Die zehn dummen Fragen der Philosophie und die Antwort auf die Frage (I):

Was ist Philosophie?

In der Philosophie werden Fragen für wichtiger erachtet als deren Beantwortung. Auf Wissen zielen die Fragen der Philosophen also nicht. Nicht nur, dass sie in dem nunmehr über 2000 Jahre währenden „Diskurs“, als den sie ihre Disziplin vorstellen, keine einzige ihrer Fragen abgehakt haben: Sie warnen sogar vor dem Bedürfnis nach Wissen. Wenigstens die Philosophen scheinen sich an diese Warnung gehalten zu haben: Die heutigen Lehrer dieser Disziplin wissen in der Tat nichts mehr. Das macht aber nichts. Die Fragen, die sie in philosophischen Vorlesungen und Seminaren vorlegen, sind nämlich schon die fertigen Antworten, die ihre Liebe zur Weisheit hervorbringt. Und zwar Antworten, die für sie außer Frage stehen.

Teil I:

1. Transzendentalphilosophie: Was ist die „Bedingung der Möglichkeit“ von … ?

Der Pleonasmus „Bedingung der Möglichkeit“, der diese Frage ziert, ist kein Versehen; die Frage selbst ist in dieser Formulierung vielmehr die Konstruktionsanleitung zur Anfertigung falscher, weil idealistischer Erklärungen.

In der Philosophie ist die Frage nach der Möglichkeit von diesem und jenem en vogue, und man ist dort stolz darauf, sich von den „empirischen Wissenschaften“ dadurch zu unterscheiden, dass man nichts Wirkliches zum Gegenstand hat. Da wird nicht lange erklärt, was Erkenntnis, Moralität, der Staat oder was diese Disziplin sich sonst so als Gegenstand vorgenommen hat, ist – das erklärt man gerne zum Geschäft der „Einzelwissenschaften“ – , sondern der Frage nachgegangen, ob und wie das Erkennen, die Moral usw. möglich sind. Die Wirklichkeit einer Sache mit all ihren „empirischen“ Bestimmungen ist demnach also das eine, ihre Möglichkeit etwas anderes; da mag die wirkliche Sache erklärt sein, wie sie will, solange der Philosoph ihre Möglichkeit noch nicht erklärt hat, bleibt diese Erklärung jedenfalls mangelhaft, meint der Philosoph.

Die Absurdität, eine wirkliche Sache für (möglicherweise!) unmöglich zu erklären, indem er die Möglichkeit derselben als nicht in ihren wirklichen Bestimmungen enthaltene behauptet, geht ihm locker von der Zunge, weil er es sich vorgenommen hat, seinen Gegenstand nicht aus dessen Bestimmungen, sondern unabhängig davon zu erklären. Und dafür steht die Kategorie der Bedingung.

Bedingungen sind erst einmal unabhängig von dem, was sie bedingen, etwas anderes. Das heißt nicht, dass aus den Bestimmungen einer Sache nicht hervorginge, was ihre Bedingungen sind; aber wie soll schon aus einer un-bestimmten Möglichkeit hervorgehen, welches ihre Bedingungen sind? So hat der Philosoph sich die Freiheit geschaffen für die Behauptung, der tiefere Grund seines Gegenstandes, das, was dessen Existenz überhaupt erst möglich macht, liege in einer Bestimmung, die an ihm gar nicht aufzufinden sei; das erspart ihm denn auch den Nachweis der Notwendigkeit seiner Erklärung.

Wie auch immer obige Frage also beantwortet wird, eine Antwort steht mit ihr selbst schon fest: Dass nämlich hinter und jenseits aller Wirklichkeit die „eigentlichen“ Gründe liegen. Zwar kommt dieser Hinterwelt nichts Wirkliches zu, aber dafür eröffnet sie als eine Welt schöner Ideen dem Glauben ein weites Feld. Es wäre doch trostlos, wenn nicht noch hinter dem letzten Mist ein tiefer Sinn stecken würde – eben als „Bedingung der Möglichkeit“ von…

2. Erkenntnistheorie Was kann ich wissen?

Wer etwas wissen will, stellt sich diese Frage sicher nicht. Schließlich will er einen bestimmten Gegenstand erklären, und das Resultat seiner Bemühungen ist Wissen, sofern ihm kein gedanklicher Fehler unterlaufen ist, den es dann eben zu korrigieren gilt. Natürlich ist darin auch die Möglichkeit , diesen Gegenstand zu erklären, enthalten. Mit seinem Wissen hat er praktisch eine Antwort auf die Frage gegeben.

Einem Philosophen gilt diese Antwort nicht als solche. Er ist so sehr von der Beschränktheit der „menschlichen Erkenntnis“ überzeugt, dass ihm das vorhandene Wissen noch lange nicht als Beleg seiner Möglichkeit genügt. Er interessiert sich für die Möglichkeit der Erkenntnis getrennt von der wirklich vorliegenden Erkenntnis, für das, was man wissen kann, im Unterschied zu dem, was man nicht wissen kann. Nun kann man das, was man nicht wissen kann, eben nicht wissen.

„Ist das Wissbare wissbar und wenn nicht, woher können wir das wissen?“ (Woody Allen)

Ein Philosoph hält es aber nicht für einen Widerspruch, von etwas, das man nicht erkennen kann, eines ganz genau zu wissen: nämlich eben das, dass man nichts darüber wissen kann. Er nimmt ihn vielmehr als Ausgangspunkt, sich seinen Gegenstand so zu konstruieren, dass er per definitionem unerkennbar ist, und gibt zu bedenken, dass dieser Gegenstand – unabhängig von seiner philosophischen Erfindungsgabe – doch möglicherweise existieren könnte: Wer weiß das schon?!

Wer mag, kann hier den Übergang zum Glauben machen – das ist aber im Allgemeinen die Sache des Philosophen nicht: Für ihn liegt die Ergiebigkeit des sokratischen Unfugs „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ in der Skepsis, die damit dem Wissen entgegengebracht wird.

Zwar weiß auch er nichts von „Grenzen des Wissens“, eben weil dies die Kenntnis dessen voraussetzte, was zugleich als prinzipiell unbekannt behauptet wurde, aber ausdenken kann er sich solche „Grenzen“ schon. Und ist es nicht ein gutes Argument gegen die Möglichkeit von Wissen, dass der Philosoph sich seine mögliche Begrenztheit ausdenken kann? Un-Wissen soll zum Zweifel an Wissen berechtigen, und zwar ganz allgemein, denn: welcher Gedanke ist eigentlich kritisiert, wenn man ihm vorhält, möglicherweise ganz daneben zu gehen?

Aber das ist gerade der Trick: die Unterscheidung von richtig und falsch hält ein Philosoph für die unangemessenste Sortierung von Gedanken. Viel lieber belegt er alles mit seinem Generalverdacht – Vorsicht! Irrtum möglich! – und entzieht es damit der Prüfung. So wird kein falscher Gedanke ausgeräumt, geschweige denn das Wissen um eine neue Erkenntnis bereichert. Stattdessen wird als Maßregel in die Welt gesetzt, allen Urteilen prinzipiell zu misstrauen – das wird dann Weisheit genannt. – Auch eine Leistung des Verstandes.

3. Sprachphilosophie Was darf ich sagen?

Die Sprachphilosophie meint, die Wissenschaft sei das Opfer einer Sprachverwirrung. Den Pluralismus der Geisteswissenschaften, den sie vorfindet und für mangelhaft hält, ohne ihn kritisieren zu wollen, interpretiert sie als Folge der Uneindeutigkeit der Sprache. Wo es eine Vielzahl von Theorien über einen Gegenstand gibt, entdeckt der Sprachphilosoph die fehlende Einigkeit über den rechten Gebrauch des Wortes. Die differierenden Urteile erklärt er zu mangelndem Konsens bezüglich der Sprache und lügt so den Gegensatz der Erklärungsweisen in ein bloßes Missverständnis um.

Der Trick ist ein logischer Fehlschluss. Der lautet nämlich: Wenn man mit der Sprache auch Unsinn reden kann, dann ist die Sprache der Urheber des Unsinns, bzw. der Grund, dass es verschiedene Ansichten und Urteile über denselben Gegenstand gibt.

Zum Beweis werden extra erfundene Beispiele – z.B.: „Der heutige Kaiser von Frankreich hat eine Glatze“ – bemüht, die ganz von der Sicherheit leben, dass erstens der Satz als solcher verstanden wird, und die zweitens als Nonsens- Aussagen gewusst werden. Quatsch sagen zu können, heißt eben nicht, nichts wissen zu können. Die Beispiele sollen aber belegen, dass die Sprache zu solchem Unsinn verführt und ihn notwendig macht, weil sie ihn nicht verhindert. Gerade weil „Der heutige Kaiser von Frankreich hat eine Glatze“ eine grammatisch korrekte Aussage – die im Übrigen mit Wissenschaft nichts zu tun hat –, aber inhaltlich keine zutreffende Feststellung ist, belegt dieses Beispiel im Gegenteil, dass richtiges Sprechen nicht gleich richtiges Denken ist.

Der erfundene Mangel verdankt sich dem Wunsch, das Denken solle durch die Sprache reglementiert sein. Der Sprachphilosoph möchte die Erklärung einer Sache schon durch ihre (korrekte) Benennung sichergestellt sehen. Deswegen identifiziert er Gesetze mit Sätzen, Begriffe mit Wörtern und erfindet eine „formale(!) Logik“, damit die sprachlichen Mittel das „richtige“ Denken in Zukunft gewährleisten. Der Inhalt des Denkens wird so aufgelöst in die Methode seiner Äußerung:

Wer jetzt noch darauf beharrt, er habe über irgendeine Sache etwas Richtiges gesagt, muss sich belehren lassen, dass es vielmehr auf das richtige Sagen ankommt. Mit diesem Themenwechsel wird das Denken auf die Einhaltung von Formvorschriften reduziert – wodurch sich Gedanken zwar nicht verbieten, aber doch in zulässige und nicht zulässige sortieren lassen: Was darf ich sagen?

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.