Burschenschaften

Ein reaktionäres Sonderangebot für die künftige Elite im Betrieb der „Massenuniversität“

Alljährlich veranstaltet die Tübinger Universität zu Beginn des Wintersemesters den Dies Universitatis, bei dem sich studentische Gruppen den Erstsemestern vorstellen.

Alljährlich findet daneben der Alternative Dies (AlDi) statt, mit und auf dem Fachschaftenvollversammlung und linke Studentengruppen dagegen protestieren, dass auf dem offiziellen „Markt der Möglichkeiten“ Burschenschaften auftreten und für sich werben. Für deren Kritiker passen die Korporierten, weil „elitär, völkisch und nationalistisch“, nicht zur Uni und dürften deshalb von der Uni-Leitung nicht unterstützt werden. Die sieht das etwas anders: Für sie sind die Burschenschaften ein Teil des Hochschullebens, gegen den sie nichts hat. Wie das?!

10 studie_uni_tuebingen_10_05_2011Standesbewusste (Bild links) und demokratisch-egalitär aufgelegte Studierende (rechts) auf dem Weg zum verantwortungsbewussten Akademiker

 

 

 

1.

Wer an der Uni antritt, hat die letzte Stufe eines hierarchisch gegliederten Bildungswesens erreicht. Mit dem Abschlusszertifikat hat man zwar nicht die Garantie, wohl aber die entscheidende Zugangsvoraussetzung für die (etwas) gehobeneren Posten in Wirtschaft und Staat erworben. Damit gehört man in zweierlei Hinsicht zur Elite: Zum einen besitzt man die formelle Einstiegsbedingung. Zum anderen hat man sich als Student – ganz im Wortsinn von „Elite“ (vom lateinischen eligere = „auslesen“) – in einem von der Uni veranstalteten Ausleseprozess mittels guter Klausuren und eines akademischen Abschlusses qualifiziert, was allen Beteiligten als Ausdruck höchstpersönlicher Leistung gilt. Dadurch, so die Meinung sämtlicher an diesem Prozess Beteiligten, hat man ein Anrecht auf ein besseres Einkommen, Leben etc. erworben. Auch die kritische Auffassung, wonach die reaktionären Seilschaften der Korporierten nicht zu einer demokratischen Massenuniversität passen, weil Elitebildung heute leistungsgerecht verallgemeinert, wissenschaftlich kontrolliert und damit demokratisch gerechtfertigt im Dienst allgemeinen Fortschritts stattzufinden habe, nimmt für das Elitäre Partei: Sofern am Auswahlverfahren im Bildungswesen jeder „chancengleich“ teilnehmen darf, ist dessen Resultat nicht nur akzeptiert, es „rechtfertigt“ auch die vorgegebene Hierarchie der Berufe. Arbeit und Unterordnung entspreche, so wird dann behauptet, dem, wofür viele „geeignet“ seien, und für die Ausübung von Hoheits-, Anleitungs- und Geldfunktionen – zum Elitesein eben – sei die passende Anzahl derer auszuwählen und auszubilden, die dafür das Zeug hätten. Insofern sind (nicht nur Elite-)Universitäten der Sache und im Selbstverständnis vom Studi bis hinauf zum Unipräsidenten Eliteschmieden.

2.

Den universitären Weg zur Elite durchlaufen die Burschis wie jeder andere Studierende auch. Gleichzeitig halten sie sich jenseits dessen ganz besonders für zur Elite berufen: Gemäß ihrer Vorstellung von sich, haben sie nämlich eine gehörige Portion Ehre im Leib:

Jeder Burschenschafter soll seine Gedanken, sein Reden und Handeln nach den Wertbegriffen der Lauterkeit, Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit ausrichten und mit seiner ganzen Person dafür eintreten, ohne daß er für sich eine besondere, ihn über andere heraushebende Ehrenhaftigkeit in Anspruch nimmt.“(burschenschaft.de)

Ehre ist für uns auch heute ein unverzichtbarer Bestandteil eines jeden Wertekanons. Sie hilft dem Einzelnen dabei, sein Denken und Handeln an Idealen und Grundsätzen auszurichten, auch ohne dass Gebote und Verbote dies vorschreiben. Wir verstehen die Ehre nicht als Ausdruck von Selbstüberhebung oder Selbstverliebtheit…“ (derendingia.de)

Die Tugenden, denen sich ein Korporierter mit Haut und Haar verschreibt, „Lauterkeit, Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit“, erfreuen sich allgemeiner Wertschätzung. Schließlich sind sie das Ideal einer jedermann bekannten alltäglichen Praxis der Konkurrenz, in der Lug & Trug, Tarnen & Täuschen gang und gäbe sind. Dass auch Burschenschafter diese „Wertbegriffe“ hochhalten, ist also nichts Besonderes, die Intensität mit der sie sich dreimal demselben verschreiben und geloben, sich mit der „ganzen Person“ dafür einzusetzen, allerdings schon: Beides soll belegen, dass sie es ernst meinen mit der Verpflichtung auf Werte, um Tugendhaftigkeit ringen in einer Welt, in der sich doch alles nach Werten und Normen richten sollte, und deshalb ganz besonders großartig sind. Das Dementi, sich keine „über andere heraushebende Ehrenhaftigkeit“ herauszunehmen, unterstreicht die mit dem Selbstlob der Tugendhaftigkeit beanspruchte Ausnahmestellung. Die beruht ausdrücklich nicht auf wissenschaftlicher Leistung, sondern auf der höherwertigen ideologischen Stellung zu Welt. Während der Rest der Menschheit Gebote und Verbote benötigt, um den rechten Weg zu finden, nimmt der korporierte Ehrenmann für sich in Anspruch, in all seinem „Reden und Handeln“ grundsätzlich höhere Grundsätze zu befolgen, weil er sich diesen verschrieben hat. Damit ist all sein Tun und Reden gerechtfertigt: Nie ist er einfach mit seinem schnöden partikularen Interesse unterwegs, sondern immer in höherer Mission.

Ganz ohne „Selbstverliebtheit“ jubeln sich Burschis so zur moralischen Elite hoch, als die sie wegen ihrer „ehrenhaften Gesinnung und einem ebensolchen Lebenswandel“ (libertas-wuerzburg.de) das Recht haben, führende Positionen einzunehmen und Elite-Sein selber exklusiv für sich und ihre „Brüder“ zu organisieren: im harten demokratisch-marktwirtschaftlichen Alltag eben mit den Mitteln Geld, Macht, Seilschaften etc.; und intern, im Vereinsleben, als Demonstration und gelebte Ehrenhaftigkeit. Die Behauptung des sich selbst zugewiesenen Charakters als Ehrenmann, der alles, was er will, nur macht, weil er es gemäß der Verpflichtung auf höhere Werte soll, beweisen sie sich immer wieder, wenn sie sich auf lateinisch die Hucke voll saufen, ihre Salamander reiben, am Biertisch keine vollgepisste Hose und auf dem Paukboden keinen Schmiss fürchten.

*

Dass die Selbstverpflichtung auf Höheres zur Elite berechtigt, ist die Spezialität der Burschenschaften. Dass sich Akademiker von Normalos durch ihre „Begabung“ unterscheiden und deshalb dazu berufen sind, denen die Bedingungen ihrer Existenz praktisch und theoretisch vorzugeben, nicht. Beide Varianten dieses Dünkels haben ihre handfeste Grundlage in einer Veranstaltung namens Universität. Wer da erfolgreich zu Gange ist, hat im anschließenden Werkelalltag als wirkliche Elite Bedeutung. Dafür loben die Burschenschafter die Uni in ihrem Selbstlob, und deshalb grenzt sie die Unileitung auch nicht aus: Was Uni/Studieren ist, worin das Studium münden soll, den Transformationsprozess vom Erstsemester zum verantwortungsbewussten Akademiker, der Elitefunktionen in diesem Geist wahrnimmt, lässt sie sich vom Lobgesang der Burschis auf sich vorsingen.

3.

Also nimmt der Bursch Verantwortung fürs Gemeinwesen wahr:

Auf dieser moralischen Grundlage der Ehre ist die Freiheit das Ziel, dem das burschenschaftliche Handeln dient. Persönliche, politische und akademische Freiheit können nicht ohne die Freiheit des Geistes und die Unabhängigkeit und Selbständigkeit des Denkens erreicht werden. Hierzu gehören ein offenes Bekenntnis und voller persönlicher Einsatz für die Freiheit. Fehlt es daran, wird Freiheit nicht erreichbar sein, und dort, wo sie besteht, wird sie untergehen. Freiheit erschöpft sich für den Burschenschafter nicht in persönlicher Freiheit, sondern erhält ihre weitere Bedeutung durch die verantwortliche Mitarbeit am Gemeinwesen.“ (burschenschaft.de)

Das ist doch mal eine Auskunft: Wer bloß seine „persönliche Freiheit“ im Auge hat, hat Freiheit ganz falsch verstanden. Der Mensch, der bei Freiheit an „Dürfen“ denkt, wird darüber aufgeklärt, dass das Dürfen in Dienst und Pflicht seine wahre „weitere Bedeutung“ hat. Dafür kommen „die Freiheit des Geistes und die Unabhängigkeit und Selbständigkeit des Denkens“ zum Einsatz, für das die Burschis sich loben, und für dieses schöne Ziel braucht es dringend „das burschenschaftliche Handeln“. So etwas kriegen, nämlich nur wegen ihrer Ehrhaftigkeit moralisch gefestigte und zur Elite berufene Edelmenschen wirklich hin. Die nehmen in exklusiver Position Freiheit dadurch wahr, dass sie anderen Leuten „Ge- und Verbote“ aufmachen. Das „offene Bekenntnis“ und der „volle persönliche Einsatz für die Freiheit“ der Verbindungsbrüder sollte man in dreierlei Hinsicht als Warnung ernst nehmen: Erstens unterstellt Freiheit immer einen Machthaber, der sie gewährt; Freiheit bedeutet, sich im Rahmen dessen zu bewegen, was die machthabende Elite einem erlaubt. Zweitens ist es in einem „Gemeinwesen“, das eine solche „persönliche Freiheit“ zugesteht, mit der Gemeinsamkeit nicht weit her; dass von oben geregelt ist, worin die Freiheit jedes Einzelnen besteht und wie weit sie reicht, macht nur Sinn, wenn gesellschaftliche Gegensätze geregelt werden. Drittens sind deshalb die Typen, die sich in „verantwortlicher Mitarbeit“ um den Zusammenhalt des Freiheitsladens sorgen, im Namen einer anderen „Gemeinsamkeit“ unterwegs als der, gemeinsamer Interessen.

In diesem Sinne wissen sich die Ehrbolzen dem Vaterland verpflichtet:

Moralische Voraussetzung und grundsätzliche politische Forderung werden (…) ergänzt durch die ausdrückliche Verpflichtung zum Einsatz für das Vaterland. Die Deutsche Burschenschaft sieht das deutsche Vaterland unabhängig von staatlichen Grenzen in einem freien und einigen Europa, welches Osteuropa einschließt. Sie setzt sich für eine enge Verbundenheit aller Teile des deutschen Volkes in Freiheit ein. Der Einsatz für das eigene Vaterland gebietet ebenso die Achtung der Freiheit und des Selbstbestimmungsrechtes anderer Völker. Deshalb setzt sich die Deutsche Burschenschaft aktiv dafür ein, daß (…) insbesondere auch allen deutschen Volksgruppen, die uneingeschränkte kulturelle Entfaltung und Selbstbestimmung in anderen Staaten gewährleistet wird.“ (burschenschaft.de)

Die Rede vom „Vaterland“ will schon in der Namensgebung jeden Gedanken an ein funktionelles Zusammenwirken im „Gemeinwesen“ tilgen. Im Vaterland soll der Mensch unabhängig von Urteil, Berechnung oder politischen Gegebenheiten verwurzelt sein. Deshalb existiert das Vaterland für die korporierten Vereine „unabhängig von staatlichen Grenzen“ in Form eines bis in den Süden und Osten Europas ansässigen deutschen Volkes. Deutsch-Sein ist für sie keine Frage einer fix und fertigen Nation, die mit ihrer Macht über Land und Leute auch über die Zugehörigkeit zum Volk entscheidet, sondern die Nation läuft eigentlich schon immer in Form ihrer menschlichen Insassen rum. Jenseits aller sozialen und ökonomischen Gemeinsamkeiten und Gegensätze wird da eine quasi naturwüchsige Identität aller Deutschen behauptet und deren Parteilichkeit für das nationale „wir“ propagiert und gerechtfertigt.

Außerhalb der Landesgrenzen gibt es im Namen der „engen Verbundenheit aller Teile des deutschen Volkes“ noch einiges zu tun: Weil Deutschland größer ist als der deutsche Staat, ist man raumgreifend für die Volksgenossen zuständig. Und wo sich andere Staaten breit gemacht haben, die Volk anders definieren, so dass deutsche Volksgruppen die „enge Verbundenheit aller Teile … in Freiheit“ nicht ausleben können, ist „uneingeschränkte kulturelle Entfaltung und Selbstbestimmung in anderen Staaten“, so was wie ein Staat im Staat, der Auftrag, dem sich verantwortliche deutsche Politik verschreiben muss, was wiederum des „Einsatzes“ der nationalen Elite bedarf.

4.

Für das Angebot in Sachen Freiheit und Vaterland muss ein Student kein Nazi sein. Wer „als Deutscher“ denkt, ein „Wir-Gefühl“ pflegt, kriegt von der burschenschaftlichen Gesinnungselite ja nur die explizite Form einer Stellung zur Nation serviert, die dem nationalen Elitebewusstsein jeder Couleur geläufig ist: Auch der Verfassungspatriotismus aufgeklärter Staatsbürger ist nichts anderes ist als das Dementi der Auffassung, die schnöde marktwirtschaftliche Konkurrenz und ihre staatliche Organisation seien der ganze Inhalt des hierzulande üblichen Gemeinschaftslebens. Auch eine intellektuell zivilisierte Neigung zur Nation und zu ihrem Zusammenhalt eröffnet dem abstraktionsbereiten Geist jenseits der Niederungen und Drangsale des privaten Konkurrierens einen Horizont des eingebildeten, jedenfalls erwünschten und demokratisch machbaren Mit- statt Gegeneinanders. Dort sollen berechnungslose Gemeinsamkeit und ein waldursprüngliches, irgendwie historisch und kulturell gewachsenes Zusammengehören und Zusammenwirken zuhause sein, das gelegentlich auch Solidarität heißt und sich dann ein wenig links anfühlt. Das ist das ideologische Versprechen, welches das „Vaterland“ unter anderem Namen und unter der Flagge eines aufgeklärten, kritischen Patriotismus auch für manches fortschrittliche Gemüt enthält. Das wird aber auch in Kreisen, die mit der Dumpfheit biersaufender Burschen nichts zu tun haben wollen, nur dann ideell erfüllt, wenn man zu den paar Abstraktionen bereit ist, die es dafür braucht: Man muss eben davon absehen, dass die Herren des Vaterlandes Staatsmänner sind, die bei aller Wertschätzung gemeinschaftsstiftender Sprüche auch größten Wert auf ein ökonomisch produktives Gegeneinander am Standort legen, weil die nationale Staatsmacht davon lebt; und davon, dass das wirkliche politische Leben ein für alle Mal nicht von einer Kultur des Miteinander, sondern von politischer Herrschaft in ihren diversen gewaltengeteilt-rechtsstaatlichen Ausprägungen bestimmt wird. Das ist den Realisten unter den Freunden des nationalen Wir-Gefühls von rechts und links manchmal, wenn es gerade nicht so grundsätzlich zugeht, auch wieder ganz geläufig und Anlass zu mancher Klage.

*

Die einfühlsame Sorge um den Zusammenhalt des Gemeinwesens alias Volksgemeinschaft hat unter denen, die sich als Absolventen der deutschen Hochschulen – trotz der viel beklagten „Vermassung“ der akademischen Bildung – als im weitesten Sinne künftiges Führungspersonal des Landes dafür verantwortlich fühlen, ganz verschiedene Sachwalter. Diejenigen, die ausgerechnet die Burschen von diesem pflichtenreichen Bemühen ausschließen wollen und ihnen das Sorgerecht für die Nation absprechen, weil sie sie elitär, reaktionär oder irgendwie unappetitlich finden, sollten sich eine bessere Zurückweisung einfallen lassen als einen Verbotsantrag an die Uni, wenn ihnen deren speziell nationalistisches Angebot in der patriotischen Konkurrenz um den Status der verantwortlichsten Führungselite für ein besseres Deutschland nicht passt.

Die Universität selbst hält sich aus diesem Streit vorerst heraus: Sie braucht sich in der Sache nicht zu entscheiden, weil sie sich sowieso – gerade in den Zeiten der modernen Massenuni nötiger denn je – als die angestammte und zukünftige Heimat jedes demokratisch noch vertretbaren Standpunktes versteht, der sich, verbunden mit der Bereitschaft zu führen, die Verantwortlichkeit für die Schicksale der Nation zu eigen macht. Von wegen, die Burschen passen nicht zur Uni…!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.