„Also wirklich ga-ga!“
Im Rahmen der Vortragsreihe „Deutschland braucht mehr Armut“, die das Studium Generale an der Tübinger Uni in diesem Wintersemester aufgelegt hat, trat im Dezember Oswald Metzger auf. Der Mann ist „ordoliberaler Grüner“ und „Finanzexperte“, der „seinen Adam Riese kennt“. Als solcher hat er Folgendes ermittelt: So geht’s nicht weiter! Wie und was? Man ahnt die zeitgemäße Antwort: der Saus und Braus, in dem die lohnabhängigen Deutschen immer noch leben. Was können sich die von ihren Löhnen nicht alles leisten, und geschicktes Umleiten von Lohnbestandteilen in diverse Sozialkassen sorgt dafür, dass sogar Kranke, Alte und Arbeitslose aus der Gesamtlohnsumme ein bisschen mitfinanziert werden können. „Das ist der Wahnsinn!“, ruft Herr Metzger, „Deutschland steht am Abgrund!“. Löhne sind schließlich Kosten und was macht man mit Kosten? Richtig: niedrig halten!
„Wir Deutschen haben ein Problem, weil wir den Sozialstaat über den Arbeitsmarkt finanzieren. Das führt zu einem `verriegelten´ Arbeitsmarkt. … Die Lohnbezogenheit der Sozialabgaben kann nicht beibehalten werden, weil dann die Lohnkosten explodieren und der Beschäftigungsabbau im Land zunimmt.“ „Lohnerosion und Lohndumping können Sie in einer Wettbewerbsgesellschaft nicht verhindern. Wir leben vom Wettbewerb um den Güterverkauf. Wir Deutschen können keine Mauer um unser Land ziehen und da hohe Löhne zahlen.“
Streng nach Adam Riese werden hier Äpfel und Birnen zusammengezählt und unter dem Titel „Deutsche“ Kapitalbesitzer und Lohnabhängige in einen Topf geworfen. Kosten sind die Löhne nur für die Deutschen, denen die Unternehmen gehören und die Löhne dafür zahlen, dass andere Deutsche für sie arbeiten und „Güter“ produzieren, deren Verkaufserlös die aufgewandten Kosten in möglichst hohem Ausmaß übersteigt. Für die Deutschen, die in den Fabriken (und sonstwo) arbeiten, sind die Löhne Einkommen, und zwar das einzige, das sie haben. Weil ihnen die Mittel fehlen, um selbst „Güter“ herzustellen, leben sie auch nicht vom „Güterverkauf“, sondern verkaufen sich, bzw. ihre Arbeitskraft an die, die diese Mittel haben. Gekauft werden sie dann und nur dann, wenn ihre Arbeit sich für die Käufer rentiert. Dann kriegen sie einen Arbeitsplatz, an dem sie für möglichst wenig Geld möglichst viel für das Unternehmen zu leisten haben.
Diesen Interessengegensatz zur Interessenidentität zu erklären, argumentiert mit der durchgesetzten und deshalb für selbstverständlich und unumstößlich erklärten Abhängigkeit der Arbeitnehmer von den Arbeitgebern: wenn doch den einen das Kapital gehört und den anderen nichts als ihre eigene freie Person, dann können letztere nur leben, wenn erstere sie für ihr Gewinninteresse nutzen, also ist deren Gewinninteresse auch ihr Interesse. Und ihr eigenes Einkommen, der einzige Grund, warum sie arbeiten gehen, widerspricht, so betrachtet, dem Interesse der Arbeiter. Im wohlverstandenen Interesse der Lohnempfänger soll es dann sein, wenn sie möglichst wenig Lohn für möglichst viel Arbeitsleistung kriegen. Mit dieser perfiden Logik betrachtet Metzger den Lohn im Allgemeinen und den Sozialstaat im Besonderen. Und immer kommt das Gleiche raus: die Armut nützt vor allem den Armen.
Beispiel: Die Renten
Da liegt ja nun Einiges im Argen. Immer mehr Lohnempfänger werden älter als 50. Manchmal sogar erheblich älter. Und das, obwohl sie in dem Alter kein Unternehmer mehr beschäftigen will.
„47% der Unternehmen haben keine Mitarbeiter über 50. Das ist der Hammer!“
Wieso? Weil die Ausgemusterten Zahlungen aus irgendeiner Sozialkasse kriegen.
„Ein 57jähriger erhält heute 36 Monate Arbeitslosengeld und geht dann in Rente. Die Gesellschaft zahlt die Kosten für diesen Vorruhestandswahnsinn!“
Das mit der „Gesellschaft“ hatten wir unter dem Titel „Deutschland“ oben schon mal. Und es stimmt auch hier nicht. Die „Gesellschaft“ zahlt nix, die Lohnarbeiter zahlen ihre Rente selber, indem ein Teil ihres Lohns in die Rentenkasse zwangsabgeführt wird. Aber, so Metzger bauernschlau, man könnte den Jungen weniger Bruttolohn bezahlen, wenn man den Alten weniger reinschieben würde. Reformbedarf!
„Wer mit 60 in Rente geht, soll auf rund ein Drittel seiner Rente verzichten. Bisher liegen die Abschläge für einen 60järigen Rentner nur bei 18 Prozent. Das können wir uns nicht mehr leisten, wenn wir die Lohnkosten senken und Arbeitsplätze schaffen wollen. Ein höherer Rentenabschlag für vorzeitige Rente verhindert die altersfeindliche Beschäftigungsmentalität. Die Rente wird aus Sozialabgaben bezahlt und erhöht so die Arbeitskosten. Wenn man die Alten nicht mehr rauskauft und rausmobbt, werden die Jungen billiger. Das schafft Arbeitsplätze.“ „Der Kündigungsschutz verhindert Chancen auf Arbeit und Lebenssinn für Ältere.“ „Relativ zum längeren Lebenszyklus immer weniger zu arbeiten, passt nicht zusammen. Für diese banale wie brutale Erkenntnis muss man nur die Grundrechenarten beherrschen.“
Gewalt, Moral und Arithmetik gehen hier ein bisschen durcheinander:
Erstens gehen ältere Arbeiter in der Regel dann in den Vorruhestand, wenn das Unternehmen Stellen abbaut (vgl. Opel in Bochum). Ein Rentenabschlag mag ihre Not vergrößern unddamit die Notwendigkeit für sie, am Arbeitsplatz festzuhalten. Der Beschäftigungswillen des Betriebs befördert das nicht, und der ist schließlich entscheidend.
Zweitens machen geringere Beiträge für die Rentenkasse die Jungen zwar billiger, dass deshalb aber auch mehr eingestellt werden, steht überhaupt nicht fest. Und wenn, dann fliegen dafür noch mehr Ältere raus, mit Rentenabschlag!
Drittens fehlen Einem mit wenig Lohn und wenig Rente die Mittel zum Leben, ganz unabhängig davon ob man in der Arbeit einen Lebenssinn entdeckt oder lieber ohne auskäme.
In dieser besten aller Wirtschaftsweisen macht nämlich nicht Arbeit, sondern Geld frei, und Arbeiten für geringes Entgelt macht arm.
Und viertens passen in einer Wirtschaft, in der die Arbeitsproduktivität ständig gesteigert wird, längerer Lebenszyklus und weniger Arbeit rein rechnerisch wunderbar zusammen. Schließlich kann mit weniger Arbeitsaufwand immer mehr produziert werden. Nicht zusammen passt das nur in der freien Marktwirtschaft , in der der Profit der Unternehmen der Zweck und die Senkung der Lohnkosten dafür das Mittel ist.
Aber wenn man „länger arbeiten, privat vorsorgen und weniger konsumieren“ als nützlich für „uns Deutsche“ rausbringen will, dann kann man es weder mit den Voraussetzungen der Rechnung, noch mit den Rechengrößen und Grundrechnungsarten allzu genau nehmen. Diese klassenübergreifende Parteilichkeit für eine Gesellschaft, die dadurch reicher wird, dass sie die Lohnabhängigen arm hält und immer ärmer macht, ist nur mit Dummheit zu haben.
Wir konstatieren frei nach Metzger: Das ist wirklich ga-ga!