Indem der demokratische Staat sich seinen Bürgern als Instanz vorstellt, die dazu da ist, ihnen die Rechte zu gewähren, die ihnen als Menschen doch zukommen, hat er sich ein sehr prinzipielles Gütesiegel zuerkannt. Alles, was er seinen Bürgern per Recht und Gesetz, also mit Gewalt, an Lebensumständen aufzwingt, hat da nicht seinen Grund im Interesse des Staates an einem funktionsfähigen Volk für die Mehrung des Kapital- und Staatsreichtums, sondern ist zu einen einzigen selbstlosen Dienst an den unter seiner Herrschaft lebenden Menschen verklärt. Nehmen seine Bürger ihm dies ab, gewöhnen sie sich an die so glorifizierte Rechtsförmigkeit ihrer Existenz so sehr, dass sie sich ihre eigenen Interessen schon gar nicht mehr anders vorstellen können, als in der Form von Rechten.
Der „Kampf um Rechte“ ist deswegen der in der Demokratie vorgesehene Umgang mit unbefriedigten oder verletzten Interessen. Basisbewegungen, Gewerkschaften, Parteien tragen ihre Anliegen – bittend, fordernd oder über ihre Lobby – an den Gesetzgeber, den großen Gewährer, heran und beantragen, er möge sie zu Rechten erheben.
Wer vom Staat Rechte fordert, hält ihn erstens grundsätzlich für seinen Beschützer – einen säumigen vielleicht, der sein Ohr falschen Beratern und der falschen Lobby geliehen hat – aber doch für eine Macht, die zu Wohltaten gegenüber denen berufen ist, die unter ihrem Regime eigentümlicherweise immer zu den Schwachen gehören.
Wer Schutzrechte fordert, hat zweitens nichts einzuwenden gegen den Konkurrenzkampf, der durch das Recht in Gang gesetzt wird und die negativen Ergebnisse hervorbringt, gegen die man wieder neue Rechte braucht. Noch nicht einmal gegen diese Konkurrenzresultate selbst – Reichtum auf der einen Seite, Ausschluss von ihm auf der anderen Seite – wendet sich, wer etwa ein Recht auf Arbeit, auf Grundeinkommen, auf Mindestlohn fordert. So jemand verlangt nur, dass die Verarmung Grenzen kennen und eine allgemeine Minimalexistenz gewährleistet sein sollte.
Wer Rechte fordert, glaubt drittens, dass das Geforderte zum allgemeinen Staatsprogramm passt und ein Plätzchen in ihm finden kann. Das kann richtig sein. Wer sich einbildet, das existente Staatsprogramm um Felder zu ergänzen, die langfristig im Interesse des Staates und des Erfolgs seiner Ordnung seien, der glaubt ganz richtig zu liegen, wenn er den Gesetzgeber auf Versäumnisse aufmerksam macht und ihn davor warnt, dass es sich rächen werde, wenn er auf dies oder das nicht Acht gibt. Es wirft zwar ein Licht auf die Prioritäten des Staates als Stifter und Hüter der kapitalistischen Produktionsweise (des ideellen Gesamtkapitalisten), dass ihm sogar die Rücksicht auf natürliche und soziale Existenzbedingungen seiner eigenen Ausbeutungsordnung erst durch Streiks und Demonstrationen abgerungen werden musste. Recht bekommen haben die Forderungen der Arbeiterbewegung (Acht-Stunden-Tag, Arbeitslosenversicherung, Lohnfortzahlung) sowie der Umweltaktivisten (Atomausstieg etc.) aber nur und nur so weit, wie sie der Gesetzgeber als Voraussetzungen für den langfristigen Erfolg des nationalen Kapitalismus anerkannt hat.
Wenn freie, nur dem großen Ganzen verpflichtete Volksvertreter die diversen Anliegen prüfen und im Ergebnis genau so viel Arbeits-, Mutter- und Umweltschutz beschließen, wie der nationale Kapitalismus braucht, damit es mit ihm weitergeht, und wie er sich leisten kann, ohne dass Wachstum und Konkurrenzfähigkeit Schaden nehmen, dann haben die Anliegen des vom kapitalistischen Reichtum ausgeschlossenen Teils des Volkes ihren systemgemäßen Platz gefunden.