Leserbrief:
Ein Leser kommentiert die Artikelüberschrift in Versus 12: „Voll integrierter, echt deutscher Neger halb tot geschlagen!“:
„Warum wird ein guter Artikel über den Umgang der deutschen Politik mit rassistischer Gewalt mit dem selbst rassistischen Begriff ,Neger‘ betitelt? Warum verwendet ihr rassistische Begriffe, wenn ihr den Rassismus kritisiert? Mit solchen ,diskriminierenden Wörtern‘ (andere Beispiele sind ,Homos‘, ,Proleten‘, ,Weiber‘, ,Amis‘) im Versus macht ihr es Gegnern unnötig leicht, sich um die Auseinandersetzung mit euren Argumenten herumzudrücken und auf den Nebenkriegsschauplatz der Sprachhygiene aus-zuweichen (oft genug selbst erlebt!). Der Hinweis, dass es sich um einen solchen handelt und dass man lieber über die inhaltliche Kritik diskutieren sollte, hilft meist nicht viel. Daher hielte ich es für angebracht und hilfreich, wenn ihr euch einmal zu diesem Thema äußern würdet.“
Einen Leserbrief ähnlichen Inhalts (über „politisch unkorrekte“ Begriffe in Artikeln über Israels Krieg gegen die Palästinenser) erhielt auch die Redaktion des „GEGENSTANDPUNKT“. Da beide Kritiker dasselbe Anliegen behandeln, drucken wir hier die Antwort der GEGENSTANDPUNKT-Redaktion in GEGENSTANDPUNKT 4-06 gekürzt ab.
1.
Der Leserbrief spricht eine Schwierigkeit an, mit der wir zu tun kriegen und umgehen. Die Sprache der Politik ist moralisch verseucht, Wörter für Rassen, Völker und soziale Stände ganz besonders. Das Politisieren ist und wird verstanden als eine Sphäre des Rechtens und Parteinehmens: Wer sich zu Wort meldet, will das Recht oder Unrecht eines Standes oder nationalen Kollektivs verkünden, also seiner Parteilichkeit Gehör verschaffen; Leser und Hörer suchen ihrerseits nach Erkennungsmerkmalen der Parteilichkeit, um zu wissen, woran sie mit einer Wortmeldung sind. Schön zirkulär vergleichen sie die entdeckte Parteilichkeit eines Autors mit den eigenen sympathisierenden Vorurteilen oder Antipathien und finden dementsprechend die Stellungnahme gelungen oder unmöglich. Schon durch die gewählte Kennzeichnung der diversen Kollektive signalisieren Autoren Achtung oder Verachtung für die damit Bezeichneten; schon daraus erkennt das Publikum den vertretenen Standpunkt. Das gezielt eingesetzte Schimpfwort oder die ehrende Benennung ersetzen bzw. sind häufig das ganze Urteil. Wer z. B. den Unternehmer Kapitalist nennt, gibt sich als Kritiker der besitzenden Klasse zu erkennen, der er die Ausbeutung der Arbeitskräfte unterstellt; wer den Kapitalisten Unternehmer nennt, gibt seine Wertschätzung der wichtigen Rolle dieser Spezies zu Protokoll, von deren Tatkraft das ganze Gemeinwesen abhängt; wer ihn schließlich Arbeitgeber nennt, anerkennt die soziale Rolle der Profitmacherei ausdrücklich im Namen der davon abhängigen Arbeitskräfte. Mit der Wortwahl ist alles gesagt – und alles verstanden.
Das ist unsere Sache nicht. Wenn wir Aktionen, Interessenlagen, finanzielle oder kriegerische Konflikte erklären, dann wollen wir keine vorgängige Parteinahme für die eine oder andere Konfliktpartei abrufen und wir landen auch nicht dabei, den einen oder anderen Recht zu geben und im Lichte dieses Rechts die Gegenseite zu verurteilen. Mit der Ehre haben wir es im Übrigen schon gleich nicht, weder mit der eigenen noch mit fremder. Für die Rollen der kapitalistischen Stände und imperialistischen Akteure haben wir zu wenig übrig, um jemanden am Maßstab der entsprechenden edlen Aufgaben entehren zu wollen. Genauso wenig wollen wir die allgemeine Ehr- und Anerkennungssucht bedienen und bestärken. Deshalb sind wir mit Bezeichnungen – um das Schwächste zuerst zu sagen – nicht heikel. Neger oder Schwarzer, Ami oder Amerikaner, „Kapitalist“ oder „Unternehmer“ leisten das Gleiche, wo es um nichts als eine Kennzeichnung geht. Das, was wir über die bezeichneten Kollektive zu sagen haben, sagen wir sowieso nicht per Nennung des Satzsubjekts, sondern mit dem Prädikat und dessen Begründung, dem Argument. Wir hoffen sehr, dass man in unseren Texten das Argument nicht durch auf- oder abwertende Ausdrücke ersetzt findet.
Zugleich können wir nicht umhin, uns der ideologisch versauten Sprache zu bedienen. Dabei suchen wir nach Wegen, uns von der inkorporierten und erwarteten Wertung sowie vom ideologischen Charakter vieler Bezeichnungen zu distanzieren. Mancher greift da zum exzessiven Gebrauch von Anführungszeichen, die die Redaktion im Interesse der Lesbarkeit dann wieder heraus streicht. Wir hätten ja auch zu tun, wollten wir jeden Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Wirtschaftsweisen, Verteidigungsminister, Friedensprozess und so fort in Gänsefüßchen setzen. Ohne Zeichensetzung gerät das Anspielen auf rassistische und soziale Vorurteile zum impliziten Zitat, so dass erst der Sinn des Satzes klarstellt, dass nicht wir eingewanderte Türken für Kanaken und Sozialhilfeempfänger für Schmarotzer halten, sondern dass die bürgerliche Welt sie so behandelt, und wir dies herausstellen. Bisweilen beziehen wir uns auf die moralische Aufgeladenheit von Wörtern, indem wir diese durchs Hinzusetzen scharf kontrastierender Attribute sowohl thematisieren wie konterkarieren („blutige Friedensmission“; „Soldaten als Wahlhelfer“, „Damen und Herren Proleten“), oder indem wir Wörter gegen die Tendenz der ihnen eingeschriebenen Wertungen verwenden: „frommer Antiimperialismus“ für islamistische Attentäter, „den Völkern der Welt Demokratie spendieren“ für den kriegerischen regime change der USA. Wenn diese Sprache Irritation auslöst, womöglich gar zum Nachdenken anregt, ist das gut. Wir sind bemüht, dem selbstgerechten Standpunkt, dass man mit dem Bekenntnis zu einer allgemein anerkannten, unwidersprechlich guten Wertung Zustimmung verdiene und in Sachen Urteilsbildung alles Nötige geleistet habe, die Luft abzulassen.
2.
Der Leserbrief kritisiert an der Verwendung der Worte „Neger“ und „Homo“ „rassistische Begrifflichkeit“. Wo Schimpfworte und Abwertungen gar nicht vorliegen, werden sie offenbar von manchen Leuten herausgehört. Das zeugt von einer hoch entwickelten Empfindlichkeit in politischen Ehrfragen – und die ist keine lässliche Geschmackssache, sondern eine demokratische Unart.
Das deutsche Wort für Angehörige der schwarzen Rasse, das seiner romanischen Herkunft nach gar nichts anderes bedeutet: niger = lateinisch für schwarz, wird als rassistische Beleidigung empfunden; die analoge Verwendung des Wortes die „Weißen“ – etwa in Südafrika oder den USA – aber wohl kaum. Der Unterschied hat nichts mit den Worten und alles mit der politischen und sozialen Stellung der damit bezeichneten rassischen Kollektive zu tun: Die Weißen sind die Ober- und Herrschaftsschicht, wo immer auf sie als einen besonderen Teil einer Bevölkerung Bezug genommen wird. Die Neger, ehemalige Sklaven oder mittellose Immigranten, sind in den USA wie in allen kapitalistischen Ländern mehrheitlich in die unterste gesellschaftliche Schicht verbannt; Schwarzafrika, wo die meisten von ihnen leben, ist die durchgängige Elendsregion des globalisierten Kapitalismus. Es ist erstens die politökonomische Weltordnung, die den Negern diese miserablen Lebenslagen zuweist; es ist zweitens der Rassismus des politischen Urteilens, der ihnen diese Stellung dann auch noch als ihr Defizit anlastet. Wie immer und überall in der bürgerlichen Gesellschaft beweist derjenige, der in der Konkurrenz scheitert – und irgendwelche müssen ja scheitern – , den anderen seine mangelnde Begabung, fehlenden Ernst, Fleiß, Verantwortungsbewusstsein und Intelligenz. Seine schlechte soziale Stellung wird gerechtfertigt durch eine schlechte Meinung über ihn. Er wird verachtet und als verachtungswürdiges Wesen gesehen. Ursprünglich neutrale Namen für Rassen, Völker, Stände und soziale Charaktere, die in der weltweiten Klassen- und Nationenscheidung unten landen, sinken zu verächtlichen Bezeichnungen herab. Dieses Schicksal teilt das Wort „Neger“, eher in den USA übrigens als in Europa, mit nicht wenigen Völkernamen – Kanaken, Kaffern, Zigeuner –, mit Bezeichnungen niederer sozialer Stände – dem Bauer und dem Proletarier („Du Bauer!“, „So ein Prolet!“), mit „Weib“, „Krüppel“ und „Asylant“.
Schlimm, so unsere Auffassung, ist nicht der Klang, sondern die Sache. Sie gehört korrigiert. Demokratisch engagierte Zeitgenossen sehen das anders. Sie lauschen den verächtlichen Bezeichnungen einen Verstoß gegen die abstrakte Anerkennung ab, auf die ein jeder in dieser gleichmacherischen Gesellschaft jenseits von Stand und materieller Lage ein Recht hat: Neger, Proleten, Asylanten und Behinderte „sind auch Menschen“ und haben als solche eine respektvolle Benennung verdient. Ihre demokratischen Freunde empören sich mehr über vorhandene oder vermutete Verachtung als über die gesellschaftlichen Verhältnisse, aus deren Bejahung die Verachtung der Erfolglosen erwächst. Für die Opfer suchen sie neue Namen, die einzig und allein eines leisten sollen: Die Verachtung dementieren, die sie aus den vormals neutralen Bezeichnungen heraushören. Die Verwendung ihrer Wortschöpfungen machen die Sprachreiniger dann zum Prüfstein politisch korrekter Gesinnung. Jedermann hat den Hut zu ziehen vor den Mitgliedern der unteren Klassen und elenden Ausländern seine Hochachtung auszudrücken. Dann, meinen sie, sei das größte Unrecht, das denen zugefügt wird, schon mal aus der Welt und der entscheidende Schritt gegen die Ausgrenzung getan.
Die geistigen Verrenkungen, die fällig sind, wenn man aus jeder Kennzeichnung eine Ehrfrage macht, sind einfach drollig. Denn die Sprachreform nützt nicht viel, wenn eine ehrenhafte Namensgebung die Verachtung, die dem Stand oder Individuum gilt, widerrufen soll. Die verbesserten, herabwürdigende Konnotationen korrigierenden Namen nutzen sich schnell ab, eben weil sich an der Sache, der Lage und der tatsächlichen Einschätzung der Verachteten ja nichts ändert. Die Verfallsgeschichte des englischen „nigger“, das zunächst auch nur eine mehr germanische Aussprachevariante von „Negro“ (ein englisches Lehnwort aus dem Spanischen) war, ist dafür beispielhaft: Nach dem Verbot des Sklavenworts war „Colored People“ politisch korrekt, bei dem man jedoch bald einen verhohlenen Rassismus herauszuhören meinte, der sich vor dem Aussprechen der blamablen Hautfarbe drückt; „Blacks“, das Farbwort aus dem angelsächsischen Wortschatz, war dann schon besser, inzwischen ist man über „Afro-American“ bei „Af-ri-can-Americans“ gelandet. Der deutsche „Krüppel“ ist zum „Behinderten“ geworden, bis auch der untragbar wurde und nun „Mensch mit Behinderungen“ heißt, damit niemand vergisst, dass der Behinderte ein Mensch ist, und niemand den Menschen durch seine Behinderung charakterisiert sieht, auch wenn dessen privates und soziales Dasein davon bestimmt ist. Aus demselben Grund wurden die gastarbeitenden Ausländer erst zu „Migranten“, dann zu „Menschen mit Migrationshintergrund“. Ein vorläufiges Ende erfährt der Abnutzungsprozess politisch korrekter Namen erst, wenn die verachtete Gruppe einen dieser Namen adoptiert, sich selbst stolz so nennt und ihre Selbstachtung durch die allgemeine Verwendung des Wortes gewürdigt sieht. Manche, die weiblichen Homosexuellen z. B., bestehen auf dem Dudenwort und wollen den ehrenwerten Stand der lesbisch Liebenden Lesben genannt sehen. Die männliche Variante bekennt sich nach dem Prinzip der Umwertung aller Unwertworte – wie seinerzeit die Black Panther mit ihrem „black is beautiful“ – zu einem besonders bösartigen Schimpfwort und erhebt es zum neuen Ehrennamen: Sie wollen „schwul“ genannt werden – eine umlautlose Form von „schwül“, was dasselbe Bild wie „warmer Bruder“ nahe legt. Im Lichte der von den Betroffenen autorisierten Umwertung empfindet der Verfasser des Leserbriefs die Abkürzung des griechisch-lateinischen Fremdworts für Gleichgeschlechtlichkeit „Homo“ (wie „Studi“ und „Prof“) schon wieder als Schimpfwort. Da heißt es also auf der Hut sein, damit man den Umschwung vom Ehrentitel zum Schimpfwort und umgekehrt nicht verpasst. Endgültig verwirrend wird es, wenn dasselbe Wort in verschiedenem Mund einmal den einen und einmal den anderen Charakter annimmt. Der Staat Israel etwa will keine säkulare Hoheit sein, die die Bewohner ihres Territoriums ohne Ansehen von Religion und Rasse als Staatsvolk reklamiert und beherrscht: Die Zugehörigkeit zum Volk Israels wird auf die biologisch ererbte Religion („Kind einer jüdischen Mutter“) gegründet.
3.
Nach Umwegen über die demokratische Protestkultur ist das Bemühen um eine politisch korrekte Sprache also „angekommen“, bei der gesellschaftlichen Elite nämlich, die mit den Imperativen der Sprachhygiene so sachgemäß antikritisch umgeht, wie es ihrem Sinn entspricht. Stellvertretend für alle Erniedrigten und Beleidigten verwahren sich Politiker und Unternehmer öffentlich dagegen, dass weniger hochgestellte Mitbürger mit herabsetzenden Ausdrücken belegt werden: „Proletarier“ oder „Unterschicht“ darf man nicht sagen! Da machen sich die-jenigen, die von den Unterordnungsverhältnissen profitieren, zu Anwälten der Ehre derer, die diese Ord-nung auf die schäbige Rolle der ausgenutzten Arbeitskraft festlegt oder sie sogar noch von diesem Privileg ausschließt. Sie wissen, dass die Ehre, die einer in sich als Arbeiter, Arbeitsloser oder sonst etwas setzt, nichts anderes ist als ein durch und durch affirmatives Verhältnis zu dem Stand, in den es ihn verschlagen hat: Stolze Arbeiter lassen sich viel gefallen! Die Elite bedient und fördert die Anerkennungssucht der Schlechtergestellten: „Ware Arbeitskraft“ braucht sich kein vollwertiger Mensch schimpfen zu lassen, der korrekt als „Arbeitnehmer“ gewürdigt ist. Dass er zu den unselbstständigen Personen gehört, die nicht ein-mal arbeiten können, wenn nicht ein Vermögender ihnen Arbeit gibt, darf er sich in dem Sinn zugute hal-ten, dass er mindestens ebenso wichtig ist wie der Arbeitgeber dafür, dass „die Arbeit erledigt wird“.
Naiv oder berechnend, in allen aufgeführten Fällen hat Sprachhygiene den Charakter einer Abwehr un-erwünschter Urteile – und zwar ohne dass die, geschweige denn ihre Begründung, überhaupt zur Sprache kämen. Kritik der Umstände, in die Leute gestellt sind, und der Rollen, die sie spielen, wird als Beleidi-gung der Träger dieser Rollen gedeutet und damit zurückgewiesen. Es ist nicht so, dass wir leichte Vorwände liefern, unsere Argumente abzulehnen, es ist die feststehende Ablehnung, die sich ihre Vor-wände sucht. Dagegen ist nun mal kein Kraut gewachsen, dass einer einen Text nur danach liest, was er in ihm sucht. Und wenn er ihn daraufhin absucht, ob er den erwarteten, landesüblichen Respekt für die Macher und die Opfer der kapitalistisch und imperialistisch sortierten Welt darin ausgedrückt findet, dann entdeckt er eben, dass das nicht der Fall ist. Wer das Warum dann schon nicht mehr wissen will, weil er schon genug weiß, dem ist eben nicht zu helfen. Deshalb wollen wir dem Zensurstandpunkt einer Sprachkritik, die eine inhaltliche Ablehnung ist, sich dazu aber nicht bekennt, nicht entgegenkommen und vorauseilend Kreide fressen.