Fukushima

Eine Katastrophe, die alles ändert?

Im japanischen Fukushima ist wieder einmal eingetreten, wovor Gegner der Atomenergie seit 40 Jahren warnen: Im Gefolge von Erdbeben und Tsunami sind mehrere Meiler außer Kontrolle geraten, explodieren, setzen Radioaktivität frei, machen Teile Nordjapans vielleicht auf Jahrzehnte oder länger unbewohnbar, verseuchen die ansässigen Menschen und bedrohen die 40‑Millionen-Region Tokio mit radioaktivem Niederschlag.

Die im Normalbetrieb eines AKWs stattfindende Verstrahlung der Arbeiter, der Anwohner und des Landes ist bekannt, durch Grenzwerte eingehegt und sanktioniert und politisch einkalkuliert. Bei einem Unfall mit Kernschmelze jedoch ähnelt das Ausmaß der Zerstörung, mit dem die betroffene Nation konfrontiert ist, mehr oder weniger dem Zustand nach einem stattgefundenen Krieg: Ein Verlust an Bevölkerung durch Verstrahlung und ansteigende Krebsraten schmälert die lebendige Staatsgrundlage; ganze Regionen sind dauerhaft für geschäftliche Nutzung unbrauchbar; statt kapitalistischen Wachstums fallen ungeheure Kosten für Sicherung und Einschließung der strahlenden Ruinen an, die das Sozialprodukt und den Staatshaushalt belasten und die Nation in der Konkurrenz mit ihresgleichen um einschneidende Größenordnungen zurückwerfen können. Schon gibt es Spekulationen über einen Niedergang Japans.

Das ist der „Super-Gau“, der politische Führer tatsächlich beeindruckt: Der „GAU“ – größter anzunehmender Unfall – ist nämlich einer, bei dem die Folgen noch beherrschbar – will heißen: nicht von katastrophalem Ausmaß – sind, und mehr „darf“ einfach nicht passieren!

Das wirft die Frage auf: Warum setzen Staaten auf diese Form der Energiegewinnung, und ignorieren sehr konsequent die Gefahr, der sie Land und Leute damit aussetzen? Nur damit die Wohnungen warm sind und die Handys Saft haben? Das stünde ja in keinerlei rationalem Verhältnis dazu, dass man für diese Beglückung mit Verstrahlung in normalem und gelegentlich in katastrophalem Ausmaß zu bezahlen hat. Wenn die Politik seit Jahren verkündet, dass „unsere AKWs jenes Maß an Stromzufuhr sichern, das unser Wachstum braucht, welches unseren Wohlstand garantiert“, dann geht es bei dem Wachstum, für das so gesorgt werden soll, wohl kaum um den Wohlstand des kleinen Mannes. Es geht um ein Wirtschaftswachstum, das angeblich dessen Wohlstand garantiert. Aber: Wenn „unser Wohlstand“ von einem Wirtschaftswachstum abhängt, das AKWs braucht und so unser Wohlergehen nicht garantiert, sondern aufs Spiel setzt, dann spricht das nicht für AKWs, sondern gegen diese Abhängigkeit.

Nach dem Japan-Desaster reden die Regierenden nun von „der Möglichkeit der Unbeherrschbarkeit der Technologie zur atomaren Energiegewinnung“ und wollen dennoch die AKWs nur nach „sicheren“ und „unsicheren“ sortieren. Was meint die Regierung wohl mit „Sicherheit“, wenn sie den Betreibern mit Sicherheitsüberprüfungen ihrer Atommeiler droht, zugleich aber die alte Kalkulation zwischen „notwendiger“ Stromversorgung durch AKWs und einem „Restrisiko“ nicht über Bord werfen, sondern auf der Grundlage der „neuen Erfahrung“ nur strenger durchführen will? Der einfache Schluss, diese Anlagen stellen ein ungeheures Gefahrenpotential dar, also schalten wir sie sofort ab, gilt als verantwortungslos. Nicht weil dann die Lichter ausgingen, sondern weil „wir“ dann Strom importieren müssten. Na und? Warum soll ein Land, das ganz oben auf der Weltrangliste der Ex- und Importnationen steht, nicht mal Strom importieren und dabei seine Energieversorgung umbauen? Weil das dann Atomstrom wäre, lautet die Antwort. Das finden wir interessant: Bevor wir Atomstrom importieren, müssen wir auf jeden Fall selber weiter Atomstrom produzieren. Also kann der Vorbehalt gar nicht am Atom liegen, sondern am Importieren!

Warum wäre das Importieren von Strom „unverantwortlicher“ als der Import von Kohle, Erzen, Socken und sonstigem Zeug? Und wofür will die Energiepolitik Verantwortung tragen, wenn ein „verantwortungsvoller Ausstieg“ noch Jahrzehnte dauern soll?

Die politische Chefin des Weltmarktführers auf dem Feld der erneuerbaren Energietechniken will jetzt jedenfalls drei Monate lang nachdenken, um dann zu entscheiden, ob und wie viele alte Meiler abgeschaltet werden sollen und wie lange sie die neueren weiterlaufen lassen will. In diesen – „Restlaufzeit“ genannten – Jahren sollen die alternativen Energien ausgebaut werden.

Die schwarz-gelbe Koalition will – anders als praktisch alle anderen Regierungen des Globus – aus der Katastrophe gelernt haben: Sie stellt erstens das soeben beschlossene Gesetz zur Verlängerung der AKW-Laufzeiten in Frage und will den Ausstieg aus der Atomenergie-Erzeugung beschleunigen, indem sie mit der Forcierung der erneuerbaren Energiequellen den AKWs eine weitere Form autarker Energieproduktion hinzufügen will. Und zweitens zieht sie aus „Fukushima“ die Lehre, dass ihre auf dem Klimagipfel in Kopenhagen ausgebremste Offensive in Sachen weltweiter Verbreitung „sauberer Energie“ durch die Katastrophe in Japan neuen Auftrieb erhalten und Energieproduktion made in Germany doch schneller, als bisher erwartet, zu einem Weltmarktschlager werden könnte.

Seit dieser „Wende“ werden wir fast ununterbrochen damit behelligt, dass für den Ausstieg aus der Kernenergie „Konsequenzen zu tragen“ sind. Von höheren Stromkosten, von neuen „gigantischen Leitungstrassen“ quer durch die Republik und neuen „Großanlagen zur Energiespeicherung“ ist die Rede. Warum ist all das „notwendig“?

Unterstellt ist ganz selbstverständlich, dass sich außer der Energiequelle nichts ändert: „Alternative Energien“ haben dafür zu sorgen, dass Deutschland alles in Sachen Energieerzeugung selbst in der Hand hat. Und sie haben den Kriterien von Kosten und Gewinn zu genügen. Die AKW-Betreiber selbst sollen sie zu ihrem Geschäftsfeld machen und damit frühzeitig den Weltmarkt besetzen. Mit alternativen Großtechnologieprojekten will Deutschland dem Kapital und den Staaten der Welt eine günstige Energiebasis anbieten und zugleich dafür sorgen, dass die nationalen Energieriesen – EON, RWE, EnBW und Vattenfall – sich zu Multis mausern und mit Energie, Energiequellenprospektion und Energietechnologie weltweit Geschäfte machen. Da muss auch bei der Produktion und dem Transport von Energie aus Wind, Sonne & Co. auf die Kosten geachtet werden, sonst lässt sich damit nicht in großem Maßstab verdienen. Gegen die unschönen Folgen, die das hat, hat aber jeglicher Einwand zu unterbleiben, weil uns Politik und Energiekonzerne dafür das Risiko der AKWs erspart.

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