Freunde der Globalisierung üben sich in internationaler Zusammenarbeit
Während im Herbst 2008 die Dimension der ‚Finanzkrise‘ nicht mehr zu übersehen ist und die „Realwirtschaft“ weltweit einbricht, macht in Zeitungen und Talkshows ein Menetekel die Runde: „1929“ lautet das Verhängnis, das eventuell wieder droht. Damit nicht noch einmal aus einer Wirtschaftskrise eine Weltkatastrophe wird, ziehen Experten „Lehren aus der Krise von 1929“, die die Verantwortlichen aller Länder zu beherzigen haben: „Eine Wiederholung der Weltwirtschaftskrise wäre so schlimm, dass im Vergleich dazu alles andere als erträglich erscheint. … Jetzt geht es darum, eine Finanzordnung zu finden, die die Fortsetzung der Globalisierung ermöglicht und den Rückfall in allgemeinen Wirtschaftsnationalismus verhindert – eine Ordnung, die auf Kooperation und nicht auf einsame Entscheidungen baut.“ (SZ, 31.12.08) Mahnende Worte zum Jahreswechsel.
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Keine zwei Monate später steht ein gewichtiges Subjekt dieser globalisierten Weltwirtschaft, der multinationale Automobilhersteller GM mit Hauptsitz in den USA und Dependancen in allen Nationen von Rang und Namen, speziell mit Opel in Deutschland, vor dem Aus. Der drohende Konkurs des ehemaligen Weltmarktführers der Autobranche trifft viele andere Firmen und Länder, und die allseitige Betroffenheit von der Krise gebietet, das hat man ja gelernt, unbedingt „Kooperation“. Die gestaltet sich dann so:
– Ein betroffener Landesvater aus dem Kapitalstandort Deutschland macht sich auf nach Detroit. Dass die in seinem Bundesland ansässige Opel AG zusammen mit ihrer Konzernmutter GM in die Krise geraten ist, ist ihm selbstverständlich bekannt, natürlich auch, dass Kapitalunternehmen gemeinhin das Subjekt der ‚Strategien‘ sind, mit denen sie sich in Krisenlagen retten. Als deutscher Politiker kann Rüttgers das nicht akzeptieren: „‚Ich möchte, dass hier jeder Manager weiß, dass er nicht einfach in Amerika Entscheidungen treffen kann, die dann in Deutschland, in Europa, in Nordrhein-Westfalen geschluckt werden müssen‘, sagte Rüttgers in Washington und fügte an: ‚Wer meint, er könne einfach Werke stilllegen, muss wissen, dass das eine sehr teure Geschichte wird, dass das auch den Widerstand nicht nur der Politik, sondern auch von
Opel
zur Folge haben wird.‘„ (SZ, 18.2.) Man mag das als Wahlkampfgetöse und angeberische Selbstdarstellung eines Landesfürsten durchschauen: Man mag damit sogar Recht haben, verpasst aber die Hauptsache, nämlich den Stoff, an dem der Mann sein Profil schärft. Immerhin nimmt sich da ein deutscher Politiker das Recht heraus, der amerikanischen Weltfirma zu untersagen, was sie für ihre Rettung für erforderlich hält. Für Rüttgers ist Opel, das seit dem ersten Weltkrieg dem GM-Konzern gehört, ein „deutsches Traditionsunternehmen“. Der deutsche Name begründet für ihn einen nationalen Besitzanspruch und das Recht auf Einmischung in die Geschäftspolitik der amerikanischen Muttergesellschaft. So klärt sich schon einmal das mit den „einsamen Entscheidungen“, die es in der Krise keinesfalls mehr geben darf: Wenn sie einem bei anderen nicht passen, setzt man eigene drohend dagegen.
– Zur Rettung des deutschen Standorts von GM werden von staatlicher Seite Beihilfen erwogen, und wenn darüber im Einzelnen auch noch keine Klarheit herrscht, ist sich die öffentliche Meinung im Lande in einer Hinsicht doch völlig einig: Wenn Deutschland für Opel Finanzmittel locker macht, darf auf keinen Fall GM daraus seinen Nutzen ziehen. Falls Opel mit staatlichen Mitteln saniert wird, dann weil Deutschland ein Interesse am Fortbestand der Firma in Deutschland hat, und dieses Interesse schließt alles aus, was man aus Detroit zur Rettung des Weltkonzerns zu hören bekommt: „Zahlen sollen nicht nur die Amerikaner, sondern alle Staaten, in denen GM Werke hat. Wer auch künftig eine GM-Fabrik im Land haben möchte, soll dafür bezahlen.“ (FAZ, 19.2.) Für den Erhalt einer Autofirma, deren Konzernzentrale in Amerika sitzt und amerikanisch kalkuliert, deutsche Steuergelder ausgeben? Das sind „dreiste Forderungen“, „Unverschämtheit“, fast „Erpressung“: „Nie sind Unterlagen für eine Erpressung so offenherzig unter dem Logo eines der größten Unternehmen der Welt der Öffentlichkeit vorgelegt worden.“ Von „Kooperation“ jedenfalls kann nur die Rede sein, wenn die Zahlungsströme andersherum fließen und der kaputte Konzern „zurückbezahlt“, was er sich an „Patenten und technologischem Knowhow von Opel angeeignet“ hat.
– Finanzielle Unterstützungen haben Opel zu retten und nicht GM, eventuelle Hilfszusagen an ‚unsere‘ Traditionsmarke stehen unter der Bedingung, „Möglichkeiten zu finden, wie Opel geholfen werden könnte, ohne dass deutsches Steuergeld an die amerikanische Muttergesellschaft fließt.“ (SZ, 13.2.) Die öffentliche Meinung geht schon von zwei selbständigen Firmen aus, einer deutschen und einer US-amerikanischen, so als ob Opel nicht immer noch GM gehören würde und nur als eingebaute Konzerntochter ihre Funktionen erfüllt und ihre Geschäfte macht. Die Abspaltung und nationale Zuordnung des Autobauers gilt da als selbstverständliche Vorbedingung jeder Hilfe. Das hindert deutsche Standortpatrioten freilich nicht, sich weiterhin als Freunde des internationalisierten Weltgeschäfts und insbesondere des Konkurrenten jenseits des Atlantiks zu präsentieren. In ureigenem Interesse hat man in Amerika endlich einzusehen, dass etwas anderes ansteht als gutes Geld „im Detroit-River zu versenken“. Genau besehen ist der Untergang von GM nur zum Besten der amerikanischen Nation, der Ruin ihrer Schlüsselindustrie die beste Methode ihrer Gesundung: „Es ist Zeit für eine Insolvenz. Nur dann kann die amerikanische Autoindustrie wieder auf gesunde Füße gestellt werden.“ (FAZ, 19.2.) Und nicht nur für Amerika wäre eine Pleite von GM das Beste, was passieren kann. Sie wäre auch eine gar nicht so schlechte Lösung ‚unseres‘ Problems: „Ein Konkurs von General Motors aber wäre auch für deren deutsche Tochtergesellschaft Opel die beste Lösung. Nur dann könnte man versuchen, aus der Konkursmasse die Teile von GM zusammenzubauen, die man braucht, um aus Opel tatsächlich wieder einen eigenständigen, mittelgroßen Anbieter von Mittelklasseautos zu machen.“ (FAZ, 19.2.) Ein Großkonzern in Amerika gehört zerschlagen, damit ein verkleinerter Großkonzern vom Standort Deutschland ganz neu sein Heil in der Konkurrenz suchen kann. Die Krise der Weltwirtschaft ist dadurch zu bewältigen, dass Misserfolg im Weltgeschäft bei anderen Nationen konzentriert wird, so dass im selben Zug der eigenen Nation die Mittel zufallen, die künftigen Konkurrenzerfolg versprechen. In der globalisierten Welt sucht die FAZ eben nach „besten Lösungen“ für alle. Für „Wirtschaftsnationalismus“ ist da kein Platz.
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Natürlich hören die Warnungen nicht auf – vor dem „Gift der Abschottung“, vor „protektionistischen Tendenzen“, „längst überwunden geglaubtem ökonomischem Nationalismus“ (SZ, 6.2.) und vor „Gegnern des freien Handels“, die sich „weggeduckt“ haben, „während die Globalisierung scheinbar unaufhaltsam voranschritt“ (SZ, 3.2.) Alles das ist gefährlich für die Weltwirtschaft und unerträglich für uns, wenn es von Anderen kommt! Fremdem Wirtschaftsnationalismus dürfen keine Gelegenheiten geboten, keine Vorwände geliefert werden. Daher richten Journalisten Ermahnungen auch an die eigene Regierung. Sie darf nicht vergessen, worin Deutschlands Erfolg besteht: „Die Exportzahlen dienten lange als Beleg dafür, dass keine andere Wirtschaftsnation derart von der Globalisierung profitiert wie die Deutschen.“ (SZ, 14.2.) Deutschland ist dringender als andere Nationen auf weltweit offene Märkte angewiesen und muss darauf achten, dass der Schutz des eigenen Standorts nicht seine Ansprüche beschädigt, als Exportweltmeister auch in Zukunft an der ganzen Welt zu verdienen. Deshalb ist es „selbst in einer Rezession nicht die Aufgabe des Staates, jedes angeschlagene Unternehmen oder jede schwankende Branche mit kostspieligen Rettungsaktionen zu stützen. Das käme gerade für eine Exportnation wie Deutschland einem Rückfall in Zeiten des Protektionismus gleich. Beides würde den nationalen und internationalen Wettbewerb hemmen und letztlich den Wohlstand aller schmälern.“ (SZ, 19.2.)