Die Ideologie von den gerechten Einkommensunterschieden
Ein Bandarbeiter verdient weniger als ein Geschäftsführer, der Amtsleiter mehr als seine Sekretärin, ein Bankier in einem durchschnittlichen Jahr mehr als ein durchschnittlicher Facharbeiter im ganzen Leben.
Warum ist das so?
Weil sich das doch von selbst versteht. Weil es sich so gehört. Weil zu jedem Job irgendwie die passende Vergütung gehört. Weil nicht alles über einen Kamm geschoren werden darf. Das weiß ein jeder, der in der sozialen Marktwirtschaft zuhause ist – egal mit welchem Einkommen er sich darin einzurichten hat. Alles andere als Einkommensunterschiede wäre Gleichmacherei, also unangemessen und gar nicht in Ordnung.
Trotzdem: Was wäre eigentlich schlimm an dieser Sorte Gleichmacherei? Dass alle, die ihren Berufsalltag erledigen, anschließend gleichermaßen was vom Leben haben: Warum ist das undenkbar und wäre ungehörig? Oder andersherum: Ist das nicht ein bemerkenswertes Eingeständnis, wenn sich niemand die soziale Marktwirtschaft ohne Einkommensunterschiede vorstellen kann, die immerhin darüber entscheiden, ob das Leben sich einigermaßen lohnt oder nicht? Dass die Berufstätigkeit einen gescheiten Lebensunterhalt abwirft, gilt für die wenigsten; die meisten müssen sich mit Bruchteilen dessen begnügen, was die Bessergestellten so haben und brauchen. Und das soll ohne jede Frage in Ordnung gehen?
Ganz so ist es doch auch wieder nicht gemeint. Dass Armut und Wohlstand, freier Zugriff auf die in der Welt produzierten sachlichen Reichtümer und Ausschluss davon, notwendigerweise zu unserem unschlagbaren Wirtschaftssystem dazugehören: Das will so keiner behauptet haben; das wäre ja fast schon Systemkritik. Die Idee ist, dass es passt, nämlich das Geldeinkommen zum Beruf. So als würde an die verschiedenen Tätigkeiten ein und dieselbe Messlatte mit Tausendern pro Monat angelegt, und dann hört die eine Tätigkeit beim zweiten Tausender auf, während die andere beim zwanzigsten oder zweihundertsten überhaupt erst anfängt. Einkommensunterschiede gehen nicht einfach so in Ordnung, sondern weil sie gerecht sind. Wie es in der doppelten Bedeutung von ‚verdienen‘ schon enthalten ist: Einkünfte beziehen – der Verdienst – und ein Anrecht darauf haben – das Verdienst – gehören zusammen. Und zwar nach allgemeiner Auffassung so, dass das Einkommen sich nach den Verdiensten eines Menschen richtet und nicht etwa umgekehrt.
Zumindest im Prinzip. Denn in der wirklichen Berufswelt kennt ein jeder, wenn es drauf ankommt, jede Menge Fälle, in denen die Gleichung zwischen moralischem Verdienst und finanzieller Vergütung gar nicht so recht aufgehen will. Ein Grundbesitzer macht Millionen, weil er das richtige Grundstück geerbt hat, während Postboten kaum ihre Miete zahlen können; oder Parlamentarier genehmigen sich schon wieder höhere Diäten für die schwere Verantwortung, mit der sie die Hartz-IV-Sätze festlegen: So etwas empfindet schon mancher als Skandal. Auch wenn erfolgreiche Fußballgrößen in einer Saison mehr verdienen als ein erfolgreicher Bundeskanzler in einer Legislaturperiode, wird für manchen dasselbe Maß ein wenig fraglich, mit dem da gemessen worden sein soll. Und vielleicht traut sich sogar der eine oder andere die Überlegung, nach welchem Recht eigentlich ein erfolgreicher Hilfsarbeiter in seinem ganzen Leben nicht so viel zusammenbringt, obwohl die Kontischicht im Stahlwerk doch auch so ihre Verletzungsrisiken und Konditionsprobleme mit sich bringt…
So eine Überlegung ist zwar schon wieder gar nicht so üblich. Denn mit so großen Tieren wie Fußballern oder Bundeskanzlern vergleicht sich ‚der kleine Mann‘ in der Regel erst gar nicht; dass für die Reichen andere Maßstäbe gelten, ist dann doch wieder nur allzu klar. Aber auch daraus lässt sich ja einmal ein anderer Schluss ziehen als der, dass bei den Großverdienern offenbar ganz andere, höhere Verdienste anfallen als bei denen, die mit wenig Geld passend bedient sein sollen. Vielleicht ist es ja tatsächlich so, dass die Gerechtigkeit, dieser hohe Wert, überhaupt nicht zuständig ist, wenn es um unterschiedliche Einkommen geht. Dass es gar kein gemeinsames Maß gibt, nach dem Hilfsarbeiter, Fußballer, Grundbesitzer, Politiker usw. ausbezahlt werden. Und womöglich ist ja der Grund, aus dem ein Arzt mehr einstreicht als seine Helferin und ein Unternehmer ein ganz anderes Einkommen hat als sein Lagerverwalter – Unterschiede, die allgemein für fraglos passend gehalten werden –, überhaupt kein bisschen besser als der Grund, aus dem Wohnungsmakler reich werden und Müllmänner arm bleiben.
Wer irgendwo anfängt, sich über die eigentümliche Einkommensverteilung in der bürgerlichen Welt zu wundern, hat jedenfalls ein gutes Hilfsmittel, um sich über die Prinzipien Klarheit zu verschaffen, die da am Werk sind. Das Mittel sitzt bei ihm im Kopf und fängt vielleicht mit dem Verdacht an, dass die Unterschiede zwischen den verschiedenen beruflichen Tätigkeiten schon den Grund für die höchst unterschiedlichen Einkommen enthalten, aber keinen guten. Tatsächlich gibt es ja keine Instanz auf der weiten Welt, die jemals ermittelt oder auch nur ermitteln könnte, wie viel Geld oder Geldsorgen zu dem einen und dem anderen Beruf passen. Die wirkliche Geldverteilung regeln ökonomische Notwendigkeiten und politisch beschlossene Sachzwänge. Da herrscht bei der Besoldung von Staatsdienern der eine Grundsatz – der hat viel mit der Macht zu tun, über die sie gebieten – und bei der Entlohnung von Arbeitern ein anderer – da kalkulieren Unternehmen mit einem notwendigen Kostenfaktor ihres Geschäfts –; für Einnahmen aus Grundbesitz gilt ein eigenes Sachgesetz, für die Einnahmen von Fußballstars ein anderes und für Arzthonorare wieder ein anderes. Nur eins herrscht ganz sicher nicht: ein einheitlicher Maßstab, nach dem – ‚irgendwie‘ – alle tatsächlich verdienten Einkommen moralisch verdient wären oder sein müssten.
Trotzdem: So sieht es kaum einer. Gerade unter denen, die gar nichts davon haben, weder von der herrschenden Einkommensverteilung noch von dem Glauben an eine dahinter waltende Gerechtigkeit, ist eine verkehrte Deutung ihrer bescheidenen Lage viel beliebter. Da hält man sich an die Annahme, der Maßstab einer gerechten Einkommensverteilung sei bisweilen verrutscht, so dass die Falschen zu viel kriegen und man selbst zu wenig – nicht zu wenig für ein anständiges Leben ohne Sorgen, sondern im Vergleich. Ganz Radikale trauen sich sogar den Verdacht, der Maßstab sei vielleicht falsch geeicht, deswegen lasse die gerechte Verteilung insgesamt dauernd zu wünschen übrig. Der Vorwurf ‚ungerecht‘ ersetzt dann jede Erklärung: Unverwüstlich wird an einen Maßstab geglaubt, der in der Realität bloß durch Abwesenheit glänzt; um so mehr gilt er eben eigentlich, sollte gelten, wo er schon nicht gilt.
Und: Was gilt da oder sollte wenigstens gelten? Welche beruflichen Verdienste misst die vorgestellte ideale Messlatte, auf der die Tausender pro Monat eingetragen sein sollen und bei deren wirklicher Anwendung dauernd der entscheidende Unterschied herauskommt zwischen Berufen, die das Leben lohnend machen, und solchen, die nach der Arbeit lauter Geldnöte bescheren? Womit sollen Armut und Wohlstand übereinstimmen, damit sie – wenigstens ‚im Prinzip‘ – in Ordnung gehen?
Da fallen einem jeden, auch jedem Kritiker der herrschenden Einkommens(un)gerechtigkeit, immer bloß dieselben drei oder vier Gesichtspunkte ein, die nach herrschender Lehre schon längst gründlich beherzigt werden in unserer – deswegen so genannten – ‚Leistungsgesellschaft‘. Und die allesamt nicht bloß unzutreffend, sondern auch ein wenig verlogen sind.
Von wegen Leistung
Das Kriterium der gerechten Geldzuteilung, auf das alle Welt unablässig pocht, als würde es jede Armut rechtfertigen und die vielen Stufen von Reichtum gleich mit dazu, heißt ‚Leistung‘. Sie ‚muss sich lohnen‘, erklärt z.B. die deutsche Regierung mit großem Nachdruck. Sie spricht damit den Gewerkschaften aus der Seele, die meinen, die ‚Leistung‘ ihrer Mitglieder an den Arbeitsplätzen der Nation berechtige zu einem ‚Schluck aus der Pulle‘; aber ebenso der Mittelstandsvereinigung, die mit derselben Begründung vor einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes warnt; und ebenso überhaupt jedem, der einen guten Grund dafür wissen will, warum Einkommensunterschiede sein müssen.
So viel Übereinstimmung spricht gegen dieses Kriterium. Sie kann nämlich nur daran liegen, dass sich dabei das Verschiedenste denken lässt – nur nichts Richtiges.
Ist vielleicht die Anstrengung gemeint, die eine Arbeit erfordert? Das Maß, in dem sich einer verausgabt? ‚Arbeit pro Zeit‘, ganz im Sinne der physikalischen Definition von Leistung? Das wäre ja immerhin eine brauchbare Bestimmung, um schwerere von leichteren Arbeiten zu unterscheiden. Nur: Mit der ‚Leistung‘, die ‚sich lohnen soll‘, hat Leistung in diesem Sinn überhaupt nichts zu tun. Man braucht für diese Einsicht gar nicht in die Extreme zu gehen und die Frage aufzuwerfen, ob sich denn ein Staatssekretär zehnmal soviel Mühe gibt wie der Lackierer einer deutschen Autofirma, oder ob sich ein Spitzensportler tatsächlich 100-mal mehr anstrengt als eine Spitzen-Putzfrau mit 50-Stunden-Woche. Es ist doch auch schon sehr fraglich, ob sich ein normaler Techniker, der auf dem Bildschirm oder auf Millimeterpapier ein Werkstück entwirft, gründlicher verschleißt als der Hilfsarbeiter, der tagaus tagein, 40 Stunden die Woche, die entsprechenden Stücke zusammenschraubt.
Aber im Ernst mag das sowieso niemand nachprüfen. Es reicht in der Regel, auf eine allgemein bekannte Tatsache zu verweisen: dass oft genug der eine mehr wegschafft als der andere und damit – eigentlich oder wirklich – auch mehr Geld verdient hat. Dabei weiß andererseits auch schon wieder jeder, dass der schnellere Arbeiter die Sache gar nicht unbedingt gleich gut erledigt und es auch noch gar nicht ausgemacht ist, ob Fleiß sich wirklich auszahlt; und vor allem: dass solche Unterschiede überhaupt nichts mit den wirklich interessanten Einkommensunterschieden zu tun haben, die sich nämlich gar nicht zwischen flotten und saumseligen Vertretern desselben Berufes auftun, sondern zwischen unterschiedlichen Jobs: Da sollen die entscheidenden Leistungsunterschiede vorliegen, die unbedingt nach unterschiedlich hohen Einkommen verlangen.
Und welche Leistungsunterschiede sollen das sein? Der marktwirtschaftliche Sachverstand hält sich da gerne an der Vorstellung fest, ein Techniker oder auch ein Sachbearbeiter oder sogar ein Staatssekretär, der lauter wichtige Dinge entscheiden darf, sei umfassender gefordert, müsse edlere Teile als die Muskeln anstrengen, den Kopf zum Beispiel, und auf diese Weise mehr von seiner geschätzten Person verausgaben; insofern werde in deren Büros – nicht einfach etwas anderes, sondern – mehr geleistet als im Werkstatt-Dreck. Gewissermaßen so, als würde durch Jobs der niederen Sorte gar nicht der ganze Kerl bzw. die ganze Frau gefordert, sondern nur ein kleiner Teil in Anspruch genommen, und der Rest, der Verstand zum Beispiel, könnte unterdessen treiben, was er will.
Und: Ist es wenigstens so ähnlich? Immerhin, ein so fachkundiger Verein wie die Gewerkschaft scheint es so zu sehen. Sie tut ihr Bestes, um Lohnabstufungen ausarbeiten zu helfen, die eine beschränktere und borniertere Tätigkeit als eine geringere Leistung interpretieren und deswegen auch bei der Lohnabrechnung schlechter stellen. Nur weiß auch wieder ein jeder, dass diese Sorte Gerechtigkeit auf alles andere als einen Lastenausgleich nach dem Motto ‚Mehr Geld für mehr Schinderei!‘ hinausläuft. Im Gegenteil: Nie wird der Mensch so vollständig strapaziert wie durch Arbeiten, die ihn vereinseitigen und auf etwas total Borniertes beschränken; nichts macht einen so komplett fertig wie die dauernde Beanspruchung immer derselben Körperkräfte und die stumpfe Konzentrationsleistung darauf, das hinzukriegen und auszuhalten. Dass es dafür weniger Geld gibt statt mehr, das bringt zwar durchaus eine marktwirtschaftliche Ordnung in die Welt der schlechteren Berufe, nur eben gar nicht nach dem Grundsatz einer Berücksichtigung von und Entschädigung für Belastungen. Im Gegenteil: Das gewerkschaftliche Engagement für genau zugeschnittene Entlohnungen stellt auch noch in dieser Abteilung der Berufswelt eine Hierarchie der beruflichen Tätigkeiten her: Es sind gerade die vergleichsweise angenehmeren Arbeiten und leichter auszuhaltenden Anstrengungen, die vergleichsweise besser bezahlt werden, und umgekehrt – anders käme ja auch nie eine richtige Karriereleiter zustande. Wenn jeder berufliche ‚Aufstieg‘ weg von der Schinderei, die Körper und Verstand ruiniert – den Körper durch einseitigen und den Verstand durch Nicht-Gebrauch –, nach dem Grundsatz der ausgleichenden Gerechtigkeit weniger Geld brächte – nach welcher Umrechnungstabelle auch immer! –, dann bliebe von der Vielfalt der Berufstätigkeiten ja tatsächlich bloß eine Vielfalt übrig und gar nicht die bekannte sinnreiche Ordnung, in der ‚unten‘ und ‚oben‘ so schön eindeutig und gar nicht zu verwechseln sind: wenige lohnende Jobs am einen Ende der Skala und am anderen die schlechten Massenberufe mit den schlechten Masseneinkommen.
Es mag also mancher an seine Strapazen denken, an seinen Verschleiß durch die Arbeit, wenn er hört, dass ‚Leistung sich lohnen‘ soll; aber da täuscht er sich. Die hierarchische Ordnung der marktwirtschaftlichen Berufswelt, dieses System, wonach Bequemlichkeit und Freiheit der Betätigung mit Einkommenssteigerung zusammenfallen, widerlegt ein solches ‚Leistungsdenken‘. Bei dem bleibt daher auch kein Anhänger des ‚Leistungsgedankens‘ stehen.
Von wegen Fähigkeit
Zur Rechtfertigung der Berufshierarchie – die jeder kennt, im Großen und Ganzen selbstverständlich findet und deswegen sowieso nie überprüft – wird der Gesichtspunkt der Leistung im banalen Sinn um ein zweites Kriterium ergänzt, das von der Idee der Leistungsgerechtigkeit genau genommen überhaupt nichts übrig läßt; aber wer nimmt es schon genau in dieser Frage. Die Vorstellung ist die, mit den Tausendern, die der eine mehr und der andere weniger verdient, würden die Fähigkeiten honoriert, die bei der Erledigung eines Jobs zum Einsatz gelangen. Es gibt sie also gar nicht: die ‚Leistung‘, von der der eine mehr und der andere weniger erbringt in seinem Beruf und nach deren Maß das Einkommen bemessen wäre – das wird immerhin eingeräumt, wenn hohe und niedrige Einkommen mit dem Hinweis gerechtfertigt werden, in verschiedenen Berufen würde schließlich ganz Unterschiedliches verlangt, und der Inhaber besserer Positionen müsste Dinge beherrschen, die ein anderer nie und nimmer kann.
Der Hinweis selbst ist auch gar nicht zu bestreiten: Ein Ingenieur verfügt über wissenschaftliche Kenntnisse, von denen ein Bandarbeiter nichts weiß, ein Chirurg beherrscht Handgriffe, die ein Pfleger nicht drauf hat. Aber das gilt freilich auch umgekehrt: Im Akkord Kabelbäume einzuziehen, am Band über Kopf zu arbeiten oder kranke Menschen non-stop rundum zu versorgen und dabei auch am Ende des Tages keinen Fehler zu machen, das verlangt Fertigkeiten, die auch eine Ministerialdirigentin oder ein Zahnarzt gar nicht beherrschen. Die Gliedmaßen entsprechend bewegen, und das eine Schicht lang unter gar nicht gemütlichen Bedingungen, setzt Geschick, Kraft, Schmerzunempfindlichkeit und andere Fähigkeiten voraus, die kaum einer hat, der das nicht täglich fertigbringen muss. Mit den besser bezahlten Fähigkeiten sieht es da oft schon etwas anders aus: Was hohe Staatsfunktionäre, Manager oder Fußballtrainer in Ausübung ihres Berufs als ihre spezielle Fähigkeit unter Beweis stellen – über alles und jedes so daherzureden, dass ‚unser aller Wohl‘ immer den höchsten Gesichtspunkt abgibt; Sprüche von der Art loszulassen, ‚Arbeit muss sich wieder lohnen!‘ oder ‚Wir können nur verteilen, was wir auch erwirtschaftet haben!‘; die Mannschaft erst zu schimpfen und dann aufzumuntern; Löhne zu hoch zu finden und energisch und entschieden Geld anzulegen –, das alles tut jeder durchschnittliche Familienvater und Stammtischbruder im Rahmen seiner Möglichkeiten auch, besitzt also allemal die Fähigkeit dazu. Und dass es bei dieser Fähigkeit keine besonderen Qualitätsunterschiede gibt – sondern hauptsächlich bloß den Unterschied, wer alles auf das Kommando hört! –, das beweisen zu allem Überfluss sämtliche Partei- und Betriebskarrieren von der übereifrigen Nachwuchskraft zum Spitzenmann. Im Grunde weiß sowieso ein jeder aus seiner beruflichen Lebenserfahrung, dass der Posten, an den einer gestellt wird, schon ganz von selbst für die Fähigkeiten sorgt, die es für ihn braucht. Denn im Wesentlichen handelt es sich dabei um Gewohnheiten: dass man sich auskennt und Routine entwickelt. In jenen viel bewunderten Berufen, in denen besondere – intellektuelle oder andere – Kunstfertigkeiten verlangt sind, also bei Chirurgen, Dichtern & Denkern, Ministern, Nobelpreisträgern usw. ist das überhaupt nicht anders: Die dauernde Befassung mit immer demselben beruflichen Stoff macht den Könner. Eben deshalb ist auch in diesen höheren Sphären niemand unersetzlich, am wenigsten die, von denen das nach ihrem Tod behauptet wird; an ihren Todesfällen gehen Staat, Marktwirtschaft, Wissenschaft und Kulturleben nicht zugrunde. Es verhält sich da gar nicht anders als in den niederen Sphären der Berufswelt, wo ebenfalls der Job für Könnertum sorgt – in der Kunst des Aus- und Durchhaltens – sowie für einen entsprechenden Abbau unbenutzter, insofern überflüssiger Fähigkeiten, nicht zuletzt des Kopfes.
Die ganze angebliche Hierarchie beruflicher Fähigkeiten, die doch die Berufs- und Einkommenshierarchie begründen soll, löst sich so in die Banalität auf, dass unterschiedliche Berufe unterschiedliche Fähigkeiten verlangen, also auch schaffen. Dass die einen Fähigkeiten ‚höher‘ sind als andere, liegt gar nicht an ihnen, sondern schlicht daran, dass sie zu den besseren Berufen gehören, also angenehmer zu betätigen sind und mehr Einkommen einspielen.
Von wegen Ausbildung
Aber muss man für die höheren beruflichen Fertigkeiten nicht mehr lernen als für die schlichten Jobs? Gelangt denn nicht in den besseren Berufen eine längere Ausbildung zur Anwendung, die erst einmal erfolgreich absolviert sein will? Und muss die denn nicht im späteren Berufsleben entsprechend honoriert werden?
Eine ganze Wissenschaft, die Bildungsökonomie, hat sich dieser netten Vorstellung bemächtigt. Sie hat daraus die Theorie verfertigt, in der Ausbildungszeit würde – und zwar mindestens im Maß der entgangenen Einnahmen, die man stattdessen hätte verdienen können – ein ‚menschliches Kapital‘ angesammelt, das sich dann wie ein Zusatzsparbuch in Form der höheren Einkünfte eines besseren Jobs rentierte oder wenigstens rentieren sollte. Aber es hilft nichts; im Grunde weiß auch das jeder besser: Angeeignetes Wissen und erlernte Fähigkeiten für sich genommen zahlen sich überhaupt nicht aus. Worauf es ankommt, ist das zahlungsfähige Interesse an der Betätigung studierter Köpfe und speziell geschulter Gliedmaßen – also schlicht die Zahl der zu besetzenden Stellen. Die entscheidet darüber, ob die ‚Investition‘ in eine Ausbildung überhaupt für ein Einkommen gut gewesen und irgendeine Qualifikation etwas wert ist oder gleich als Nächstes eine Umschulung ansteht. Und von einer gerechten ‚Rendite‘ auf in Kauf genommene Entbehrungen als Maßstab der Bezahlung kann ohnehin nicht die Rede sein.
Unbestreitbar ist etwas anderes: Eine Karriere hin zu den besser bezahlten Jobs geht in der Regel gar nicht erst los ohne bestandene Prüfungen. Misserfolge in der Schule stellen die Weichen für eine Karriere nach unten, in die Hilfsarbeiter-Berufe; halbe Erfolge eröffnen die kurze Laufbahn, hinein in die mittleren Dienstränge; um an die Spitze zu gelangen, müssen immer wieder einmal Testfragen richtig beantwortet werden, jedenfalls richtiger als von den Mitbewerbern. Das heißt allerdings noch lange nicht, dass ein staatlich geprüftes Wissen und ein durch Zeugnisse beglaubigtes Können die Sache wären, die dann später gewissermaßen in Geld umgerechnet und mit einem höheren Einkommen sachgerecht honoriert würde. Es geht um nicht mehr und nicht weniger als darum, vorgeschriebene Karrierebedingungen zu erfüllen; Ansprüchen zu genügen, mit denen ein übergeordnetes, fremdes Interesse eine Rangfolge unter Karriereanwärtern herstellt; mehr oder weniger tauglich befunden zu werden für den Einstieg in eine Berufshierarchie, die es schon gibt, und zwar nach ‚Eingangsvoraussetzungen‘, die noch nicht einmal so übermäßig viel mit dem später auszuübenden Beruf zu tun haben müssen. Es ist also gar nicht so, dass Wissen und Können eine bessere Position in der Berufswelt begründen. Umgekehrt: Viele bessere Positionen – noch gar nicht einmal die besten und bequemsten, die kann man sowieso bloß erben, was immerhin auch ein marktwirtschaftliches Berufsbild abgibt! – werden mit Bedingungen ausgestattet, die ein Bewerber erfüllen muss; zu diesen Bedingungen zählen Prüfungen; und zu den Mitteln, diese zu bestehen, gehören entsprechende Kenntnisse und Fertigkeiten.
Natürlich kann man sich auch das noch so zurechtlegen, als ginge es im hierarchisch geordneten Berufsleben letztlich doch bloß darum, innere Werte nach dem Grundsatz der Fähigkeits- und Leistungsgerechtigkeit auch äußerlich zu vergolden: Ist es denn nicht auch eine Fähigkeit, und zwar eine wertvolle, im Ausleseprozess durch Schule und Prüfungen hindurch Erfolg zu haben? Ist es nicht auch eine Leistung, und zwar die entscheidende, eine Karriere hinzukriegen? Spricht das Ergebnis nicht für die wichtigste Tüchtigkeit eines Menschen, nämlich seine Erfolgstüchtigkeit?
Nein, tut es nicht, ist es nicht. Das wissen gerade die im Grunde am besten, die einige Klippen der Auslese erfolgreich überwunden haben. Vor den angestrebten Prüfungen haben sie nämlich Angst, auch wenn sie brav gelernt und sich gewissenhaft vorbereitet haben, und das aus gutem Grund. Denn jedem ist klar, wie sehr es in der Prüfung auf die Gauß‘sche Normalquote von Durchfallern und deswegen auf jede Menge Unwägbarkeiten ankommt. Nach bestandener Prüfung verwandeln sich dann die eingeschüchterten Piepsmäuschen, die Beruhigungstabletten schlucken, um an der richtigen Stelle 17+4 zusammenzählen zu können, in selbstsichere Erfolgsmenschen, die gern Anekdoten darüber erzählen, wie locker ihr Examen war und welcher Zufall ihnen zur Seite gestanden hat. Auch das nicht ohne Grund: Prüfungen sind nun einmal nicht dazu da, einen klugen Kopf zu würdigen. Ihr Zweck ist Auslese. Die prüfende Instanz wählt, nach ihren Gesichtspunkten, zwischen den Bewerbern aus, sortiert sie in eine Rangfolge. Die Leistung der Kandidaten besteht darin, sich den vorgegebenen Auswahlgesichtspunkten nach besten Kräften anzupassen – sich und ihren Verstand und, was sie damit treiben, ihren Lerneifer und ihr Nachdenken. Die prüfende Instanz fällt dann, nach ihrem Bedarf und ihren Gesichtspunkten, die Entscheidung über die Rangfolge in der Konkurrenz der erbrachten Anpassungsleistungen.
Sicher, im Nachhinein baut jeder Konkurrenzerfolg den Menschen zum ‚Erfolgstyp‘ auf. Wem eine Karriere gelingt, der ist selber nur allzu geneigt, die Auswahl, die andere zwischen ihm und seinen Mitbewerbern getroffen haben, als seine höchstpersönliche Glanzleistung und als Würdigung seiner inneren Werte anzusehen. Und auch die Umwelt teilt das verkehrte Prinzip dieser Sichtweise, hält Erfolg und Misserfolg in der Konkurrenz von Karrieristen nicht für eben dies, sondern für ein Charaktermerkmal. Deswegen empört sie sich auch stets aufs Neue über eine ungerechte Ausnahme, wenn sie an jedem genauer besichtigten Exemplar der gesellschaftlichen Elite die kleinen Schmierigkeiten, die Begünstigung im Amt oder die Zufälligkeiten aufdeckt, die da einer Karriere auf die Sprünge geholfen haben. Aber gerade dann, wenn die Umwelt und ihr Erfolgsmensch sich einig sind, dass da ein ganz außerordentlicher Fall von Leistungskraft und Fähigkeit vorliegt, beweisen sie das gerade Gegenteil: Sie erschaffen die Charaktermaske eines Konkurrenzerfolgs. Der eine legt sich die menschlichen Qualitäten zu, von denen er so gerne behauptet, sie hätten ihn zum Erfolgsmenschen aufgebaut und seien der Grund für einen ausgezeichneten beruflichen Rang; und die andern bewundern diese Lüge. Am Ende glauben alle Beteiligten noch an den logischen Zirkel, die besseren Positionen in der Gesellschaft und die dazugehörigen schönen Einkommen seien durch das bestens begründet, was einer anstellen muss, vor allem mit sich, um an diese Posten heranzukommen.
Es hilft bloß nichts: Damit, dass man denen, die eine Karriere geschafft haben, zu ihrem Erfolg gratuliert, sind die Karrierestufen, die Staat und Marktwirtschaft bereithalten, noch kein bisschen erklärt; und auch nicht dadurch, dass die Erfolgreichen sich gerne gratulieren lassen, so als wäre die Einkommenshierarchie und ihre Spitzenstellung darin ihr persönliches Verdienst. Natürlich kann man es sich bequem machen und von vornherein nur das als berufliche Leistung und Fähigkeit ansehen, dass einer Karriere macht: Dann ist es notwendigerweise ‚Leistung‘, was sich in der kapitalistischen Berufswelt lohnt. Aber dann soll man doch gleich sagen, dass man sich den albernen Glauben nicht nehmen lassen will, wonach einer, der viel Geld verdient, es schon verdient haben wird!
Von wegen ‚jedem das Seine!‘
Für diesen dogmatischen Kurzschluss, der schlicht die Ergebnisse der Konkurrenz für heilig und gerecht erklärt, weil sie die Ergebnisse der Konkurrenz sind, stellt die Wissenschaft von der Volkswirtschaft noch ein anderes theoretisches Hilfsmittel bereit. Nach ihrer Theorie des Volkseinkommens erhält nämlich ein jeder, absolut leistungsgerecht, haargenau das – gewissermaßen ‚zurückerstattet‘ –, was er mit seinem Job als Kellner oder Kanzler, Soldat oder Seemann, Professor oder Politiker zur nationalen Wirtschaft, dem Bruttosozialprodukt, beisteuert. Wer seine zwei Tausender im Monat bekommt, kriegt damit also zugleich bescheinigt, was für ein kleines Licht er ist, volkswirtschaftlich. Zwanzig Tausender pro Monat oder Woche sind ebenso für den, der sie einstreicht, die Bestätigung, dass nicht bloß er ärmer wäre ohne seinen Job, sondern die Nation, und zwar um genau diese Summe.
Und woher weiß die Wissenschaft das so genau?
Jedenfalls nicht aus einer sachlichen Bestandsaufnahme der Arbeitsteilung in der nationalen Ökonomie, einer Begutachtung der Wichtigkeit aller einzelnen Funktionen darin und einer Umrechnung dieser Wichtigkeit in ein passendes Einkommen. Solche Kalkulationen finden nirgends statt; auch nicht ‚eigentlich‘; in den Lohnbüros nicht und noch nicht einmal in volkswirtschaftlichen Seminaren. Wollte man etwas Derartiges versuchen, stände man sofort vor unlösbaren Schwierigkeiten: Wie wäre denn die Wichtigkeit von, sagen wir, einem Elektriker, einem Friseurmeister und einem Manager zu veranschlagen? Und welche Summe wäre die angemessene? Am ehesten käme man noch zu dem Ergebnis, dass in einer durchrationalisierten modernen Fabrik kein Elektriker fehlen darf und auch sonst kein Lohnarbeiter, wohingegen am Gebrauchswert eines Chefs gewisse Zweifel erlaubt sein müssten; und spätestens dann würde die Untersuchung abgebrochen.
Die selbstsichere Gleichsetzung des individuellen Beitrags zum und des individuellen Ertrags aus dem Nationalprodukt entstammt denn auch einer ganz anderen Quelle, nämlich der volkswirtschaftlichen Rechnungsweise, die im Sozialprodukt alles zusammenzählt, was so übers Jahr für Güter und Dienstleistungen gezahlt wird – und in diese Summe gehen alle erzielten Einkommen von vornherein als konstitutive Größen mit ein: die Honorare für Minister, Künstler, Soldaten usw. ganz unmittelbar als Preise für deren hervorragende Dienstleistungen, die Löhne und Gehälter der andern und sogar die Gewinne der Reichen als Bestandteile der Warenpreise. Das Bruttosozialprodukt wird in der Sache aus den Summen, die verdient werden, zusammengezählt; was einer bekommt, wird als sein Beitrag zum Gesamtreichtum verbucht. Nichts leichter, als diese Gleichung umgekehrt zu lesen, und schon steht fest: Jeder bekommt, was er beigetragen hat. Was zu beweisen war.
Dummerweise lässt sich so natürlich alles beweisen. Dieselbe Rechnungsart würde genauso gut eine Viertelmillion Jahresgehalt für einen Straßenfeger und zwei Tausender im Monat für einen Bundeskanzler ‚begründen‘, wenn das deren tatsächlich ausgezahlte Einkünfte wären; denn dann wären eben das die Beiträge der Straßenfegerei und des Regierens zum Bruttosozialprodukt. Aber glücklicherweise macht das nichts: Die Sachverständigen der Volkswirtschaftslehre brauchen die Einkommen ja nicht erst festzusetzen; es gibt sie schon. So können sie gar nichts falsch machen mit ihrer Theorie. Sie verpassen bloß haargenau der Einkommensverteilung, die gerade gilt, ihren wissenschaftlichen Segen.
Und damit macht diese Wissenschaft gar nichts anderes als jeder kluge Kopf, der von den Einkommensunterschieden in der Marktwirtschaft eine im Prinzip gute Meinung hat und wissen will, dass Gleichmacherei natürlich überhaupt nicht geht. Es wüsste ja wirklich gar niemand zu sagen, welche Summen oder wenigstens welche Unterschiede die angemessenen wären für einen Elektriker, einen Friseurmeister und einen Manager, wenn diese Summen und Unterschiede wirklich erst gefunden und gerecht abgeleitet werden müssten. Wer nach der gerechten Zumessung von Armut und Wohlstand sucht, der wäre total aufgeschmissen – wenn es die verschiedenen Einkommen nicht längst gäbe und sich nicht jeder daran gewöhnt hätte, dass Elektriker in die und die Lohngruppe gehören, Unternehmer eine Extraklasse für sich bilden und Friseurmeister irgendwo dazwischen liegen; alles übrigens aus ökonomischen Gründen, die mit gerechter Verteilung so wenig zu tun haben wie der Papierpreis mit einem Gedicht. Weil es die unterschiedlichen Einkommen aber gibt und jeder sich an sie gewöhnt hat, soll auch schon klar sein, wo ein jeder Beruf so in etwa hingehört auf der Einkommensskala – gerechtigkeitsmäßig! Am Ende denken alle: Jedem das Seine! und merken gar nicht mehr, dass sie mit diesem altehrwürdigen Unsinn bloß genau der Armut und der Wohlstandsverteilung zugestimmt haben, die praktisch gilt, und zwar aus keinem besseren Grund als dem: weil sie praktisch gilt.
Die Idee der Einkommensgerechtigkeit – alles andere als eine Einkommensquelle!
Man kann es drehen und wenden, wie man will. Das Bemühen, einen überzeugenden allgemeingültigen Gesichtspunkt für die marktwirtschaftlich üblichen Einkommensunterschiede zu benennen, zeigt nur eins: Ein solches Prinzip gibt es nicht. Die Suche danach ist falsch und führt zu nichts.
Aber die Idee ist unverwüstlich. Und zwar aus einem einfachen Grund: Man braucht sie ja gar nicht einzulösen, also einen Maßstab aufzustellen und mit seiner Hilfe dann eine passende Einkommensverteilung zu erfinden. Mit der Idee im Kopf geht jeder von der Einkommensverteilung aus, die es gibt, wenn er sich ans Problematisieren macht: Kriegt der eine zu viel? Bekomme ich zu wenig? Geht die Einkommenshierarchie insgesamt in Ordnung? Oder muss irgendein Gesichtspunkt etwas mehr beachtet werden? Sollten vielleicht die Reichen etwas ärmer und die Armen ein wenig reicher werden? Oder lieber umgekehrt? Wer so fragt, der stellt gar nichts in Frage, noch nicht einmal theoretisch. Der will gar nicht wissen, warum wer wie viel verdient. Der rechtet im Grunde nur um eins: Ob man, und vor allem er selbst, mit dem Geld, das dieser und jener und er selbst bekommt, zufrieden sein muss – nicht weil es langt, sondern weil er die Abstufungen und Unterschiede beim Geldverdienen gerechtigkeitsmäßig plausibel finden kann. Oder ob und wie sehr man unzufrieden sein darf – nicht weil den meisten das Leben schwergemacht wird, sondern weil Armut und Reichtum gelegentlich den Falschen treffen.
Das ist auch da nicht anders, wo Menschen antreten, die im Namen des Ideals gerechter Verteilungsverhältnisse die wirklichen Einkommen insgesamt zurechtrücken wollen. Die Reichen bescheidener, die Armen besser stellen: Das ist geradezu zum Kennzeichen linker Opposition und zum Inbegriff ihrer Kapitalismuskritik geworden. Und hat mit Kritik an der kapitalistischen Ökonomie überhaupt nichts zu tun. Solche Verbesserungsvorschläge im Namen der Gerechtigkeit wollen von der Ökonomie, also von den objektiven Gründen und Systemnotwendigkeiten, aus denen die einen in Geld schwimmen und die meisten von diesem Stoff zu wenig haben, ausdrücklich nichts wissen. Schon dieses bisschen Theorie ist den linken Weltverbesserern immer zu unpraktisch und weltfremd vorgekommen. Zweifellos viel besser stehen sie mit ihrer Gretchenfrage an die marktwirtschaftliche Einkommenshierarchie: gerecht oder ungerecht? da. Denn diese Frage stammt von einem ganz und gar bürgerlichen Grundsatz ab: dem Gebot der Gleichheit, der Gleichbehandlung der Bürger durch das Gesetz und die rechtsstaatliche Gewalt. Dieses Prinzip des bürgerlichen Staates haben Linke in ihrer Rührung über das kapitalistische Elend und im Geiste einer wirklich gerechten Heimat bloß ein wenig übertrieben, nämlich so, als müssten auch noch Armut und Reichtum unter den Oberbefehl eines vom Staat verordneten Lastenausgleichs fallen. Dieser kleine Verstoß gegen den wirklichen Aufgabenkatalog der bürgerlichen Staatsgewalt ist aber nicht weiter schlimm. Denn im Namen desselben Grundsatzes der fairen Gleichbehandlung aller lassen sich die Linken mit ihrer Übertreibung auch immer wieder in ihre systemgemäßen Schranken weisen. Auch sie huldigen dem Lehrsatz ‚Jedem das Seine!‘ und lassen sich durch die Verhältnisse, die es ‚nun einmal‘ gibt, darüber belehren, wie viel ‚das Seine‘ bei Lohnarbeitern und Staatssekretären, Unternehmern und Paketboten so ungefähr jeweils ist. Deswegen sind auch sie gegen Gleichmacherei in der Einkommensfrage, finden nur manche Differenzen fehl am Platz und andere zu groß. Und auch das findet manch ein Gesinnungsgenosse jenseits des linken Lagers noch allzu ungerecht; dieselben Ideale einer angemessenen Entlohnung individueller Beiträge taugen ebenso dazu, Forderungen nach ‚Umfairteilung‘ als unfair zurückzuweisen. Und damit ist alles beieinander, um auch auf höchster politischer Ebene darüber zu rechten, ob das Volk jetzt verwöhnt ist oder schon noch ein bisschen Recht aufs Meckern hat.
Und wozu taugt das Meckern, das beleidigte Pochen auf die Idee der Einkommensgerechtigkeit?
Dazu, mehr Geld zu verdienen, taugt es jedenfalls nicht. Das gilt sogar für alle, für unzufriedene Arme wie für Wohlhabende, die meinen, sie könnten ruhig noch um einiges reicher sein. Wenn ein Unternehmer über ungerechte Vorteile der Konkurrenten klagt, dann muss er sie trotzdem erst noch besiegen und sich deren Markt erobern. Wenn ein mittlerer Beamter sich über vorenthaltene Beförderungen beschwert, muss er allemal erst noch eine Beförderung erwirken. Wenn Hilfsarbeiter über Hungerlöhne schimpfen, müssen sie erst noch Druck und ihrem Arbeitgeber Eindruck machen. Die Vorstellung, man habe doch Anrechte und Verdienste auf seiner Seite, hilft überhaupt nichts. Es kommt auf die ökonomischen Mittel an, die der eine oder der andere mit seinem jeweiligen Beruf in Händen hat, um seine Lage zu verbessern. Das ist die letzte und härteste, nämlich praktische Widerlegung des verkehrten Glaubens, beim Geldverdienen, ausgerechnet, käme es auf die gerechte Zumessung an.
Zur (Un-)Gleichung zwischen Verdienst und Verdienst
Warum verdient ein Zahnarzt, was er verdient? Er selbst mag davon überzeugt sein, dass es am Handwerk liegt, das er so gut beherrscht. Die Wahrheit ist das nicht. Es liegt an der Organisation des Gesundheitswesens, das ihm über die Kassen Honorare für seine Behandlungen zukommen lässt. Warum hinterzieht ein Fußballstar seine Steuern? Weil auch er meint, dass er mit seinen Anstrengungen im Beruf das viele Geld wert ist, das er verdient. Auch er liegt falsch. Dass ein paar Ausnahmespieler Spitzeneinkommen erzielen, kommt daher, dass sich der Staat gerne von Spitzensportlern repräsentieren lässt, eine ganze Industrie einen sportlichen Wettbewerb als ein monströses Geschäft aufzieht, und das Volk für Sternstunden seines Lokalpatriotismus massenhaft Eintrittspreise und Fanartikel bezahlt. Auch beim Straßenbahnfahrer ist nicht entscheidend, wie viel Geduld und Aufmerksamkeit er bei seinen Fahrten aufbringt und dass renitente Fahrgäste ihm den Tag versüßen. Was er verdient, wird zwischen der städtischen Verkehrsgesellschaft und seiner Gewerkschaft ausgehandelt. Und der besser bezahlte Pilot führt ihm vor, dass ein höheres Einkommen an der Stärke der Gewerkschaft hängt und die wiederum damit steht und fällt, wie auswechselbar das Personal im Cockpit ist. Wer das für Einzelfälle hält, die nur belegen, dass eigentlich ein Entsprechungsverhältnis zwischen den beruflichen Tätigkeiten und den mit ihnen erzielten Einkommen besteht oder wenigstens bestehen müsste, liegt erst recht falsch. In jedem Beruf muss zwar für das liebe Geld etwas getan werden. Die verschiedenen Verrichtungen der Berufstätigen sind allerdings nie der Grund für ihre Einkommen. Das lässt sich an allen Berufsgruppen studieren, die das kapitalistische Erwerbsleben prägen. Eine kleine Auswahl:
a)
Grund- und Immobilienbesitzer müssen für ihr erlesenes Einkommen so manches tun. Wenn sie Grundstücke, Wohn- und Geschäftsräume verwalten, vermieten, bebauen, kaufen, verkaufen oder ihren anderen beruflichen Betätigungen nachgehen, bewirken sie allerdings nicht die Höhe ihrer Geldbezüge. Über die entscheidenden Größen ihres Geschäfts – Nachfrage und Angebot – bestimmen nämlich etliche Umstände, die sie nicht in der Hand haben – allen voran das Kapitalwachstum, das in der Region und d.h. in der dort stattfindenden Konkurrenz von Unternehmen insgesamt zustande kommt oder auch nicht. Ihre Aktionen auf dem Häuser- und Grundstücksmarkt sind Spekulationen auf eine hinreichend große Nachfrage, die sich auf ihr privates Stück Land richtet statt auf das ihrer Konkurrenten. Als würde dieser Berufsstand eingestehen wollen, dass er sich etwas vormacht, wenn er sich die Fähigkeit zum Erfolg in der Spekulation zugutehält, zählt zum Repertoire dieses Berufsstands der Übergang von der Umgarnung zur Bestechung von Bauamtsleitern und größeren Interessenten, mit dem man sich hier den Kauf und dort den Verkauf attraktiver Flächen sichert.
Dass Immobilien- und Grundbesitzer überhaupt ein Geschäft aus der gegebenen Nachfrage machen können, liegt erst recht nicht an ihrem Geschäftseifer oder an prognostischen Fähigkeiten. Was zur Geltung kommt, wenn sie Geld verdienen, ist ein Mittel der handfesten Art. Immerhin lebt jede ihrer Tätigkeiten davon, dass ihnen der Boden und das, was darauf steht, ausschließlich gehört und sie damit nach ihren Kalkulationen verfahren können. Eine Leistung, die ihre Kompetenzen allemal übersteigt. Der Staat hält mit seinem Katasteramt nicht einfach die bestehende Aufteilung des Landes unter Privatpersonen sowie ihre Veränderung durch Käufe und Verkäufe fest. Mit der Garantie des Eigentums und den dazugehörigen Zuschreibungen von Besitzansprüchen legt er überhaupt fest, dass die Grundlage jeglicher Produktion und Konsumtion eine Sache ausschließenden freien privaten Verfügens ist. Die staatliche Garantie dieses Verhältnisses macht aus dem Umstand, dass der Eigentümer den Boden nicht für sich braucht, ein Angebot und aus dem gesellschaftlich vorhandenen Bedarf an Parzellen erst eine Nachfrage – die dementsprechend nur zählt, soweit sie zahlungsfähig ist. Wenn ein Grundeigentümer sich nur noch fragen muss, wie es um diese beiden Größen momentan und in Zukunft wohl bestellt ist, und darauf seine Geschäftsentscheidungen gründet, schmarotzt er von der Leistung des staatlichen Gewaltmonopols, das ihm von seinem interessierten Standpunkt aus einmal mehr als Behinderung und ein andermal mehr als Sicherungshilfe seines sowieso bestehenden Rechts an dem Seinen gegen unbefugtes Betreten vorkommt. Er betätigt eine Einkommensquelle, die getrennt von seiner ehrenwerten Persönlichkeit existiert und ihm staatlich zugerechnet wird.
Wer sich die Mühe der geschäftlichen Anwendung seines Eigentums sparen will, muss in diesem Beruf nicht auf Einkommen verzichten. Jedenfalls nicht unbedingt. Wenn das Eigentum an einem abgegrenzten Teil der allgemeinen Lebens- und Geschäftsgrundlage groß und attraktiv genug ist, lässt sich ein Treuhänder engagieren, der es gegen eine Beteiligung an den Erträgen geschäftsförderlich einsetzt. Auch das ein kleiner Hinweis darauf, dass die Tätigkeit des Immobilien- und Grundstücksbesitzers zwar für das Einkommen nötig, aber die polit-ökonomische Macht des Eigentums über ein Stück Boden, den er im Gegensatz zu anderen nicht braucht, dessen Quelle ist.
b)
Landwirte, die selbst über ein paar Hektar Land verfügen, sind die Gegenprobe aufs Exempel: Ebenfalls im Grundbuch eingetragen, gelten sie im Prinzip wie ein vornehmer Thurn und Taxis als Grundeigentümer. Darüber hinaus bewirtschaften sie ihr Land selbst mit ihrer Hände Arbeit. Über zwei Einkommensquellen verfügen sie damit allerdings nicht. Weil sie den Boden als Grundlage für die Erzeugung von Landwirtschaftsprodukten brauchen, ist das Ausnutzen fremden zahlungsfähigen Bedarfs an ihrem Gelände nicht zu haben. Die Arbeit des Bauern auf seinem Boden ist seine einzige Einkommensquelle. Was sie ihm einbringt, hängt weder vom Geschick ab, mit dem er sie verrichtet, noch von ihrer Dauer. Zeitig Aufstehen und Wissen und Können zur Anwendung bringen ist nicht weniger aber auch nicht mehr als die notwendige Bedingung für ein Einkommen, das mit den verkauften Erzeugnissen erworben wird. Die hinreichenden Bedingungen kann er von sich aus nicht erfüllen. Um das wenigste zu nennen: Die Fruchtbarkeit des Bodens, die Nähe zu Absatzmärkten, die Preise für seine Gerätschaften, Saatgut und andere Produktionsmittel sowie den Preis, den ihm Genossenschaften und andere Handelskapitale für seine Erzeugnisse bezahlen, das alles hat er nicht im Griff. So dass sich das eigene Land bei dem Bemühen, aus seiner Bewirtschaftung ein Einkommen zu erzielen, nicht selten als Fessel erweist. Nicht zuletzt entscheiden die politischen Beschlüsse aus Brüssel über Subventionen oder deren Streichung über die Einkommenswirksamkeit seiner Arbeit.
c)
In einer Start-up-Garage mag die eine oder andere technische Neuerung entwickelt werden. Damit sich mit ihr ein Einkommen erzielen lässt, muss ihr unternehmungsfreudiger Erfinder allerdings ein Patent an ihr erwerben. Dafür kommt es nämlich auf das exklusive Verfügungsrecht über sie an – wovon so manch zu spät gekommener Patentbewerber ein Klagelied singen kann. Dem Motto zu genügen – nicht bester, sondern erster zu sein – reicht aber auch wieder nicht: Ein Start-up kann mit einer noch so nützlichen und sogar patentierten Innovation einpacken, wenn sich kein „Business-Angel“ findet, der Wagniskapital in sie investiert. Das macht aus einem innovativen Patent nämlich erst ein Geschäftsmittel. Die hinterher gepriesene Brillanz eines Geistesblitzes lebt vom Erfolg des Risikokapitals, das in der Blaupause samt Businessplan ein Vehikel seines Wachstums erkennt und ausnutzt. Danach, wie nützlich die Erfindung für dessen Vermehrung ist, entscheidet sich, ob der Erfinder zum Unternehmensleiter avanciert oder die Suche nach dem „next big thing“ vergebens war, weil die finanziellen Ressourcen zu gering bleiben, um durchzustarten.
d)
Andere führen längst ein Unternehmen und heißen sogar „die Wirtschaft“. Unternehmensleiter verdienen eine Menge Geld damit, bis zur Erschöpfung Entscheidungen zu treffen über die Angestellten und den Reichtum der Firma – wenn man sie und Mitbürger mit Einfühlungsvermögen fragt, eine Last, die Verantwortung heißt. Ihr Einkommen geht also moralisch in Ordnung. Was eigentlich der Grund dafür ist, dass die Verantwortung für, d.h. das Fällen von Entscheidungen über Leute und Reichtum ein herausragendes Einkommen nach sich zieht, interessiert da schon weniger. Von der Spitze der Unternehmenshierarchie aus verfügt eine Führungskraft über sämtliche materiellen Mittel in Büros oder Fertigungshallen, um ein verkäufliches Produkt herstellen zu lassen, durch dessen Verkauf die Firma wächst. Was freilich alles nichts wert wäre, wenn sie nicht auch über eine Mannschaft von Angestellten zu bestimmen hätte, die das alles ins Werk setzt. Die Entscheidungshoheit darüber, wie schnell diese Mannschaft arbeitet, wie viele von ihr zu den lohnenden Kosten zählen und wie viele wegrationalisiert werden usf., damit die Gewinnbilanz vorankommt, macht aus dem Firmeninventar eine produktive Angelegenheit. Dieses Kommandoverhältnis wird ironischerweise als Last des Kommandierenden verbucht, der schwer an seiner Verantwortung trägt. Was da zur Geltung kommt, ist nicht die Standfestigkeit oder ein anderer Charakterzug des Chefs, den er sich als Erfolgsmittel zugute hält, sondern das in der Firma investierte Kapital, das über die Verdienstmöglichkeiten von etlichen Lohnabhängigen entscheidet. Die Führungskraft exekutiert die Macht, die es ihm an die Hand gibt. Das ist der Grund für sein Einkommen.
Wie weit er damit kommt und wie viel er dementsprechend verdient, folgt auch nicht aus seiner „Arbeit“. Mit seinem Bemühen, die ökonomische Macht des Eigentums für die Firma einzusetzen, steht er in Konkurrenz zu seinesgleichen. Er mag mit noch so viel Tatkraft und Herzblut die Firma auf Erfolg gebürstet haben. Wie er in der Konkurrenz abschneidet, stellt sich hinterher heraus. Wenn die Firma in Konkurs geht, zieht der spitzenmäßige Einsatz allenfalls einen Herzinfarkt nach sich.
Es sei denn, man gehört zu dem Teil der Wirtschaft, der die Last der Verantwortung anderen gegen eine Gewinnbeteiligung überlässt, und muss als Privatier nur noch die Erträge kassieren, die aus dem Einsatz seines Eigentums zustande kommen. Der bloße Besitztitel an einer Firma erlaubt es, ohne die Last des Kommandierens Kapital unter fremder Regie wachsen zu lassen und daraus sein Einkommen abzuzweigen. Auch das spricht der Vorstellung Hohn, der unternehmerische Einsatz würde das Einkommen eines Managers oder eines Familienunternehmers bewirken: Die Trennbarkeit des Eigentums an Kapital von seiner Funktion sorgt dafür, dass die einen Vertreter der Wirtschaft ihr Geld damit verdienen, dass sie ihr eigenes Unternehmen leiten, die anderen damit, eine fremde Firma zu managen, und die dritten damit, durch den bloßen Eigentumstitel auf eine Firma reicher zu werden.
e)
Wer kein Eigentum hat, dem bleibt z.B. die Möglichkeit, sich für den öffentlichen Dienst zu bewerben. Der ist zwar auch nicht mehr das, was er mal war. Es steht mehr Arbeit an für weniger Vergütung als früher. Aber eines ist auf jeden Fall geblieben: Im öffentlichen Dienst ist man Dienstleister am Gemeinwesen. Als solcher findet man sich in einer ausgefeilten Hierarchie wieder, in die einen der Dienstherr eingliedert. Der Gesetzgeber gestaltet diese Hierarchie nach zwei unterschiedlichen Kriterien:
- Seine Beamten tragen auch Verantwortung. Sie ist bei ihnen allerdings nicht der schönfärberische Titel für die Ausnutzung staatlich geschützter Eigentumsrechte zur privaten Bereicherung, sondern besteht in der Definition, Kontrolle und Durchsetzung solcher Rechte. Ein Geschäft, das kein Geld produziert, sondern Schranken und Freiheiten für Dritte. Der Gesetzgeber versetzt seine Diener, wenn sie hoheitliche Macht ausüben, in den Beamtenstatus und versorgt sie mit einem festen Gehalt.[1] Sie sollen in der Lage sein, ihren Dienst ordentlich zu verrichten, und das heißt unbestechlich und respektabel vor den Adressaten ihrer Weisungsbefugnisse – vom normalen Volk bis hinauf zu den Führungsfiguren der Wirtschaft – nur den staatlichen Grundsätzen gemäß agieren. Je größer die Machtfülle eines Postens ist, desto wichtiger ist dem Staat daher eine hohe Besoldung. Mit der Alimentierung besticht er seine Führungskräfte quasi vorweg.
- Unterhalb der hohen Ränge bringt er ein anderes Kriterium zur Anwendung. Wo die Funktion des Bediensteten wenig oder gar nichts mit der Ausübung von staatlicher Hoheit zu tun hat, ist für den Staat entscheidend, dass seine Diener Kostenfaktoren sind. Bei seinen Tarifbeschäftigten beherzigt er daher als öffentlicher Arbeitgeber die Berechnungen stinknormaler Arbeitgeber mit ihren Angestellten.
f)
Die satte Mehrheit des Volks verdient ihr Geld als normale Arbeiter und Angestellte in Fabriken und Büros nach Leistung im ganz banalen Sinn: je länger, je mehr Output pro Zeiteinheit, desto höher die Summe, die man verdient. Umgekehrt umgekehrt. Also: Hier geht es gerecht zu. Nur: Die Entgelt-Rechnung beruht darauf, dass erst einmal allen einzelnen Arbeitsstunden bzw. dem überdurchschnittlichen Output pro Zeiteinheit eine Lohnsumme zugeordnet worden ist. Und woher kommt die? Die Zuordnung beider Größen wird bei der Schaffung und Besetzung von Arbeitsplätzen festgelegt. Und in ihr kommen die beiden Interessen auf ihre Weise zur Geltung, die ein Arbeitsverhältnis miteinander eingehen und sich denkbar gegensätzlich auf es richten. Der Arbeitnehmerseite geht es darum, mit ihrem Arbeitseinsatz in einer Firma einen Lebensunterhalt zu verdienen. Von der Größe des Gehalts und dem Maß des Verschleißes bei der Arbeit hängt ihre Lebensqualität fundamental ab. Auf Seiten der Arbeitgeber ist ein möglichst intensiver Einsatz am Arbeitsplatz von Interesse sowie ein möglichst geringer Lohn. Denn ihnen kommt es auf die Differenz zwischen dem investierten Vorschuss für die Produktion verkäuflicher Güter und Leistungen einerseits und dem durch deren Verkauf erlösten Geldüberschuss andererseits an. Der Profit, für den sie Arbeitsplätze überhaupt nur schaffen, steigt mit der Billigkeit und Ergiebigkeit der Arbeit. Welches der gegensätzlichen Interessen sich in der Zuordnung von Lohn und Leistung durchsetzt, ist dabei keine offene Frage. Auf ihre Kosten kommen allemal die Arbeitgeber, die nach ihren Geschäftsaussichten Arbeitsplätze schaffen oder auch nicht. Lohnabhängige müssen sich nach Stellen umsehen, sich zum Angebot für Arbeitgeber machen und dem lohnenden Verhältnis von Gehalt und Leistung am Arbeitsplatz zustimmen, wenn sie ihre Lebenshaltungskosten decken wollen. Weshalb sich manche von ihnen genötigt sehen, zusätzlich zu ihrem Job den Beruf des Gewerkschaftsmitglieds auszuüben, das sich mit seinesgleichen als Gegenmacht organisiert, damit im Verhältnis von Lohn und Leistung das Interesse an einem Lebensunterhalt überhaupt berücksichtigt wird und sich vom Dienst am Profit ein Leben bestreiten lässt. Dass und wie viel Geld eine Arbeitsleistung wert ist, wird also in einem sehr einseitigen Kräftemessen bzw. unter der Prämisse eines hinreichenden Profits zwischen Unternehmen und Gewerkschaften festgelegt, wenn nicht gleich von der Unternehmensseite allein.
Wo die Gewerkschaften bei der Festlegung von Lohn und Leistung mitbestimmen dürfen und können, einigen sie sich mit ihren Sozialpartnern auf eine ganze Hierarchie von Löhnen und Gehältern, die den jeweiligen Arbeitsleistungen entsprechen soll. Während Arbeitgeber gemäß ihrem Interesse an lohnendem Arbeitseinsatz niedrige Löhne für die Masse und abgestuft höhere Einkommen für deren Aufseher und Kontrolleure bezahlen – und diese Sortierung mit höherer oder niedrigerer Arbeitsleistung rechtfertigen –, geht es der Gewerkschaft darum, genau diese Hierarchie echt gerecht zu machen und der ‚Willkür‘ der Fabrikherren zu entziehen: Sie folgt den Bezahlungskriterien der Gegenseite und verobjektiviert sie zu einem System der Lohndifferenzierung, indem sie die verschiedenen konkreten Tätigkeiten ihrer Klientel mit Hilfe eines Katalogs von ‚Leistungsmerkmalen‘ und ihnen zugewiesenen ‚Entgelt‘elementen jeweils zu einer mehr oder weniger geldwerten Gesamtleistung zurechtdefiniert.[2] Dabei ist allerdings nicht zu übersehen, dass auch dieses konstruktive Anliegen eine Durchsetzungsfrage ist, in der das Interesse an einem Geschäft dem an einer Existenz überlegen ist und dementsprechend darüber befindet, bei welchem Verhältnis von Lohn und Leistung der Gerechtigkeit Genüge getan ist, auf die es wirklich ankommt.
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Die Vorstellung der Erwerbsbürger, sie mit ihrer Tätigkeit wären der Grund für ihr Einkommen, geht also an der Sache vorbei. Das Verhältnis zwischen Erwerbstätigkeit und verdienter Geldsumme ist durch Vorgaben bestimmt, in denen offenbar ein Unterschied die entscheidende Rolle spielt: Die einen haben Mittel, die dazu taugen, andere arbeiten zu lassen – Kapital oder Verfügung über ein Stück staatlicher Macht. Die anderen sind Mittel für deren Zwecke und müssen zusehen, wie sie ihren Verschleiß verkraften und finanziell über die Runden kommen. Auf der banalen Grundlage spielt sich alles Geldverdienen ab – und aus der ergibt sich ein ganzes polit-ökonomisches System.
[1] Der sogenannte Funktionsvorbehalt bestimmt, dass jeder, der hoheitsrechtliche Befugnisse als ständige Aufgabe ausübt, regelmäßig in ein Beamtenverhältnis ernannt werden muss, Art. 33 Abs. 4 GG.
(dbb.de)
[2] Näheres zu diesem eigentümlichen Anliegen der Gewerkschaften lässt sich nachlesen in unserem Artikel: ‚Entgeltrahmenabkommen‘ (ERA) – ein neuer Manteltarifvertrag für die Metallindustrie: Lohngerechtigkeit heute in GegenStandpunkt 3-08.