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Was ist Philosophie?

Die Weisheit, die der Philosoph so liebt, besteht eigentümlicherweise in einer Vorschrift an das Denken: „Man muss alles hinterfragen“. Er bekennt sich mit dieser Vorschrift zu der Grundeinsicht, dass die Wirklichkeit nur der unbedeutende Vordergrund ist, hinter dem sich das Wesentliche verbirgt, und damit zu einem Verfahren der Erklärung, das die Abstraktion von der Wirklichkeit zur Voraussetzung dafür macht, deren Gründe – die „eigentlichen“, versteht sich – zur Sprache zu bringen. Kein Wunder, dass der Philosoph über alles Bescheid weiß: Mit seiner Abstraktionskunst hat er sich freie Hand geschaffen für die idealistische Deutung der Wirklichkeit. Das hat der Philosophie den Ruf einer besonders gründlichen, bis ins Weltfremde gehenden Wissenschaft eingebracht. Man kann das auch so sagen: Dummheit passt zu diesem Geschäft, Wissen hingegen kann nur stören.

Trifft ein Philosoph auf jemanden, der etwas weiß, so belehrt er ihn, dass dies gar nicht möglich ist. Stolz hält er ihm entgegen: „Ich weiß, dass ich nichts weiß.“ Dass er es noch nicht einmal beherrscht, die Konstatierung seines trostlosen Geisteszustands in eine widerspruchsfreie Form zu bringen, liegt daran, dass mit dieser Feststellung sein Gegenüber gemeint ist: Der hat die gehörige Skepsis gegen seine Urteilskraft vermissen lassen. Seinem eigenen Verstand, den er dazu anstrengt, die Unmöglichkeit etwas wissen zu können, zu beweisen, vertraut der Philosoph durchaus. So wird vom Philosophen, ohne dass er sich der Anstrengung zu unterwerfen hätte, die Fehlerhaftigkeit eines einzigen Gedankens zu kritisieren, und damit grundlos, der Anspruch auf Wissen ganz prinzipiell bestritten. Sich nach seinem Verstand zu richten, gehört sich nämlich in den Augen des Philosophen nicht; Glauben hält er für die angemessene Stellung zur Welt – und dafür ist dann auch wieder vom Verstand Gebrauch zu machen.

Den Verstand schickt der Philosoph nämlich auf Sinnsuche. Dass es um das „Gute, Wahre und Schöne“ geht, darüber besteht für ihn eh kein Zweifel; und wo diese Klarheit besteht, da wird die Sinnsuche in der Welt auch fündig.

Nichts, was sich nicht mit einem guten Grund versehen ließe; ein Verfahren, das das Missverständnis, dem Philosophen ginge es um Gründe von diesem und jenem, gar nicht mehr aufkommen lässt: Es geht ihm um Gründe, die das Einverständnis mit der Welt vernünftig erscheinen lassen. In der Kategorie des Sinns spricht er seine affirmative Stellung zur Welt als Eigenschaft der Welt aus, und wo er zu dem urteil gelangt, dass in der Welt alles „sinnlos“ ist, formuliert er den untertänigen Wunsch, mit der Welt einverstanden sein zu können. Wenn ihm dies Anliegen versagt wird, wird er kritisch.

Lauter Verstöße gegen jenen idealen Gesichtspunkt, den er der Welt zu Grunde gelegt hat, befürchtet er, und so gelten seine Überlegungen der Sorge, ob sich die Menschen auch angemessen nach ihm richten. Kein Urteil kommt mehr über seine Lippen, in dem nicht die Modalverben – können, dürfen, sollen, müssen – eine entscheidende Rolle spielen, weil er im Namen der hohen Ideen in den Kategorien von Pflicht & Erlaubnis denkt. Er kann die Leute einfach nicht in Ruhe lassen. Noch die gewöhnlichste Verrichtung ist ihm Anlass für ein moralisches Urteil: Dürfen die das? Und da sich im Namen der hohen Ideale so ziemlich alles rechtfertigen und verurteilen lässt, verdankt sich seine konkrete Antwort auf diese Frage auch nicht der Logik diese Arguments, sondern den Konjunktiven des Zeitgeistes: Aufrufe gegen Bundeswehreinsätze im Ausland sind heute jedenfalls vor dem Maßstab des Guten kaum noch zu verantworten, dafür lässt sich mittels Blick auf die jüngere Geschichte und die Menschenrechte lässig „unsere“ Wehrhaftigkeit für demokratische Freiheiten begründen.

Aber der Mensch hält sich einfach nicht an die Vorschriften, die der Philosoph ihm anempfiehlt. So gehört neben dem Lob der Knechtsnatur des Menschen ein gerüttelt maß an Menschenverachtung zum Handwerkszeug des Philosophen: Der Mensch braucht einfach eine Herrschaft über sich, die ihn zum Anstand zwingt. Das ist vernünftig – wenigstens für „uns“ Menschen, von denen sich der Philosoph ausnimmt, wenn er seinen Geist mit der Macht identifiziert.