Lehrer

Lehrer unterrichten Kinder und Jugendliche. Sie bringen ihnen Lesen und Schreiben, Rechnen und fremde Sprachen, Erd- und Heimatkunde, Lehren über die Gesellschaft und anständiges Benehmen, Turnen und andere Dinge bei. Die Inhalte ihrer Fächer schreibt ihnen ihr Arbeitgeber vor: Sie stehen im Lehr- oder Bildungsplan und sind verbindlich. Zu lehren ist das, was der Staat für das geistige Rüstzeug hält, das seine Bürger haben sollen, wenn sie sich in der staatlicherseits eingerichteten und garantierten Welt der Konkurrenz durchs Leben schlagen. Eine gediegene Parteilichkeit für die politisch und wirtschaftlich gültigen Prinzipien ist grundlegender Bestandteil der Erziehungsziele und vom Lehrpersonal fächerübergreifend als persönliche Grundüberzeugung verlangt. Seinen Schülern den von der Bildungspolitik festgelegten Unterrichtsstoff zu vermitteln, ist die eine Aufgabe des Lehrers, aber nicht die einzige.

Zugleich hat er einen zweiten Auftrag zu erfüllen, für den der Lernstoff funktionalisiert wird: Der Unterricht ist von der ersten Schulklasse an für die Schüler als Bewährung in einem Leistungsvergleich organisiert. Der Lehrplan gibt nicht nur den Stoff vor, sondern auch einen Zeitplan, der beim Unterrichten eingehalten werden muss. In regelmäßigen Abständen ist zu prüfen, wie viel vom präsentierten Stoff sich jeder Schüler in der dafür vorgesehenen Zeit angeeignet hat und wie viel er davon unter gleichfalls zeitlich limitierten Bedingungen wiedergeben kann. Jedem Lehrer ist dabei klar, dass er den Test ansetzen muss, wenn, aus welchen Gründen auch immer, noch keineswegs alle alles begriffen haben, dass er also unterschiedliche Lernerfolge aufzeigt. Diese Unterschiede gilt es mit Noten zu bewerten, um dann im Lehrplan fortzufahren. Wissenslücken werden festgestellt, nicht um sie auszuräumen, sondern um die Schüler anhand ihrer Leistung in die Notenhierarchie einzuordnen und damit eine Unterrichtssequenz abzuschließen. So akkumulieren sich Wissensdefizite gerade in den Fächern, in denen der Unterrichtsstoff sachlogisch aufeinander aufbaut, und dienen immer wieder nur als Material für mehr oder weniger schlechte Noten. Letztendlich ergibt sich dadurch das abschließende und im Zeugnis fixierte Gesamturteil des Lehrers über die Einteilung seiner Klasse in gute und schlechte Schüler.

Dieses differenzierte Leistungsbild ist kein ungewollter Nebeneffekt des Unterrichts, es kommt vielmehr darauf an. Das ergibt sich schon daraus, dass und wie unter Zeitdiktat gelehrt und geprüft wird, es ist aber auch explizite Begleitvorschrift des Lehrauftrags. Vom Lehrer ist gefordert, die Schüler übers Ganze gesehen so auf die Notenskala zu verteilen, dass sich dies – idealiter – der Gauß’schen Normalverteilung annähert. Nicht einfallen darf es ihm, diese Verteilung als Beleg für das Scheitern seiner Bildungsarbeit zu begreifen. Er darf seine Schulklasse weder unter- noch überfordern, lernt er in seiner praktischen Ausbildung. Das ist dann der Fall, wenn zu viele Schüler einer Schulklasse gute oder schlechte Noten haben. Auch wenn alle den vorgegebenen Schulstoff tatsächlich ziemlich gut verstanden haben, folglich nur gute Noten angesagt sind, muss sich der entsprechende Pädagoge dann, wenn es nicht der Ausnahmefall bleibt, auf Abmahnung von oben einstellen. Es ist eine Verfehlung seines Berufsauftrags, beim „Fordern“ den einzelnen Schüler im Blick haben, und nicht darauf zu achten, dass sich in der Summe der Schüler gute und schlechte Leistungen in etwa die Wage halten und sich eine Mehrzahl von ihnen auf der mittleren Leistungsebene tummelt.

Lehrer vermitteln Wissen, aber so, dass sich unterschiedliche Lernerfolge einstellen. Sie ermitteln den Lernstand jedes einzelnen, um ihn mit dem der Mitschüler zu vergleichen. Die in Ziffern ausgedrückte Note gibt darüber Auskunft, wie sie die Leistung eines Schülers im Verhältnis zu den anderen quantitativ bewertet haben. Die Zusammenfassung dieser Bewertungen im Zeugnis entscheidet darüber, ob der jeweilige Schüler zu weiterer Wissensvermittlung zugelassen oder an bestimmten schulischen Knotenpunkten von weiterführenden Bildungswegen ausgeschlossen wird. Aufgabe des Lehrers ist es also, die inhaltliche Vermittlung des Schulstoffs zum Material zu machen für die Selektion der von ihm Belehrten. Auf diese Auslese im und durch den Unterricht kommt es der Bildungspolitik an.

Dass die unterschiedlichen Erfolge der Einzelnen durch die Art und Weise, wie zu unterrichten ist, hergestellt werden, sehen Lehrer in aller Regel nicht so. Sie bewerten und verbuchen die von ihnen festgehaltenen Leistungsunterschiede als Resultat individueller Verstandesleistung, die dem Einzelnen als die Äußerung seines intellektuellen und moralischen Leistungsvermögens bzw. Leistungswillens geschuldet sei. Allenfalls wird bemängelt, dass die Benotungspraxis ihrer Aufgabe, die Fähigkeiten der einzelnen Schülers korrekt abzubilden, nicht ausreichend leiste und durch andere Bewertungsformen ergänzt oder gar ersetzt werden müsse. Die Wahrheit ist das alles nicht. Das konstatierte Leistungsvermögen ist ja aus den erzielten Schulnoten „abgeleitet“, d. h. der erzielte Notenspiegel ist der einzige Beweis und Inhalt des behaupteten Vermögens. Es jetzt zu einer inneren Eigenschaft zu erklären, aus dem sich der Notenspiegel ergeben soll, ist logisch zirkulär und deshalb sachlich nicht haltbar. Aber das einmal dahingestellt: Unterschiedliche Begabungen und Schwächen ebenso wie ein zeitweise oder gar nicht vorhandener Wille, sich mit einem Unterrichtsgegenstand zu beschäftigen, wären, wenn es ausschließlich um die Vermittlung von Wissen ginge, kein Grund dafür, Schulkinder einem für alle sachlich und zeitlich gleichermaßen gültigen Lehrplan zu unterwerfen und so erzeugte Leistungsunterschiede als in Ziffern festgehaltene Begründung für weitere Bildung oder Ausschluss von ihr zu behandeln. Eher schon dafür, den Stoff denen, die langsamer lernen, noch einmal und evtl. anders zu erklären, vielleicht auch dafür, Wissensmängel in einem Unterrichtsgegenstand zeitweise oder dauerhaft hinzunehmen, den Unterricht anderer Gegenstände aber fortzusetzen. Wenn es allerdings um das Einsortieren in ein hierarchisch gegliedertes Bildungssystem geht, das die Voraussetzung darstellt für die Zulassung zu ebenso hierarchisch gegliederten Berufen, dann macht das Festhalten an Wissensunterschieden, von denen die allermeisten in der Schule selbst produziert werden, Sinn. Zensuren und die damit erfolgende Zulassung bzw. Nichtzulassung zu den unterschiedlichen Schullaufbahnen als Ausfluss von und Dienst an der unterschiedlichen geistigen Ausstattung der Schulkinder zu kennzeichnen, der zu entsprechen ist, dient allenfalls der Rechtfertigung der Selektion, die aus ganz anderen Gründen mit ihnen angestellt wird.

Beim Unterricht nach Lehr- und Bildungsplan stellt sich dem Lehrer allemal die Aufgabe, seine Schüler a) zu motivieren und b) zu disziplinieren. Sie sollen schließlich unabhängig vom eigenen Interesse ihre Aufmerksamkeit auf das richten was verlangt wird, dann wenn und solange wie es verlangt wird. Die Schulstunden, in denen der Gegenstand „dran“ ist, sind schließlich die einzige Gelegenheit, bei der er ihnen vorgestellt wird. Und sie sollen sich anstrengen, zum rechten Zeitpunkt genau die Kapitel zu beherrschen, die in der Klassenarbeit oder im Unterricht abgefragt werden. Das nicht unmittelbar durch Zwang, sondern durch pädagogische Bemühung zu erreichen, ist das Bestreben eines „guten“ Lehrers. Schließlich hat er an der Universität gelernt, dass Erziehung kindgerechte Förderung sein soll, die im Grundsatz nichts anderes sei, als ein Dienst an den Bedürfnissen der Zöglinge.

Die Kleinsten möchte er am liebsten spielerisch in die „Welt der Zahlen und Buchstaben“ einführen, um das kindlichen Spielbedürfnis für das verlangte Interesse am Schulstoff einzuspannen. „Kindgemäß“ soll unterrichtet werden, nicht etwa weil sich Rechnen und Schreiben nur dann erlernen ließe, wenn neben dem Verstand die Freude an bunten Farben und „lustigen“ Figuren ins Spiel gebracht wird, sondern weil der Wille der Kinder eingespannt werden soll, für die Anpassung an das verlangte Leistungslernen unter Zeitdiktat Der Lehrer will die Schulanfänger in die Verfolgung des Unterrichtszwecks hineinbetrügen, sie mit Kindereien zu Schulleistungen verführen und am Ende benoten, inwieweit jedes einzelne Kind mitgemacht und fristgerecht Leistungen erbracht hat. Bei älteren Schülern soll mit allerlei motivatorischen Zusatzanstrengungen ein Interesse am Unterrichtsstoff erzeugt werden, das die Vorgaben des Lehrplans nicht sprengt, sondern sich an ihnen ausrichtet. Es gilt, den Willen der Schüler dafür einzuspannen, sich den Leistungsanforderungen der Schule zu unterwerfen. Vorhandenes Sachinteressedürfen sie nicht zum Kriterium für die Dauer und Intensität machen, mit der sie sich mit einem Thema beschäftigen, dem Desinteresse an einem Gegenstand dürfen sie nicht nachgeben.

Letztendlich ändern alle Motivationsbemühungen nichts daran, dass Schüler stets und auf Abruf eine gegen ihr spezielles Verhältnis zum Stoff gleichgültige Interessiertheit an den Tag legen sollen. Spätestens dann, wenn mit guten oder schlechten Noten als Frucht der Bemühungen und ihren positiven oder negativen Wirkungen fürs spätere Leben gewinkt oder gedroht wird, wird deutlich, dass alle bestgemeinten Appelle an den Wissensdurst und das Interesse der Schüler letztendlich auf ein berechnendes Interesse am Schulerfolg abzielen. Weil es unterm Strich nur auf die Noten ankommt, lassen die sich als in Aussicht stehende Belohnung für unterrichtskonformes Verhalten ebenso einsetzen wie als Sanktionsmittel dafür, dass Schüler es daran fehlen lassen. Allerdings darf der disziplinarische Einsatz der Zensuren ihrem Zweck, die Kinder nach Leistung zu sortieren nicht in die Quere kommen, und er büßt an Wirkung ein, wenn Schüler das Bemühen um ein Vorankommen in der Notenkonkurrenz aufgeben haben. Die Selbstdisziplin, die das Lernen für Noten von den Schülern permanent verlangt, ist, Motivation hin Erfolgsstreben her, kaum durchzuhalten. Widersetzlichkeiten harmloser oder ernsthafterer Natur sind deshalb an der Tagesordnung. Sie zu unterbinden und zu bestrafen gehört zum Alltag eines Lehrers, ein ganzer Katalog von Disziplinierungsmitteln ideeller oder materieller Natur steht ihm dafür als Handwerkszeug zur Verfügung.

Von den Schülern, die erfolgreich auf der Verliererseite einsortiert sind, sind keineswegs mehr alle zur Bemühung um ihren Hauptschulabschluss zu bewegen. Auf die Schule als Mittel ihres Fortkommens setzen viele von ihnen nicht mehr und vom Lehrer lassen sie sich nichts mehr sagen. Gelernt haben sie aber gerade in der Schule in aller Regel eines: auf die Unterscheidung in Gewinner und Verlierer kommt es an. Sie glauben auch die pädagogische Behauptung, dass die Beurteilung, die an ihnen vorgenommen wird, ihrer Person geschuldet sei, erklären aber das Kriterium, an dem der Lehrer ihre Sortierung vornimmt, für irrelevant.. Der Beifall der Mitschüler oder auch deren Furcht vor ihnen, Erfolg beim anderen Geschlecht oder bei kriminellen Aktivitäten, Trinkfestigkeit, körperliche Stärke, cooles Outfit und und und, alles Dinge mit denen sie sich und den anderen beweisen“, dass sie doch Siegertypen sind. Auf das Urteil des Lehrers pfeifen sie, und wenn er sich „aufspielt“, riskiert er, kriegt er „eines auf die Schnauze“ zu kriegen. Jugendlichen, die die Schule nicht mehr für die Gelegenheit halten, den ihnen zustehenden Erfolg zu erzielen, ist mit schulischen Mitteln nicht mehr beizukommen.

Das Selbstbewusstsein ihrer Schüler pädagogisch zu betreuen und dafür zu sorgen, dass es in schulkonformen Bahnen verläuft, ist eine Aufgabe, die moderne Bildungspläne den Lehren erteilen. Schulische Niederlagen sollen ihre Zöglinge wegstecken, ohne den Glauben an sich zu verlieren, aber auch ohne das Schulleben mit der Darstellung ihres ungebrochenen Selbstbewusstseins, das sich aus außerschulischen Quellen speist, zu verunmöglichen. Schulerfolge sollen sie verbuchen, ohne eine daraus gewonnene Überheblichkeit an ihren Mitschülern auszulassen. Die Erziehung zu Konkurrenzsubjekten, die die Konkurrenz, der sie unterzogen werden, als Mittel nehmen, zu dem zu kommen, was ihnen entspricht und zusteht, ohne sich den in dieser Konkurrenz gültigen Regeln zu entziehen oder sie zu übertreten, ist etwas, das in allen Schulfächern geleistet werden soll.

Dass gerade durch die Hierarchsierung, die als Resultat des Schulunterrichts an den Schülern vorgenommen wird, jedem einzelnen seine höchstpersönliche Chance für eine ihm gemäße Selbstverwirklichung geboten werde, ist aber das, was über die Schule behauptet und von den in ihr beschäftigten Amtspersonen geglaubt wird. Diesem Schein sind sämtliche kritischen Bedenken verpflichtet, die einem Lehrer bei der treuen Erfüllung seiner Berufspflichten unweigerlich einmal durch den Kopf gehen. An Umständen und Bedingungen, die das Ideal einer grundgerechten Sortierung des Nachwuchses in der Praxis beeinträchtigen, herrscht ja kein Mangel; und es liegt in der Natur der Sache, dass in dieser Hinsicht jede Errungenschaft ihre zwei Seiten hat, so dass das „Problem“ garantiert erhalten bleibt. Die einen stören sich am „Bildungsvorsprung“, den die Kinder beflissener „Mittelschicht-Eltern“ schon ins erste Schuljahr mitbringen, sowie am Nachhilfeunterricht und den guten Beziehungen zum Lehrkörper, mit denen „bessere“ Familien dem Schulerfolg ihrer Sprösslinge Beine machen. Sie fordern „Chancengleichheit“ und zu diesem Zweck eine Extraförderung von „Unterschicht“-Kindern und solchen mit „Migrationshintergrund“. Die Gegenseite kritisiert das als Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes und befürchtet außerdem sowieso eine Nivellierung der schulischen Leistungen nach unten. Absichtsvoll missversteht sie „Chancengleichheit“ als ,,Gleichmacherei und plädiert für mehr Hierarchie-“nicht zuletzt“ im Interesse der Schulversager, deren Individualität mit ganz wenig Unterricht viel besser zu entsprechen wäre. Und so weiter. „Reaktionäre“ wie „fortschrittliche“ Zweifel an der Gerechtigkeit der tatsächlichen Sortierungspraxis der Schule beruhen auf dem Schein, um nichts als gerechte Kindgemäßheit wäre es dem Schulwesen zu tun, und bemühen sich konstruktiv um dessen Glaubwürdigkeit.

Der Beruf des Lehrers wirft seinen Nutzen für „das Leben“ genau dadurch ab, dass er durch die Wissensvermittlung nach schulinternen Maßstäben mehr oder weniger erfolgreiche sowie erfolglose Absolventen herstellt und damit jedem Individuum seinen höchstpersönlichen Einstieg in die Welt des Geldverdienens verpasst, die sich als weitgefächerte Hierarchie höchst unterschiedlicher Chancen darstellt. Dieses „Leben“ bedienen die Schulmeister mit einem Menschenmaterial, das getrennt davon und gerade so sehr passend und zweckmäßig hierarchisiert ist. Die Verteilung der Schüler auf die Notenskala und damit auf die diversen Bildungsabschüsse, soll letztlich immer einem Urteil über deren geistige Ausstattung und Einsatzbereitschaft geschuldet sein, ihnen also entsprechen. Um jeden neuen Jahrgang in der Falle des Lernens für den Lernerfolg zu fangen, ihn bedarfsgerecht zu sortieren und das als Bildungsangebot zwecks Ermittlung des individuellen Denk-Leistungsvermögens durchzuexerzieren, dafür braucht es akademisch geschultes hauptamtliches Personal.

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