Ein kleiner Beitrag zur Gewissensbildung unserer Naschkatzen
Am 14.3.2012 sendet das ARD-Nachtmagazin eine aufrüttelnde Nachricht:
„In den Niederlanden kennt sie fast jeder: die Schokolade von Tony’s Chocolonely. Nur eine kleine Marke, aber eine, die es in sich hat. Sie erhebt den Anspruch, nicht auf Knochen von Kindern produziert zu werden.
Kundenmeinungen: ‚Sie schmeckt gut, es ist Schokolade ohne Kinderarbeit.’ ‚Sie ist einfach köstlich.’ ‚Ist das nicht die Schokolade, die nach sauberen Regeln produziert wird?’ ‚Ich glaube, dass die Leute, die den Kakao ernten, einen guten Preis dafür bekommen.’
Das ist leider noch die Ausnahme. Dieser Junge {sieht ein Kind auf einer afrikanischen Plantage mit einer riesigen Machete Kakaoschoten ernten und in der bloßen Hand zerhacken} kann nicht in die Schule gehen. Er muss wie die anderen auch in den Kakaoplantagen Westafrikas arbeiten. Es ist unfassbar. 1,8 Mio Kinder arbeiten in Ghana und der Elfenbeinküste, damit wir in Europas Supermärkten günstig Schokolade kaufen können. Viele unter ihnen werden aus Armut von ihren Eltern verkauft, als Kindersklaven in der Kakaoernte.“
Fehlt da nicht ein verbindendes Element zwischen westafrikanischer Sklavenarbeit und mitteleuropäischen Naschkatzen, das beide überhaupt erst in Zusammenhang bringt? Das wohlbekannte Subjekt von Sklaveneinkauf, Produktion „auf Knochen von Kindern“ und Schokoladenverkauf und sein Interesse an einem Profitchen zwischendurch wird wohlweislich gar nicht erwähnt. Wenn der Agent des vorgestellten Skandals herausgekürzt ist, wird der Blick frei auf dessen „sachliche“ Hinter-Gründe:
„Der Preis für Kakao ist aber in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch gesunken. Die Kakaobauern in Westafrika haben keine Lobby, keine Marktmacht. Sie unterliegen dem Spiel der Märkte.“
„Die Märkte“ sind so eine Sache: Ihr „Spiel“ ist ein brutaler Konkurrenzkampf, in dem nur überlebt, wer sich gegen seinen Kontrahenten durchsetzen kann. Das Problem der Kakaobauern ist aber eigentlich nicht der Markt selbst; der wäre eine feine Sache, wenn nur die Verlierer genügend Macht hätten, sich gegen seine Brutalität zu wehren.
Zum Glück im Unglück bekommen sie für die fehlende Lobby einen Ersatz: Eine Weltwirtschaftsmacht macht sich für die Armen stark.
„Die EU will morgen abschließend über ein Abkommen abstimmen, das den Kakaobauern faire Preise sichern soll. Aber die Kinder sind damit allein noch nicht vor Sklavenarbeit geschützt.
Bernd Lange, SPD-MdEP: ‚Wir wollen aber sicherstellen, dass nachgewiesen werden kann, wo die Kakaobohnen herkommen. Um damit auch illegales Einschleusen von mit Kinderarbeit produzierten Kakaobohnen auszuschließen.Deswegen brauchen wir ein Zertifizierungssystem und brauchen ein Überprüfungssystem.’“
Ein Abkommen soll „den Kakaobauern faire Preise sichern“. Was diese Formel im Einzelnen fürs westafrikanische Plantagenpersonal heißt, bleibt dabei offen. Ob es überhaupt ums Schicksal der Kakaobauern geht, wenn die EU mit afrikanischen Ländern ein Abkommen zur Gründung eines Kakaorats schließt, sei dahingestellt. Was aber klar ist, ist, dass die Sklaverei mit einem EU-Abkommen über „faire Preise“ nicht beseitigt ist. Ein Politprofi ist sich ganz sicher, dass die unfairen und brutalen Märkte auch mit politischen Abkommen nicht „fair“ zu machen sind: Ohne dass marktmächtige Teilnehmer kontinuierlich überwacht werden, werden sie jedes noch so schöne Reglement garantiert zu unterlaufen und zu umgehen suchen. Womit er zweifellos Recht hat: Ihr schädliches Interesse wird ja nicht außer Kraft gesetzt.
Deswegen stellt er den westafrikanischen Kindern, die von ihren verelendeten Eltern aus Existenznot verkauft werden, großherzig in Aussicht, was sie am dringendsten brauchen: ein Zertifizierungssystem samt lückenlosem Kontrollregime gegen die Einwanderung illegaler Kakaobohnen. Und dann gibt es keinen Grund für Kindersklaverei mehr?
Welches schädliche, übermächtige und schwer kontrollierbare Interesse den Westafrikanern das Leben schwer macht, findet am Ende des Berichts schon auch noch Erwähnung. Das der verbrecherischen Schokoladenkonsumenten nämlich, die durch ihren Einkaufsakt die ganze Schweinerei ex post in Auftrag gegeben haben und für ihre Sklavenhalterei zur Rechenschaft gezogen gehören!
„Henk Jan Beltman, Direktor Tony’s Chocolonely: ‚Wenn du Fahrräder kaufst, die geklaut wurden, wanderst du ins Gefängnis. Es kann nicht sein, dass Schokolade essen, in der Sklavenarbeit steckt, weniger hart bestraft wird.’“
{Die letzte Einstellung zeigt unbekümmert Schokolade naschende Kinder.}Abschlusskommentar: „Dass Kinder keine Kindersklavenschokolade mehr essen, wird wohl nur mit strengen Regeln zu erreichen sein.“
Ohne strenge Regeln werden die Kinder wohl weiterhin so rücksichtslos beim Ausbeuten ihrer westafrikanischen Sklaven sein wie bisher …