Von der Wette auf Bitcoins bis zum Turbinengeschäft der Siemens AG:

 

alles gutes Geld!

Was haben Bitcoin-Futures, ein Jesus-Bildnis, Grundeigentum und Gasturbinen zur Stromerzeugung nebeneinander im Wirtschaftsteil der Zeitung verloren? Mit allen wird im Kapitalismus Geld verdient, je nach Lage der Dinge sogar enorm viel.

Dank der privaten Spinnerei, laut der die Menschheit eine Währung braucht, die auskommt ohne staatliches Garantiesubjekt und ohne Banken, die alles ihnen anvertraute und durch ihre Hände laufende Geld für ihre spekulativen Geschäfte hernehmen, ist die Welt heute reicher um einen mit ganz viel computertechnischem Know-how entwickelten, mit Rechenleistung und Netzwerktechnik kombinierten und hochgradig verschlüsselten Datenhaufen namens Bitcoin. Dass das Kryptogeld dazu erfunden worden ist, um die etablierten Finanzjongleure aus seiner Zirkulation auszumischen, hält die kein bisschen davon ab, diese Konstruktion für ein hochinteressantes Objekt ihrer angestammten Geschäfte zu halten: Die Coins, deren einzige ‚ökonomische‘ Beglaubigung in der Zuverlässigkeit von Verschlüsselungsverfahren und im Willen besteht, sich darauf einzulassen, sollen ja erstens nichts anderes als irgendjemandes Zahlungsfähigkeit repräsentieren. Zweitens existiert ihr ‚Wert‘ überhaupt nur in einem Preis-Verhältnis zu den von den Bitcoin-Erfindern so verschmähten echten Geldern, in denen sich Zahlungsfähigkeit ansonsten zu bemessen pflegt. Weil sie daher drittens ihren Preis alleine durch das geldwerte Vertrauen von Händlern und das Verhältnis von Angebot und Nachfrage verpasst bekommen, setzen inzwischen Investoren darauf, möglichst als erste bei einem Preis zuzuschlagen, der fortan dadurch steigt, dass sich genügend investitionsfreudige Interessenten finden, die genau dasselbe tun. So bestätigt sich die Antizipation des Herdenverhaltens risikofreudiger Finanzmarktakteure selbst: Ihre investierten Vermögen vermehren sich im Maß der von ihnen hergestellten Kursentwicklung – und zwar nach Lage der Dinge recht ordentlich. Und weil auch ein Bitcoin-Kurs die wunderbare Eigenart besitzt, sich – und der Natur der Sache gemäß: recht heftig – zu bewegen, ist das Interesse der seriösen Banken und Börsen geweckt, die die Volatilität selber zum Stoff einer Finanzwette machen: Mit der dem Future-Geschäft ganz eigenen Spekulation auf das Fallen oder Steigen des Bitcoin-Kurses lässt sich der Reichtum, auf den es hierzulande ankommt, hervorragend vermehren – man muss nur mit dem nötigen Kleingeld auf die ‚richtige‘ Seite tippen.

Am Kunstmarkt jagt ein Rekordverkauf den nächsten. Auch in der Sphäre des Geschmacks, der Kultur und Repräsentation gilt selbstverständlich das Prinzip ökonomischer Vernunft, dass alles einen Preis hat – und zwar in einer Weise, die den Kunst- vom Bitcoin-Handel in der entscheidenden Hinsicht nicht wirklich unterscheidet: Dass der Verkauf von Leonardo da Vincis Salvator Mundi für 450 Millionen Dollar den Kunstmarkt ‚elektrisiert‘, ist Spekulantendeutsch für die frohe Botschaft, dass die Spekulation auf die künftige Spekulation aller anderen Investoren eine prima Geldquelle ist – was so lange stimmt, wie eine wachsende Summe Geld in den Markt drängt.

In den Metropolen rund um den Globus boomt der Markt für Immobilien, also für die Bedingung des gesellschaftlichen Lebens, das nun mal auf einem Flecken Erde stattfindet. Worauf sich das Interesse von Investoren hier stürzt, ist die Errungenschaft, für das Überlassen von Grund und Boden immer wieder einen Preis zu verlangen, schlicht, weil Grundeigentümer das Recht dazu haben, für diesen großartigen Dienst am elementaren Bedarf nach Wohn- und Geschäftsraum selbigem fortwährend Geld abzupressen. Das hat dem Immobilienmarkt das zweifelhafte Lob eingetragen, im Unterschied zu Bitcoin und Co grundsolide zu sein. Zu dieser schönen Sitte gesellt sich die einleuchtende Rechnung, dass da, wo regelmäßig ein Preis fällig ist, dieser nicht einfach verlangt und gezahlt, sondern ‚abgeworfen‘ wird – von dem Immobilienwert nämlich, der damit in der Welt ist. Und wo Werte sind, da bleibt eine Wertentwicklung nicht aus, auf die sich – na bitte – herrlich spekulieren lässt. Nach dem Motto, einkaufen, Wertsteigerung mitnehmen und verkaufen, bevor ‚die Blase platzt‘, lässt sich auch hier hervorragend Reichtum scheffeln – mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass der Boom des Immobilienmarktes für die gewöhnlichen ‚Marktteilnehmer‘ einschließt, aus ihren Einkommen ständig steigende Mieten oder Grundstückspreise bezahlen zu müssen und am Ende mit ihrem Wohnbedarf an den Wachstumsansprüchen ‚des Marktes‘ zu scheitern.

Am boomenden Aktienmarkt präsentiert sich mit Siemens ein hochgelobtes Prachtexemplar der deutschen Industrie, im Unterschied zu Bitcoins und alten Gemälden also ein Stück Realwirtschaft, in der durch die zweckmäßige Kombination von Arbeit und modernster Fertigungstechnik all das nützliche Zeug hergestellt wird, von dem die Gesellschaft lebt. In ihrer an Aktionäre gerichteten Darstellung bisheriger und angepeilter Geschäftserfolge stellt die Firmenleitung klar, wie sich der maßgebliche Nutzen bemisst, den sie erarbeiten lässt:

„Um unseren Unternehmenswert zu steigern, setzen wir unser finanzielles Zielsystem konsequent um. Damit wollen wir stets unser Ziel für Kapitaleffizienz – einen ROCE-Wert [Return On Capital Employed] von 15 bis 20 % – erreichen. Unser Wachstum soll über dem unserer wesentlichen Wettbewerber liegen.“ (Siemens Vision 2020)

Siemens ist über den Gewinn als letzten Zweck und Erfolgsmaßstab seiner Produktion und seiner Produkte hinaus. In seinem Zielsystem ist der Unternehmenswert, der in der Multiplikation des Werts der Aktien mit deren Anzahl besteht, die entscheidende Größe: sein Erfolg als Objekt der Börsenspekulation der eigentliche Daseinszweck. Der Gewinn, den die Firma erwirtschaftet, ist das Mittel dafür; und zwar nicht der vergangene oder gegenwärtige Gewinn, wie groß auch immer der sein mag; der taugt allenfalls als Indikator dafür, was künftig an Gewinnwachstum zu erwarten ist. Das eigentliche Argument für die Unternehmensbewertung durch Spekulanten, die Anrechtstitel auf Dividenden kaufen sollen, um an deren Wertsteigerung zu verdienen, ist die Aussicht auf eine ordentliche zukünftige Profitrate. Deren Höhe legt die Firmenleitung deshalb schon vorweg in einer Größenordnung fest, die sich in der globalen Konkurrenz ums Geld von Investoren sehen lassen kann. Dass Siemens dabei selber dem eigenen Betrieb gegenüber den Standpunkt des Finanzinvestors einnimmt und ausübt, erklärt der Konzernchef ein ums andere Mal:

„Auch wir haben Teile, die von der Börse mit denselben Multiplikatoren bewertet werden wie Apple oder Google. Die digitale Fabrik und die Gesundheitstechnik etwa, beides supercool. In der puren Börsenlogik hieße das: Nehmt die beiden Sachen raus, der große Rest ist eine riesige Beschäftigungsgesellschaft. So reden einige Leute am Kapitalmarkt. Wir aber nicht.“ (Kaeser in der FAS, 31.12.17)

Genau diese pure Börsenlogik wendet Kaeser auf seinen Betrieb an, wenn er sich vorbehält, die AG als Anlageobjekt noch attraktiver zu machen, als es ihre supercoolen Sparten jetzt schon sind:

„Man muss wissen, dass Investoren es sehr schätzen würden, nicht nur in einen breiten, stabilen Mischkonzern investieren zu können, sondern auch gezielter in einzelne spezifische Siemens-Geschäfte. Ich kann mir also durchaus eine Zukunft vorstellen, wo wir Anlegern die Möglichkeit geben, nicht nur in ein Unternehmen Siemens Healthineers oder Siemens-Gamesa Erneuerbare Energien gezielt zu investieren, sondern auch in ein leistungsstarkes digitales Industrieunternehmen. Und wer die Sicherheit eines starken Mischkonzerns mit geringer Volatilität und robuster Dividendenrendite schätzt, kann in die konsolidierende Einheit investieren… Für mich ist eben eine an die Börse gebrachte Sparte mit Mehrheitsbeteiligung immer noch ein Teil von Siemens. Es ist nur eine andere Art, seine Geschäfte zu führen: indirekt statt direkt, aber fokussiert, statt alles über einen Kamm zu scheren.“ (Kaeser in €uro am Sonntag, 20.2.17)

Der Siemens-Chef macht den Finanzinvestoren der Welt mit einer Bandbreite an verselbstständigten Betriebsabteilungen und zusätzlich dazu mit dem konsolidierten Gesamtkonzern, dem diese ausgegliederten Einheiten mehrheitlich gehören, ein Angebot für jeden spekulativen Bedarf. Insofern sind die verschiedenen Sparten, von der Gasturbinenfertigung bis zur digitalen Fabrik, genauso wie der Gesamtkonzern ein und dasselbe: Vehikel für die Konstruktion von spekulativen Geldquellen, die sich nur noch durch die jeweilige Kombination von Sicherheit und Rendite unterscheiden – im Prinzip nicht anders als im Fall Bitcoin und Leonardos Jesus.

Einen Unterschied gibt es allerdings schon: Das Management hat mit der Verfügung über ein Betriebskapital die Macht, den Arbeitsablauf verschiedener Produktionsprozesse zu kommandieren. Gemäß der unbestechlichen ‚Logik‘, dass die aktuelle Bewertung des Unternehmens eine Frage der Kapitaleffizienz von morgen ist, trimmt die Unternehmensführung den Mischkonzern in allen Abteilungen auf das vorgegebene Renditeziel, dem diese dadurch gerecht zu werden haben, dass sie die globale Konkurrenz um den profitbringenden Absatz ihrer Produkte jetzt und in Zukunft dominieren. Dafür wird die Produktion in zusätzlichen Sparten eröffnet und in den bestehenden immerfort umgewälzt, ausgeweitet oder auch eingeschränkt – all das gemäß der goldenen Regel, jeden Kapitalaufwand durch die möglichst billige und bis zur Volllast ausgereizte, intensive und extensive Indienstnahme der Arbeitsleistung der ‚Siemensianer‘ unschlagbar rentabel zu machen. Wo sich trotz der ausgiebigen Berücksichtigung der Kriterien marktwirtschaftlicher Vernunft die globale Konkurrenz nicht in dem Maße beherrschen lässt, dass hinten sichere 15 bis 20 % rauskommen, werden Sparten ‚abgestoßen‘ – und das Einkommen der daran hängenden ‚Mitarbeiter‘ gleich mit. Die haben ihr Auskommen eben einzig und allein dadurch, dass und solange sich ihre bezahlte Arbeit in allen Abteilungen der AG als Mittel einer so effektiven Kapitalproduktivität bewährt, dass möglichst alle sowohl auf Sicherheit als auch auf Rendite bedachten Investoren Siemens bei ihrer Bereicherung einplanen.

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Vom Bitcoin bis zur Industriebeteiligung wird alles unter ein und dasselbe Urteil subsumiert und nach den Kriterien erwarteter Sicherheit und Rendite als Anlageobjekt in Augenschein genommen. Zur Vermehrung ihres und des von ihnen verwalteten Geldreichtums der Gesellschaft schichten die Finanzmarktakteure ihre Vermögen beständig um, vergleichen die Kapitalqualität verschiedenster Investments, spekulieren auf deren Zukunft, ziehen das Geld bei Bedarf auch wieder ab, um es gleich in das nächste Anlageobjekt zu stecken, und stellen damit beständig das maßgebliche Urteil über den ökonomischen Nutzen und die Zukunftsaussichten eines jeden Vehikels ihrer Spekulation her. Die überwiegende Mehrheit, die sich daran aus Mangel an Vermögen nicht beteiligt, geht all das nichts an – einerseits. Andererseits ist sie in ihrer Eigenschaft als Mieter, Häuslebauer, lohnabhängige Dienstkraft, Konsument, Sparer usw. als nützliches Anhängsel verplant für die Haltbarkeit der unzähligen Renditeerwartungen von Finanzinvestoren und daher praktisch immerzu von deren Anlageentscheidungen betroffen.


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