Diskussion3

Vortrag mit Diskussion

Stuttgart
Mittwoch, 29.06.16, 19:30 Uhr
Altes Feuerwehrhaus Süd, 1. OG, Seiteneingang Möhringer Str. 56 — U1, U14, Bus 42
Erwin-Schoettle-Platz
Tübingen
Dienstag, 28.06.16, 19:00 Uhr
Neue Aula, Hörsaal 14
Geschwister-Scholl-Platz (früher Wilhelmstraße 7)

Der Türkei-Vertrag

Vortrag von und Diskussion mit Prof. Freerk Huisken

Die nächste Etappe von Merkels Flüchtlingspolitik:
Zurückrudern oder imperialistische Offensive mit Hindernissen?

Im Vertrag der EU mit der Türkei zur Flüchtlingspolitik entdecken Anhänger der „Willkommenskultur“ vom letzten Herbst ein „Zurückrudern“. Merkel habe sich auf den Standpunkt des „Abschottens“ der europäischen Außengrenzen zurückgezogen und damit denjenigen Staaten Recht gegeben, die ihre innereuropäischen Grenzen gegen Flüchtlinge abgedichtet haben. Dazu ist festzustellen: Wer in dem Vertrag der EU mit der Türkei allein ein Fernhalten und Abschrecken von Flüchtlingen entdeckt, hat nicht nur den zentralen Gehalt dieses Vertrags verpasst, sondern muss auch schon die „Willkommenskultur“ als Höhepunkt deutscher Menschenfreundlichkeit und das deutsche Asylgrundrecht als Instrument selbstloser Flüchtlingshilfe fehlgedeutet haben.

Dabei lässt die Kanzlerin keinen Zweifel daran aufkommen, dass sich ihre Absicht, über die Neuregelung der Schengenaußengrenze die „Flüchtlingszahlen dauerhaft und nachhaltig zu reduzieren“, als ein Vertragsbestandteil in die politische Kontrolle der gesamten Ägäis-Fluchtroute – von Syrien, über die Türkei, die Ägäis bis nach Griechenland – einfügen soll. Sie will Schluss machen mit dem unkontrollierten Einsickern von Massen „illegaler“ Flüchtlinge nach Europa, der nationalen Abschottungspolitik von EU-Staaten, der Überforderung Griechenlands als Außengrenzstaat, dem Schlepperwesen, dem massenhaften Absaufen im Mittelmeer, dem Durchmarsch von Flüchtlingen durch die Türkei und dem unkontrollierten Lagerwesen in der türkisch-syrischen Grenzregion – kurz, mit all dem, was die deutsch-europäische Merkel-Fraktion an der Massenflucht schon immer gestört hat.

Die Umsetzung des Vertrags mit der Türkei, der zwischenzeitlich sogar wieder ganz zur Disposition steht, geht auf jeden Fall nicht ohne Hindernisse ab: Zum einen, weil europäische „Partner“ wie Ungarn, Polen, Tschechien etc. nicht gewillt sind, sich über das deutsch-definierte Vertragswerk die Hoheit über ihre nationalen Grenzen und über die Frage, ob sie in ihr Staatsvolk Flüchtlinge aufnehmen will, weiter beschneiden zu lassen; und zum anderen, weil die türkische Führung die Einmischung Europas in innen- und außenpolitische Angelegenheiten, die der Vertrag enthält, neuerdings fast schon als feindlichen Akt deutet.

Solche Konfrontationen mit sperrigen Eigeninteressen von Staaten innerhalb und außerhalb Europas schließt eine global angelegte Flüchtlingspolitik à la Merkel zwangsläufig ein. Das heißt aber, dass diese Politik ohne die Reklamation von Aufsichtsinteressen über alle Staaten, die von der „Flüchtlingskrise“ betroffen sind, nicht zu haben ist – was die Kanzlerin Merkel vom Herbst letzten Jahres an gewusst, mitgeteilt, in ihr Programm eingebaut, also gewollt und betrieben hat.

Einladungsflyer

Neu erschienen: Freerk Huisken ABGEHAUEN

eingelagert aufgefischt durchsortiert abgewehrt eingebaut: neue deutsche Flüchtlingspolitik

Abgehauen

144 Seiten | 2016 | EUR 9.80
ISBN 978-3-89965-692-3

Erschienen bei VSA

Leseprobe

Flyer

Wenn die deutsche Bundesregierung die Grenzen für Flüchtlinge öffnet, Tausende unkontrolliert einlässt, aufnimmt und betreut, dann sind die Kritiker der heimischen Flüchtlingspolitik erst einmal überrascht, dann aber des Lobes voll. Endlich, so ihr Urteil, wird dem wahren Sinn des Grundrechts auf Asyl praktisch Rechnung getragen. Dass Politiker, gerade solche vom Schlage der Bundeskanzlerin, die Europa zu mehr Weltgeltung führen will, mit humanitären Aktionen dieser Art ein politisches Interesse verbinden, sollte eigentlich nicht unbekannt sein.

Worum es diesmal geht, das könnte man leicht der Neudefinition nationaler Flüchtlingspolitik entnehmen: Es handele sich bei den Fluchtbewegungen um ein »globales Problem«, das auch entsprechend »global« kontrolliert, betreut und den Schleuserbanden aus der Hand genommen werden muss.

Nichts anderes als eine imperialistische Offensive kündigt ­Angela Merkel zugleich mit ihrer humanitären Hilfe an, die Deutschland als treibende Kraft angehen will. Von dieser, ihren innen- und außenpolitischen Brutalitäten und Widersprüchen handelt Huiskens Flugschrift.

Der Autor:
Freerk Huisken ist Professor im Ruhestand an der Universität Bremen mit dem Schwerpunkt Politische Ökonomie des Ausbildungssektors. 2012 erschien von ihm bei VSA: Der demokratische Schoß ist fruchtbar… Das Elend der Kritik am (Neo-)Faschismus, im Frühjahr 2016 erscheint zudem sein Standardwerk zur Kritik der Erziehung im Kapitalismus in einer aktua­lisierten Neuausgabe.