„Deutsche im Kaufrausch“ …
… so die Überschrift eines Zeitungskommentars.
Muss man sich nun auf eine Konsum-Kritik gefasst machen, nach dem Motto: Die Leute sind immer nur hinter ihrem Vergnügen her? Nein, es ist positiv gemeint, hier handelt es sich um eine gute Nachricht! Während der letzten Monate musste sich die Zeitung nämlich Sorgen machen: Die Deutschen legten „Kaufzurückhaltung“ an den Tag. Das war bedenklich, denn deswegen – so der Kommentar – hinkte die „Binnenkonjunktur“ dem allgemeinen Aufschwung hinterher. Die Ausländer waren in Ordnung: Sie haben „unserer“ Exportindustrie ihre schönen Waren schon fast aus den Händen gerissen. Aber was ein anständiger Aufschwung ist, der braucht ein zweites Standbein: Auch die Inländer müssen „unserer“ Wirtschaft zum Aufschwung verhelfen und dürfen nicht die Taschen zuhalten.
Der Kommentar teilt uns nicht mit, warum hiesige Konsumenten sich so zurückgehalten haben, aber ein großes Geheimnis ist es nicht. Um den Teil der Kaufkraft, der auch gebraucht wird, um besagter Wirtschaft eine „Binnenkonjunktur“ zu bescheren, nämlich um das Geld, das die gewöhnlichen Menschen auf dem Konto haben, war es schlecht bestellt. Schließlich haben die, denen in „unserer“ Wirtschaft die Produktionsstätten gehören, alles getan, um die nationale Lohnsumme immer weiter nach unten zu drücken – sei es, indem sie den Beschäftigten Lohneinbußen verordneten, sei es, indem sie rationalisierten und Beschäftigte entließen, also deren Lohn ganz einsparten, sei es, indem sie in Zeiten flauer Geschäfte Kurzarbeit verordneten und damit den Beschäftigten einen Teil ihres Einkommens strichen. Im Übrigen hört man, dass so genannte „prekäre Beschäftigungsverhältnisse“ immer mehr zur Normalität werden und Deutschland den besten „Niedriglohnsektor“ in Europa vorzeigen kann. Kaufkraft hin oder her – Niedriglohn war und ist erst einmal gut und nicht schlecht. So kann „unsere“ Exportindustrie in Europa und in der ganzen Welt ausgesprochen preisgünstig auftreten und den Konkurrenten das Wasser abgraben. So machen die Unternehmen schöne Gewinne, die wiederum für ein „günstiges Investitionsklima“ sorgen: Damit die Gewinne noch schöner ausfallen, erweitern sie ihre Produktion, kaufen sich also untereinander mehr Rohstoffe, Bauteile und Produktionsmittel ab als vorher. Dafür nehmen sie Kredit auf bzw. kreditieren sich untereinander: Sie verschaffen sich und vergrößern ihre Kaufkraft also selber und gehen alle davon aus, dass sie ihre erweiterte Produktion schon werden absetzen können. Beim Erweitern kommen ihnen ihre guten Taten hinsichtlich der Lohnkosten zugute: Benötigte Arbeit ist billig zu kriegen. Die Stammbelegschaft wird wieder auf Normalarbeitszeit und Normallohn gesetzt. Es lohnt sich auch der Ankauf preisgünstiger zusätzlicher Arbeitskraft, die sich zuhauf auf dem Arbeitsmarkt aufhält. Und wenn für reibungsfreien Geschäftsgang wirklich nötig, kann man den Beschäftigten glatt ein bisschen was aufs Einkommen drauflegen. Der Aufschwung ist, wie nun erfreut festgestellt wird, „auf dem Arbeitsmarkt angekommen“ – die Unternehmen bedienen sich am „Niedriglohnsektor“, mehr Leute haben Niedriglohn oder auch noch die paar Euro, die den Normallohn davon unterscheiden, in der Tasche und jetzt geht’s los mit dem „Kaufrausch“.
Die vielen Leute, die wenig Lohn bezogen haben und damit rechnen mussten, auch den noch zu verlieren, erst recht die, die bislang keinen Lohn bezogen – diese Leute konnten gar nicht anders, als sich „beim Kauf zurückzuhalten“. Jetzt haben sie dank der Gewinnrechnung der Unternehmen, die mehr von dieser Billigarbeit nutzen wollen, mehr Geld, und was machen sie damit? Sie geben es selbstverständlich aus. Das Käuferverhalten – Zurückhaltung und Kaufrausch – ist der Sache nach ein einziges Zeugnis der Armut derer, die vom Lohnerwerb abhängig sind. Der Zeitungskommentator lauscht dem Material seiner Betrachtung aber Positives ab: Wenn die Leute sich mit ein bisschen mehr Lohn ein bisschen was leisten können, dann ist das gut, weil „unsere“ Wirtschaft mehr an sie absetzt. Niedrige Lohnkosten sind einerseits nur gut, für den wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen. Die paar Kröten aber, die den Arbeitern tatsächlich gezahlt werden, erfüllen andererseits nützliche Funktionen für ebendiesen Unternehmenserfolg.
Erstens kann und muss der Lohn, den die Unternehmen ausgeben, nur dort wieder landen, wo er ausgegeben wurde, also bei den Unternehmen – zwar bei unterschiedlichen, aber die Klasse kriegt ihren Lohnvorschuss zurück. Damit erfüllt er eine wichtige Aufgabe: Die Unternehmen werden ihre Waren los, der von ihnen ausgegebene Lohn hilft ihnen also dabei, den Gewinn einzustreichen, der in diesen Waren steckt.
Zweitens können sich die Leute, die in den Unternehmen arbeiten, das kaufen, was sie zum Leben brauchen. Das ist darum wichtig, weil sie sonst nicht wieder zur Arbeit gehen könnten. Das wiederum müssen sie beständig, weil sie das verdiente Geld für die Dinge des alltäglichen Bedarfs ausgeben müssen. Es heißt: Man arbeitet, um zu leben – am Lohn kann man sehen, dass das einigermaßen beschönigend formuliert ist. Wer von Lohnarbeit abhängt, kann nur leben, wenn und solange er eine hat; und er muss die Gestaltung seines Lebens danach ausrichten, dass er für die Notwendigkeiten des Arbeitslebens in Schuss bleibt und ihnen genügen kann. Ob und wie lange er Lohnarbeit hat, ist damit aber nicht gesichert, das hängt ausschließlich von der Geschäftskalkulation derer ab, die Arbeitskraft kaufen. Diejenigen, die keine Arbeit haben, weil sie kein Arbeitgeber für seine Geschäfte nutzen will, müssen hoffen, dass der Staat sie mit einem „Existenzminimum“, heutzutage bekannt als „Hartz IV“, am Leben erhält.
Drittens kommt so das zustande, was die Zeitung erfreut: das Wachstum, nun auch noch als „Binnenkonjunktur“. Überflüssig zu betonen, wo was wächst: nicht auf den Konten der Arbeitenden, sondern in den Bilanzen der Unternehmen.
Das ist viertens ein Rätsel: Wie ist es möglich, dass die einen arbeiten, ihr Geld ausgeben und immer wieder von vorn anfangen, mit dem Arbeiten eben, während die anderen, von denen das Geld stammt, es wieder einnehmen und immer reicher werden? Es wird wohl so sein, dass sich Arbeit für die lohnt, die sie einkaufen, nicht jedoch für die, die sie verkaufen. Denn die einen geben ihr Geld, das sie von den anderen für ihre Arbeit bekommen, für Konsumtionsmittel aus, die sie verbrauchen, womit auch deren Geldwert verschwindet. Die anderen zahlen ihr Geld als Vorschuss weg für Produktionsmittel und Arbeitskräfte. Die stellen mit den Produktionsmitteln Waren her, die den Unternehmen gehören und deren Verkauf ihnen mehr Geld einbringt als sie für die Produktion bezahlen mussten. Während hinsichtlich der Produktionsmittel die Gewinnkalkulation der sie anbietenden Klassenbrüder dem Einkaufspreis Untergrenzen setzt und die Konkurrenz mit kapitalistischen Produzenten des gleichen Endprodukts willkürliche Aufschläge auf diesen Einkaufpreis beim Verkauf im Normalfall verhindert, sieht die Sache bei der Arbeitskraft grundsätzlich anders aus. Deren Anbieter muss man nicht oder nur wenig mehr bezahlen, als das existenzielle Minimum – sie müssen ja arbeiten, um leben zu können – , man kann aber das gesamte Wertprodukt das sie in der ihnen abverlangten Arbeitszeit schaffen zum Marktpreis losschlagen. So machen Unternehmen aus Geld mehr Geld.
(Alles Nötige dazu steht im „Das Kapital“ von Karl Marx, Bd. 1, ab Kapitel 4.)