Birma/Myanmar:


Religiöse Fanatiker und regierungsfeindliche Umtriebe, wie sie Bush, Merkel und die freie Presse schätzen und brauchen können

Worum es dort unten geht, das weiß ein deutscher Bürger sofort, wenn er seine Zeitung liest: Für die Süddeutsche Zeitung „geht es hier um viel… Birma liegt mittendrin in einem geostrategischen Spannungsfeld, vielleicht dem größten der nächsten Jahrzehnte. Und es hat Ressourcen, nach denen es viele gelüstet: Öl und Gas.“

Die „Süddeutsche“ unterstellt den Leser als einen, der das wie ein Sachzwang daherkommende Interesse der freiwestlichen Außenpolitiker teilt, dass man sich da unmöglich heraushalten und die Kon­trahenten ihre Gegensätze allein austragen lassen kann. Deutsche Politiker berührt es selbstredend, welchen Einfluss andere Mächte auf dem Globus haben, denn womöglich haben die ja zu viel und beschneiden damit die deutschen Interessen. Aber offensichtlich unterstellt die Presse, dass auch ihre Leser, die im richtigen Leben ganz andere Sorgen haben, aufpassen, dass „geostrategisch“ alles mit rechten Dingen, sprich: im nationalen Interesse Deutschlands, zugeht. Zumal es da um „Ressourcen“ geht, auf die „viele“ scharf sind, auf die also auch „wir“ unbedingt scharf sein müssen.

Dumm ist nur, dass da der „Westen“ nicht drin ist, sondern außen vor. Eine Militärregierung hat nämlich laut SZ „das Land über die Jahrzehnte abgeschottet und heruntergewirtschaftet“. Dabei wollten die Freiheit und ihr Kapital sich immer schon Zugang zu diesem schönen Land, seinen Leuten und den dort herumliegenden „Ressourcen“ verschaffen. An harscher Kritik, also Einmischung in die „inneren Angelegenheiten“ Birmas nebst deren praktischer Umsetzung mittels Wirtschaftssanktionen hatte es deshalb nicht gefehlt. Alle Drohungen und Erpressungen haben aber bislang nichts gefruchtet, weil vor allem China und Indien ungerührt Geschäfte mit dem „Regime“ machen und so dafür sorgen, dass die Generäle es sich weiter leisten können, die führenden kapitalistischen Weltwirtschaftsmächte bei der Benutzung ihres Landes zu behindern.

Die freie Presse ist sich da einig mit den Herren der freien Welt: Das Land steht dem Westen einfach zu! Und deshalb hält sie es für einen Verstoß gegen die von EU und USA definierte „political correctness“, wie die Junta Staat macht, und für einen Skandal, dass sie dabei immer noch Unterstützung von außen bekommt. Bloß weil die Generäle den Interessen des Westens nicht nachkommen, also einfach andere politische Ziele haben, werden sie als Verbrecher abgekanzelt.

Dabei weiß nicht nur ein verantwortungsbewusster Staatsmann, sondern auch ein demokratischer Journalist, dass ein politisch korrekter Führer seines Volkes nicht immer und in jeder Weltecke mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen kann, was aktuell z. B. den thailändischen Militärdiktatoren konzediert wird. Auch als der präsidierende „pro-westliche“ pakistanische General einen Protest seiner heimischen Geistlichkeit in der Roten Moschee niedermetzeln ließ, stieß er auf volles Verständnis, weil sich Muscharraf keinesfalls anti-westlichen Interessen beugen durfte. In so einem Fall wäre es natürlich immer wünschenswert, wenn auch noch das Volk per Wahl seine Zustimmung zu seinen, dem Westen gewogenen Herrscherfiguren gibt. Denn das dient der Stabilität und der Orientierung in die richtige Himmelsrichtung. Aber wenn das dort im Interesse eben dieser Stabilität und des Friedens in der Region gerade nicht geht, dann muss so eine Herrschaft deswegen nicht gleich weggeputscht werden.

Bei Myanmar ist sich die Presse jedenfalls einig: Die dortige Herrschaft ist unrechtmäßig und gehört weg. Staaten, die mit den birmanischen Machthabern Geschäfte machen und sie damit weiter an der Macht halten, begehen nach Auffassung der NATO-Bündnispartner und der sich in deren Interessen einfühlenden Journalisten selbst Unrecht. Denn die Bürger Birmas haben als Menschen ein ihnen von Natur verliehenes Recht darauf, dass ihr Land für Bush, Merkel usw. offen steht. China fällt als Unterstützer besonders störend auf. Das fällt auf die Junta als doppelte Todsünde zurück: Den Westen auszusperren und sich auch noch China an den Hals zu werfen, ein solches Regime verdient keinerlei Anerkennung, sondern seine Beseitigung.

Das wird dann als ein einziger Dienst an den Menschen da unten ausgegeben. Die dürsten angeblich danach, heim ins Reich der Freiheit geholt zu werden. Mag ja sein, dass nicht jeder Reisende in dem bislang als fernosttouristischer Geheimtyp geltenden Land sofort entdeckt hat, dass immer und überall die Befreiung das Anliegen dieser tapferen Leutchen ist, jetzt erfährt er es aus journalistischen Reiseberichten. Laut FAZ lassen sich Birmanen durch keinen noch so großen Zwang davon abhalten, „jedem der wenigen zehntausend Touristen, die sich im Land verlieren, versteckte Zeichen [zu geben].“ Oppositionelle fordern im Namen ihres Volkes einen Regierungssturz, weil es die Militärherrschaft zur Armut gezwungen hat, ohne dass ihre Untertanen etwas Vernünftiges dafür bekommen, Wirtschaftswachstum zum Beispiel.

Dass sie arm sind, unterscheidet Birmanen allerdings nicht von den meisten Menschen in der schönen Welt des demokratischen Imperialismus – nicht bloß in südlichen Breiten. Was ihre Armut aber für prowestliche Journalisten kritikabel macht, ist deren „Rückständigkeit“. Im Gegensatz zu der mehr zeitgemäßen, „sachzwangbedingten“ Armut in der Heimat der Freiheit soll Armut in Myanmar ein einziges Fanal und die Öffnung für den Westen die Sozialleistung für seine Bürger sein. Armut finden Korrespondenten dort unerträglich, dieselben Korrespondenten, die sich sonst gar nicht mehr einkriegen, wenn sich jemand anderswo auf der Welt, z. B. Chávez in Venezuela daran macht, etwas zu ändern und wirklich gegen die Armut in seinem Land vorzugehen – das sind dann „populistische Tricks“, die, weil sie gegen die „Sachgesetze der Wirtschaft“ verstoßen, nur dem Machterhalt dienen sollen und das Land in den Abgrund führen.

Dass mit dem Eintreten für gute Herrschaft allerdings auch eine gewisse Härte gegenüber Einzelschicksalen verbunden ist, ist weltbewanderten Korrespondenten sonnenklar. Das merkt der Leser, wenn sich die Sache zuspitzt. Es ist keinesfalls abgebrüht, sondern eher der Bedeutung der Angelegenheit angemessen, wenn sein Blick auf ein Schlachtfeld gerichtet wird, auf dem sich abzeichnet, dass da demnächst ein größeres Blutbad fällig ist. Die SZ hoffungsfroh: „Ein Show-down zwischen der militärischen und der religiösen Macht auf den Straßen Ranguns – das hätte noch vor kurzem niemand für möglich gehalten.“ Dass bei dem High Noon in Rangun womöglich auch „Massen“ von Toten anfallen – das Risiko schreckte das „liberale Weltblatt“ nicht. Es spekulierte darauf, dass die laut ihrem eigenen Urteil „vor nichts zurückschreckenden“, Generäle, konfrontiert mit den Massen auf den Straßen, einsehen müssten, dass ihnen „nichts anderes übrig bleibt, als zu verhandeln“. Dass sie also ihre Selbstentmachtung in die Wege zu leiten haben.

Angesichts dieser für alle gut imperialistisch mitdenkenden Menschen auf der Welt erfreulichen Aussichten auf einen Regimewechsel in Myanmar war es umso ernüchternder, als die Generäle den vorher hierzulande gefeierten angeblichen „Volksaufstand in wenigen Tagen niedergeschlagen hatten“ und die SZ sichtlich enttäuscht einräumen musste, dass „es ihnen sogar gelungen ist, dies auf eine für ihre Verhältnisse geradezu sanfte Art zu tun“.

Selbstverständlich steht Myanmars Regierung weiter auf der Abschussliste. „Die Revolution in Birma ist nicht vorüber – sie hat gerade erst begonnen. […] Denn auf die Unruhen im Land muss jetzt der Aufstand von außen erfolgen. Jetzt müssen die Nachbarn und die Ordnungsmächte der Welt eingreifen.“ Ein unverhohlener Aufruf zur Gewalt, nur diesmal erlaubt, weil er weder von Al Kaida noch von der „gleichgeschalteten“ Presse eines „Schurkenstaates“ kommt! Die freiheitlich gesinnten Presseorgane appellieren ohne jede „Gleichschaltung“ von oben unisono an die verantwortlichen demokratischen Machthaber, die hoffnungsvollen Ansätze der birmanischen Mullahs, pardon: Mönche, in Sachen Regimewechsel nicht verpuffen zu lassen, sondern sie als Ansporn zu begreifen, ihren Druck und ihre Erpressungen fortzusetzen, es dabei allerdings besser machen als zuvor.

Einer solchen Weltordnungsfrage auf höchstem Niveau widmet man sich in deutschen Redaktionsstuben selbstverständlich ausgehend vom deutschen Standpunkt innerhalb der imperialistischen Weltmachtkonkurrenz. Deshalb der antiamerikanische Ausfall gegen den Großen Bruder: „Isoliert wird Birma vom Westen, vor allem von den USA. Sie wollen mit Sanktionen das Land von seinen Lebensadern abschneiden und hoffen so auf den inneren Kollaps. Diese Strategie ist falsch.“ Beweis: Die Generäle treiben ja weiter ihr Unwesen. Dann der analytisch messerscharfe Schlag gegen die notorischen Störenfriede der neuen Weltordnung: „Sanktionen bleiben nutzlos, wenn es sich nur um westliche Sanktionen handelt“. Daraus folgt die konstruktive Kritik am Westen: Er sei einfach zu zögerlich. Vor allem die USA sollten unterbinden, dass die notorischen Störenfriede der neuen Weltordnung, die Chinesen, in Myanmar ihre Interessen wie gehabt weiterverfolgen. Bush solle den Chinesen beibiegen, dass sie mit den USA zu einer „gemeinsamen Politik finden“ müssen. „Der richtige Ort dafür ist der UN-Sicherheitsrat, der im Fall Birma das erste konstruktive Zusammenspiel zwischen China und den USA erleben muss.“ Und warum soll der UN-Sicherheitsrat das unbedingt erleben? Weil für einen Journalisten der „Süddeutschen Zeitung“ das Interesse von EU und den USA so fraglos weltweit gilt, dass sich nicht nur Myanmars Generalsjunta, sondern auch China dem unterordnen und „konstruktiv“ mitspielen müssen. In den Vereinten Nationen, denn dort kann der deutsche Spielführer – das kann man sich zumindest einbilden – nicht nur die Anweisungen geben, sondern auch aufpassen, dass sich auch die USA an die Anweisungen halten und nicht womöglich mit Alleingängen wieder alles verpatzen wie andernorts auf der Welt.

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