(FAZ 7.2.13)
Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW), bekannt für seine Anteilnahme an den Interessen der Arbeitnehmer, macht sich Sorgen um deren Wohlergehen: „Ein gesetzlich vorgeschriebener Mindestlohn würde bedürftigen Menschen in Deutschland kaum helfen“, so das Ergebnis einer Studie dieses Instituts. Und wieso hilft etwas mehr Geld den Bedürftigen nicht??
Erstens „beträfe ein allgemeiner Mindestlohn (…) knapp jeden fünften Beschäftigten in Deutschland“. Besteht also dringender Handlungsbedarf, wenn 20% der Lohnabhängigen offensichtlich unterhalb der Grenze eines Mindestlohns leben müssen? Das Institut der Arbeitgeber sieht das anders, denn dass es so viele Bedürftige geben soll, kann doch nicht wahr sein: „Allerdings lebten nur 18 Prozent dieser 6,1 Millionen Geringverdiener tatsächlich in relativer Armut“. Armut ist nämlich offensichtlich nicht einfach Armut, sondern eine Frage der Definition: „Als relativ arm gilt jemand, der in einem Haushalt lebt, der weniger als 60% des mittleren Nettoeinkommens in Deutschland verdient.“ Nach dieser peniblen Grenzziehung zwischen arm und wirklich arm bleiben noch 18% vom IW zugestandene wirklich Arme, die die Schwelle vom Geringverdiener zum Bedürftigen überschritten haben. Ein Mindestlohn würde ihnen zwar mehr Geld verschaffen, käme aber auch den restlichen 82% Geringverdienern zugute, also „überwiegend Personen, die gar nicht bedürftig sind“. Ja und? Wo ist das Problem? Nach Meinung der IW-Wissenschaftler jedenfalls ist damit klar: „Als ein Anti–Armutsinstrument (…) eignet sich der Mindestlohn kaum“. Denn wirklich Armut bekämpfen heißt nach Maßgabe dieser aufrechten Armutsbekämpfer offensichtlich, dass man am besten niemandem etwas mehr Lohn zukommen lässt, bevor am Ende bloß minderbemittelte und nicht vom IW zertifizierte Arme auch noch in den Genuss von etwas mehr Geld kämen.
Bleibt zweitens noch die Frage, wie den Geringverdienern eigentlich das Kunststück gelingt, die Armutsgrenze zu vermeiden. Und das geht nach Auskunft des IW einfach so, „dass viele Geringverdiener mit einem Partner zusammenlebten, der ein höheres Einkommen erziele und sie dadurch über die Armutsschwelle hebe.“ Ach so? Wenn also jemand einen braucht und auch noch hat, der ihm über seine Armut hinweghilft, dann ist er gar nicht arm, sondern nur auf lebenslanges Wohlwollen angewiesen?! Der eigene Lohn muss offenbar zum Leben gar nicht reichen, wenn es auch der eines anderen tut.
Und überhaupt geben die IW-Wissenschaftler das Standardargument zu bedenken, „sehr wohl aber könne eine Lohnuntergrenze dazu führen, dass Unternehmen zahlreiche Arbeitsplätze abbauten oder erst gar nicht einrichteten.“ Und um solche Arbeitsplätze, von denen man nicht leben kann, wäre es ja wirklich schade!