Innenminister Schäuble erläutert die Gefährdungslage
Durch eine „technische Panne“ beim Bombenbasteln entgeht Deutschland Anfang August „nur knapp einem barbarischen Terroranschlag auf unschuldige Menschen in zwei Regionalzügen“ (SZ, 4.8.06). Nach Kurzem präsentieren die Behörden „zwei libanesische Studenten“ als Tatverdächtige, die sie „trotz einer gewissen Un-durchsichtigkeit ihrer Motive“ (SZ, 1.9.) „dem weiteren Umkreis internationaler Sympathisanten des weltweiten Terrornetzes“ (SZ, 11.9.) zurechnen. Der Innenminister fordert „vehement und eindringlich der Gefährdung Deutschlands durch den internationalen Terrorismus“ (Die Zeit, 24.8.) durch die Überprü-fung alter und die Verabschiedung neuer Sicherheitsgesetze entgegen zu treten. Die Medien sekundieren im Namen eines „besseren Schutzes von Leib und Leben des Bürgers“ (SZ, 20.8.). Der lässt sich die Gleichsetzung von öffentlicher Sicherheit und seiner persönlichen Unversehrtheit angesichts des knapp gescheiterten Anschlags einleuchten wie sonst nie: Bombenterror gegen die deutsche Staatsmacht und ihre Politik macht deutsche Bürger zu möglichen Opfern; und so identifizieren sie denn die Verteidigung der öffentlichen Sicherheit durch Überwachung, Verfolgung und Ausschaltung mutmaßlicher Terroristen mit dem Schutz ihrer werten Person.
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Der Innenminister korrigiert die irrtümliche Gleichsetzung, auf die er sich eigentlich bequem verlassen könnte. Von seinem abwehrbereiten Volk verlangt er eine weitergehende Einsicht in die Anliegen der Nation: „Ich habe immer gesagt: Wir sind Teil eines weltweiten Bedrohungsraumes. Die Auseinandersetzung mit dem Terrorismus kennt keine In-sel der Seligen. Zum ersten Mal war jetzt ein Anschlag in Deutschland in der unmittelbaren Durchführungspha-se. Wir haben schlicht Glück gehabt, dass die Sprengsätze nicht funktionierten. So nah war die terroristische Be-drohung noch nie.“ (Schäuble, Die Zeit, 24.8.) Er zieht sich nicht darauf zurück, dass Deutschland unprovozierten terroristischen Angriffen ausgesetzt sei und die Regierung nun das Leben der Bürger mit allen Mitteln der Staatssicherheit beschützen müsse. Er erklärt sein Land nicht zum passiven Opfer, sondern zum Akteur in einer weltweiten „Auseinandersetzung“, die im Interesse ihres Ziels, der Ausrottung des islamistischen Terrorismus, territoriale Ausnahmen und Inseln nicht kennt. Deutschland, so Schäuble, ist da aus freien Stücken engagiert. Damit er verstanden wird, legt er nach und lehnt einen Standpunkt ausdrücklich ab, den ernsthaft zu vertreten sowieso keine politische Kraft im Land unpatriotisch genug ist: „An den Maßstäben der internationalen Terrorbekämpfung muss bedingungslos festgehalten werden. Wir können nicht die Haltung vertreten: Wenn wir uns nicht einmischen, passiert uns auch nichts. Dafür sind wir nicht unbedeutend genug“ (Schäuble). Er bemüht nicht einmal die Lüge, Wegducken nütze nichts. Nein, dass Deutschland sich kleinmacht, um nicht in den Zielkatalog der Dschihadisten zu geraten, kommt einfach nicht in Frage. Dieses Land ist bedeutend, wenn es um die Herstellung und Sicherung der Ordnung in der Staatenwelt und um die Unterdrückung ihrer Feinde geht. Dass Bürger im Krieg gegen die frommen Feinde des Westens Opfer von Anschlägen werden können, spricht für verschärften Kampf, aber nicht für vorbeugende Zurückhaltung. Darauf haben sich die Deutschen einzustellen: „Schlicht Glück gehabt“ diesmal!
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Das Privileg, einer Nation anzugehören, die ihren terroristischen Feinden weltweit gegenüber tritt, hat einen doppelten Preis. Die Bedrohung durch terroristische Anschläge auf das zivile Leben ist der eine, das Sicherheitsbedürfnis der staatlichen Gewalt und seine Konsequenzen der andere. Denn die Schutzpflicht des Staates gegenüber seinen Bürgern verwirklicht sich in einer möglichst totalen Kontrolle ihres Alltags. Die Verfolgung der Feinde aus dem Morgenland wartet nicht auf deren Taten, sondern wird präventiv tätig und stellt zur Gefahrenabwehr erst einmal das ganze Volk unter den Verdacht potenzieller Tä-terschaft – und sortiert dann. Mit der zentralen Anti-Terrordatei, dem Ausbau der Internetkontrolle, flächenüber-grei-fen-der Videoüber-wachung und Verkehrskontrolle und der Beseitigung noch bestehender rechtlicher Schranken bei Wohnraum-überwachung und Rasterfahndung rüstet sich der Staat, um den Kampf gegen Unbekannt zu entscheiden, ehe der Feind sich rührt. Die Bürger haben die permanente Kontrolle und Überwa-chung hinzunehmen und darauf zu hoffen, dass es schon die Richtigen treffen werde und nicht versehentlich sie selbst zu denen gezählt werden, die die Verfolgungsbehörden auf Basis irgendwelcher zusammen-addierter Raster als Staatsfeinde identifizieren und entsprechend behandeln.
Es war eben schon immer etwas teurer, Mitglied in einer „nicht unbedeutenden Nation“ zu sein. (aus: GegenStandpunkt 4-06)