Journalisten verstehen sich als Meinungsbildner, die dem Anspruch und Recht ihres Publikums dienen, über die Zustände im eigenen Land und anderswo Bescheid zu bekommen und sich einen eigenen Reim darauf zu machen. Sie informieren über alles Mögliche und legen – das ist ihr Berufsethos – beim Bericht der „Fakten“ Wert auf Sachlichkeit und Unparteilichkeit.
Fakten, die eine Nachricht verdienen, gibt es für tüchtige Journalisten jede Menge: Unfälle und Sportereignisse, Naturkatastrophen und dramatische Schicksale, das Privatleben der Prominenz und die Alltagsbewältigung der kleinen Leute, das Wetter, der nationale Geschäftserfolg und die politischen, ökonomischen und militärischen Großtaten der eigenen Regierung und auswärtiger Machthaber – all das wird dem Publikum als Tatsache zur Kenntnis gebracht. Noch vor jeder Auswahl, Formulierung und Kommentierung des Berichteten stellt dieser Standpunkt der Faktizität eine prinzipielle Schönfärberei dar: Den Interessen der Besitzenden und der Armut weiter Teile der Weltbevölkerung, den Programmen und Taten der Mächtigen und dem Elend ihrer Untergebenen und Opfer wird der Charakter von Fakten zugesprochen, deren Abschaffung ebenso unsinnig und unmöglich erscheint wie die des schlechten Wetters, über das in gleicher Manier berichtet wird. Die Bevölkerung hat sich auf diese „Fakten“ – wie auch immer – einzustellen und erfährt aus Presse, Funk und Fernsehen, was diesbezüglich gerade ansteht. Dass sich beim derart informierten Publikum nicht nur eitel Zufriedenheit einstellt mit dem, was da so zu berichten ist, kann angesichts der Interessensgegensätze in dieser Gesellschaft nicht verwundern. Unzufriedenheit beim Adressaten wird vom Journalisten erwartet, aufgenommen und in verantwortliche Bahnen gelenkt. Die „kritische“ Distanz, die der Berufsstand der Journalisten seinen Gegenständen gegenüber einnimmt, ist grundsätzlich konstruktiver Natur: Ständig schwingt im Bericht die – wenn auch oft unausgesprochene – Frage mit, ob und wie „man“ es, das Berichtete nämlich, anders, besser, gelungener hätte bewerkstelligen können und sollen.
Den Maßstab für diese Beurteilung übernehmen Journalisten von der Politik, die die Ausübung der Staatsgewalt gerne als die – notwendige – Verfolgung höherer Prinzipien präsentiert. Da geht es nicht um Verarmung, Ausbeutung, Ausschluss von Bildung und Wohlstand und die Unterordnung konkurrierender bzw. die Beseitigung unliebsamer ausländischer Potentaten, sondern um „Generationengerechtigkeit“, „Beschäftigung“, „Wachstum“, „Chancengleichheit“ und „Demokratisierung“. An der Spitze aller Nachrichten und Zeitungsseiten stehen die Taten der Politiker und die Erläuterungen und übergeordneten Gesichtspunkte, mit denen sie diese ihrem Volk als in seinem Sinne geschehen verkaufen. Der ausgiebigen Selbstdarstellung der Machthaber, eben deshalb, weil sie die Macht haben, breiten Raum zu geben, ist ein Gebot journalistischer Sachlichkeit. Insofern sind Journalisten Opportunisten der Macht. Bedeutsamkeit und sachliches Gewicht einer Nachricht bemessen sie nach der Herrschaftsfunktion der Figuren, über deren Aktivitäten sie berichten. Deren Taten und ihre Begründung authentisch und aus erster Hand, von ihnen selbst oder von Informanten aus der nächsten Umgebung der wichtigen Persönlichkeiten zu erfahren und weiterzuvermitteln, das macht für Journalisten eine gute Berichterstattung aus. Darüber hinaus machen sich Journalisten mit Hintergrundberichten um die Beantwortung der spannenden Frage verdient, ob die aktuell Regierenden oder eher ihre Konkurrenten sich persönlich den ach so schweren „Führungsaufgaben“ gewachsen zeigen und deshalb den Gehorsam der regierten Bevölkerung verdienen. Sie forschen aus, wie die Amtsträger Pflicht und Neigung vereinbaren, ob es im Privatleben und der Familie stimmt usw.. Ein besonderer journalistischer Erfolg ist es, Anzeichen für Ehrlosigkeit und Pflichtverletzung aufzudecken. Das bedient die politische Konkurrenz mit der Inszenierung eines Skandals, der, wenn er dick genug ist, schon mal den einen oder anderen Minister seinen Posten und Regierungen oder Regierungsanwärter den Wahlsieg kosten kann. Wegen solcher „Erfolge“ sieht sich die freie Presse gerne als „vierte Gewalt“, die den Machthabern, wenn nötig, korrigierend in den Arm fällt. Der Gesichtspunkt, von dem aus dieses selbsternannte Korrektiv arbeitet, ist der der sauberen Amtsführung, gemessen an den Prinzipien, denen die Amtsinhaber selbst Gültigkeit verliehen haben. Wenn da einer das Parteibüro der Konkurrenz verwanzt, Parteispenden nicht verbucht oder Kriegsgefangene foltern lässt, dann wägt die dies enthüllende Presse ab, ob solches Tun mit „unseren“ Grundsätzen vereinbar ist, das nationale Interesse befördert oder dem Ansehen der Nation schadet und deshalb den Rücktritt des Verantwortlichen nötig macht. Spätestens dessen Amtsenthebung bringt dann alles wieder ins Lot und bestätigt das unerschütterlich positive Urteil über „unsere“ Nation, das allen Medienberichten zugrunde liegt.
Der „Wertfreiheit“ journalistischen Berichtens, um die die Mitarbeiter der freien Presse so eifrig bemüht sind, tut es nämlich keinen Abbruch, wenn der Blick auf die Welt vom Standpunkt des nationalen Interesses aus erfolgt, das Journalisten gerne mit dem ihrer Leser identisch setzen. Sie schreiben tatsächlich oder implizit immer in der ersten Person Plural: Ob „wir“ „unsere“ Staatsverschuldung in den Griff kriegen, „unsere“ Geburtenrate steigern können oder „uns“ am Hindukusch durchsetzen, ob „die Unseren“ Erfolg haben beim Fußball oder beim Flugzeugbau, das sind die parteilichen Fragen, die Journalisten bei ihrer unparteilichen Berichterstattung umtreiben.
In Kommentaren und Leitartikeln wird der Gesichtspunkt, der im Nachrichtenwesen stillschweigend ohnehin immer vorkommt, zum Hauptthema: die Frage, ob die amtierende Regierungsmannschaft ihren Job korrekt macht, gemessen an den höheren Konzeptionen, für die die Nation nach innen oder außen unterwegs zu sein vorgibt. Die staatliche Gewalt, die Interessensgegensätze einrichtet und immer wieder zugunsten ihres Interesses an der privaten Reichtumsvermehrung der Besitzenden entscheidet, wird nur entlang der ideologischen Rechtstitel gewürdigt, die sie selbst für sich ins Feld führt. So werden Journalisten kritisch gegen ihre Regierung oder – je nach Vorliebe – gegen deren politische Konkurrenten: Sie geißeln Inkonsequenz und falsche oder fehlende Konzepte beim Herbeiregieren von Gerechtigkeit, Aufschwung, Stabilität, Sicherheit und/oder was sonst an höheren Gesichtspunkten bezüglich der staatlichen Interessen und Taten in Mode ist oder von ihnen in Mode gebracht wird. Material dafür liefert die Konkurrenz der Politiker um die Teilhabe an der Macht zuhauf. Bei ihrem Bestreben, sich oder die eigene Partei als den optimalen Sachwalter und Gestalter der angesagten nationalen „Herausforderungen“ zu präsentieren, setzen die politischen Konkurrenten auf die Unterstützung der Presse. Und die lässt sie ihnen nach Maßgabe dessen, wem sie die Beförderung der nationalen Sache eher zutraut, zuteil werden und betätigt sich so als Steigbügelhalter oder Karrierekiller im politischen Geschäft. Eine negative oder, schlimmer noch, gar keine „Presse“ zu haben, ist schlecht für persönlichen Aufstieg und Wahlerfolg. Umgekehrt hilft es im Gerangel um die Posten, von der Presse als ehrlicher, führungsstarker Macher oder Verein vorgeführt zu werden, der die „Aufgaben“, die Zukunft, Geschichte, Globalisierung, Alterspyramide, Weltlage … an „uns“ stellen, zu bewältigen weiß.
Darin besteht die wichtigste Dienstleistung des Journalistenstandes für die Macht: Er stellt die Politik dar als die verantwortliche Bewältigung von Anforderungen, die allgemein und damit für Politiker und Bürger gleichermaßen gültig und verbindlich sind. Härteste Kritik an der Politik ist deshalb, dass gewisse Politiker es mit ihren Maßnahmen dem Volk schwer machen, sich diese als Einsatz für die propagierten „edlen“ Zwecke einleuchten zu lassen. Ihnen werfen Journalisten dann fehlende Glaubwürdigkeit vor. Kritische Journalisten sehen es als ihre Aufgabe, dem politischen Vertrauensverlust, den sie befürchteten, entgegenzuwirken, indem sie je nach Stilrichtung mit drastischen Worten oder sorgsam abgewogenen Äußerungen Abscheu über solche Verfehlungen kundtun und richtige „politische Führung“ einfordern. Ganz ohne Zensur und inhaltliche Vorschriften ist für diesen freien Journalismus die Welt der Meinungsfreiheit dann in Ordnung, wenn sich informierte und aufgeklärte Bürger geistig an den höheren nationalen Gesichtspunkten orientieren, die von der Politik ausgegeben werden und an denen Politiker sich messen lassen wollen und müssen.
Blicken Journalisten über die Landesgrenzen hinweg aufs Weltgeschehen, dann sehen sie die Sache einerseits ganz genauso. „Unsere“ Staatslenker sind ebenso wie die Führer der mit uns befreundeten Nationen nach innen und außen für die gute Sache unterwegs. Im Namen von freien Wahlen, Pressefreiheit, Gleichberechtigung und und und wird von ihnen um Verständigung gerungen, gemahnt und gefordert, boykottiert und befreit. Verfehlungen bei diesem im Prinzip ehrenwerten Tun werden von kritischen Journalisten immer mal wieder entdeckt, aufgespießt und zur Korrektur ausgerufen, immer im Sinne der erfolgreichen Durchsetzung der guten, nationalen Sache. Bei „uns“ unliebsamen „Potentaten“ sieht die Sache andererseits grundsätzlich andersherum aus. Bei denen ist Willkür, Unterdrückung und Gewalt zu Hause, manchmal so perfide versteckt, dass ihr Volk zu großen Teilen für sie ist und sie auch noch wählt. Kritische Journalisten lassen sich da natürlich nicht täuschen. Sie erkennen das als Unreife, Verblendung, kulturelle Deformation oder Schlimmeres und wissen ihrem Publikum mitzuteilen, dass gerade das „unser“ weltweites Eingreifen zugunsten von Freiheit, Recht und Einigkeit erfordert.
In der bunten Welt von Klatsch, Verbrechen, Sport und Unterhaltung, die neben den Nachrichten aus Politik und Wirtschaft die Magazine füllt, finden Leser, Hörer und Zuschauer problemlos die Prinzipien wieder, die die politische Berichterstattung prägen. Journalistisch aufbereitet zeugen Fußballspiele und Kriegsvorbereitungen, Steuergesetzänderungen und Naturkatastrophen, Unfallstatistiken und Wahlkampfskandale allesamt in sehr durchsichtiger Weise vom bedingungslosen Recht der nationalen Sache, der hohen Verantwortung ihrer Sachwalter und der Notwendigkeit ihrer ordentlichen Durchsetzung. Garniert mit etwas Moral und persönlicher Selbstdarstellung diverser Prominenter sind das schon so ziemlich die sinnstiftenden Prinzipen, die Nachrichten, Kommentare und Reportagen in der bunten Vielfalt tatsächlicher Geschehnisse immer wieder aufzufinden wissen.
In der Art der Darstellung unterscheiden sich die Werke freier Journalisten sehr viel mehr als in ihrer politischen Grundhaltung. Die einen unterhalten ihr Publikum mehr durch blutrünstige Illustrationen, die anderen durch furchtbar hintergründige Hintergründe; die einen präsentieren mehr die große Welt des Völkerrechts, die anderen die kleine des Kriminalrechts. Manche Massenblätter statten ihre Schlagzeilen mit einem „Hurra!“, „Prima!“ oder „Mist!“ aus, während die anderen in gediegener Wortwahl die „Verbesserung“ oder „Verschlechterung“ einer „Situation“ loben oder bedauern. Mit den alltäglichen Sorgen und Nöten der solchermaßen informierten und belehrten Leute hat das eine wie das andere ohnehin nichts zu tun. Angesprochen werden vielmehr Staatsbürger, die ihr praktisches Interesse an einem auskömmlichen und vergnüglichen Dasein transformiert haben in ein Sammelsurium von Berechtigungen und Verpflichtungen, für deren Überwachung die Nation, – die eigene selbstverständlich – zuständig ist. Jeder nimmt für sich in Anspruch, nur dem „Allgemeinwohl“ zu dienen und verlangt deshalb und vehement von allen anderen, jedermann an seinem Platz, dasselbe. Diese Gesinnung wird von den Medien hergestellt und ausgiebig bedient. Allesamt sorgen sie dafür, dass dem demokratischen Volk, das täglich durch Staatsgewalt und Wirtschaft der Nation benutzt wird, um deren Macht und Reichtum zu mehren, eine ideelle Gemeinsamkeit mit seinen Machthabern und Ausbeutern vermittelt wird. So verkaufen freie Journalisten ihre Adressaten mit bemerkenswertem Erfolg für dumm.
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PS: Ihren Dienst für Wirtschaft und Regierung der Nation leisten Journalisten ganz ohne politische Zensur. Und solange es genug Journalisten gibt, die sich ganz freiwillig in der nationalen Sache mit der politischen Herrschaft einig sind, braucht es die auch nicht. Dafür, dass grundsätzliche Kritik am Kapitalismus und der ihn befördernden Staatsgewalt im Berufsstand der Journalisten keinen Raum findet, sorgt dann schon der Umstand, dass das Pressewesen – zumindest zu weiten Teilen – als renditeträchtiges Geschäft betrieben wird, also „abhängig“ ist von Verkaufs-, Zuhörer- und Zuschauerzahlen und vor allem von Inserenten. Deren Interesse gepaart mit der erfolgreich erzeugten Blödheit der Massen sorgt dafür, dass für Grundsatzkritik nicht gezahlt wird. Das sieht der Journalistenberuf nicht vor.