„Erklär mir die Welt“
– Artikelserie der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung
Hört, hört: Die F.A.Z. will uns die Welt erklären. Und das jeden Sonntag, in Serie. Vielleicht haben wir in unserer bekannt verbohrt-dogmatischen Sicht „der Welt“ ja etwas Entscheidendes verpasst. Nehmen wir uns also ebenso wahllos wie gespannt zwei Beiträge heraus:
„Warum brauchen wir Unternehmer?“
(Frage 14; 17.9.2006)
Ohne weiter zu lesen, wären wir erst einmal geneigt zu behaupten: Wer A sagt, muss auch B sagen: Kapitalismus ohne Kapitalisten (pardon: Unternehmer) ist keiner. Also werden die Figuren wohl auch notwendig für diese Veranstaltung sein. Aber dass „wir“ sie deshalb auch gleich „brauchen“? Nun gut, streng genommen ist die Frage ja auch keine und auch nicht als solche gemeint: Wir brauchen die Unternehmer, punctum! Aber wie und welche, darauf kommt’s der F.A.Z. schon an. Also legt sie mit Charakterisierungen wie der folgenden los:
„Sie nutzen neues Wissen, um die Wünsche der Menschen zu befriedigen. Unternehmer schaffen Wohlstand für alle“.
Merkwürdig: Unser letzter Antrag auf Lieferung eines neuen Laptops, Marke letzter Schrei, wurde von besagten Unternehmen abschlägig beschieden. Stattdessen wurden wir aufgefordert, erst einmal den fälligen Preis zu bezahlen. Wir konstatieren: „Wohlstand für alle“ ist – mit einem Preisschild versehen – als Eigentum der Unternehmen zum Verkaufen in der Welt, will also erst einmal bezahlt werden, bevor es ans Wünschebefriedigen geht. Also klappt’s vorerst nicht mit der Metamorphose von „Wunsch“ zu „Wohlstand“ und wir klappern auf unserem alten PC weiter vor uns hin.
Aber so genau will es die F.A.Z. nun auch wieder nicht wissen. Sie vermutet aber, dass Kapitalismus irgendwie mit Profit zu tun hat: Alles, was die Unternehmer so tun, tun sie „aus vielerlei Gründen, ein wichtiger ist, Gewinn zu erzielen“. Wir vermuten: Wenn er keinen Gewinn macht und die Bank keinen weiteren Kredit zuschießt, ist der Unternehmer eben pleite. Also wird es wohl schon auf Gewinn ankommen. Das könnte man dann auch Zweck nennen. Aber dann wären alle anderen „Gründe“ allenfalls Beiwerk…
Aber unbekümmert legt die F.A.Z. nach. Nicht etwa mit weiteren Erklärungen zum Thema, sondern mit nachgerade gesellschaftskritischem Raisonnement: Ob nämlich die Wohlstand stiftende Tätigkeit des Unternehmers wirklich klappt, hängt „entscheidend von den Spielregeln der Gesellschaft ab“. Als da sind:
,,Wird privates Eigentum garantiert? Können Unternehmer offen in Märkte eintreten und unbehindert wieder ausscheiden? Anders ausgedrückt: Wie ist es mit der wirtschaftlichen Freiheit bestellt?“
Ein Themenwechsel vom Unternehmer zum Staat steht also an:
„Der Weg aus der wirtschaftlichen Krise hierzulande führt nur über mehr wirtschaftliche Freiheit (…) Dafür muss die Politik aber Hindernisse aus dem Weg räumen: privatisieren, deregulieren und entbürokratisieren zum Beispiel.“ Privatisierung, Deregulierung, Entbüro-kratisierung: Alle Freiheit den Unternehmern! Auf dass endgültig die gesamte Gesellschaft (bitteschön: ohne Ausnahme!) den Kriterien Kosten & Profit unterworfen sei!
Bloß: Welche „Hindernisse“ meint die F.A.Z.? Hat eigentlich jemand die Damen & Herren Unternehmer in den letzten Jahren ernstlich daran gehindert, das Arbeitslosenheer mit ständig neuen Infanteristen zu versorgen? Ungerührt der F.A.Z.-Standpunkt dazu: Unternehmer braucht’s. Aber dann bitteschön einen Staat, der – Deregulierung hin, Entbürokratisierung her – ihrem segensreichen Tun durch sein Tun (sprich: Gesetze und Verordnungen) alle Freiheiten gibt. Und sonstigen (Sozial-)Unsinn lässt Und dem wird die derzeitige Große Koalition einfach nicht gerecht.
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Nach dieser recht misslungenen Antwort auf die gestellte Frage wenden wir uns nun also – schon etwas entmutigt – der zweiten zu:
„Warum müssen wir Steuern zahlen?“
(Frage 16; 1.10.2006)
Ein Staat ohne Einnahmen, aus denen er seine Vorhaben finanziert, geht nicht. Also werden Steuern schon notwendig für diesen Laden sein. Mit einem kräftigen „Darum!“ wäre die Frage also schon beantwortet. Die F.A.Z. jedoch legt gleich mächtig los:
„Der Staat verhält sich wie ein Dieb. Und schämt sich dafür noch nicht einmal. Er raubt den Bürgern ihr Eigentum. Das nennen wir Steuern.“
Starker Tobak! Aber Moment: Für die F.A.Z. ist das eindeutig in Ordnung, wenn und sofern dies „dem Gemeinwohl“ dient. Ein solcher Staat verdient und „braucht“ also „Geld“. Aber „brauchen wir einen Staat?“
Also steht schon wieder ein Themenwechsel an. Und nicht zufällig geht’s in dieselbe Richtung wie beim ersten Erklärungsversuch. Kritisch, wie sich die F.A.Z. nun einmal zur gegenwärtigen Regierungskoalition stellt, definiert sie sich ihren idealen Staat erst einmal zurecht und antwortet auf ihre eigene Frage: Selbstredend brauchen „wir“ einen Staat:
„Denn der Staat hat einen Gemeinwohlauftrag, welcher der Gerechtigkeit gehorchen muss. Das bedeutet: Der Staat muss die Einnahmen aus seinen Aufgaben begründen. Er muss nachweisen, dass nur er diese Aufgabe erfüllen kann. Alles andere ist sündhafte Abzockerei.“
Meint also: Der Staat muss die Förderung der Unternehmerfreiheit (soweit die F.A.Z.-Lehre aus der ersten „Frage“) als seine Aufgabe begreifen und sie durchsetzen, sofern es ihn überhaupt dazu braucht. Der Rest ist schiere Gewalt: Der Staat soll sich um nur von ihm durchzuführende „öffentliche Leistungen“ kümmern, als da sind „Soldaten und Polizei“, also die „innere und äußere Sicherheit“ nebst einem „stabilen Rechtssystem, welches Privateigentum und Vertragsfreiheit schützt“. Keiner möge behaupten, die F.A.Z. hätte nicht neben ihrem bekannten Interesse am Funktionieren des Ladens auch eine gewisse, wenn auch rudimentäre theoretische Ahnung davon, dass und wie der bürgerliche Staat Voraussetzung für Kapitalismus nach innen & außen ist: Ohne seine Gewalt ist die Marktwirtschaft einfach nicht zu machen! A propos „innen“: Der Sozialstaat kommt natürlich nicht ungeschoren davon:
„Im Notfall habe ich mit meinen Steuern Anrechte auf Hilfe erworben. Doch hier wird es heikel.“
Warum das jetzt? Weil es, so die F.A.Z., dann vielleicht besser ist, sich „arm zu stellen“, um Sozialhilfe abzugreifen („Mitnahmeeffekt“ auf VWL-Deutsch). Schönes „Gemeinwohl“: Wirklich arm ist, wer nach Maßgabe der Sozialgesetzgebung berechtigt arm ist – einfach aus Not etwas zu brauchen gilt nicht, sondern muss dringend als unberechtigter Anspruch zurückgewiesen werden! Dann aber bitte konsequent: Einfach den Armen nichts mehr geben, dann braucht sich auch keiner mehr „arm zu stellen“…
Die F.A.Z. aber setzt munter noch eins drauf:
„Je leistungsfeindlicher ein Steuersystem ist, um so mehr Arme wird es in diesem Staat geben.“ Weil, so die etwas gewagte Argumentation, dann nämlich 1. die unternehmerischen Leistungsträger (nicht Heuschrecken, scheue Rehe sind sie!) sich ins Ausland davon machen (weil sich ihre „Leistung“ einfach nicht mehr „lohnt“) und 2. die Armen der Welt zu uns rüber schwappen und sich gemeinsam mit der hauseigenen „Unterschicht“ ins gemachte soziale Netz legen (anstatt ihrerseits etwas zu „leisten“). Also: Runter mit den Unternehmenssteuern und runter mit den Sozialleistungen! So sieht er aus, der staatliche „Gemeinwohlauftrag“ à la F.A.Z.: Reiche sollen reicher werden, Arme können gar nicht arm genug sein. Wir fragen uns: Haben wir eigentlich etwas nicht mitbekommen? Oder passiert seit etlichen Jahren nicht genau das? Für die F.A.Z. aber offenbar prinzipiell nie genug.
Zum Schluss noch eine zündende Idee: Wäre es nicht sowieso viel besser, „Steuern als Preise für öffentliche Leistungen zu betrachten“? Weil dann das VWL-mäßige Vokabular („Angebot“, „Nachfrage“ usw.) so schön greift. Und wenn man dann wg. „Entbürokratisierung“ zur einheitlichen „Kopfsteuer“ übergeht, möge doch derjenige, der (Sonder)Leistungen will, entsprechend zahlen:
„Preise für öffentliche Leistungen können durchaus unterschiedlich ausfallen. Bildung und Kultur konsumieren die Reichen bekanntlich intensiver als die Armen. Polizeischutz wahrscheinlich auch.“
Sollen die halt mehr zahlen – und gottseidank können sie das ja auch wg. „reich“. Und Polizeischutz vor den Armen können sich die Reichen dann ja auch leisten. Die anderen bleiben halt kulturlos und dumm, wie sie sind. Sollen sie halt auch reich werden!
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Die Fragen der F.A.Z.-Serie erinnern an das ewige „Warum“-Gefrage, mit der es den Kids gemeinhin prächtig gelingt, die Eltern an den Rand eines Nervenzusammenbruchs zu bringen. Welche dann irgendwann mit „Halts Maul!“ für Ruhe sorgen.
Diesen Kids die Sonntags-F.A.Z. in die Hand zu drücken, bringt aber nichts. Hier gibt es nämlich auch keine Antwort, sondern nur eine Botschaft: Der „Staat“ nützt „uns“ am besten, wenn er der unternehmerischen Freiheit nützt. Alles andere ist Killefitz.
Wer wirklich Antworten will, dem bleibt nichts anderes übrig, als sein F.A.Z.-Abo zu kündigen, seine Kids unter den Arm zu packen und sich an unseren Diskussionen zu beteiligen.