Kita- und Sozialpädagogen-Streik

„Wir sind mehr wert!“
Die modernen Sozial- und Erziehungsdienste – dem Staat zwar lieb, aber zu teuer

Da sind Deutschlands Erzieherinnen und Sozialarbeiter mitsamt ihrer Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und Verdi nach mehrwöchigem Kita-Streik plus Schlichtungsverfahren hinsichtlich ihrer Gehaltsziele grandios gescheitert:

[Verdi-Chef] Bsirske kommentierte das Schlichtungsergebnis so: Er empfehle den Mitgliedern eine ‚ruhige, nüchterne Abwägung‘ zwischen dem vorliegenden Ergebnis und dem, was wünschenswert sei… Indem die Gewerkschaften höhere Entgeltgruppen für die 240 000 Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst der Kommunen forderten, strebten sie im Schnitt Einkommensverbesserungen von zehn Prozent an. Zwar soll es nach Verdi-Angaben nun auch Beschäftigte geben, deren Einkommen nach dem Schlichterspruch sogar um 10,6 Prozent steigen könnten – über alle Berufsgruppen hinweg sah der Spruch jedoch nur ein Plus von 3,2 bis 3,4 Prozent vor; je nach Rechenmethode. Normalerweise streben Gewerkschaften in Tarifrunden an, gut 50 Prozent ihrer Forderung durchzusetzen. In diesem Fall schaffte Verdi etwas mehr als 30 Prozent. Für viele Erzieher war das kaum zu akzeptieren. Dafür haben sie wochenlang gestreikt, auf Einkommen verzichtet und sich mit Eltern angelegt? Von Sozialarbeitern und Sozialpädagogen ganz zu schweigen, die den kleineren Teil der Streikfront bildeten und im Schlichterspruch daher noch weniger bedient wurden als die Kollegen aus den Kitas.“ (SZ, 25.6.2015)

Das ist bitter für die Erzieherinnen, Kinderpflegerinnen, Sozialarbeiter etc., die mit „wachsenden Anforderungen“ bei gleichzeitigem „Personalmangel“, „Zeitdruck“ und einer dementsprechend „gereizten Stimmung“ am Arbeitsplatz zu kämpfen haben und das mickrige Gehalt, das sie dafür erhalten, in der Regel auch noch mit einem Zweitjob „abends zum Beispiel beim Modeunternehmen Orsay“ aufbessern müssen, um finanziell über die Runden zu kommen. (SZ, 6.5.)

Ein Kampf der Gewerkschaft um mehr Einkommensgerechtigkeit

Darauf, dass die schlechte materielle Lage in dieser Gesellschaft als Argument für Forderungen irgendetwas zählt, haben sich Verdi und GEW erst gar nicht verlassen. Sie argumentieren von vornherein mit einem allseits anerkannten Gesichtspunkt, der ihrer Meinung nach zu Forderungen nach einer materiellen Besserstellung berechtigt: der Bedeutung der Dienste ihrer Klientel für die Allgemeinheit. Heutige Erzieherinnen kümmern sich schließlich um die Integration behinderter Kinder, um die sprachliche Förderung von Migrantenkindern und die Weiterentwicklung der Kita zur frühkindlichen Bildungseinrichtung, die sogar schon „wichtige Voraussetzungen“ fürs „spätere Berufsleben“ schaffen soll – so dass ihr modernes berufliches Anforderungsprofil inzwischen „dem von Grundschullehrerinnen“ (SZ, 29.4.) gleichkommt. Sollte diese anspruchsvolle „Arbeit mit Menschen“ nicht endlich auch die materielle Würdigung erhalten, die sie verdient? Und überhaupt: Schnitten sich die politischen Dienstherren und -frauen, die den Eltern ein „Recht auf einen Kita-Platz“ einräumen und Deutschland in der „Pisa“-Rangliste der Nationen vorne mit dabei sehen wollen, nicht ins eigene Fleisch, wenn es für den Nachwuchsmangel im Sozial- und Erziehungsdienst vor allem einen Grund gibt – die zu niedrige Bezahlung? Mit Verweis auf die gemeinwohldienlichen Leistungen fordern die Gewerkschaften also, dass ihrer Sozialdienste verrichtenden Klientel endlich die gebührende Wertschätzung und eine dementsprechend bessere Bezahlung zuteil wird, und formulieren ihre Gehaltsforderungen entsprechend stark:

„Sozial- und Erziehungsdienste leisten unschätzbare Arbeit für die gesamte Gesellschaft, und diese Qualität muss ihren Preis haben. Was ist uns die Arbeit der Erzieher/innen unserer Kinder also wert?“ („Soziale Berufe aufwerten“, verdi.de) – oder kurz: „Wir sind mehr wert!“ (Demo-Parole)

In der Frage, wie viel mehr wert die von ihnen Vertretenen denn sind, bewegen sich die Gewerkschaften ganz im Rahmen des Möglichen und Gerechten: Sie berufen sich auf die vorhandene Lohn-Leistungs-Hierarchie in Form der Gehaltstabellen der kommunalen Arbeitgeber, in denen bestimmten Dienstgruppen bestimmte Gehaltsstufen zugeordnet sind. Gemäß denen, so Verdi, sind die Sozial- und Erziehungsangestellten eindeutig unterbewertet. Um diese Gerechtigkeitslücke zu schließen, soll es diesmal nicht um bloße Lohnprozente gehen, sondern darum, „welche Tätigkeit künftig in welche Entgeltgruppe eingeordnet und bezahlt wird“; so dass z.B. eine Erzieherin „von der Entgeltgruppe 6 in die Entgeltgruppe 10 gehievt“ werden soll, was im Monat „einen Unterschied von mehreren Hundert Euro“ ausmacht. (SZ, 9.4.)

Ein zwar anspruchsvoller, aber eben auch hochanständiger, weil mit den höheren Dienstgraden entsprechenden Leistungen ihrer Klientel begründeter gewerkschaftlicher Kampf also: mehr Einkommensgerechtigkeit durch die Eingruppierung in höhere Gehaltsklassen.

Dieses Anliegen trifft dann auch noch auf ein perfektes ‚gesellschaftliches Klima‘. Ausnahmsweise einmal gibt es nämlich in unserer Gesellschaft allenthalben

viel allgemeines Wohlwollen für das Streikanliegen

Erstens bei den Eltern, deren „Alltag zwischen Familien- und Arbeitsleben so streng durchgetaktet ist, dass oft zehn Minuten über den Unterschied zwischen Belastung und Stress entscheiden“, und die deshalb daran interessiert sind, „dass jemand anderes ihre Kinder betreut“. Als Einkommensabhängige müssen sie mehrheitlich mit der mit einem Kind wachsenden Not fertig werden, wobei die Anforderungen an sie als Arbeitskräfte – was die Arbeitszeit wie auch was das Arbeitsentgelt angeht – an den Unternehmeransprüchen und nicht an ihrem Bedarf als Eltern Maß nehmen. Sie schätzen deswegen die Krippendienste durch Kindergärtnerinnen, die sich „für relativ wenig Lohn“ darum kümmern, „dass es den geliebten Kindern nicht nur gut geht, sondern dass sie sich auch noch pädagogisch wertvoll angeleitet weiterentwickeln.“ (SZ, 5.5.) Nur so sind Arbeitszeit und Kinderbetreuung überhaupt zu vereinbaren.

Auch die Medien entdecken ausnahmsweise einmal keinen „unverhältnismäßigen“ „Trend zum Service-Streik“, sondern dass „Erzieherinnen und Erzieher zurecht mehr Geld und bessere Arbeitsbedingungen fordern“, sowie ganz allgemein eine gesellschaftliche Aufwertung verdient hätten und dass „der Staat sich die Ausbildung etwas kosten lassen muss“. (SZ, 6.6.)

Und schließlich stärkt sogar die fürs Allgemeinwohl zuständige Politik – zumindest ihr weiblicher sozialdemokratischer Teil –, die normalerweise schnell „Handlungsbedarf“ entdeckt, wenn in Deutschland durch Gewerkschaften etwas „stillgelegt“ wird, wo „man nicht so einfach ausweichen kann“, diesmal den Erzieherinnen und Sozialarbeitern den Rücken:

„‚Wir vertrauen ihnen unsere Kinder an; sie betreuen und bilden unsere Kinder von klein auf und tragen eine große Verantwortung‘, so Familienministerin Schwesig. ‚Deshalb müssen sie für ihre Leistungen auch entsprechend bezahlt werden‘.“ (Focus, 8.5.)

Die warmen Worte aus dem Munde der Familienministerin haben sich die Erzieherinnen und Sozialarbeiter des öffentlichen Dienstes verdient; die schreibt ihnen diese Dienste ja vor, damit den Eltern vor lauter kostengünstiger Flexibilität fürs deutsche Unternehmertum die Lust am Kinderkriegen nicht ganz vergeht. Diesem Anspruch der Nation auf nachhaltiges Wachstum von Kapital und Volk ist schon mit dem bloßen Beaufsichtigen des Nachwuchses während der immer längeren und unkalkulierbareren Arbeitszeiten unserer modern times bestens gedient. Und wenn die Zeit in der Kita dann auch noch sinnvoll genutzt wird – umso schöner. Schließlich übt man für die späteren ‚Herausforderungen‘ der Konkurrenzgesellschaft nie früh genug – darin sind sich alle einig: Politiker, Eltern, Öffentlichkeit und Erzieherinnen.

Eine von der Gewerkschaft sachlich und moralisch einwandfrei begründete Lohnforderung, jede Menge Rückhalt in Gesellschaft und Politik – also alles in allem ausnahmsweise einmal beste Bedingungen für ein ordentliches Gehaltsplus für Deutschlands Erzieherinnen und Sozialarbeiter!

Der Staat in seiner Rolle als kommunaler Arbeitgeber und Dienstherr sieht die Sache allerdings ganz anders und führt praktisch vor, dass sich für ihn Verantwortung der Sozialbeschäftigten, anerkennenswerter Dienst am Allgemeinwohl und leistungsgerechte Bezahlung dafür ganz anders buchstabieren.

Die staatliche Erledigung der Gewerkschaftsforderungen

Als erstes stellen die staatlichen Verhandlungsführer kategorisch fest:

„Es gibt keine Spielräume für überproportionale Kostensteigerungen!“

So schlicht und brutal bügelt die Obrigkeit die materiellen Forderungen ihrer Dienstkräfte ab. Vor allen Gerechtigkeits- und Leistungsfragen und vor allem Geldbedarf dieser Staatsdiener stehen erst einmal die hoheitlichen Haushaltsrechnungen. Und mit denen steht fest: Soziale Leistungen sind staatliche Haushaltskosten und als solche ‚untragbar‘, wenn die Staatsagenturen es so beschließen. Es gibt eben nur die ‚Spielräume‘, die sie mit ihren Haushaltskalkulationen festlegen – die bestimmen dann auch, was ‚proportional‘ ist. Wenn die Beschäftigten trotzdem auf mehr Geld bestehen, steigern sie nur den „Rationalisierungsdruck in den Kitas“, den die öffentlichen Arbeitgeber mit ihren erklärten ‚Haushaltsnöten‘ dann selbstverständlich ausüben; den Handlungsspielraum haben sie als staatlicher Dienstherr ja.

Und wenn die Erzieherinnen und Sozialarbeiter trotzdem streiken, beeindruckt das die Dienstherren wenig. Sie demonstrieren, dass hinter ihrer Weigerung die Macht der öffentlichen Gewalt steht, die sich durch die Arbeitsniederlegung nicht ‚erpressen‘ lässt. Bei ihnen leidet keine Gewinnrechnung, und dafür, dass den Schaden andere tragen, sorgen sie selber. Sie lassen die kommunalen Dienste eben für die Dauer des mehrwöchigen Kita-Streiks einfach ausfallen, so dass der Streik ganz zu Lasten der Eltern geht, die auf die Kita angewiesen sind, aber „trotz Ausfalls der Betreuung oftmals weiter die volle Kita-Gebühr bezahlen“ müssen. (Spiegel 34/2015) Das zeitigt dann Wirkung – ganz im Sinne der Arbeitgeber:

„‚Bei einer Woche Streik hat man Verständnis und Sympathie. Bei zwei Wochen knirscht man mit den Zähnen. Ab drei Wochen kann man als Eltern das wilde Streiktreiben nur noch ohnmächtig mit anschauen‘… Sie seien es, die unbezahlten Urlaub nehmen müssten. Niemand habe etwas dagegen, wenn die Erzieher für mehr Geld und Anerkennung streikten, erklären die Eltern. Die Streikparteien müssten sich aber ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sein.“ (SZ, 23.5.)

Eine schöne Zwickmühle, in welche die kommunalen Arbeitgeber durch Sturheit und Aussitzen das Anliegen ihrer Erzieherinnen und Sozialarbeiter geraten lassen: Die Politik spielt die Notlage der Eltern gegen die Einkommensforderungen ihrer sozialen Dienstkräfte aus und stellt öffentlich klar, dass deren wertvoller Dienst vor allem anderen in der Verantwortung besteht, ihn gefälligst auch auszuüben, also ihren Streit „nicht weiter auf dem Rücken der Eltern und Kinder“ (Weinberger, CDU/CSU-Fraktion im Bundestag) auszutragen. Und je unerbittlicher die staatlichen Agenturen Zugeständnisse verweigern, umso mehr schlägt das anfängliche allgemeine Verständnis um in Verständnislosigkeit gegenüber dem Streik und in den Vorwurf mangelnder Verantwortung gegenüber den berechtigten Ansprüchen der Eltern auf die Betreuung ihrer Kinder, richten sich die öffentlichen Forderungen, sich endlich zu einigen, also mehr und mehr gegen die Streikenden, die den Eltern Dienste schulden, diese aber schuldig bleiben: Wenn in den kommunalen Kassen nun mal ‚keine Spielräume‘ sind, führen dann die Gewerkschaften hier nicht irgendwann bloß einen selbstbezogenen Kampf zu Lasten der Allgemeinheit? So verliert die Gewerkschaft mit der Dauer des Arbeitskampfs den moralischen Rückhalt der Öffentlichkeit und damit eine für sie wichtige Legitimation ihres Kampfes.

‚Leistungsgerechtes Einkommen‘ – eine negative staatliche Definitionssache

Auch das Argument fehlender Einkommensgerechtigkeit schlägt die Politik der Gewerkschaft aus der Hand und wendet die ins Feld geführten Berechtigungstitel für eine bessere Einkommenseinstufung gegen die Streikenden: Deren Forderungen nach einer Besserstellung in der Gehaltshierarchie sind nicht nur nicht ‚finanzierbar‘, sondern nach den geltenden Maßstäben der Einkommensgerechtigkeit auch ungebührlich. In ihrer Funktion als öffentlicher Arbeitgeber trennen die zuständigen Politiker säuberlich zwischen der wohlfeilen moralischen Anerkennung der allgemeinwohldienlichen Leistungen der Sozialdiener und der einkommenswirksamen Beurteilung der sozialen Dienste, die sie verrichten lassen. Die öffentlichen Dienstherren beherrschen nämlich ihrerseits die Kunst des Vergleichs und das keineswegs bloß im moralischen Sinn, sondern nach den Kriterien, welche für die Einordnung in die Einkommensstufen im öffentlichen Dienst einschlägig sind. Schließlich sind es die Staatsagenturen selbst, die diese Kriterien festlegen. Und gemäß denen sind die Kinderkrippenkräfte nach dem Dafürhalten der kommunalen Verhandlungsführer längst besser gestellt, als es ihnen eigentlich zusteht:

„Der Sozial- und Erziehungsdienst nimmt im Gehaltsgefüge des öffentlichen Dienstes bereits eine herausgehobene Stellung ein. Erzieher/innen erhalten nach dem TVöD höhere Gehälter als andere Berufsgruppen mit vergleichbarer Ausbildung.“ (Verband kommunaler Arbeitgeber – VKA, 24.2.)

Die Anforderungen, Belastungen und Geldsorgen seiner Bediensteten mögen noch so gestiegen sein; vom Standpunkt der staatlich definierten Zugangsberechtigung zu den verschiedenen Stufen der Berufs- und Gehaltshierarchie aus betrachtet, erweist sich das Erzieherinnen-Gehalt im Öffentlichen Dienst nicht als unterbezahlt, sondern ganz im Gegenteil als ein Privileg.

In den schließlich von der Gewerkschaft wieder aufgenommenen Verhandlungen präsentieren die staatlichen Verhandlungsführer dann auch ein Angebot, das nicht nur den ‚leeren Kassen‘ gerecht wird, sondern auf eine in diesem Sinne ausreichend differenzierende Lohngerechtigkeit für die einschlägigen Sozialbeschäftigten abzielt:

„SPIEGEL ONLINE: Sie haben Verbesserungen für einzelne Erziehergruppen angeboten, Ver.di erwartet aber ein Angebot für alle.

MÄGDE (Lüneburger OB): Ja, aber wir sind doch in einer Leistungsgesellschaft: Dort, wo die Anforderungen gestiegen sind, etwa für Erzieherinnen, die eine Fachweiterbildung haben und Sprachförderung, musische Erziehung oder Arbeit mit behinderten und benachteiligten Kindern abdecken, haben wir bis zu 443 Euro mehr geboten. Das ist eine Menge Geld und alles, was für uns finanziell machbar ist.“ (27.5.)

Wo solche staatlich definierten gestiegenen Anforderungen nicht vorliegen, bei der überwiegenden Mehrheit der Beschäftigten nämlich, ist dann selbstverständlich kein Geld mehr da. Das Schlichtungsverfahren kommt schließlich ganz in diesem Sinne zu dem Ergebnis, dass Erzieherinnen „mit Grundtätigkeit“, „z.B. also ohne Leitungsfunktion“ nur 3,3 Prozent mehr wert sind – macht zwischen 33 und 160 mehr Euro –, während die „Eingruppierung der Leiterinnen von Kitas für ‚Kinder und Jugendliche mit wesentlichen Erziehungsschwierigkeiten‘ deutlich angehoben“ werden soll. (SZ, 24.6.) Den Leiterinnen obliegt schließlich die verantwortliche Aufgabe der gerechten Verteilung der nicht zu knappen Arbeit moderner Kitas auf das eher knappe Personal.

So führt der öffentliche Arbeitgeber vor, wie das Prinzip der Gerechtigkeit in unserer ‚Leistungsgesellschaft‘ funktioniert, das die Gewerkschaft für die von ihr Vertretenen bemüht. Er definiert einen Katalog von Leistungskriterien, dessen vollständige Erfüllung allenfalls zu einer besseren Einkommensstufe berechtigt, und definiert im Verhältnis dazu alles, was die große Mehrheit in den Kindertagesstätten an stetig gestiegenen Anforderungen bewältigt, als bloße ‚Grundleistung‘, der alle Leistungsmerkmale höherer Art abgehen und die deshalb einkommensmäßig zurecht in die Unteretagen der Hierarchie gehört. Wo so viele nach diesen Maßstäben viel weniger leisten als die wenigen, die vor allem die Verantwortung tragen, da ist ihre Schlechterstellung auch nur gerecht. Ein schlagendes Beispiel für die lohnsenkende Qualität des Leistungsprinzips, für dessen Gültigkeit in diesem Fall die Macht der öffentlichen Hand sorgt, die über Zugangsberechtigungen und Leistungsanforderungen entscheidet und denen ‚entsprechende‘ Einkommensstufen zuordnet.

Dem Kita-Personal wird also klargemacht, dass es genau so, mit seinen anstrengenden, aber niedrig bezahlten Diensten in die staatlichen Rechnungen passt. Das passt zum Inhalt ihres staatlichen Dienstes; schließlich ist der dazu da, Eltern die Doppelrolle als Billigarbeitskräfte und Nachwuchsproduzenten zu ermöglichen. So bringt der Staat, wenn er sich Kosten spart, an seinen dafür Beschäftigten gar keine anderen Kriterien zur Geltung als die, denen er sich mit seinen Diensten verpflichtet weiß. So sind seine Dienstkräfte ebenso nützlich für das Allgemeinwohl im Kapitalstandort Deutschland wie die, die der Staat mit diesen Diensten dabei unterstützt, privat mit ihrer Doppelrolle fertig zu werden.

Die Zukunftsperspektiven

Ganz unplanmäßig lehnt die Basis den Schlichterspruch ab, weil „eine echte Aufwertung nicht stattgefunden habe“, und beauftragt ihre gewerkschaftlichen Vertreter, um einen besseren Abschluss zu ringen. Derweil blickt die Politik schon in die Zukunft:

„Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) will mehr Einrichtungen, in denen Eltern im Schichtdienst ihre Kleinen auch mal über Nacht lassen können… Die Frage ist längst nicht mehr, ob 24-Stunden-Kitas pädagogisch wertvoll sind oder nicht. Sie sind schlicht notwendig. Der Arbeitsmarkt verlangt heute maximale Mobilität und Einsatzbereitschaft. In der Nacht genauso wie an Wochenenden. Und das oft zu viel zu niedrigen Löhnen. Viele Familien brauchen das zweite Einkommen, um halbwegs über die Runden zu kommen… Dem gegenüber stehen Kitas, die in aller Regel nur von acht bis 16 Uhr geöffnet haben, und die Eltern mit regelmäßigen Schließzeiten malträtieren. Als wenn es nicht auch Eltern gäbe, die an Weihnachten oder Ostern arbeiten müssten. Kinder sind in dieser Welt eher ein Störfaktor.“ (SZ.de, 4.7.)

Da kommt das schäbige Prinzip, das Eltern und die Betreuer ihres Nachwuchses verbindet, noch einmal unverblümt zur Sprache: Das Berufsleben macht seine systemgemäßen Fortschritte in Richtung totaler Verfügbarkeit und gleichzeitig absoluter Billigkeit der arbeitenden Massen. Die Lebens- und Familiennotwendigkeiten fallen dem zum Opfer. Das ist in den Augen der zuständigen Politikerin ein selbstverständlicher Sachzwang – genauso wie die Folgerung, die sie daraus zieht: Kinder müssen rund um die Uhr in den Kitas unterzubringen sein. Arbeiten müssen, wenn es verlangt ist – und dann die Kinder nicht entsprechend loswerden zu können, das ist ein Anschlag der Kitas auf die Eltern, den verantwortliche Politiker nicht dulden können. Und je umfassender die Kita-Betreuungsdienste künftig ausfallen, umso selbstverständlicher ist es für den Staat als Arbeitgeber, in der Einkommensfrage bei seinen einschlägigen Bediensteten hart zu bleiben, um die Kosten in Grenzen zu halten. Also kommen absehbar ganz neue Anforderungen auf das Betreuungspersonal zu – ungefähr dieselben, mit denen die arbeitenden Eltern fertigwerden müssen, damit sie als Deutschlands Arbeitskräfte flexibel und billig einsetzbar sind.

Dafür, dass dieser Zukunftsperspektive durch die fortdauernde Tarifauseinandersetzung keine Steine in den Weg gelegt werden, ist vorgesorgt. Denn eins steht fest, bevor sie wieder in Gang kommt: Das anfängliche wohlfeile Verständnis finden die unzufriedenen Sozialkräfte für ihre Forderungen bei der Fortsetzung ihres Arbeitskampfs schon gleich nicht mehr. Die staatlichen Verhandler haben ihre entschiedene Ablehnung einer substantiellen Nachbesserung hinreichend klargestellt. Den staatlicherseits aufgemachten Sachzwang ergänzen die Eltern um ihre dazu passende moralische Lesart, dass sie, weil sie die Betreuungsdienste brauchen, auch ein Anrecht darauf haben, endlich von einem Streik verschont zu werden, der zu ihren Lasten geht und am Ende womöglich nur die Kosten der Kinderunterbringung für sie verteuert. Die Öffentlichkeit prognostiziert ohnehin jetzt schon zynisch, dass die Streikenden der versammelten politischen und moralischen Gegenmacht – der materiellen Weigerung der Kommunen, dem moralischen „Druck durch die Eltern“ und den eigenen „Gewissensbissen“ der um bessere Bezahlung Streitenden „gegenüber den Kindern“ – nicht standhalten werden. Und die Gewerkschaft gibt mit dem Versprechen, keinesfalls mehr zu „Dauerstreiks“ greifen zu wollen, sondern zu „unkonventionellen Aktionen“, auf die die „Eltern sich einstellen“ können, vorauseilend ihre Absicht zu Protokoll, ein Nachhutgefecht führen zu wollen, das alle Schäden vermeidet, von dem die Betroffenen also nichts merken.

Für die Öffentlichkeit steht mit dem absehbaren Ergebnis jetzt schon fest, wer schuld ist: Der Gewerkschaftschef, der „viel zu hohe Erwartungen geschürt hat“. Das macht es den „frustrierten“ Kita-Angestellten am Ende womöglich schwer, ihrer wertvollen Aufgabe nachzukommen, „den Kindern Zuwendung zu schenken“ (alles SZ, 11.8.) – demnächst gefälligst rund um die Uhr!

P.S.: Die Forderung der angestellten Lehrer nach Gleichstellung – abserviert wie gehabt

Der öffentliche Arbeitgeber kommt auch der Forderung der gemeinsam mit den Kita-Beschäftigten streikenden angestellten Lehrer nach wenigstens finanzieller Gleichstellung mit den verbeamteten Lehrern nicht nach. Zwar verrichten die haargenau denselben Dienst, besitzen zumeist dieselbe staatlich anerkannte Qualifikation, erfüllen also alle Kriterien gleicher ‚Leistung‘ – aber das sichert ihnen keineswegs auch gleiche Bezahlung. Da unterscheidet der öffentliche Dienstherr nämlich nach eigenen Kriterien. Seinen Verbeamteten gewährt er den Status von Staatsdienern, die in seinem Auftrag hoheitliche Funktionen ausüben, an deren unbedingter staatstreuer Erledigung der öffentliche Gewalt gelegen ist. Daher bindet er sie verlässlich an sich, indem er sie alimentiert, sichert ihnen als Dienstherr also eine lebenslange Beschäftigung und Bezahlung, nimmt sie damit aus der Konkurrenz um Leistung und Einkommen aus, um sich ihrer Loyalität gegenüber ihrem hohen Auftrag zu versichern, verpflichtet sie deshalb aber auch zu lebenslanger Diensterfüllung nach seinen Vorgaben. Daneben und inzwischen vermehrt beschäftigt er für die gleiche Tätigkeit angestellte Lehrkräfte nicht in seiner Rolle als hoheitlicher Dienstherr, sondern als haushaltsbewusster öffentlicher Arbeitgeber, der sich an Gesichtspunkten der Kosten, seines wechselnden Bedarfs und der verfügbaren Masse an Beschäftigung Suchenden im Bereich Bildung orientiert. Denen verleiht er den Status von qualifizierten, aber eben Arbeitskräften im öffentlichen Dienst mit einem ‚leistungsbezogenen‘ Einkommen, mit entsprechenden Arbeitspflichten aber auch entsprechenden Arbeitnehmerrechten bis hin zur gewerkschaftlichen Vertretung und zum Streikrecht. Dessen erfolgreiche Wahrnehmung bricht sich allerdings von vornherein an den nicht streikberechtigten verbeamteten Kollegen. So sind seine angestellten Lehrer dann nach allen Gesetzen der Konkurrenz in der ‚Leistungsgesellschaft‘, der staatlichen Kostenrechnung und der gewerkschaftlichen Vertretungsmacht einiges ‚weniger wert‘ als die verbeamtete Lehrerschaft. Der unterschiedliche Status, den der Staat seinen Lehrkräften zuweist, – ob er sie eben mehr nach ihrer hoheitlichen Sonderrolle oder mehr als von ihm beschäftigte normale Dienstleistende behandelt und bewertet – macht da leicht ein paar hundert Euro pro Monat aus.

So auch diesmal: Die kommunalen Verhandler bestehen mit Verweis auf die Nöte der öffentlichen Haushalte unerbittlich darauf, dass eine Gleichstellung nicht infrage kommt – und damit ist der Fall wieder einmal erledigt. Was den GEW-Lehrern am Ende bleibt, ist die Beschwerde darüber, dass nicht wenige der ‚Dienstverweigerer‘ von ihren Vorgesetzten widerrechtlich namentlich erfasst werden. Schließlich achtet der Dienstherr auch bei ihnen auf Loyalität…

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