Ein Blitzkrieg für die Sicherheit des Westens
Anfang Januar hat die französische Armee in Mali Zustände abgestellt, von denen Präsident Hollande vor der UNO erklärt hat, sie seien „unerträglich, unzulässig und inakzeptabel nicht nur für Mali, sondern für alle Länder der Region und darüber hinaus alle Staaten, die Entschlossenheit im Kampf gegen den Terrorismus zeigen.“
Gut ertragen und zulassen konnten die Weltmächte die Zustände, die bis dahin jahrzehntelang in Mali herrschten. Ein flächendeckendes Gewaltmonopol über ein Staatsgebiet hat Mali noch nie ausgeübt; autonome regionale Gewalthaber und Kleinkriege zwischen bewaffneten Ethnien sowie mit der Staatsmacht hat es in diesem Land immer wieder gegeben.
Auch daraus, dass rund ein Drittel der Regierungssoldaten im vorigen Jahr desertiert ist, unter Tuareg-Offizieren für einen eigenen Staat gekämpft und die Regierungstruppen aus dem Norden Malis vertrieben hat, wäre nicht gleich eine internationale Affäre geworden, auch wenn die Großmächte selbstverständlich bei jedem Putsch und Machtwechsel genau hinschauen, ob er in ihrem Sinn ist und in Ordnung geht.
Ganz und gar nicht in Ordnung geht der Zerfall Malis nun, weil unter den Sezessionisten Gruppen aktiv sind, ja zeitweise dominieren, die Al Kaida im Maghreb und ähnlichen islamistischen Kampfverbänden zugerechnet werden. Das erst setzt die „Wiederherstellung der territorialen Integrität Malis“, die es vorher gar nicht gegeben hatte, auf die internationale Agenda und führt zu Planungen zur Wiedereroberung des Nordens. Und als die Rebellen im Norden der angesagten Rückeroberung ihrer Gebiete durch eine im wesentlichen von der EU finanzierte afrikanische Eingreiftruppe zuvorkommen und ihrerseits Städte im Süden stürmen, die Regierungstruppen überrennen und auf die Hauptstadt Bamako vorrücken, marschiert Frankreich ein: Soweit lässt man es nicht kommen, dass erklärte Feinde des Westens einen ganzen Staat in ihre Hand bekommen, und damit, wie beschränkt auch immer, die materiellen Ressourcen ihrer Macht erweitern und die Reste der Staatsmacht und ihre Träger abräumen, auf die der Westen zählt.
Ein Beitrag zum Weltkrieg gegen den Islamismus,
Seit den New Yorker Anschlägen von 2001 nimmt der Westen die nichtstaatliche Kampfgemeinschaft des gläubigen Antiimperialismus als Herausforderung seiner Weltordnung ernst. Ihre Vernichtung war diversen Koalitionen williger NATO-Staaten und anderer eine ganze Reihe von offiziellen und inoffiziellen Kriegen wert: Man verfolgt und tötet ihre Führer und Aktivisten, wo man sie trifft – im Irak (nach Saddam Hussein), Afghanistan, Pakistan, Jemen, Somalia etc. .
Die politische Diagnose und damit der abstrakte gemeinsame Nenner, der die Strömungen der sogenannten Islamisten eint, sieht die Länder und Gesellschaften der arabischen und insgesamt der islamischen Welt in einem sehr schlechten Zustand und führt diesen darauf zurück, dass sie vom ungläubigen Westen dominiert, ausgenutzt und beleidigt werden und dass sich diese Gesellschaften, weil selbst schon moralisch verwestlicht, dagegen nicht entschlossen zur Wehr setzen. Dass die Mehrheit ihrer Glaubensbrüder in Armut lebt, dass die USA mit ihrer Militärpräsenz in der islamischen Welt und Israel mit seiner kriegerischen Selbstbehauptung und Expansion die Moslems permanent „demütigen“ und ihrer Ohnmacht überführen – das sind unter Islamisten unumstrittene äußere Indikatoren einer Krise, die für sie vor allem eine innere ist. Sie kämpfen für eine sittliche Erneuerung ihrer Gesellschaften und für eine politische Obrigkeit, die diese zu ihrer ersten Aufgabe und damit der westlichen Penetration ein Ende macht.
Dieser politische Islam ist für die weltbeherrschenden Mächte des Westens auch nach dem Jahrzehnt des „Krieges gegen den Terror“ noch Ärgernis genug: Gerade jetzt gehen seine Vertreter als Sieger aus den Wirren in den Umbruchstaaten Nordafrikas und Arabiens hervor und kommen an die Macht. Die gläubige Deutung der Krise ihrer Nationen scheint den Landesbewohnern mehrheitlich als Erklärung ihrer miserablen Lage einzuleuchten. Die Außenpolitiker der EU und der USA stehen vor der Aufgabe auszutesten, ob und wie weit sich die antiwestlichen Islamparteien und Staatsführungen aufs Kalkulieren mit Geld und Machtmitteln einlassen und dadurch berechen- und lenkbar werden.
Negativ entschieden ist diese Frage in Bezug auf die Fraktion der Islamisten, die sich in die Tradition Bin Ladens stellt. Die ist zur militärischen Gegenwehr gegen die westliche Durchdringung ihrer Gesellschaften aus der Position absoluter und chancenloser Unterlegenheit heraus entschlossen. Die Minderheit, die den heiligen Krieg zu ihrer Sache macht, ist gefährlich für die Neuordnung der nordafrikanischen Staatenwelt im Sinne des Westens, weil sich in ihr die radikalsten Aktivisten einer Krisendiagnose sammeln, die durchaus millionenfach verstanden wird, und Einfluss auf die in Unruhe geratenen Massen der Umbruchstaaten zu erlangen sucht. Diese „Fundamentalisten“ kann und will der Westen nicht zum berechnenden Umgang mit dem imperialistischen Kräfteverhältnis erziehen, sondern vernichten. Den irregulären Krieg, den sie dem Westen antragen, nennt er Terrorismus und beantwortet ihn mit purem Terror: Überall, wo sie entdeckt werden und zu treffen sind, greift man sie an, jagt und verjagt sie – und tötet dabei immer so viele von ihnen wie möglich.
Mit der Machtübernahme im Norden Malis haben die Dschihadisten einen zerfallenden Staat für sich zu nutzen gewusst. Sie haben die in Mali ewig unzufriedenen Tuareg, die Libyens Gaddafi als Söldner gedient hatten, mit seinem Ende fliehen mussten, aber ordentlich moderne Waffen mitnehmen konnten, als Chance erkannt und deren Aufstand für sich funktionalisiert. Und sie haben sich im staatsfreien Raum ein Rückzugsgebiet geschaffen, in das sie sich in Sicherheit bringen und aus dem heraus sie von neuem operieren können. Dieser strategische Zugewinn ist für Frankreich und die ihm partnerschaftlich verbundenen Antiterrorkämpfer nicht hinnehmbar. Natürlich prangern sie die Einführung von Scharia-Strafen und die Zerstörung von UNESCO-Weltkulturerbe durch die Islamisten an; das sind aber nur Symbole und moralische Bebilderungen für das, was sie eigentlich am Gottesstaat im „freien Azawad“ stört. Dass der als operative Basis für den heiligen antiwestlichen Kleinkrieg genutzt werden kann, das darf nicht sein. Dessen Kämpfer und Verfechter dürfen nirgendwo in Ruhe gelassen werden.
… den Mali nicht leisten kann,
Vor dieser Aufgabe versagt der Staat Mali. Dass er auch vor allen anderen Aufgaben versagt, die man gewöhnlich Staaten zurechnet, ist für die französische Eingriffsmacht nicht so wichtig. Mehr und anderes erwartet man von ihm gar nicht.
Mali, das von den UN offiziell in die Kategorie HIPC (Highly Indebted Poor Country) einsortiert wird, verfügt über ein Territorium, dessen wirtschaftliche Nutzung die Finanzmittel nicht hergibt, die nötig sind, um die Unkosten eines Gewaltmonopols zu decken, das sein Land flächendeckend beherrscht. Die Subsistenzwirtschaft der Bauern, die in den Gebieten, wo Ackerbau überhaupt möglich ist, ihr Leben mehr schlecht als recht mit Wanderhackbau fristen, lässt sich – schon weil sie sich weithin jenseits der Geldzirkulation abspielt – schlecht besteuern. Eigentliche Einkünfte in international brauchbarem Geld spielt dem Staat nur der Abbau von Bodenschätzen (Gold und anderes) durch ausländische Konzerne sowie der Export dieser Rohstoffe ein. Und diese Einkünfte reichen eben nicht hin, die laufenden Kosten der Herrschaft zu decken und ihre Schulden zu bedienen. Staat heißt deshalb in Ländern wie Mali, dass eine herrschende Clique die knappen Geldquellen des Staates an sich reißt und damit sich und ihren Anhang aushält, dass die Durchsetzung der staatlichen Autorität sich auf die Hauptstadt und eine paar andere Bevölkerungszentren beschränkt und dass schon gleich alles unterbleibt, womit die politische Herrschaft anderswo ihr Volk und Territorium zur materiellen Basis und Reichtumsquelle des Staates herrichtet und entwickelt.
Weil sich der Staat Personal und Mittel für die Selbstbehauptung auf seinem Territorium nicht leisten kann, ist Mali über die heillose Überschuldung hinaus ein „failed state“, der sich als einheitlicher Staat nicht erhalten kann.
Diesen Zustand des Ruins, mit dem sie als einem gegebenen und bleibenden fait accompli umgehen, haben die kapitalistischen Großmächte selbst herbeigeführt. Im Lauf der Jahre haben sie gemerkt, dass sie für den begrenzten Nutzen, den Mali ihnen und dem kapitalistischen Weltmarkt als Rohstofflieferant bietet, eine handlungsfähige, das Land kontrollierende und verwaltende Obrigkeit gar nicht brauchen. Die Interessenten an den Rohstoffen entrichten Gebühren für Schürfrechte und Exportlizenzen nach Weltmarktpreisen und schützen ansonsten Bergwerke und ähnliches und die nötigen Transportrouten mit eigenen Sicherheitsdiensten und Privatarmeen. Und die freien Souveräne müssen zusehen, wie weit sie mit diesen Einnahmen kommen. Die Investoren geht das nichts an, und auch deren Heimatstaaten sehen sich da nicht gleich in der Verantwortung. Soweit sie gelten lassen, dass es für die marginale kapitalistische Nutzung des Landes einen geschäftsfähigen Ansprechpartner in der Hauptstadt und eine Verträge schließende Autorität braucht, geben sie Finanz-, Entwicklungs- und Waffenhilfen. Mit solchen Finanzierungen räumen sie ein, dass es einen Staat wie Mali nicht wegen eines Bedürfnisses seiner Gesellschaft nach einem gewaltsamen Garanten des einheimischen Geschäftslebens gibt. Es gibt ihn nur wegen eines auswärtigen Interesses an seiner Funktion für das Ausland – und daher auch nur so weit, wie das mächtige Ausland das nützlich und nötig findet. Die großen kapitalistischen Staaten jedenfalls sind sehr sparsam, was die Finanzierung ihrer staatlichen Geschöpfe betrifft, und veranstalten einen permanenten Test darauf, wie wenig da reicht.
… auf den es aber nun verpflichtet wird.
Frankreich nimmt sich des anspruchsvollen europäischen Sicherheitsproblems an, dass das Versagen Malis „fast 2500 Kilometer vom französischen Staatsgebiet entfernt zur Entstehung eines Schutzraums für Terroristen geführt hat“ (Laurent Fabius, französischer Außenminister), nicht der Probleme Malis. Es bekämpft die Folgen, die die Erosion der malischen Staatsmacht hat, nicht diese Erosion selbst und schon gleich nicht deren Ursachen. Es hilft dem Staat Mali nicht aus seinem Status als „failed state“ heraus, sondern funktionalisiert ihn in eben dieser Verfassung. Dafür treibt es die Islamisten weit zurück in die Wüste und schafft so die Voraussetzung dafür, dass malische Militärs selbst die geschwächten Islamisten bekämpfen und jagen können. Das müssen sie allerdings auch – im Interesse ihres eigenen Machterhalts. Niemand, zuallerletzt der französische Präsident, hegt die Illusion, dass die Dschihadisten und die Gefahr, die von ihnen ausgeht, irgendwann bald erledigt sein würden – das Ziel ist ohnehin nur durch die Ausrottung der Kämpfer zu haben, und von denen werden durch solche imperialistischen Einsätze ja nicht nur viele getötet, sondern immer auch neue erzeugt.
Die Daueraufgabe, die Islamisten in ihrem Land in Schach zu halten, schieben Frankreich und seine europäischen Partner den malischen Machthabern zu. Ihr Staat hat als erste und einzige Aufgabe seine Selbsterhaltung gegen diese Machtkonkurrenten durchzukämpfen, muss seine dürftigen Finanzmittel und Waffen darauf konzentrieren und so sich in den Dienst europäischer Sicherheitsbedürfnisse stellen. Dafür bekommen die malischen Militärs dann auch abgelegte Waffen der Bundeswehr und Ausbilder gestellt, die ihnen zeigen, wie man sie benutzt. Dafür drängen Europa und die UNO die südlichen Sahara-Anrainer zur militärischen Kooperation trotz der Gegensätze und Feindschaften, die sie untereinander haben, und trotz des peinlichen Umstands, dass sie ungefähr dieselben Probleme haben wie Mali: In ihrer Not, schon fürs Niederhalten ihrer einheimischen Feinde nicht genug Soldaten und Geld aufbieten zu können, sollen sie nationale Machtmittel den Nachbarstaaten zur Verfügung stellen, wenn die mit islamistischen Aufständen nicht fertig werden.
Bei aller Funktionalisierung der Machthaber in Mali und in seinen Nachbarstaaten machen sich Frankreich und der Westen von der Leistungskraft ihrer Kreaturen nicht abhängig: Frankreich bleibt mit einer starken Garnison in Niger, mit Flugzeugen und Fremdenlegionären präsent, jederzeit bereit, wieder einzugreifen und schnell das Blatt zu wenden, sollten sich seine Protegés nicht behaupten können. Parallel dazu richten die USA im Norden Nigers eine weitere Basis für den Drohnenkrieg ein. Mit ihrer neuen Kriegstaktik, aus unerreichbarer Höhe auf Ansammlungen vermuteter Islamisten draufzuhauen, Ansätze von militärischer Infrastruktur kaputtzumachen und Leute umzubringen, reduzieren sie die Aktivitäten ihrer Feinde auf einen Kampf ums Überleben und hemmen deren militärische Aktionsfähigkeit – als Dauerprogramm.
Die Kooperation konkurrierender Weltordnungsmächte
Man darf Präsident Hollande schon glauben, wenn er versichert, Frankreich wolle nicht zurück zum Kolonialismus, sich nicht in Mali festsetzen, sondern sich so bald als möglich wieder zurückziehen. Frankreich, von dem die Welt ja weiß, wie sehr es am Uran im Nachbarland Niger und anderen Bodenschätzen der Region und überhaupt an seiner besonderen Zuständigkeit für „Françafrique“, sein ehemaliges Kolonialreich, interessiert ist, teilt den imperialistischen Partnern und Konkurrenten mit und will von ihnen anerkannt bekommen, dass es da kein bloß nationales Ziel verfolgt. Es legt Wert darauf, dass es in einer Aufgabe unterwegs ist, die die europäischen und NATO-Partner ebenso angeht, dass es eine allgemeine Bedrohung des Westens bekämpft und dafür Rückendeckung und materielle Unterstützung von den Partnern erwarten und verlangen kann.
Die imperialistischen Konkurrenten geben dem französischen Antrag auf Solidarität statt – allerdings auf eine sehr ironische Weise. Anders als noch bei ihrem Angriff auf Libyen 2011 bekommen die Franzosen im Fall Mali weder von den Deutschen noch von Russen, Chinesen und anderen scharfe Absagen zu hören, mit denen diese die völkerrechtliche Legitimität des Krieges bestreiten, d.h. ihn nicht als Beitrag zu ihrer nationalen Sicherheit und daher nicht als Beitrag zum Weltfrieden gelten lassen. Vom ganzen UN-Sicherheitsrat wie vom rivalisierenden Erbfreund Deutschland wird die Entschlossenheit Frankreichs gelobt, sein Einsatz im allgemeinen Interesse gebilligt und sogar seine besondere Zuständigkeit für das frankophone Afrika ohne Einschränkung anerkannt. Gerne lässt man dem französischen Partner in Mali den Vortritt; anders wieder als in Afghanistan und bei der Piratenbekämpfung vor Somalia drängen die anderen gar nicht aufs Mitschießen und sind nicht scharf auf eine eigene Rolle auf dem Kriegsschauplatz. Die Solidarität mit Frankreich bleibt vorwiegend verbal; mit materiellen Beiträgen, wie Frankreich sie fordert und wünscht, halten sich die Verbündeten sehr zurück. Deutschland, die USA und andere teilen zwar das Bedürfnis, die Islamisten in der Wüste fertigzumachen, sehen aber keinen Grund, dafür eigene Soldaten einzusetzen, und das auch noch unter französischer Führung.
Dass ein Land, das weltpolitisch mitreden will, mitschießen muss, wann und wo immer mit Gewalt Ordnung geschaffen wird, gilt nach wie vor. Nur haben die Partner in diesem Fall eben entschieden klarzustellen, dass in der malischen Wüste so viel nicht entschieden wird. Weder ist ihnen der Schauplatz so wichtig und die Bedrohung durch die islamistischen Bewaffneten so akut, dass sie den Einsatz auch ihrer Machtmittel für erforderlich hielten, noch hat Frankreich die imperialistische Statur, der Welt die Tagesordnung zu diktieren und allein durch seinen Einsatz die Sache so wichtig zu machen, dass die anderen vor der Alternative stehen, sich einzuordnen oder in einer wichtigen weltpolitischen Gewaltaffäre irrelevant zu sein. Die Partner bestreiten Frankreichs Führung also nicht, hängen die Sache aber so tief, dass ein französischer Machtgewinn als militärische Führungsnation in EU und NATO garantiert nicht herauskommt. Diese Haltung der „Weltgemeinschaft“ unterstreicht noch einmal die in Addis Abeba zusammengetrommelte Geberkonferenz interessierter Staaten: Sie mobilisiert für das zerfallende Mali die lächerliche Summe von 370 Millionen versprochener, noch lange nicht gezahlter Dollars. So sehr die Partner und Konkurrenten den Fremdenlegionären Erfolg bei ihrer Islamistenjagd wünschen, so wenig haben sie übrig für die bescheidensten Existenzbedürfnisse des Staates, der nun diese Jagd für den Westen fortsetzen soll.
Ein „gerechter“ Krieg ohne deutsche Beteiligung
Die deutsche Sicht präsentiert Verteidigungsminister de Maizière so schön verlogen und ehrlich, wie er es eben zu seinem Markenzeichen gemacht hat. Zunächst zollt der rechtsrheinische Partner dem linksrheinischen uneingeschränktes Lob:
„Dass Frankreich jetzt mit Armeekräften eingegriffen hat, ist konsequent und richtig … Frankreich handelt im Rahmen der Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen und in völliger Übereinstimmung mit dem Völkerrecht. Die Bundesregierung war zuvor informiert, und Frankreich hat unsere volle politische Unterstützung.“
Frankreich stellt sich einem Ordnungsproblem, das „wir“ auch sehen, es handelt im Rahmen des internationalen Rechts, das „wir“ und unsere Partner in der UNO setzen, und es hat sich vorweg um deutsche Zustimmung bemüht. Deutschland sieht sich und seine Interessen voll berücksichtigt. Auf die Frage, ob es sich in diesem rundum gelungenen Krieg dann nicht stärker an der Seite des Partners engagieren sollte, antwortet de Maizière so:
„Wir brauchen realistische Ziele und nicht zu viel menschenrechtlichen Überschwang bei der Entscheidung, Soldaten in ein anderes Land zu schicken … So idealistisch es ist, sich auch mit militärischen Mitteln für Menschenrechte zu engagieren und so sehr das vielleicht auch eine rasche Zustimmung der Bevölkerung bewirkt – es trägt auf Dauer alleine nicht. … Wir sollten den Einfluss des Westens, der NATO und der EU auf die Welt nicht überschätzen. Wir sind auch in der Regel nicht politisch verantwortlich dafür, was in fremden Ländern passiert. Dafür sind die Länder und die betreffenden Regionen selbst verantwortlich. Wir können da helfen, auch mal militärisch vielleicht, wir haben eine internationale Verantwortung, auch wir Deutschen, aber wir müssen nicht zwingend Verantwortung übernehmen, wenn es einen bitteren Bürgerkrieg irgendwo in der Welt gibt.“ (FAZ-Gespräch, 13.01.2013)
Die erste Adresse, an die der Minister sich wendet, ist die deutsche öffentliche Meinung, die er und seinesgleichen sich selbst gezüchtet haben. Wenn Deutschland militärisch tätig wird, dann nämlich stets unter Berufung auf allerhöchste Werte und mit dem Ton, dass das Werk deutscher Waffen ein einziger Dienst an den Menschen und Ländern wäre, die in den Genuss des Schießens kommen. Dass die journalistischen Freunde dieser Lüge ein deutsches militärisches Engagement im Namen der Menschenrechte erwarten und fordern, wo immer in der Welt Mord und Totschlag herrschen, weist de Maizière dagegen zurück – und zwar nicht nur als ehrenwerten idealistischen Überschwang, sondern geradezu als eine Form von Populismus. Für den imperialistischen Realismus, den er dagegensetzt, argumentiert er glatt mit einer Wahrheit: Die Außenpolitik orientiert sich bei der Entscheidung über Krieg und Frieden nicht an den Menschenrechten und hat das auch nie getan. Von der Gleichung zwischen Krieg und menschlicher Nothilfe lässt der Christ an der Spitze des Verteidigungsministeriums dennoch nicht. Als Legitimation für die Kriege, die „wir Deutschen“ führen oder geführt wissen wollen, sind die Menschenrechte nicht aus dem Verkehr gezogen. Eine Verpflichtung zu deutscher Teilnahme an Militärexpeditionen, die unter diesem Titel stattfinden, darf daraus aber nicht abgeleitet werden. Deutschland soll und wird sich die Entscheidung darüber, wann, wo und in welchen Umfang es seine „internationale Verantwortung“ kriegerisch wahrnimmt ganz alleine vorbehalten und mit realistischer Zielsetzung treffen. Schließlich, das können sich die Kollegen in NATO und EU gesagt sein lassen, muss gar nicht jeder Machtkampf in Afrika militärisch in den Griff gebracht werden. Ein von außen genährter, endloser Kleinkrieg trägt auch zu der Stabilität bei, die Europa braucht. Und dafür tut das Land der Menschenrechte ja was.
Die zweite Adresse, an die der Minister sich damit wendet, ist der französische Partner. Das ganze umständliche ethische Räsonnement taugt dazu, ihm freundlich auseinanderzusetzen, dass er automatische Unterstützung für seine Militärexpeditionen weder verlangen noch erwarten kann.