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Was Frankreich aus den 130 Toten von Paris macht:

Noch mehr „Krieg gegen den Terror“

Bei islamistischen Anschlägen in Paris werden 130 Menschen umgebracht – und alle wissen: Das erschüttert die Welt, die nun – „nach den Anschlägen“„nie mehr so sein wird wie vorher“.

Warum eigentlich? Was unterscheidet die Pariser Gewaltopfer von den Opfern gleichartiger blutiger Großaktionen woanders? Warum sind die kurz vorher getöteten Schiiten in Beirut, die russischen Flugpassagiere über dem Sinai, die Christen in Nigeria … zwar überaus bedauerlich, aber so gar nicht in der Lage, „alles zu ändern“? Worin liegt der Unterschied zu den Todesopfern, die von Afghanistan bis Syrien täglich im dreistelligen Bereich anfallen, sich aber allenfalls zu einer desolaten, aber irgendwie schon gewohnten „Bürgerkriegslage“ aufaddieren, aus der mal diese, mal jene, auf keinen Fall aber irgendwelche voreiligen Schlüsse zu ziehen sind?

Der Unterschied liegt darin, dass in Paris „unsere zivile westliche Lebensart“ angegriffen wurde. „Wir“ sitzen nämlich gern im Café, gehen ins Fußballstadion und ins Rockkonzert – ein Angriff darauf duldet kein Pardon, sondern ruft nach überlegener Vergeltung. Das erklären jedenfalls die westlichen Staatsführer, die es wissen müssen, weil sie diese unsere Lebensart regieren.

Nur: Ist das nicht ein bisschen viel Ehre für ein bisschen wenig Vergnügen, von dem im Übrigen jeder weiß, was es tatsächlich ist – das Absacken nach dem wirklichen Alltag, dem sprichwörtlichen ‚täglichen Lebenskampf‘ um Arbeit, Geld und Daseinsvorsorge?

Aber so meinen es die Politiker, die nun „Paris!“ rufen, auch gar nicht. Wenn sie auf die Pariser Nachtschwärmer deuten, dann verwandeln sie die in etwas anderes: in Vertreter unseres westlichen Lebensprinzips, das „Freiheit und Würde“ lautet. An dieser weihevollen Abstraktion von allen wirklichen Lebensumständen zählt nun, wo das Prinzip angegriffen wurde, nur noch eines, dass es das höchste Schutzgut der staatlichen Gewalt ist; jedenfalls bei uns.

Damit steht fest, als was die Opfer das Bedauern und als was alle anderen Franzosen den Schutz tatsächlich verdienen: nicht als die Menschen, die sie waren bzw. sind, sondern als leibhaftige Repräsentanten der vorbildlich westlichen französischen Staatsmacht Diese deklariert sie als ihre Schutzbefohlenen, definiert also die Attentate als Angriff auf sich. Damit ist sie es sich als Macht schuldig, diesen Angriff „angemessen“ zu beantworten. Zugleich gibt sie vor, was überhaupt nur „angemessen“ sein kann: die Demonstration nämlich, welches Monstrum an absolut überlegener Gewalt sich die Attentäter zum Feind gemacht haben.

Im Innern des Landes lässt der Staat militärische Mannschaften mit schwerem Gerät auf die Straßen rollen, führt sich auf als Gewaltsubjekt, das jede Straßenecke mit Bewaffneten kontrollieren, jeden Verdächtigen verhaften, sein ganzes Volk lückenlos überwachen und dabei von keiner Verfassung an irgendetwas gehindert werden kann. Über den zivilen Alltag, für dessen Schutz man ihm dankbar sein soll, stellt er damit klar, dass der von ihm jederzeit kündbar ist, abhängig einzig davon, wie es um seinen Anspruch auf die Unangreifbarkeit seiner absolut souveränen Monopolgewalt steht.

Auch nach außen gilt das Auftreten der französischen Militärmacht ganz ihr selbst und ihrer weit über die eigenen Grenzen hinaus angemaßten Rolle. Sie erklärt dem IS den Krieg und führt ihn. Mit dem Flugzeugträger „Charles de Gaulles“, der zumindest in Europa seinesgleichen sucht, mit den modernsten Kampfflugzeugen – alles „fabriqué en France“, versteht sich – beweist sie, zu welcher den Attentätern um Dimensionen überlegenen Gewalt sie aus dem Stand fähig ist, vor welchem Ausmaß an Zerstörung und Tod sie definitiv keine Skrupel hat.

Hier schlägt also ein Staat für sein Recht auf Unangreifbarkeit so gewaltsam zu, wie es eben nur ein Staat vermag. Daher gehört zu diesem Fundamentalismus der unanfechtbaren Überlegenheit die blanke politische Berechnung: Vom Wahlkampf des angeschlagenen Präsidenten über den europäischen Machtkampf mit Deutschland bis hin zum ‚Great Game‘ der Großmächte im Nahen und Mittleren Osten thematisieren die Vertreter der Politik selber und ihre einfühlsamen journalistischen Begleiter ohne Scheu den möglichen Nutzen des gewaltsamen Auftrumpfens unter Berufung auf die Terror-Opfer.

Darin liegt er tatsächlich, der Unterschied zwischen den Pariser Toten, die alles ändern, und den vielen anderen, die woanders einfach so krepieren: in der Gewaltpotenz und im weltpolitischen Machtanspruch des Staates, der mit Berufung auf seine toten Bürger aus ihnen etwas zu machen versteht.

P.S. Wer das nicht glaubt oder gar für eine Verhöhnung der 130 Opfer von Paris hält, der soll die Gegenprobe an den 224 toten russischen Sinai-Urlaubern vornehmen: „Angriff auf unsere Lebensart“ oder „absehbarer, von Putin eiskalt kalkulierter Preis für den Schulterschluss mit Assad“? – „Legitimer Kampf gegen die, die nur die Sprache der Gewalt verstehen“ oder „Versuch, die weltweite Empörung für russische Großmachtambitionen in Nahost auszunutzen“? – … Eben!

Die Terror-Opfer sind also auch Berufungstitel, um französische und europäische Machtambitionen in Syrien und Irak sowie darüber hinaus im gesamten Vorderen Orient voranzutreiben. Auch davon wird zu reden sein.

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