recht ganz prima aus und gelten als das Non-plus-ultra für die Betroffenen. Etwas Besseres als das Privileg, für ganz wenig Lohn den Touristen ihren Dreck wegzuräumen, hat die freie Weltwirtschaft den Eingeborenen der „Traumstrände“ rund um den Indischen Ozean jedenfalls auch in Zukunft nicht anzubieten: So viel Ausbeutung soll aber schon wieder sein!
Wegen „Hilfe“ ist Kritik an der Politik untersagt
Bei der Unterrichtung des Publikums über den Umgang der Nationen, die sich fürs Weltgeschehen zuständig wissen, mit den Folgen der großen Welle im Indischen Ozean wird wirklich keine der Berechnungen, die die Profi s der Weltherrschaft und des Weltgeschäfts anstellen, verschwiegen. Trotzdem bleibt daneben unverwüstlich die frohe Botschaft in Kraft, der Welt ginge es hier doch mal wirklich, wenigstens auch, um ehrliches und vernünftiges Helfen. Der logische Kunstgriff, mit dem dieses betrachterische Kunststück bewältigt wird, funktioniert so: Um all die aufklärerischen Berichte setzen die kritischen Meinungsmacher gewissermaßen eine große Klammer; sie richten ihren Blick davon weg auf den positiven Effekt, der immerhin und trotz allem zustande kommt, und stellen sich und ihrem Publikum implizit oder sogar ausdrücklich die hochgradig absurde Frage, ob „man“ denn tatsächlich bloß wegen der namhaft gemachten gemeinen Berechnungen der Macher das Helfen hätte lassen sollen.
Mit der Frage ist die Antwort schon klar: natürlich nicht. Und mit dieser Antwort ist alles, was sie selber an Klarstellungen vorgebracht haben, in seiner Bedeutung relativiert und beiseite geschoben. Nichts ist zurückgenommen: Vieles, was im Zeichen der Hilfe mit der Katastrophe angestellt wird, ist nicht fein. Aber im Interesse dessen, dass überhaupt geholfen wird, muss „man“ das in Kauf nehmen; bei aller Kritik darf man nicht einfach gegen die Kalküle der Macher und Machthaber sein, wenn doch klar ist, dass ohne solche Kalküle gar keine Hilfe in Gang käme und mit ihnen doch immerhin ein ganz ansehnlicher Einsatz. Nun sind zwei Dinge in der Tat nicht zu bezweifeln. Erstens versteht es sich von selbst, dass man Menschen, denen durchaus zu helfen ist, nicht zugrunde gehen lässt; und jeder Euro oder Dollar, der in den Händen eines hilfsbedürftigen Singhalesen oder Indonesiers landet, ist dort auf alle Fälle besser aufgehoben als im Staatshaushalt einer imperialistischen Nation – auch wenn besorgte Haushaltspolitiker in Berlin und anderswo daran so ihre Zweifel haben und sich auch durch den Überschwang allgemeiner Hilfsbereitschaft nicht lange davon abhalten lassen, diese anzumelden. Weniger selbstverständlich ist das Zweite, aber auch das steht fest:
In der demokratisch-marktwirtschaftlich geordneten modernen Welt kann man wirklich nicht damit rechnen, dass Hilfe geleistet wird, einfach weil sie nötig und das Nötige vorhanden ist. Es sind tatsächlich lauter imperialistische Staatsinteressen und kapitalistische Vorteilsrechnungen, nach denen auch und sogar in einer denkbar dringenden Notlage darüber befunden und entschieden wird, ob und wie Hilfe stattfindet. Doch wieso soll diese üble Sachlage ein schlagender Grund dafür sein, sie zu akzeptieren und die Kritik daran hintan zu stellen? Wenn nicht einmal das Selbstverständliche sich von selbst versteht, sondern alles erst durch die Mühle der Einfluss-, Beherrschungs- und Konkurrenzinteressen gedreht wird, die auch sonst über die Verteilung von Glanz und Elend auf dem Globus entscheiden; wenn noch jeder Rettungseinsatz zur Machtfrage wird: Spricht das denn für die herrschenden Interessen, die alles zu einer Machtfrage machen? Ist das nicht vielleicht eher ein Argument gegen die Welt, in der solche „Zusammenhänge“ herrschen? Für die Weltöffentlichkeit, die sich mit ihrer geballten Sachkenntnis der Tsunami-Katastrophe annimmt begründet das keine Kritik, weder an der Konkurrenz noch an den Staaten, die alles darunter subsumieren. Kritik daran macht für sie einfach keinen Sinn.
Stattdessen sind konstruktive Bedenken geboten: kritische Einwände, die auf eine bessere, menschenfreundlichere Handhabung all der zynischen Vorteilsrechnungen kommerzieller wie weltpolitischer Art zielen, von denen alles abhängt. So sind alle Erläuterungen zum Weltenlauf gemeint, die dem Publikum geboten werden. Im härtesten Fall fassen sie sich deswegen in dem Zweifel zusammen, ob die ganze Angelegenheit bei den amtierenden Machthabern, über deren Berechnungen man so gut Bescheid weiß und so ungeschminkt Bericht erstattet, wohl in guten Händen sind. Skepsis ist erlaubt, ob inmitten aller Berechnung noch genügend echte Hilfsbereitschaft unterwegs ist und ob, wenn es mit der schon nicht weit her ist, trotzdem der Effekt stimmt.
Für den Befund, dass eine besonders große Not Politiker dazu bewegt, glatt auch noch mit ihrer Befehlsgewalt über die Nothilfe Politik zu machen, gilt auf alle Fälle die umgekehrte Lesart: An der Nothilfe zeigt sich die Unentbehrlichkeit politischer Befehlsgewalt; und damit verbietet sich jede Kritik daran. „Staaten handeln nie uneigennützig“, so die Kommentatorin der Tagesthemen vom NDR, „und das ist auch nicht verwerfl ich“, sondern dermaßen normal und das Normale dermaßen in Ordnung, dass man schon deswegen gar keine Lust mehr haben soll, auch nur nachzufragen, worauf dieser Eigennutz sich eigentlich richtet und was die maßgeblichen Staaten so alles anrichten, wenn sie „handeln“.
Im Zweifelsfall soll man es halten wie die Opfer, empfiehlt die Redaktion der Frankfurter Rundschau:
„Vor allem aber ein Argument entzieht der Kritik den Grund. Millionen Menschen, die dringend auf Hilfe und auf Zukunft warten, fragen nicht, ob das Trinkwasser aus ihrer neuen Aufbereitungsanlage mit persönlichen oder politisch-strategischen Hintergedanken fließt.“ (FR, 6.1.05)
Ein anständiger Bürger hat sich nicht dafür zu interessieren, was mit einer Welt los ist, in der sogar die Bereitstellung von Trinkwasser Gegenstand „politisch-strategischer“ Interessen ist. Stattdessen darf und soll er sich an rührenden Geschichten darüber erbauen, in wie große Not da manch einer geraten und wie wunderbar die Hilfe angekommen ist – im Einzelfall, beim ganz konkreten Menschen. Wer darüber nicht alles Nörgeln vergisst, der ist einfach kein guter Mensch!
Das „Helfen“ eint die Nation
Dezidiert unkritisch sollen alle zusammenhalten, die Völker und ihre politischen Häuptlinge, und ganz einig und einfach mal rundherum dafür sein. Und das derart agitierte Publikum, die demokratische Massenbasis der imperialistisch engagierten Staaten, macht mit. Zuerst ist es – teilweise wenigstens – nur erschrocken, entsetzt, hilfsbereit. Es vergisst kurzfristig sich ums Geldverdienen und die nationale Leitkultur zu kümmern. Doch innerhalb kürzester Zeit schlägt die spontane Reaktion in eine politmoralisch brauchbare Geisteshaltung um. Aus dem Impuls zu helfen wird eine gute Tat, die der anständige Zeitgenosse, den der normale Horror des globalisierten Kapitalismus nicht mehr irritiert, sich und seinem Gewissen schuldig ist und die ihm, auch ohne dass er es darauf abgesehen hat und ob er will oder nicht, eine sehr befriedigende Vergütung einbringt: Er befindet sich mittendrin in einer großen Gemeinschaftsveranstaltung zu der sich Politiker und kirchliche Würdenträger, Prominente und Wirtschaftsbosse zusammentun.
Für volle zwei Wochen wird Spenden zum aktuell gültigen Kriterium menschlichen Anstands, dem auch die übergroße Mehrheit genügen möchte, die noch nicht einmal über eine nennenswerte Steuerschuld verfügt, die sie mit der Spendenquittung mindern könnte Bei so viel von sich selbst überzeugter kollektiver Güte findet niemand etwas dabei, niemand fühlt sich mit seinem Mitleid zynisch funktionalisiert oder auch nur missverstanden, wenn der Kanzler sein Volk für seine Spendenbereitschaft lobt, sich bei seinen Deutschen bedankt und per Dementi auch noch ausdrücklich klarstellt wofür:
Selbstverständlich geht es kein bisschen um einen Wettlauf der Nationen; es ist nur einfach so, dass „wir“ Spenden-Weltmeister sind, stolz auf „uns“ sein können und der Rest der Welt sich eine dicke Scheibe von „unserer“ zivilen Weltverbesserungsgesinnung abschneiden sollte.
Das geschmeichelte Volk bleibt seinem Kanzler nichts schuldig: Es verzeiht ihm manches, womit er sich phasenweise unbeliebt gemacht hat. Wo Volk und Führung sich in tief empfundener Betroffenheit und in ihrem eindrucksvollen kollektiven Auftritt auf der moralischen Weltbühne gerade so einig sind, da fänden es selbst die Betroffenen, von den aktuell nicht Betroffenen ganz zu schweigen, absolut kleinlich, dem Veranstalter sein nationale Verelendungsagenda 2010 übel zu nehmen.
So lernt die betroffene Menschheit wieder mal Bescheidenheit, während ihre politischen Häupter so unverschämt wie immer den Nutzen ihrer imperialistischen Staatsmacht mehren.