Die demokratische Wahl

Die Wahlstimme

Freie Wahlen gelten als das schätzenswerte Kernstück der Demokratie – durch sie zeichnet sich diese Staatsform vor allen anderen aus. Wahlen so heißt es, legitimieren die Ausübung der politischen Macht. In der Demokratie wird nicht von Gottes Gnaden oder durch militärische Gewalt regiert – das Volk erteilt per Abstimmung höchstförmlich den Auftrag zur Wahrnehmung der Staatsgeschäfte. Allerdings nicht von sich aus. Es wird von der Politik in regelmäßigen Abständen an die Urnen gerufen und vor jeder Wahl mit einigem propagandistischen Aufwand daran erinnert, dass es wählen gehen soll, wenn es wählen gehen darf. Schon das ist ein Hinweis darauf, dass die Souveränität, die in den Wahlkabinen ausgeübt wird, eine eigentümlich beschränkte ist und der Nutzen der Veranstaltung eher bei denen liegt, die gewählt werden und weniger bei den Wählern. Deren Stimmen werden benötigt, um sie zusammenzuzählen und ein Zahlenverhältnis zu ermitteln, nach dem die höchsten Personalfragen im Staat entschieden werden: welche Politikermannschaft bekommt die politische Macht. Das ist die ganze „Vermittlung“ zwischen Wählermeinung und Politik, zwischen Bürgerwillen und Herrschaft, die in der demokratischen Wahl stattfindet. Die Entscheidungsfreiheit, die dem Wähler zugestanden wird, verwirklicht sich in einem von zig Millionen Wahlkreuzen, an dem von Argumenten, begründeter Überzeugung oder auch nur einer formulierten Stellungnahme nichts zu entdecken ist. Ganz frei und gleich geht die individuelle Wahlstimme bloß quantitativ, also unerheblich, ein in einen Massentrend. Und der kann qualitativ nur „entscheiden“, was diejenigen, die sich zur Wahl stellen ihm vorgeben und diejenigen, die gewählt wurden, als „Wählerauftrag“ definieren: Vor der Wahl legen Kandidaten fest, welches Programm sie zur Wahl stellen, und nachher entscheiden die Gewinner, was gemacht wird. Das Wahlergebnis verschafft ihnen gerade in seiner Inhaltslosigkeit die Freiheit, es in ihrem Sinn politisch zu deuten.

Das Ergebnis der demokratischen Wahl ist eine Herrschaft, die sich auf das Votum „des Wählers“, dieses zum Singular zusammengezählten Kollektivs der Wahlberechtigten, berufen kann. Dieses Ergebnis steht von vornherein fest, weil es gar nicht zur Wahl steht. Es kommt trotzdem in freier Wahl zustande – nämlich auf dem Weg einer freien Auswahl von Kandidaten und Parteien. Das Volk, das einen kurzen Sonntag lang den Status des „Souveräns“ erhält, besetzt die unabhängig von seiner Stimme feststehenden Ämter, die zur Ausübung der staatlichen Souveränität vergeben werden. Einfluss darauf, was die so bestallten Amtsinhaber dann tun, hat es in der Wahl nicht und auch nicht danach. Die demokratische Grundordnung gebietet ausdrücklich die Unabhängigkeit der Staatsmacht von allen Sonderinteressen und verbietet „imperative“ Mandate, was soviel heißt wie: Aufträge, die das Fort -, Ein- oder Auskommen der Wähler betreffen, können von diesen nicht vergeben werden. Resultat der Wahl ist die umfassende Ermächtigung einer Politikertruppe, mit Kanzler(in) an der Spitze, zum Regieren,also dazu, allen Staatsbürgern die Bedingungen, unter denen sie ihren Lebensunterhalt zu bestreiten und ihren Interessen nachzugehen haben, verbindlich vorzuschreiben. Frei darf er entscheiden, der wählende Bürger, aber ausdrücklich nur über Personalalternativen – gerade diese Kombination macht den Charme der demokratischen Wahl aus. Ohne Zwang, im Bewusstsein und durch praktischen Gebrauch ihrer Entscheidungsfreiheit erklären sich die Menschen so nämlich mit dem Regiert-Werden einverstanden. Damit, dass sie über Personalfragen entscheiden, geben sie grundsätzlich ihre Zustimmung zum eingerichteten, nach der Wahl personell wie bisher oder neu besetzten Herrschaftsverhältnis. Eine demokratisch gewählte Regierung ist so in nichts, was sie tut, von Willen und Wünschen ihrer Untertanen abhängig, kann aber bei allem, was sie tut, für sich in Anspruch nehmen, den Wählerwillen zu erfüllen, weil der sie ja schließlich ins Amt gehoben hat. Jede Maßnahme, die sie während ihrer Amtszeit beschließt, ist damit als Wille der „Mehrheit“ ins Recht gesetzt, auch dann wenn durch sie praktische Interessen einer Viel-, vielleicht sogar der Mehrzahl der so regierten geschädigt werden. Auf diese legitimatorische Leistung der demokratischen Wahl kommt es durchaus an. Einen allzu hohen Prozentsatz von Nichtwählern mögen die Vertreter der Demokratie deshalb nicht, obwohl ja bei jeder Wahlbeteiligung eine Regierung herauskommt. Die Wahlbeteiligung ist ihnen wichtig, weil die Bürger, wenn sie freiwillig zur Wahl gehen, faktisch ihr Einverständnis damit bekunden, dass sie nach der Wahl der Regierungsgewalt des Gewählten unterworfen sind.

Der Souverän

Das demokratische Volk betätigt sich als Souverän dadurch, dass es in regelmäßigen Abständen eine neue Regierung wählt oder die alte bestätigt. Die turnusmäßig abgehaltene Wahl bedeutet aber nicht, dass die Bürger in diesen Sternstunden ihrer Souveränität alle öffentliche Gewalt wieder an sich ziehen, alle Einrichtungen der Staatsmacht zurücknehmen und alles neu regeln könnten. Die Volkssouveränität, die das Wahlvolk ausübt, besteht vielmehr darin, die Gewalt zu delegieren, damit sie dann als Gewaltmonopol bei den Gewählten ist. Ein seltsamer Vorgang – das Volk gibt seine Gewalt freiwillig weg an ein paar Leute, die dann über es die Herrschaft haben – , wenn man sich „das Volk“ als Mannschaft vorstellt, die sich frei und souverän über ihre Angelegenheiten berät und im Ergebnis an einem Gewaltverhältnis Geschmack findet, in dem sie freiwillig die gehorsame Seite übernimmt. Aber so gibt es „das Volk“ ja gar nicht. Der ganze Inhalt dieser Mengenbezeichnung liegt darin, von allen bestimmten gesellschaftlichen Betätigungen, Beziehungen, Gemeinsamkeiten ebenso wie Gegensätzen abzusehen und an Industriearbeitern und Hausfrauen, Bauern, Managern und HartzIV-Empfängern nur eines festzuhalten: Für sie alle ist dieselbe hoheitliche Gewalt zuständig. Dass sie zum Personalbestand desselben Staates gehören, ist die einzige Gemeinsamkeit, die sie alle zum „Volk“ zusammenfasst. Insofern geht ihre Existenz als Volk von der Staatsgewalt aus und nicht umgekehrt.

Diese Staatsgewaltschreibt sich per Staatsverfassung ein demokratisches Vorgehen vor und erteilt dem durch sie definierten nationalen Kollektiv den Auftrag,die Parteien und Personen auszuwählen, die diese Gewalt ausüben. Die Befugnisse und die Macht, die die dann haben, sind Bestandteil des Amtes, in das sie gewählt wurden. Sie stehen nicht zur Wahl und sind unabhängig davon, wer dieses Amt ausübt. Von individueller Willkür, persönlichem Einsatz, individuellen Führerqualitäten usw. der Amtsinhaber ist die Staatsgewalt in einer Demokratie nicht abhängig. Mit Beschränkung ihrer Macht sowie der Staatsmacht als Ganzes hat das nichts zu tun – im Gegenteil. Die Staatsführungen „funktionierender“ Demokratien verfügen über ein Gewaltmonopol, das flächendeckend, permanent und wirksam präsent ist, das Wirtschafts- und Privatleben all ihrer Bürger bis in den letzten Winkel hinein „regelt“, also per Gesetz Erlaubtes und Verbotenes festlegt und dem (notfalls) mit polizeilicher und richterlicher Gewalt Geltung verschafft. So etwas ließe sich mit nur individueller herrschaftlicher Willkür gar nicht aufziehen. Es muss vielmehr organisiert sein als stabiler Apparat, der seinen Funktionären, auch seinen leitenden, vorgibt, was Inhalt und Reichweite ihres Amtes ist.

Jede Wahl trennt zunächst den amtierenden Funktionär von seinem Amt und besetzt es wieder, mit ihm oder mit einem kongenialen Nachfolger, der es ebenfalls seinen Bestimmungen gemäß ausfüllt. Die Anwärter auf ein Amt mögen mit ihren „Führungsqualitäten“ dafür werben, sie mit diesem Amt zu betrauen, von ihren Qualitäten hängen die Aufgaben und die Macht, die nach der Wahl ihres Amtes sind, aber nicht ab. Die fallen ihnen vielmehr durch das Amt zu.

Die Regeln, nach denen das staatliche Gewaltmonopol ausgeübt wird, und die Einrichtungen, in denen und durch die das geschieht, hat der tatsächliche Souverän also längst festgelegt, wenn er sein Volk dazu aufruft, die entsprechenden Posten zu besetzen. Und die Zwecke, die er mit der Ausübung seiner Gewalt verfolgt, stehen erst recht nicht zur Wahl.

Was ohne Wahl feststeht

Die Prinzipien, auf die ein demokratischer Staat sich und damit alle seine Bürger festgelegt hat, stehen unabhängig von der Wahl fest und in ihr nicht zur Disposition.

Zuallererst ist da der Erfolg der Wirtschaft, deren Wachstum er zu befördern hat, damit der nationale Standort vorankommt. Wachsen tut die Wirtschaft dann, wenn die Unternehmen, die dieses Standort bevölkern, Gewinne machen, je mehr Gewinne, desto mehr Wachstum. Das macht den Reichtum der Gesellschaft aus, auf den es dem Staat ankommt, weil die Mittel, über die er verfügen kann, davon abhängen. Vorausgesetzt ist dem die verfassungsmäßig festgelegte, rechtlich kodifizierte und per Staatsgewalt exekutierte Garantie des Privateigentums. Damit verpflichtet der Staat seine Bürger darauf, sich um die Mehrung privaten Eigentums zu bemühen, und zwar gleichermaßen alle, ohne Berücksichtigung des kleinen Unterschieds, der sich daraus ergibt wie viel Eigentum sie haben und ob überhaupt eines. Und er regelt die Interessengegensätze, die sich aus diesem Prinzip ergeben.

Das Arbeitgeberinteresse an billig verfügbaren Arbeitskräften wird gesetzlich gebilligt; mit der Einschränkung, dass Arbeitgeber sich an frei ausgehandelte Arbeitsverträge halten und Lohn zahlen müssen. Dem Interesse der Lohnabhängigen an ihrem Auskommen wird seine Berechtigung zugesprochen, mit der Maßgabe, dass es sich am Geschäftsinteresse derer, die „die Wirtschaft“ ausmachen, relativiert. So sind die Arbeitnehmer auf ihre Abhängigkeit und eine Interessenlage festgelegt, die mit ihren materiellen Bedürfnissen ständig in Konflikt gerät. 
Neben der „Wirtschaftspolitik“, die sich darum kümmert, dass das Wachstum vorankommt, betreut die Abteilung „Sozialpolitik“ die Armut und Existenzunsicherheit derer, die von Lohn leben müssen und das nicht können. Was sie in welche Kasse einzuzahlen haben und wie viel ihnen wann an Zahlung daraus zusteht, ist penibel geregelt.

Nichts von dem, was sich konsequent und sachgesetzlich aus dem allerhöchsten demokratisch-marktwirtschaftlichen Imperativ – dass kapitalistisches Wachstum sein soll – ergibt, hätte auch nur einen Tag Bestand, ohne dass die Staatsgewalt es betreut. Um eine „Lage“, auf die die Politik reagieren und mit der sie umgehen muss, handeln sich all die wirtschaftlichen und sozialen Probleme nur dann, wenn man den staatlichen Beschluss, dass in seinem Machtbereich marktwirtschaftlich zu wirtschaften ist, als Gegebenheit betrachtet, die nicht zu bezweifeln ist. Würde das bezweifelt oder abgelehnt, dürften sich diejenigen, die das tun, nicht zur Wahl stellen – auch das hat die Demokratie gesetzlich geregelt.

Dass ein Staat, der sich den marktwirtschaftlichen Erfolg seines Standorts zum grundsätzlichen Anliegen gemacht hat, außerhalb seines Staatsgebiets allerhand zu „regeln“ hat, ergibt sich notwendigerweise. Exportoffensiven sind zu formieren und die von anderen zu behindern; Rohstoffabhängigkeit und Sicherheit der Energieversorgung, Kräfteverschiebungen in und zwischen anderen Ländern, Flüchtlingsbewegungen und terroristische Anschläge irgendwo auf der Welt und vieles mehr müssen bewältigt, sichergestellt oder bekämpft werden, wenn und weil ein Staat den restlichen Globus zum Material seiner Interessen machen will. Die weltweite Durchsetzung seiner Interessen erklärt er zu seinem nationalen Recht, das immer wieder verletzt wird von anderen Nationen, die nach besten Kräften ebenso verfahren, Gegen die ist es zu verteidigen, d. h. durchzusetzen – wenn nötig mit Waffengewalt.

Nichts von alledem steht demokratisch zur Wahl. All das ist der Wahl vorausgesetzt und zwar mit solcher Selbstverständlichkeit, dass es die kandidierenden Parteien ihrem Wahlvolk als die Notwendigkeiten präsentieren, an deren Bewältigung eine gute Regierung zu messen ist. Dafür gibt es den Wahlkampf.

Der Wahlkampf

Parteien und Kandidaten, die sich um die Macht im Staat bewerben, stellen sich ihren Wählern als diejenigen vor, die sich auf die Kunst des Regierens verstehen und zwar besser als ihre Konkurrenten. Ihre Qualifikation belegen sie damit, dass sie sich im Katalog der innen- und außenpolitischen Aufgaben auskennen und deshalb für die Führung der Staatsgeschäfte bestens geeignet sind. An dem Kriterium wollen sie gemessen werden. Als Stimmbürger sollen sich diejenigen, die regiert werden und ihrer Regierung zu gehorchen haben, mit der Frage befassen, wie sie sich ordentliches Regieren vorstellen. An die eigenen partikularen Interessen und Bedürfnisse dürfen sie dabei ruhig denken, aber in sachgemäß verfremdeter Form.

Wahlkämpfer greifen die Misslichkeiten, mit denen sich die Bevölkerung im von ihnen oder ihresgleichen organisierten Gemeinwesen herumzuschlagen hat, auf und übersetzen sie in ein Problem des Gemeinwesens. Der zur Wahlentscheidung aufgerufene Bürger soll seine private Lebenslage darin bedacht sehen, dass Politiker die Arbeitslosigkeit, die Steuern, das Gesundheits- und das Bildungswesen, das Sozialsystem… zum Gegenstand des wahlkämpferischen Vorschlagswesens machen. Und wenn die Haushaltsdefizit und Staatsverschuldung zur Sprache bringen, dann soll er die Sorge um die Staatskasse zu der seinen machen und einsehen, dass an ihm gespart werden muss. Der Stimmbürger tut all das auch, weil er „realistisch“ ist, es also – fälschlicherweise – für unumstößlich hält, dass politische Machthaber seine Lebensumstände bestimmen, wenn sie es in diesem Staatswesen nun einmal tun. Der Gedanke, dass man ohne die politische Gewalt, die ihren Bürgern die Abhängigkeit von der Macht des Geschäfts und dem Recht des Staates alternativlos aufzwingt, die Sorgen, auf die da angespielt wird, gar nicht hätte, kommt nicht auf. Beim Wähler hat diese Abhängigkeit vielmehr zur „Einsicht“ geführt, dass alle seine Interessen in den Entscheidungsbereich der Politik fallen und nur in dem Maß zählen, wie diese sich ihrer annimmt. Und dass sie es natürlich nicht allen recht machen kann und im Interesse des großen Ganzen auch gar nicht soll, das „weiß“ er auch. Mit dem Versprechen gesetzlicher Einschränkungen im Namen staatlicher Notwendigkeiten und der Debatte darüber, wo sie gerechterweise stattzufinden haben, lässt sich deshalb im Wahlkampf durchaus punkten. Der wahlberechtigte Mensch soll die Welt bis in seinen privaten Alltag hinein als Deutscher betrachten und sich geistig in die Rolle des Staatsführers hineinversetzen. Für „unser“ Land, sind Opfer zu bringen, im Prinzip immer und in Krisenzeiten erst recht. Solche Ehrlichkeit schätzt der Wahlbürger an seinen Politikern; und es fallen ihm auch immer welche ein, die – meist in einer ähnlichen beschränkten Lebenslage wie er selbst – mehr zahlen und weniger kriegen könnten.

Für Landeskinder, die so gestrickt sind, formulieren die Volksvertreter, die gewählt werden wollen, die Notwendigkeiten, die sie in Bezug auf Bedienung oder Beschränkung von gesellschaftlichen Interessen für aktuell halten. Das sind die „Sachfragen“, die sich die Parteien im Wahlkampf um die Ohren hauen und hinsichtlich derer sie beim jeweils anderen Fehler und Versäumnisse feststellen.  
Dass der vorhandenen und im Steigen begriffenen Massenarbeitslosigkeit dadurch zu begegnen ist, dass man die Wirtschaft dabei unterstütztArbeitsplätze zu schaffen, und dass das nur geht, wenn die rentabel sind, darüber herrscht Einigkeit. Ob man dies am besten durch steuerliche Entlastung des „Mittelstands“, Aufhebung des Kündigungsschutzes oder die Subventionierung defizitärer Automobilproduzenten tut, damit wird der kleine Mann im Wahlkampf unterhalten. Ob man das Sozialsystem am besten rettet durch Erhöhung der privaten Beiträge oder durch Streichen von Anspruchsrechten, oder ob man es gar so üppig belassen soll wie es ist; ob man angesichts dessen, dass die Rettung deutscher Banken so teuer zu werden verspricht, besser am Bildungs- oder am Gesundheitswesen spart; ob und wo man Steuern senkt und wie man das dann gegenfinanziert; all das sind Fragen, die dieser kleine Mann in der Wahl zwar nicht zur Entscheidung vorgelegt bekommt, anhand derer er aber sich entscheiden soll, wem er die Erfüllung dieser als gut und notwendig durchgewinkten Aufgaben am ehesten zutraut und wem er deshalb ohne weitere Einspruchsmöglichkeit und ohne die neuen Landesherren auf ihre Wahlkampfversprechen festnageln zu können, die nächsten vier Jahre lieber gehorchen will.

Sachlich nur konsequent ist es deshalb, wenn sich die Konkurrenten um die Wählergunst unmittelbar als Personen empfehlen, die Führung bieten, und sich durch nichts als die gekonnte Demonstration ihrer Führungsqualitäten mehr vom Konkurrenten unterscheiden wollen. Mit der Darstellung von Führungskraft und Leutseligkeit, mit inszenierten Schaukämpfen und inszeniertem Jubel, mit flotten Werbesprüchen und volksfestartigen Auftritten beeindrucken Politiker ein Wahlvolk, das sich dabei keineswegs verarscht vorkommt. Im Gegenteil: Man kann es ihm sogar ins Gesicht sagen, dass die ganze Veranstaltung eine Konkurrenz um die größte „Glaubwürdigkeit“ ist. Glaubwürdigkeit nicht in dem Sinne, dass den Sachaussagen der Regierungsanwärter geglaubt werden soll – ein geübtes Wahlvolk weiß allemal, dass es sich bei „Wahlkampfversprechen“ um nichts als Schwindel handelt – , sondern Glaubwürdigkeit im Sinne von erfolgreichem Stimmenfang. Glaubwürdig ist der, der die Wähler dazu kriegt, ihm die meisten Stimmen zu geben. Insofern erweist sich Glaubwürdigkeit nicht dadurch, dass das Staatsvolk das aufgelegte Staatsprogramm mit seinen Interessen und Bedürfnissen abgleicht und nach reiflicher Überlegung und Diskussion verbindlich in Auftrag gibt. Glaubwürdigkeit erweist sich nach der Wahl ganz inhaltsleer im errungenen Prozentsatz der abgegebenen Stimmen.

Die Wähler haben den Auftrag, diejenigen zur Führern der Nation zu küren, die sie „irgendwie gut“ finden. Gefragt ist die ignorante Geisteshaltung, politische Machthaber nach Kriterien des persönlichen Geschmacks zu beurteilen. Davon, dass diese Leute über das künftige Wohl und Wehe ihrer Wähler entscheiden und das nach Kriterien, die bei den meisten für mehr Wehe als Wohl sorgen, können demokratische Wähler völlig absehen. Stattdessen ergreifen sie Partei für eine Partei und deren Funktionäre sei es auf der Hurra-Ebene oder unter Berufung auf einen „persönlichen Eindruck“, sei es in der Rolle eines ideellen Image-Beraters oder des abgeklärten Durchblickers, der die politische Überzeugungskraft eines Kandidaten nach der erzielten Wirkung zu benoten versteht.

Mit bunten Plakaten, auf denen frisch geschminkte Grinseköpfe mit Sachaussagen wie „Wir haben die Kraft“,„Verantwortung wählen“ oder „Unser Land kann mehr“ abgebildet sind, bringen die in der demokratischen Wahl gelebte Volkssouveränität deshalb durchaus auf den Begriff.

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