- VERSUS - https://versus-politik.de -

Der erste LINKE-Ministerpräsident Deutschlands wird gewählt

Drei Botschaften über Wählen und Regieren im demokratischen Rechtsstaat

Ende November wird in Thüringen mit Bodo Ramelow erstmals ein Mitglied der Linkspartei zum Ministerpräsidenten in einem deutschen Bundesland gewählt. Der Mann an der Spitze der rot-rot-grünen Koalitionsregierung gilt als „pragmatisch“, sein Regierungsprogramm als „realpolitisch“. Über den Inhalt dieses Programms, hinter dem sich „eigentlich alle Parteien versammeln“ können, heißt es resümierend: „Vom Sozialismus keine Spur“ (Zeit-Online, 20.11.14). Sorgen um „Thüringens Zukunft“ muss sich also offenbar keiner machen.

 

Ramelow, auch als regierender Sozialist ein Extremist –  in Sachen Realitätstüchtigkeit [1]

Ramelow, auch als regierender Sozialist ein Extremist –
in Sachen Realitätstüchtigkeit

In den Wochen vor der Wahl sieht die Sache allerdings ganz anders aus. Ein Sieg der „SED-Erben“, der „Nachwuchsgarde des alten Systems“, kurz: der „Mauermörder“ wird befürchtet. Hinter der eher harmlosen Fassade ihres Spitzenkandidaten verberge sich „eine Gruppe aus Stalinisten … Extremisten … linken Gewalttätern und ehemaligen Stasi-Spitzeln“ (Mike Mohring, Thüringer CDU-Fraktionschef). Mit einem „Gewissensappell“ an die Thüringer Wähler warnen Politiker und Professoren sogar vor einer „Konterrevolution“, durch die „die Befreiung durch die Revolution von 1989 in Thüringen revidiert“ werden könnte.

Aber nicht nur die konservative Presse und die politische Konkurrenz warten mit Warnungen vor einer düsteren Zukunft unter der Herrschaft der Thüringer Linken auf. Kurz vor der Wahl Ramelows zum Ministerpräsidenten meldet sich das bundesdeutsche Staatsoberhaupt höchstpersönlich zu Wort. Im ARD-Interview redet er aber nicht vom hohen Ross seines Amts aus, er macht sich ganz klein, redet als normaler Ex-DDR-Bürger, um dann allen seinen damaligen Volks- und Altersgenossen aus der Seele zu sprechen:

„Menschen, die die DDR erlebt haben und in meinem Alter sind, die müssen sich schon ganz schön anstrengen, um dies zu akzeptieren“.

Selbstverständlich sind „die Wahlentscheidungen der Menschen“ zu respektieren, aber er muss sich schon fragen:

„Ist die Partei, die da den Ministerpräsidenten stellen wird, tatsächlich schon so weit weg von den Vorstellungen, die die SED einst hatte bei der Unterdrückung der Menschen hier, dass wir ihr voll vertrauen können?… Es gibt Teile in dieser Partei, wo ich – wie viele andere – Probleme habe, dieses Vertrauen zu entwickeln.“ (tagesschau.de)

Die rhetorischen Fragen des besorgten Bürgers aus dem Schloss Bellevue sind für einiges an Aufregung gut: Politik und Presse wälzen ein paar Tage lang die Frage, ob der Bundespräsident mit einer solchen Äußerung nicht seine Kompetenzen überschritten hat. Die einen bestehen auf der Pflicht des Staatsoberhaupts zur parteipolitischen Neutralität, die anderen können darin nichts als die völlig berechtigten Sorgen des Privatmanns Gauck erkennen. Keines Aufhebens wert sind dagegen die gar nicht unbedeutenden Auskünfte über die Demokratie, die das freiheitsliebende Staatsoberhaupt damit ganz nebenbei wie selbstverständlich liefert.

Botschaft Nr. 1:
Wählen heißt sich unterwerfen

Denn wenn Gauck seine Schwierigkeit ventiliert, einer Partei sein Vertrauen entgegenzubringen, bei der er nicht wirklich weiß, ob sie es mit ihm und seinesgleichen gut meint – „Ja, was ist denn diese Partei nun wirklich?“ –, dann ist das ein starkes Stück unfreiwilliger Landeskunde über das „bessere Deutschland“, dem dieser Freiheitsguru vorsteht. Von einem hat sich nämlich die Gemeinde der ehemaligen DDR-Bürger, für deren Sorgen sich Gauck als Sprachrohr von ganz oben anbietet, mit ihrer „Befreiung durch die Revolution von 1989“ jedenfalls nicht befreit: Ihr Leben wird nach wie vor von Politikern bestimmt, denen sie vertrauen müssen, weil die ihnen alle entscheidenden Lebensumstände diktieren. Die Rede vom „Vertrauen“, das die Bürger in die konkurrierenden Machtanwärter „entwickeln“, ist der höchst euphemistische Ausdruck für die Tugend von Untertanen, die mit ihrer Wahlentscheidung ihren Willen als Volkssouverän nicht nur äußern, sondern bis auf Weiteres veräußern. Wenn sie ihr Vertrauen in der Wahlkabine verschenken, dann ist klar: Sie ermächtigen Politiker, die hinterher ihren Willen durchsetzen. „Die Partei, die Partei, die hat immer Recht!“ gilt zwar nicht mehr. Aber dass eine gewählte Partei im Recht ist, wenn sie sich aufschwingt, die Lebensbedingungen der Menschen eine Legislaturperiode lang zu „gestalten“ – darauf können die Wähler allemal vertrauen. Das alles spricht in der wiedervereinigten Republik allerdings nicht gegen das Geschenk der freien Wahl, sondern eben für eine gewissenhafte Prüfung der Vertrauenswürdigkeit der Kandidaten.

Nun hat bei dieser sorgfältigen Prüfung offenbar eine Mehrheit der wählenden Thüringer genau der Partei ihr Vertrauen gegeben, deren Vertrauenswürdigkeit nicht nur in Gaucks Augen sehr zu wünschen übrig lässt. Haben die Thüringer also ein furchtbares Eigentor geschossen? Womöglich mit gefährlichen Konsequenzen für die ganze Republik?

Botschaft Nr. 2:
Regieren heißt
Sachzwänge durchsetzen

Nichts dergleichen. Nach dem Wahlsieg gibt es stattdessen Entwarnung:

Droht denn nun der Weltuntergang? Kommunismus? Stasi? Nein!“ (FAZ, 19.11.14) „Wird das selbst ernannte ‚Grüne Herz Deutschlands‘ jetzt rot eingefärbt? Auf den Höhen des Thüringer Waldes jetzt eine Mauer gebaut? Wohl kaum.“ Denn mit der Machteroberung der Linken „bleibt die Kirche im Dorf. Thüringen kann weder aus der NATO austreten noch im Alleingang Hartz IV abschaffen… Und alles, was die rot-rot-grüne Wunschregierung in ihren Koalitionsvertrag geschrieben hat, steht unter Haushaltsvorbehalt.“ (WDR 5)

Dank der freiheitlichen, rechtsstaatlichen Organisation der BRD gibt es für abweichendes Verhalten der Regierenden einfach keinen Spielraum – schon gar nicht für die sozialen Versprechungen, mit denen die Linke die Wähler für sich hat einnehmen können:

„Für Bodo Ramelow und seine Linken bedeutet das einen knallharten und nicht ungefährlichen Realitätstest. In den letzten Jahren haben sie mit ihren Forderungen nach mehr Mindestlohn, mehr Blindengeld und überhaupt mehr sozialen Wohltaten gut gelebt… Aber wie viele Wohlfühl-Visionen kann ein linker Ministerpräsident eigentlich umsetzen?… Kann sein, dass der Tag des größten Triumphs für die Linken zugleich den Beginn ihres Niedergangs markiert.“ (ebd.)

Die gewählten Machthaber kommen als Exekutive im Wortsinn an die Macht; mit ihr vollstrecken sie nicht mehr und nicht weniger als die Notwendigkeiten, die in Gestalt des Amts, der bestehenden Verträge, der Kassenlage etc. ohnehin längst verankert sind. Und da gehören offenbar auch so magere Versprechungen wie mehr Blindengeld und mehr Mindestlohn eher in die Kategorie der Träumereien. Im Wahlkampf mag es der Partei ja gelingen, mit Versprechungen von „sozialen Wohltaten“ Punkte zu machen und als Oppositionspartei ihr linkes Image zu pflegen. Wenn sie aber erst einmal an der Regierung beteiligt ist, dann „kann ein linker Ministerpräsident“ auch nichts anderes „umsetzen“ als die Sachzwänge der Marktwirtschaft. Dann stellt sich auch bei der linken Wählerschaft „Ernüchterung“ ein.

Und zwar, wie die journalistische Erfahrung zeigt, ganz bestimmt nicht in Bezug auf die Segnungen des demokratischen Herrschaftverfahrens. Dass beim Amtsantritt das Wesentliche, also auch das Machbare schon feststeht, soziale Erwartungen daher verlässlich den Härten der Politik zum Opfer fallen und ins Reich der „Wohlfühl“-Illusionen entsorgt werden, das ist vielmehr Anlass, ein Loblied auf die beachtliche Produktivkraft des demokratischen Procedere anzustimmen:

„Am Testfall Thüringen zeigt sich, wie das politische System Die Linke diszipliniert… Sie hat sich der inneren Folgerichtigkeit des Systems unterworfen… Dazu gehört es, nicht nur immer wieder Abgeordnete in den Landtag zu schicken, sondern die Teilhabe an der Regierung anzustreben… Keine Partei kommt aus diesem Rationalisierungsprozess so heraus, wie sie einmal hineingegangen ist. Aus radikalen Ideen werden pragmatische Ziele.“ (Spiegel 49/2014)

Ein Lob der Demokratie, die es hinkriegt, diejenigen, die sich zur Wahl stellen, auf Linie zu bringen, auch wenn sie anderes vorhaben mögen! Wer in der demokratischen Konkurrenz mit „radikalen Ideen“ antritt, muss diesen Ideen abschwören und sich der gültigen Staatsräson verschreiben, das gehört zum „politischen System“. Und dafür, dass das funktioniert, sorgt es auch gleich mit, durch den disziplinierenden Zwang der Regierungsmacht, an deren Ausübung noch der radikalste Ideenträger als Machtanwärter selbstverständlich interessiert sein, also sich auch ausrichten muss. Das ist demokratisch „folgerichtig“ und „rational“, also mehr als gut so!

Botschaft Nr. 3:
„Die Linke“ hat verstanden

Doch Ramelow und Co. denken nicht daran, ihre linke Parteiprogrammatik in einem solchen mühsamen Verfahren mit allerlei „schmerzhaften Kompromissen“ langsam aber sicher zermahlen zu lassen, bis sie oder wenigstens ihr linker Flügel in der Regierungsarbeit keine „linke Handschrift“ mehr erkennen kann. Sie nehmen sich vielmehr einen schnellen und sauberen Schnitt vor. Die Thüringer Linken-Chefin Hennig-Wellsow stellt gleich zu Beginn das Verhältnis von Parteiprogramm und Regierungspolitik klar – das eine ist bloßes Ideal, das andere ist politische Wirklichkeit. Zwar halte die Linke „grundsätzlich“ an dem Ziel fest, „eine Gesellschaft zu erreichen, die nach dem Prinzip eines demokratischen Sozialismus aufgebaut sei“. Aber: „Man müsse immer unterscheiden zwischen dem, was parteipolitische Ziele der Linken seien und dem, was sich in der politischen Realität des Freistaates umsetzen lasse.“ (Zeit)

Die Ankunft der Linken in der politischen Realität von demokratischer Macht und durchorganisiertem Kapitalismus ist alles anders als eine harte Landung. Der frisch gekürte Ministerpräsident verbucht das eher als Aufbruch, nämlich als „Wendepunkt für die Linkspartei“, endlich an den Schaltstellen der Macht angekommen zu sein, und gibt als Frontmann die neue Parteilinie vor:

„Vorher galt bei uns Regierungsbildung immer als Betriebsunfall. Jetzt begreift man, dass es so nicht mehr geht.“ (FAZ 28.11.14)

Was „man“ da begreift, richtet sich vor allem an die linken „Elemente“ in der eigenen Partei, die sich immer noch als prinzipienfeste linke Opposition begreifen und aufstellen wollen. Die lässt Ramelow wissen, dass seine erfolgreiche Machtübernahme für die Kritiker in der eigenen Partei Grund genug zu sein hat, ihre systemkritischen Standpunkte fortan als Ideale zu pflegen; die dürfen zwar der Partei ihre Duftnote, dem Amtsträger aber keine Vorschriften geben. Schließlich will Ramelow „nicht Vertreter der Linken in der Staatskanzlei sein, sondern der Ministerpräsident einer Dreierkoalition.

Und in der bestimmt nur eines: „die Realität“ – so wie sie ist.