„Humankapital“ wird zur Kasse gebeten
1. Die Einführung von Studiengebühren ist inzwischen beschlossene Sache. In allen Bundesländern und d.h. in allen Parteien ist der Streit um das Ob dem bildungspolitischen Austausch über die effektivste Modellvariante gewichen. Studierende an deutschen Hochschulen werden demnächst auf jeden Fall zur Kasse gebeten. Allenfalls dürfen sie sich ab sofort einmischen in die Frage, ob sie lieber Cash zahlen, Kredit aufnehmen wollen oder ein „System der nachgelagerten Studiengebühren“ favorisieren, das ihnen die Perspektive eröffnet, nach Studienabschluss vom Verdienten neben den üblichen Steuern und Abgaben gleich noch eine besondere Bildungssteuer entrichten zu müssen. In der Auswahl der Begründungen für die Verteuerung des Studiums haben sie gänzlich freie Hand: Ob es ihnen einleuchtet, dass es sich nur um einen Akt der Gerechtigkeit handelt, wo doch für Kindergärten und Badeanstalten auch gelöhnt werden muss, und wo „die gesamte Bevölkerung ein gebührenfreies Studium finanziert, von dem nur wenige profitieren“(FAZ); ob man froh darüber sein soll, dass es sich hier nur um Beiträge von 500€ bis allenfalls 2000€ pro Semester handelt, wo doch ein Harvardstudium 35 000€ im Jahr kostet; oder ob sie sich dem deutschen Argument anschließen, dass nur so „unsere Universitäten“ wieder auf ein Niveau kommen, mit dem die „PISA-Blamage“ getilgt werden kann – das liegt ganz bei ihnen. Diese Freiheit haben sie noch.
2. Natürlich sollen den Studierenden nicht ausgerechnet mit der Einführung der Studiengebühren zusätzliche finanzielle (Harvard-) Belastungen erspart werden. Auch um einen Dienst an der Gerechtigkeit geht es nicht: So ist mit Sicherheit nicht daran gedacht, mit der Einführung der Gebühren für „wenige“ Studenten im Gegenzug die „gesamte Bevölkerung“ steuerlich zu entlasten. Die tatsächlichen bildungspolitischen Zwecksetzungen sind etwas handfester. Und es wird aus ihnen auch kaum ein Hehl gemacht: Die Länder wollen sich Kosten ersparen, indem sie sich eine neue Einnahmequelle verschaffen.
Dass die Länder über Finanznot klagen, dass sie sich ein „Sparkonzept“ nach dem anderen verordnen ist inzwischen ebenso bekannt wie die Tatsache, dass ihre Sparmaßnahmen regelmäßig eine neue Welle der Schröpfung ihrer Bürger einleiten. Das unterscheidet eben die staatliche Finanzknappheit von derjenigen der meisten Bürger: Wenn die eine Ebbe im Portemonnaie entdecken, dann dürfen sie aus freien Stücken darüber befinden, welche ihrer Lebensnotwendigkeiten und Bedürfnisse sich eigentlich sowieso nur einem „Konsumrausch“ verdanken und gestrichen gehören. Wenn sich dagegen die Hüter von Staatshaushalten zum Sparen entschließen, dann sind sie so frei, den Einkommensbeziehern – aber auch den Menschen ohne Einkommen, wie man gerade wieder von Rot-Grün gelernt hat – ihre Geldmittel durch neue Steuern, höhere Preise für Dienste oder durch Abzüge von Leistungen zusammenzukürzen. Wenn per staatlicher Verfügung an den Bürgern gespart wird, haben die gerade keine Wahl. Ihre Geldnot bleibt ganz bei ihnen: Weder gelingt es ihnen, beim Arbeitgeber dafür einen Lohnausgleich einzuklagen noch erklärt sich irgendein Vermieter mit einer Mietsenkung einverstanden, wenn die Mieter auf ihre gewachsenen Geldsorgen verweisen.
3. Die Einführung von Studiengebühren läuft unter Verteuerung „staatlicher Dienste“ am akademischen Nachwuchs. Darüber soll nicht nur eine neue Geldquelle erschlossen, sondern zudem der Hochschuletat von solchen Kosten entlastet werden, die die Länder für gänzlich überflüssig erachten. Sie nehmen sich gezielt die Kosten vor, die bei Studienzeiten anfallen, welche die staatlich festgelegte Regelstudienzeit überschreiten: Wer fürs Studium zusätzlich zahlen muss, der sieht zu, dass er möglichst früh fertig wird, lautet die Kalkulation, die auch aufgehen wird. Auf diese Weise zwingt der Staat die Studierenden zu einer ganz neuen Studienökonomie: Er bestraft den Fachwechsel, nötigt zur vollständigen Unterwerfung unter Studien- und Prüfungsordnungen, ahndet jeden Versuch, sich einmal in anderen Wissenschaften umzuschauen und untergräbt dabei auch jene Anstrengung, sich neben dem geforderten Stoff um dessen – in aller Regel dringend notwendige – Kritik zu kümmern. So wird die „Durchlaufgeschwindigkeit“ erhöht und der frühere Eintritt ins Berufsleben forciert. Die bildungsökonomische Rechnung erweist sich als nationalökonomische Berechnung: Das Verhältnis von „unproduktiver“,aber nötiger Ausbildungszeit zu „produktiver“ Benutzungszeit des ausgebildeten „Humankapitals“ verschiebt sich. Und genau darauf kommt es an: Früher und damit länger auf dem Arbeitsmarkt für nationale Belange zur Verfügung stehen, das ist der Dienst, der auch vom wissenschaftlich ausgebildeten Arbeitsvermögen verlangt wird. Deutlicher lässt sich kaum vorführen, wer hier eigentlich wem einen Dienst leisten soll: Vorgestellt wird die Verteuerung des Studiums als eine Honorierung der Dienste, die der Staat dem wissenschaftlichen Nachwuchs leistet. Und umgesetzt wird diese Verteuerung ganz umgekehrt als eine Dienstleistung der angehenden Elite an den nationalökonomischen Berechnungen des Staates.
4. Eine zusätzliche Wirkung der Gebührenverordnung ist es, die vor allem die Studierenden auf die Barrikaden bringt. Sie beklagen die Einführung eines „sozialen Numerus clausus“. Sie liegen richtig mit ihrer Beschwerde, da all jene Studierenden, die neben dem Studium das Geld fürs Studium verdienen müssen, die gewünschte „Intensivierung“ der Ausbildung nicht mehr bewältigen werden. Kurz: Die Kinder aus „einkommensschwachen Schichten“ werden weiter von wissenschaftlicher Ausbildung und damit von erträglicheren Lebensumständen ausgeschlossen. Das ist so und muss als staatliche Antwort auf den allseits als Skandal bewerteten PISA-Befund gelten, demzufolge es Arbeiterkindern in keinem vergleichbaren Land so schwer gemacht wird, sich zum Hochschulzugang vorzuarbeiten, wie eben hierzulande. Da die auf der Hand liegende Wirkung der Gebührenerlasse ihren Erfindern kaum entgangen sein kann, liegen Studierende mit ihrer Beschwerde jedoch falsch, wenn sie die Kultusministerien auffordern, sich gefälligst an gültige bildungspolitische Prinzipien wie „Chancengleichheit“ oder „gleiche Recht auf Bildung für alle“ zu halten. Vielleicht wird dieser „Kollateralschaden“ von der Politik ja in Kauf genommen, ja vielleicht gilt er den Bildungsverantwortlichen gar nicht als Schaden! Vielleicht stehen sie längst auf dem Standpunkt, dass derjenige, der das verteuerte Studium nicht bezahlen kann, auf der Universität auch nichts verloren hat! Einen Widerspruch zur Chancengleichheit sehen sie wenigstens nicht. So hält denn z.B. der neue bayrische Wissenschaftsminister Goppel die „Einführung von Studiengebühren für vertretbar, vorausgesetzt, der Zugang zu den Hochschulen bliebe für alle offen“ (FAZ). Und der bleibt offen, denn das demokratische Schulwesen schließt bekanntlich im Unterschied zum feudalen die „unteren Stände“ keineswegs von den Hochschulen aus. Selbstredend darf jeder dürfen – wenn er Leistung bringt und sich das Studium leisten kann.
5. Aber noch in einer zweiten Hinsicht liegt die studentische Klage über den „sozialen NC“ etwas neben der Sache. Wem dieser NC erst auffällt, wenn er als Studierender von ihm betroffen ist, der hat wenig vom hiesigen Bildungswesen begriffen. Das zeichnet sich nämlich dadurch aus, dass es von der ersten Schulklasse an einen ganz spezifischen „sozialen NC“ eingerichtet hat. Und der hat seine Wirkung längst getan, wenn sich Studierende über Studiengebühren beschweren. Er ist verantwortlich dafür, dass sich der schulpflichtige Nachwuchs wie beabsichtigt in die Masse jener Schüler (ca.70% ), die systematisch von höherer Bildung ausgeschlossen ist, und in jenen Rest sortiert, dem dann der Zugang zu den Jobs der Elite erlaubt ist. Und dabei ist es alles andere als ein Zufall, dass diese Sortierung ziemlich exakt entlang der Klassenlage der Eltern verläuft. Wie sollte es auch anders sein in einem Schulwesen, das alle Schulkinder ganz gleich ein und demselben großangelegten schulischen Leistungstest unterzieht und dabei vollständig rücksichtslos verfährt gegenüber der materiellen, sozialen und geistigen Ausstattung, nach denen sich Arbeiter- und Professorenkinder unterscheiden, wenn sie zum chancengleichen Leistungswettbewerb in der Schule antreten. Wenn also schon ein „sozialer NC“ entdeckt wird, dann sollte er nicht erst dort kritisiert werden, wo er die Ausbildungsbedingungen der zukünftigen Elite erfasst.