Geschäft ist Hilfe, Kredit ist Menschenrecht
Das norwegische Parlament, das zur Erinnerung an einen der größten Rüstungsfabrikanten und Kriegsgewinnler den weltweit bedeutendsten Friedenspreis verleiht, hat wie stets eine würdige Wahl getroffen. Ein Kriegsherr, der seine Sache gerade zu Ende gebracht und Frieden geschlossen hat, war wohl nicht zu finden, so hat man einen anderen Wohl-täter der Menschheit geehrt: Den Bankier Mohammad Junus aus Bangladesch. Er hat dadurch von sich reden gemacht, dass er in seinem Land eine Art Raiffeisenbank gegründet hat, die kleine und kleinste Summen auch an die ganz Armen verleiht, indem sie auf pfändbare Sicherheiten verzichtet, die die ohnehin nicht stellen könnten. Die Sicherheiten ersetzt seine Grameen-Bank (Dorf-Bank) durch eine intensive Überwachung und soziale Kontrolle der Schuldner, eine Technik, die ihr die gigantische Rückzahlungsquote von über 98% ihrer Ausleihungen einträgt. Auf sie nimmt die Bank 20% Zinsen im Jahr – immer noch viel weniger, wie es heißt, als die Wucherer, die sie damit verdrängt. Mit ihren Zinserträgen und stetigen Rückflüssen, mit Spar-Einlagen und dem Verkauf von Genossenschaftsanteilen an ihre Kunden vergrößert die Dorf-Bank ihre Finanzkraft stetig, weitet ihr Geschäftsfeld auf immer neue Dörfer und Dörfler aus und wächst damit noch in ganz andere Dimensionen hinein. Zusammen mit Telenor ist sie inzwischen Eigentümer des größten Mobilfunkbetreibers des Landes – und findet ob ihrer Erfolge weltweit immer mehr Nachahmer auch unter global agierenden Privatbanken, die sich das neu erschlossene Geschäftsfeld nicht entgehen lassen wollen. Das Interesse des echten Finanzkapitals, weit davon entfernt, das edle Entwicklungsprojekt zu diskreditieren, adelt es endgültig als realitätstaugliches Bankgeschäft.
Natürlich wird der Preis des schwedischen Dynamit-Produzenten nicht für eine Finanz-innovation verliehen, mit der sich auf neuen, bisher ungenutzten Feldern Geld machen lässt, sondern für Verdienste um die höchsten Ideale des modernen Imperialismus: Frieden und Entwicklung. Preiswürdig findet das Komitee die bengalische Geschäftsidee denn auch wegen ihres Beitrags zur „Entwicklung von unten“: Der „Bankier der Armen“ hat „Millionen Menschen aus der Armut geholfen.“ (HB, 16.10.06) Das dürfte übertrieben sein. Was sich aber sagen lässt, ist, dass Junus mit seinen Mi-krokrediten aus untätigen, überlebensunfähigen und nutzlosen Armen fleißige, schachernde, dienstleistende und Zinsen zahlende Arme gemacht hat. Und es ist keine Lüge, sondern eine zynische Wahrheit über die ökono-mischen Existenzbedingungen auch in der sogenannten Dritten Welt, dass die Indienstnahme des Überlebenskampfes der Armen zugunsten des Bankkapitals den Charakter einer Hilfe, ja der einzig realistischen und wirksamen Hilfe annimmt.
Wo Kredit Hilfe, gar unverzichtbar dafür ist, dass einer an die ihm absolut nötige Arbeit gehen kann, sind alle traditionellen Formen von Kooperation, Arbeitsteilung und sozialem Verbund durch die Macht des Privateigentums aufgelöst und zerstört. Dieses Eigentum aber gehört, wie ihr Name schon sagt, nicht den Armen. Auch sie stehen in einer Wirtschaft, in der sich alles ums Geld dreht, sind auf Gedeih und Verderb aufs Geldverdienen angewiesen – und ohne Geld. Für sie sind schon primitivste Arbeits- und Produktionsmittel – Saatgut, Nähmaschine, Wasser-pumpe – unerreichbar. In dieser Situation, in der alle Bedingungen beisammen sind und nur noch ein Geldvorschuss da-für fehlt, dass der mittellose Arme sich in einen Erwerb stürzt und mit seinen Anstrengungen um einen Lebensunterhalt noch Zinsen abwirft, kann eine Bank helfen. Wenn der Kapitalismus erst einmal Platz gegriffen hat, geht nichts mehr ohne Kapital – und sei es in homöopathischen Dosen. Die mit Startgeld ausgerüsteten Kleinstunternehmer haben nun das Glück, mit ihrem Angebot sich erstens gegen die Konkurrenz der industriell erzeugten Importprodukte aus den entwickelten Ländern, zweitens gegen den kämpferischen Geschäftssinn von ihresgleichen behaupten und drittens die Ansprüche ihres wohltätigen Gläubigers befriedigen zu dürfen – ehe ihre Arbeit sie ernährt.
Besonders stolz ist Professor Junus darauf, dass sein Entwicklungsprojekt nicht zum x-ten Mal auf Mildtätigkeit hinausläuft, sondern sich in ein echtes Geschäft übersetzt – „ein Geschäft wie jedes andere“ (HB) –, das sich erstens selbst finanziert und wächst und zweitens dafür sorgt, „dass auch die Ärmsten der Armen selbst für ihre Entwicklung arbeiten können.“ (La Sicilia, 14.10.) So hat er, wie das Nobel Komitee meint, mit seiner Geschäftsidee „mehr für die Entwicklung von unten bewirkt als viele Milliarden auswärtiger Entwicklungshilfe.“
„Almosen bringen nichts!“ – diese lang erprobte Wahrheit versteht der philanthropische Ökonom allerdings nicht etwa so, dass einmalige Geschenke und Not-hilfen an der Lage der Betroffenen nichts ändern und es schon mehr bräuchte – eine kollektive Organisation der not-wendigen Arbeit etwa –, um in seiner Weltregion das Leben erträglicher zu machen. Nein, er versteht den Satz pädagogisch, lehnt nicht rück-zahlbare Zuwendungen und Entwicklungshilfen ab, nicht weil sie nichts nützen, sondern weil sie die Beschenkten verwöhnen, ihnen den Zwang zur Mühsal ersparen und sie wie Dro-genabhängige nur immer noch abhängiger vom nächsten Zuschuss machen. Kapitalismus als Erziehungsmittel ist dagegen genau das, was die Elenden brauchen. Ihrer Schaffenskraft, in die Junus großes Vertrauen setzt – „Jeder Mensch hat die Fähigkeit, für sich selbst zu sorgen“ –, hilft die streng überwachte Pflicht der Zinsenbedienung auf die Sprünge. Das wirkliche Verhältnis von Zweck und Mittel im Bankgeschäft stellt der ökonomische Volkserzieher damit zwar schon auf den Kopf: Zins zu erwirtschaften soll nicht der Zweck des Geldverleihens sein, sondern ein raffiniertes Mittel, um den Schuldner zu regelmäßiger Arbeit anzuhalten und an die Härten der Selbstverant-wortung zu gewöhnen. Aber das ist eben ein der VWL würdiger Idealismus; und solange die Rückzahlungen funktionieren, kann man ja so tun, als liefen beide Ziele auf dasselbe hinaus: der Zwang, einen Teil der eigenen Arbeits-zeit für die Bank zu arbeiten, als die beste Erziehung zur Arbeit für sich selbst.
Überhaupt bekennen sich der Preisträger wie seine Laudatoren dazu, dass es ihnen noch mehr um die Hebung der Moral der Ärmsten zu tun ist, als um die Hebung von deren Lebensstandard: „Mit seiner Idee, den Armen durch Kleinstkredite zu helfen, gab er vielen Menschen ihre Würde zurück.“ (NN, 14.10.) Arme Leute, die ihre Rechnungen bezahlen und Schulden tilgen, haben Würde – die Sorte Selbständigkeit und Respektabilität nämlich, die die Freiheit kapitalistischer Existenzen ausmacht. Ihre vertraglich eingegangene Abhängigkeit vom Mikrokreditgeber ist Unabhängigkeit, die erfüllte Pflicht zur Verzinsung ist Freiheit. Hilfe anzunehmen, wäre dagegen Unselbständigkeit, Elend und begründete zu Recht Verachtung.
Mohammad Junus hat sich also wirklich verdient gemacht. Erstens um den immer wieder bedrohten Ruf des globalen Kapitalismus. Mit seiner moralisch besonders glaubwürdigen, weil geldmaterialistische Motive gar nicht verleugnenden Innovation hat er bewiesen, dass sich auch die ganz Armen im Kapitalismus unterbringen lassen; d.h. sich auch für sie – wenigstens für einige von ihnen – die Gleichung von Arbeit für den Lebensunterhalt und Arbeit fürs Kapital organisieren lässt, in diesem Fall eben für das Kapital der Bank. Er hat sich zweitens verdient gemacht um die praktische Verankerung eines angepassten Armutskapitalismus in den Weltregionen, die der Rechnungsweise des Kapitals längst unterworfen sind, ohne dass Kapitalisten mit den menschlichen und natürlichen Produktionsbedingungen dort so recht etwas anzufangen wüssten.
(aus: GegenStandpunkt 04/2006)