Die Teilnahme von Rechtsextremen an den Montagsdemonstrationen sollte nicht verwundern.
Rechte und linke Botschaften sind sich zum Verwechseln ähnlich
Dass die organisierten Jungfaschisten auf denMontagsdemonstration gegen Hartz IV nichts verloren haben, darin sind sich die Veranstalter mit Attac, den Gewerkschaften und der PDS völlig einig. Warum jedoch die Pappen, Sprüche, Flugblätter der NPD oder der DVU dort nicht hingehören, vermögen sie nicht recht nachzuweisen. Es ist immer dasselbe: Wenn sich die neuen Nazis nicht mit Springerstiefeln, Glatzen, Werbematerial der NPD oder Rufen wie »Deutschland den Deutschen – Ausländer raus« uniformieren würden, dann wären sie für all die guten Demokraten des »linken Lagers« nicht erkennbar.
Unterschiede in der inhaltlichen Kritik am Hartz-IV-Programm, die den Ausschluss der DVU und der NPD vom Protest begründen könnten, vermögen sie gar nicht aufzudecken. So fällt den linken Demonstranten wie auch der kommentierenden bürgerlichen Öffentlichkeit nur die abenteuerliche Erklärung ein, die Neonazis hätten sich mit linken Parolen getarnt und eine »braune Chamäleon-Taktik« zugelegt. Doch warum sollten sie eigentlich? Um mit linken Sprüchen für die entgegengesetzte, die rechte Sache, zu werben? Das wäre wirklich eine eigentümliche »Taktik«. Welcher von linker Kritik wirklich überzeugte Demonstrant ließe sich schon für rechte Anliegen gewinnen?
Das nationale Anliegen
Auf den Gedanken, dass sie selbst vielleicht mit ihren kritischen Parolen die neuen Faschisten theoretisch zu jenem »Schulterschluss« eingeladen haben, den sie praktisch um jeden Preis unterbinden wollen, kommen die Tugendwächter des (ost-)deutschen Protests nicht. So etwas liegt jenseits ihres Vorstellungshorizontes. Und doch ist dies leider der Fall. Das politische Selbstbewusstsein der um political correctness des Widerstands gegen den »Sozialabbau« bemühten Wort- und Schriftführer und ihre kritischen Einlassungen zu der neuen Stufe nationaler Verarmung von Lohnabhängigen fallen ziemlich auseinander. »Linke« und »Rechte« haben sich längst zu kaum noch unterscheidbaren Angriffen auf das Hartz-IVKonzept vorgearbeitet, in deren Zentrum nichts als Sorgen um nationale Anliegen stehen.
So teilen »Linke« und »Rechte« einvernehmlich die Sorge um die »Vernichtung volkswirtschaftlicher Massenkaufkraft« (Attac, PDS, DVU, NPD) durch Hartz IV. Wem gilt diese Sorge eigentlich? Gilt sie den auf ganz neue Formen von Armut festgelegten Beziehern von Arbeitslosengeld II und Sozialgeld, oder gilt sie Konzernen wie Karstadt, Müllermilch und Lidl? Nicht die Verarmungspolitik wird angeklagt, sondern eine Wirkung, die diese Armut auf »unsere nationale Volkswirtschaft« hat. In der Tat: Wenn immer mehr Menschen nicht wissen, was sie morgen in Topf und Pfanne tun sollen, weil der Sozialstaat sie auf schmale Kost gesetzt hat, dann werden sie wohl auch keine großen Beiträge für die positiven Geschäftsbilanzen von Lebensmittelkonzernen liefern können.
Wem gilt die Sorge vor »sozialen und gesellschaftlichen Destabilisierungstendenzen« (PDS), vor den nationalen Auswirkungen von »Asozialmaßnahmen« (DVU)? Gilt sie den Menschen, die in Armutsghettos getrieben werden, weil der Sozialstaat sie aus ihren Wohnungen vertreibt? Gilt sie dem Elend der Leute oder beklagt sie, dass Leute, die verzweifelt zur Flasche oder zu anderen Rauschmitteln greifen, die gesellschaftliche Ordnung »destabilisieren«? Keine Frage: Erneut halten »Linke« und »Rechte« nur eine Wirkung von Verwahrlosungsprozessen auf ihr geliebtes nationales Gemeinwesen für skandalös.
Ja, das wird wohl so sein, dass die Ghettos keinen sehr schönen Anblick bieten, der Rechtsstaat polizeilich neu gefordert wird und das hübsche Bild vom fl eißigen, sauberen und anständigen deutschen Volksgenossen einige Flecken bekommt. Sollte das nicht allein ein Ärgernis für die Fans sauberer Verhältnisse in der Heimat sein?
Nur die Würde soll bleiben
Welches Opfer wird eigentlich beklagt, wenn schließlich der Verlust der »Menschenwürde« (PDS, NPD, Attac), die »Demütigung« (NPD) von »Wehrlosen« (PDS), die sich per Fragebogen »nackt ausziehen« (NPD) müssen, gegeißelt wird? Gilt die Sorge der Enteignung von Leuten oder der »Menschenwürde«? Gilt sie der Tatsache, dass der Staat das bisschen privat angesammelte (Geld-)Eigentum, mit dem Lohnarbeiterfamilien in absehbaren Notfällen die knappen Sozialversicherungsleistungen etwas aufbessern wollen, dafür hernimmt, um an Sozialleistungen zu sparen? Oder gilt sie dem Umstand, dass Menschen sich von »fremden, anonymen« (Attac) Behörden ausfragen lassen müssen? Soll da ein »gläserner Mensch« beklagt werden oder dass der Fragebogen dazu hergenommen wird, um den Leuten noch einmal in die Tasche zu fassen? Auch ein apartes Anliegen: Stolz und Würde soll der Mensch, der deutsche Mensch zumal, behalten dürfen, wenn ihm schon sonst so ziemlich alles genommen wird.
Und so geht es weiter. Nie gilt die Kritik der neuesten Stufe des rot-grünen Verarmungsprogramms, das da für Millionen Ausgemusterte beschlossen wird. Nie reicht es den Grüppchen und Parteien, nur anzuprangern, was diese neue Sozialfürsorge für Groß und Klein, für Alt und Jung, für Mann und Frau, für Gesunde und Kranke, für In- und Ausländer bedeutet; welche Lebensperspektiven ihnen ab sofort verschlossen und auf welche Überlebensperspektiven sie festgelegt werden.
Immer interessieren in erster Linie Schädigungen des Gemeinwesens, weniger die der Leute. Immer siegt der nationale Verantwortungsstandpunkt über die Beschwerde, die dem staatlich festgeklopften Elend gilt. Immer steht die Sorge über – tatsächliche oder erfundene – Auswirkungen von Hartz IV auf solche nationalen Güter, die den Protestierenden aller Couleur am Herzen liegen, im Vordergrund. Immer scheint ihnen der Beweis, dass es auch ihnen wie der nationalen Regierung letztlich nur um Deutschland geht – um seine Massenkaufkraft, sein Kapital- und Bevölkerungswachstum, seine Finanzkraft, seine Keimzellen, die Familien, das einvernehmliche Verhältnis von Volk und Herrschaft, seine Ordnung, den Anstand und die Würde seiner Bevölkerung usw. – wichtiger zu sein, als nur festzuhalten, dass das Regierungsprogramm zur Sanierung des nationalen Standorts unverträglich ist mit den materiellen Interessen der Leute, die als Manövriermasse dieses deutschen Aufbruchsprogramms vorgesehen sind.
Abgrenzung nach rechts
Eine inhaltliche Abgrenzung zu den Neonazis ist der PDS, Attac und den Antifas denn doch noch eingefallen. Die NPD und die DVU möchten nämlich verhindern, dass auch Ausländer in den Genuss der Hartz-IV-Maßnahmen kommen, die diesen Montagsdemonstranten bei Ausländern wie unverdiente Privilegien vorkommen. Ausländer sind am meisten betroffen, halten die »Linken« dagegen und sehen sich durch die nationalistische Ausgrenzung von Ausländern in ihrer Absage an die Neonazis bestätigt.
Doch sofort bringen sie ihre Kritik wieder um ihre Substanz. Es fällt ihnen gegen die völkische Vorsortierung von Sozialberechtigungen nämlich nur ein, dass dadurch der Gerechtigkeitshaushalt der Nation durcheinander gebracht werde. Folglich setzen sie der rechten Sorge ums deutsche Volkstum ihre markige linke Gerechtigkeitsparole entgegen.
»Wir wollen, dass Migrantinnen und Migranten gleiche Rechte haben wie BRD-StaatsbürgerInnen «, heißt es in einer Erklärung, die von Vertretern der PDS, des Berliner Sozialbündnisses, von Attac und Berliner Antifas unterzeichnet wurde. Sie sollten sich schon einmal die Frage vorlegen, ob man von »gleichen Rechten« satt wird. Soll eigentlich die neue Sozialgesetzgebung bekämpft oder sollen Deutsche und Migranten irgendeiner Variante des nationalen Verarmungsprogramms ganz gleich und gerecht unterworfen werden? Das fällt eben nicht in eins – wie z.B. Frauen in der Fabrik immer mal wieder erfahren dürfen, die »gleichen Lohn für gleiche Arbeit« fordern und dann mit einer Herabstufung der Männer oder selbst mit einer Versetzung an »ungleiche« Arbeitsplätze zum alten Lohn bedient werden. Ist denn immer noch unbekannt, dass die gleiche Stellung vor dem Recht an den ungleichen ökonomischen Lebensverhältnissen nichts ändert, sondern sie nur ins Recht setzt?
Wer gleiche Rechte für Deutsche und Ausländer einklagt, der macht sich nicht für die Verbesserung ihrer Leben-sumstände stark. Wer aber das und nur das will, der sollte sich von den Überlegungen verabschieden, ob denn erstens auch wirklich alle Betroffenen wirklich gleich betroffen sind und ob zweitens unsere Obrigkeit denn wirklich eine gute und gerechte Herrschaft ist.
[Prof. Dr. Freerk Huisken; Prof. Dr. Margaret Wirth in: Jungle World, Nr. 37 ]