Der kapitalistische Weltmarkt als Herausforderung an die Moral des Konsumenten
„Fair Trade“: Faire Produktion durch fairen Einkauf?
Wie mit Arbeit gerechnet wird
Immer wieder wird man von humanitär engagierten Vereinen wie der Clean Clothes Campaign (CCC) und der Presse, über ungeheuerliche Ausbeutungsverhältnisse informiert, unter denen hier verkaufte Konsumgüter von global agierenden Multis in anderen Weltgegenden produziert werden. Man erfährt, dass Näherinnen, die in Textilfabriken in Bangladesch einen Großteil unserer Kleidung herstellen, für eine 48-Stunden Woche einen Lohn bekommen, von dem sie nicht leben können. Anlässlich der Brände, die in dortigen Textilfabriken viele Tote und Verletzte forderten, wird gezeigt, dass die Arbeiterinnen auf engstem Raum zusammengepfercht sind und Sicherheitsvorkehrungen weitgehend fehlen. Auch der Hersteller der I-Phone- Hardware Foxconn macht mit dem Regime über seine Arbeiter immer wieder Schlagzeilen: 10-stündige Schichten fast ohne Pausen bei hohem Arbeitstakt, Reintreiben der Arbeiter durch Aufseher, ein drakonisches Strafsystem, Lärm und Schadstoffbelastung in der Fabrik, Schlafen in Baracken auf dem Fabrikgelände in Schichten, so dass Leute umfallen, krank werden, auf ihre Aufseher losgehen und manche sich sogar umbringen.
Einerseits weiß jeder, warum das so ist: Es geht um kapitalistische Geschäfte, also um Gewinn. Dafür müssen die Arbeiter Höchstleistungen abliefern und alle Aufwendungen, die dem Unternehmen für ihre Bezahlung, für Arbeitsbedingungen und Arbeitsschutzmaßnahmen entstehen, sind davon ein Abzug, eine Kostenbelastung, die im Interesse des Gewinns zu minimieren ist.
Andererseits will kaum einer gelten lassen, dass das der ganze Inhalt der Geschäftemacherei ist. Exemplarisch hierfür Berndt Hinzmann von der Kampagne für Saubere Kleidung: „Firmen wie GAP und H&M müssen endlich öffentlich Rechenschaft ablegen, wieso sie jährlich Riesengewinne machen und dennoch den verarmten Beschäftigten ihrer Zulieferer keinen Existenzlohn bezahlen. Es kann nicht sein, dass Textilarbeiterinnen 12 Stunden pro Tag schuften und dennoch vor Hunger kollabieren.“
Wieso eigentlich „dennoch“? Ökonomisch ist es ja gerade so, dass diese Firmen „Riesengewinne“ machen weil sie ihren Arbeiterinnen viel Leistung abpressen und einen Mini-Lohn bezahlen. Der Zusammenhang, den der CCC-Vertreter herstellt, dreht das um: Weil die Firmen mit den Diensten ihrer Beschäftigten riesige Gewinne machen, müssten sie zumindest deren Existenz sicherstellen. Der Gegensatz, den das Lohnverhältnis darstellt – der Lebensunterhalt ist Kost für die Firma, die für den Gewinn möglichst gering auszufallen hat, die Arbeitskraft der Belegschaft, also ihre Lebenskraft, ausgiebig zu strapazierendes Mittel –, wird damit zum wechselseitigen Verpflichtungs- und Verantwortungswesen: die Belegschaft sorgt für den Gewinn des Unternehmens und das Unternehmen für das Auskommen der Belegschaft.
Dem weltfremden Gedanken einer Fürsorgepflicht der Firmen gegenüber den von ihnen Beschäftigten spricht schon der ganze Ausgangspunkt Hohn, der Umstand nämlich, dass diese Firmen in Bangladesh oder China produzieren lassen. Denn warum machen sie das? Weil es dort billiger ist. Und warum ist das so? Weil auch dort das Leben vom Geldhaben und Geldverdienen abhängt und nur ein kleiner Teil der Bevölkerung von kapitalistischen Unternehmen benutzt wird. Eine gemessen am Bedarf des Kapitals gigantische Überbevölkerung macht Lohnarbeit zum seltenen Privileg, was diejenigen, die Arbeit geben, gnadenlos ausnutzen. Insofern ist gerade die massenhafte Armut dort eine wunderbare Geschäftsbedingung. Nutznießer und Befürworter dieser erpresserischen Verhältnisse stellen das gedanklich schon mal auf den Kopf und erklären die Ausnutzung der Armut zum Mittel ihrer Beseitigung. Dafür braucht es nur den Vergleich mit den zahlreichen Elendsgestalten, die gar keine Verdienstmöglichkeit haben, und deshalb an das Lebensnotwendige nicht herankommen: In Relation dazu leisten westliche Unternehmen mit den grauenhaften Arbeitsbedingungen, die sie bieten, doch glatt einen Dienst an den armen Leuten, sorgen sie doch dafür, dass dort überhaupt Arbeitsplätze geschaffen werden.
Diesen Zynismus wollen Clean Clothes Campaign, Fair Wear, Fair Trade u. a. so nicht durchgehen lassen. Sie verweisen auf die Brutalität der Produktionsstätten in fernen Landen und wollen diese abmildern. In der Tat ist der Kapitalismus in Asien und Afrika noch viel scheußlicher als hierzulande, weil die dortige Armut vieler für die Gewinnrechnung relativ weniger Unternehmen nutzbar gemacht wird. Nur heißt das umgekehrt: Hier wird genauso mit den Arbeitskräften gerechnet wie in Bangladesch, Kambodscha oder Indien. Die Gewinnrechnung ist sachlich die gleiche, bei der Erpressbarkeit der beschäftigten Arbeiter gibt es Unterschiede.
An den chinesischen Arbeitskulis könnten die Einheimischen sehen, welche Rolle sie prinzipiell in diesem ökonomischen System spielen und worauf es bei Lohn und Leistung ankommt. Und so wirklich glaubt auch niemand, dass dieselben Konzerne, die auch hier produzieren und verkaufen, mit europäischen Beschäftigten anders rechnen würden als mit asiatischen; die Angst vor Werksverlagerungen in „Billiglohnländer“ ist dafür ein Dokument. Dennoch sehen deutsche Lohnabhängige sich nicht in derselben Rolle wie die chinesischen Arbeiter. Die soziale Marktwirtschaft hier soll sich vom „Turbokapitalismus“ dort grundsätzlich unterscheiden. Bei uns können Arbeiter doch – allerdings immer weniger gut – vom Lohn leben, und es gibt den Sozialstaat, der sich um die Lohnabhängigen kümmert und den Unternehmen manches verbietet. Nur warum und auf welcher Basis tut das der Staat? Der Bedarf des Kapitals an weitgehender Benutzung des ganzen Volkes verbietet eine ähnliche Rücksichtslosigkeit gegenüber dem Nachschub an Arbeitern wie in den sogenannten Schwellenländern. Diese Rücksicht auf die Erhaltung der Ressource Arbeitskraft fällt aber in dem Maß, in dem immer mehr Mitglieder des Arbeitsvolkes verzichtbar werden. In den letzten 20 Jahren ist im Umgang des Staates mit diesem Arbeitsvolk ja schon einiges geändert worden, um die „Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands“ zu verbessern. Auch hierzulande können Arbeitslose von ihrer Stütze kaum leben und immer mehr Arbeiter von ihrem Lohn ohne „Aufstockung“ durch staatliche Stütze gar nicht. Insofern setzt die Sicherheit, dass man mit „uns“ nicht so umspringen kann wie mit asiatischen Lohnsklaven, auf etwas sehr Prekäres. Ein qualitativer Unterschied, liegt da nämlich nicht vor. Dass die, die hier beschäftigt werden – vorerst – nützlicher sind für die Gewinnrechnung ihrer Arbeitgeber als Afrikaner oder Chinesen, ist eine rein quantitative Differenz beim Vergleich von Aufwand und Ertrag. Von den Arbeitern hängt diese Differenz am allerwenigsten ab. Geschuldet ist sie der Produktivität hiesiger Produktionsstätten, die dafür sorgt, dass sich trotz höherer Löhne mehr Kapitalertrag aus den Arbeitern rausholen lässt als aus ihren ausländischen Konkurrenten, dass sie also effektiver ausgebeutet werden und nicht etwa weniger oder gar nicht. Und diesen Ertrag steigern die Unternehmen, indem sie ihre Lohnkosten senken und die Arbeitszeit „verdichten“. Im sog. Niedriglohnsektor und im Bereich der Leiharbeit nähern sich deutsche Löhne denen, die in „Billiglohnländern“ gezahlt werden, ja auch deutlich an.
Der Konsument und seine Verantwortung
Organisationen, die weltweit für „faire“ Produktion sorgen wollen, kritisieren nicht den Gewinn, sondern die Rücksichtslosigkeit derer, die ihn machen. Die ließen es dabei völlig an „Verantwortung für die ArbeitnehmerInnen“ (Präambel Kodex CCC) fehlen. Ermöglicht, ja geradezu nahegelegt, werde ihnen das von verantwortungslosen Konsumenten. Als Lohnabhängige sind die zwar der Gewinnrechnung der Produzenten unterworfen, als Verbraucher werden sie aber zum Herrn über die Produktion erklärt und zum eigentlich Schuldigen an den Verhältnissen in ihr. Weil sie mit Konsumartikeln bedient sein wollen und dabei nur aufs Geld schauen, sollen sie in Gegensatz stehen zu den armen Schweinen, die diese Konsumartikel unter allerübelsten Arbeitsbedingungen herstellen müssen. Macht man sich nicht zum Nutznießer, vielleicht sogar zum Auftraggeber ihrer Ausbeutung und zum Komplizen der Firmen, die sie so schäbig behandeln, wenn man deren Ware kauft und deren Geschäft zum Erfolg verhilft? Diese Frage sollen sich die Verbraucher stellen und aus ihrer positiven Beantwortung entsprechende Konsequenzen ziehen.
Mit dieser Bezichtigung wird so getan, als könne der Konsument mit seinen Bedürfnissen und seinem Geldbeutel bestimmen, wie und was produziert wird. Dabei kann er nur kaufen, was angeboten wird – und das hat noch allemal die Voraussetzung zu erfüllen, dass ein Kapitalist Gewinn damit macht, sonst kommt die Ware nämlich gar nicht auf den Markt. Dafür, dass die Geschäftsleute ihre Gewinne einstreichen können, sind sie allerdings auf das Geld ihrer Kundschaft angewiesen. Das liegt meist nur in recht beschränkter Menge vor, weil dieselben Geschäftsleute in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber für einen knappen, weil dem Gebot der Rentabilität gehorchenden Lohn sorgen. Deshalb stehen sie sich als Anbieter beim Bemühen, die Zahlungsfähigkeit der Konsumenten auf ihr Warenangebot zu ziehen, gegenseitig im Weg. Sie konkurrieren um die Kaufkraft der Kunden und richten das Warenangebot auf diesen Konkurrenzkampf aus. Was produziert wird und was nicht, welche Bedürfnisse bedient, welche unbeachtet gelassen, welche geweckt oder überhaupt erst erfunden werden, mit welchen Gebrauchsartikeln welcher Qualitätsstufe die nach Kaufkraft sortierte Menschheit zurechtkommen darf und muss, all das entscheiden die Anbieter in Abhängigkeit davon, wie viel Absatz sie sich für ihr Zeug ausrechnen, nach den Erfolgen, die sie in ihrem Konkurrenzkampf untereinander erzielen und nach dem Wachstum ihres Geldreichtums, den sie damit zustande bringen.
Billigangebote gibt es, weil findige Unternehmer noch die kärglichste Zahlungsfähigkeit für ihr Geschäft auszunutzen wissen. Als Mittel dafür, dass sich die billige Ware für sie lohnt, sparen sie nicht nur an Materialkosten, sondern vor allem am Lohn ihrer Beschäftigten und an den Arbeitsbedingungen und sie treiben ihre Belegschaft zu Höchstleistungen an. Miese Produktqualität und Hungerlöhne haben die, die den Krempel brauchen, nicht in Auftrag gegeben, und die Preise kleben schon dran, wenn sie als Käufer den Markt betreten.
Der potentielle Konsument wählt aus dem ihm vorgelegten Angebot aus. Sich dabei nicht nur an seinem Bedarf und den Schranken seines Geldbeutels zu orientieren, sondern „faire“ Produkte zu bevorzugen und die Annnahme anderer zu verweigern ist der Aufgabe, die er nun erhält. Der Aufruf zum Käuferstreik, geht selbst davon aus, dass sich bei der Erstellung des schönen Warenangebots nicht nach den Wünschen der Konsumenten gerichtet wird, sondern nach dem Gewinninteresse der Geschäftsleute. Dieses Gewinninteresse, das einerseits durchaus als Grund für die miese Behandlung der Arbeiter gesehen wird, denkt man sich andererseits zugleich als Hebel, mit dem die Gegenmacht der Verbraucher ansetzen kann. Indem man bestimmten Unternehmern ihre Waren nicht mehr abkauft und ihnen dadurch die Bilanzen vermasselt, kann man sie, so der Gedanke, zu einem rücksichtsvolleren Umgang mit ihren Arbeitskräften zwingen. Gewinn soll also sein – nur soll er auf eine humanere Weise aus den Beschäftigten herausgeholt werden.
Weil man so Unversöhnliches versöhnen will, sieht die Berücksichtigung der Arbeiterschaft, durch die sich „faire“ Firmen auszeichnen sollen, entsprechend aus: Gewinn muss sich so weit beschränken, dass er mit „existenzsichernden Löhnen“, nicht-tödlichen Arbeitsbedingungen etc. vereinbar ist. Umgekehrt müssen die humanen Ansprüche sich auf das beschränken, was mit ihrem Gegensatz, der Erzielung von Gewinn, vereinbar ist. Maß genommen wird deshalb nicht an den in den Metropolen üblichen Standards von Lebensunterhalt, Gesundheit etc. und erst recht nicht an einem einigermaßen sorgenfreien oder gar angenehmen Leben, sondern an einem existenziellen Minimum, das dem Geschäft auch in Billiglohnländern zumutbar sein sollte.
Weil der Konsument mit seiner Macht nur wählen kann, welchem Geschäftsmann er seine Waren abkauft, ist sein Richteramt nur dann möglich, wenn die Geschäftswelt überhaupt Unterschiede in der Behandlung ihrer südlichen Arbeitskräfte macht und das bekannt gibt. Nur wenn es Kapitalisten gibt, die soziale Verantwortung zum Verkaufs- und Konkurrenzargument für ihre Waren machen, können Konsumenten, die ihren alltäglichen Bedarf ja decken müssen, die Bösen bestrafen – und fürs Gute in der Welt dadurch sorgen, dass sich eine minimale Rücksicht des Kapitals auf seine Leute für es lohnt. Auf die Erfüllung sozialer Bedingungen kann man nur hoffen, wenn sich die Firma davon einen Zuwachs an Umsatz und Gewinn verspricht. Daher sind die Unterschiede zwischen den rücksichtslosen Ausbeutern und den verantwortlichen Firmen nicht allzu groß. So genannte sozial verantwortliche Produktions- und Entlohnungsbedingungen müssen in aller Regel mit etwas höheren Preisen honoriert werden, was eine bestimmte Käuferschicht durchaus tut. Zu große Preisaufschläge mindern aber die Konkurrenzfähigkeit der Ware und „helfen“ dann ja auch niemandem!
Bei aller Konsumentenverantwortung bleibt die Rechnungsweise der Produktion, die den Lebensunterhalt der Arbeiter als eine Kost bilanziert, die sich durch ausgiebige Nutzung der Arbeitskraft als gewinnträchtig erweisen muss, unangetastet. Deshalb ist es zwangsläufig so, dass die Hoffnung auf einen rücksichtsvolleren Umgang mit den Beschäftigten immer wieder enttäuscht wird. Die Verfechter fairen Konsumierens werden dadurch aber nicht irre an ihrer Überzeugung von einer eigentlichen Vereinbarkeit von Geschäft und Social Responsibility. Sie setzen sich für ein unabhängiges Kontroll- und Zertifizierungswesen ein, das die Einhaltung bestimmter Standards durch Labels und Prüfsiegel sichtbar machen soll. Dafür sorgen Unternehmen manchmal sogar selbst, wenn sie sich etwas von der damit verbundenen Werbung versprechen. Und der Verbraucher darf dann nicht nur dem Streit darüber beiwohnen, wie viel welches Label taugt, sondern sich auch der spannenden Frage widmen, wer wo was trotz des Labels vertuscht hat.
Der Konsument hat als Mittler zwischen sich und den Elendsfiguren, die unter erbärmlichen Bedingungen Güter für den hiesigen Markt produzieren, immer das Geschäftsinteresse kapitalistischer Firmen. Die entscheiden, ob, welche und für wen überhaupt Wirkungen in der Produktion eintreten, wenn das Produkt kontrolliert, mit Preisaufschlag und Zertifikat verkauft wird. Deshalb fallen die Wirkungen verantwortlichen Einkaufens auch immer bescheiden aus. Die einzige Wirkung die ganz in der Macht des Konsumenten liegt, ist die auf sein Selbstbewusstsein. Wenn er will, kann er sich gut fühlen, weil er „fairen“ Kaffee kauft.