Tübinger Semesterchronik

Exzellenz und Exzellenzen: Viel Freund, viel Ehr’

Nun hat’s einfach nicht klappen wollen mit der Exzellenz-Uni auf Tübinger Gemarkung. Macht nichts, dann beweist Tübingen seine Exzellenz halt selber und lädt Exzellenzen ein.

„Kohl“

Zur Ringvorlesung Die Zukunft Europas war „die Inkarnation einer versteinerten Machtstruktur“ gebeten, wie Prof. Wertheimer in seiner Ringvorlesung Exbundeskanzler Dr. Kohl zu nennen beliebte. Der Mann, der sein Ehrenwort für die höchste Instanz der Republik hält, hat eine Menge Fans unter Tübinger Studenten und Profs. An der Brillanz der vorgetragenen Gedanken kann das nicht liegen. Seine Betrachtung der Welt und Europas lebt vom Selbstlob, sein entscheidendes Argument lautet: „Isssch“.

„Einmal Bundeskanzler, immer Bundeskanzler“ – diese Klarstellung wollte er schon haben, der Dicke aus der Pfalz, als hätte er eine Ahnung davon, dass das, was er zu sagen hat, so dümmlich sein kann wie es will, wenn die Aura der Macht dem nur Gewicht verleiht.

So stellt er Europa vor als „ein Werk großer Männer und Frauen“, die, wie er selbst, „Visionäre“ sind. Eine tolle Erfolgsstory, die zum großen Teil ihm, dem ,,Mantel-der- Geschichte“-Ergreifer zu verdanken ist, bei dem die Führer der baltischen Staaten mit den Worten antraten: „Wir melden uns in Europa zurück, Herr Bundeskanzler“. Als Begründung dafür, warum Europa denn nun so begeisternswert ist, lieferte er seinen „jungen Freunden“ das Standardlob für die EU: Die hat „uns“ nämlich „Frieden und Wohlstand beschert“, und „Die jungen Männer müssen nicht mehr in den Krieg ziehen“. Die Botschaft wird vom Publikum mit Wohlwollen und -gefallen aufgenommen, dafür ist es egal, ob zum Wohlstand Hartz IV und zum Frieden der Einsatz deutscher Soldaten vom Balkan bis zum Hindukusch gehört. Ob das, was da vom Podium aus abgesondert wird, auch nur so ungefähr stimmt, darauf kommt es eben nicht an, wenn da einer steht, der ‚wie kaum ein anderer das Selbstbewusstsein der Macht zu repräsentieren versteht‘, wie es dem einmal als „Birne“ angetreten Kanzler die Hofberichterstatter zum Ende seiner Amtszeit attestierten.

Das beeindruckt offenbar auch heute noch. Die Studenten jedenfalls lieferten am Ende der Vorstellung brav ihre „Fragen“ als Stichworte zur weiteren Selbstdarstellung der Majestät ab und redeten den Ex-Kanzler, der die Ist-Kanzlerin seinerseits als „Frau Merkel“ titulierte, wie gewünscht als „Herr Bundeskanzler“ an. Wo die Universität sich mit ihrer Nähe zur Macht schmückt, ist auch das studentische Publikum ergriffen, diese Nähe erleben zu dürfen und lässt sich zum Abschluss mit auf den Weg geben, es solle sich „nicht von Universitätskathedern und Kanzeln den Optimismus nehmen“ lassen. „Hören sie einfach weg“ ist da Kohls Rat, der heiter zur Kenntnis genommen wird.

Dieser heitere Beifall veranlasste oben zitierten Professor Dr. Jürgen Wertheimer in seiner Ringvorlesung, bei dem Publikum Kohls „einen Bann, einen regelrechten Reaktionsbann bis hin zur Denklähmung“ zu vermuten. „Dass der alte Mann so was sagt, ist eine Sache, eine andere, dass er es in der Uni tut.“ Die Unikatheder verächtlich machen zu lassen, findet er „dumm von uns und absolut jämmerlich“, wo doch „jeder Hund rebelliert, wenn man in sein Gehöft eindringt und Unsinn macht – aber wir nicht, wir machen ein bisschen mit.“

Das liegt allerdings weniger an „Denklähmung“ als daran, dass hier brave Untertanen an einer Institution studieren, deren Stolz und Ehrgeiz es ist, der Gesellschaft nützlich zu sein; und welcher denn sonst als der, die die Unis etabliert und auf ihre Dienste pocht, einer Gesellschaft, in der Geld und Macht nun mal alles entscheiden. Insofern ist Wertheimers Hundevergleich unvollständig: Der Hund wedelt nämlich mit dem Schwanz, wenn das Herrchen vorbeikommt und ihm den Kopf tätschelt

„Oettinger“

Recht wohl hat er sich gefühlt, unser aller Minischterpräsident Ende Januar in Tübingen. Das mag damit zusammenhängen, dass er sich den Nachwuchs seiner „Ulmia“-Verbindungsfreunde als Auditorium ausgesucht hatte. Entsprechend „hemdsärmelig“ (Schw. Tagblatt) ging’s da zu. Sei es, dass er es „blöde“ findet, dass „kein Krieg mehr kommt“, weil es dann auch an der schönen Nachkriegs-Aufbruchsstimmung fehlt, sei es, dass er das Verbindungswesen für ein prima Generationen-Gerechtigkeitsmodell in Sachen Rente hält („Erst bekommt man Freibier, nach dem Studium zahlt man.“) – beste Stimmung auch hier. Schließlich lässt sich der Inhaber der Macht aus Stuttgart dazu herab, mit seinen Verbindungsbrüdern fast von gleich zu gleich einen Salamander zu reiben und mit ihnen von oben herab ein wenig zynisch auf den Rest der Landeskinder zu blicken.

Da fühlt man sich doch gleich, als wäre man schon mit ‚da oben‘, wohin zu gelangen man ja mit Studium und Burschenschaft schon gewisse Aussichten hat. So schmückt auch hier die Macht den Geist und seine höhere Bildungsanstalt, egal wie stammtischmäßig der Machthaber sich aufführt.

„Köhler“

Kurz darauf kommt der amtierende Bundesköhler, im Schlepptau seinen italienischen Amtsbruder. Wo der höchste Repräsentant deutscher Staatsgewalt samt ihrer „europäischen Verantwortung“ der Uni die Ehre gibt, muss sich dieselbige auch würdig erweisen.

Zunächst einmal werden die richtigen Studenten ausgesucht. Zufall, dass es sich um VWLer handelt? Dann werden sie vorher wochenlang „trainiert“, von einer Firma für Unternehmensberatung. Die weiß, wie man sich repräsentativ aufführt und einen guten Eindruck macht: Man widerspricht seinen Kunden nicht, sondern macht ihnen glaubhaft, dass einem selbst nichts wichtiger ist, als deren Wohl. Das wird für die Kunden, in diesem Fall die Repräsentanten der Staatsgewalt, geübt – und trifft auch nicht auf Verwunderung oder gar Renitenz der Damen und Herren Studenten, sondern auf begeistertes Mitmachen. Die sind ganz offensichtlich stolz darauf, sich den Staatschefs als welche präsentieren zu dürfen, die sich so verständnisvoll in die Politik einfühlen, dass sie deren Anliegen und Probleme als die eigenen vorführen können. So lassen sich Köhler und Napolitano auf der Veranstaltung „Mein Europa 2015“ von handverlesenen „50 Studenten aus 7 Ländern“ deren „Tübinger Thesen“ vortragen. Das ganze aufgeführt als Schülertheater, bei dem die dargestellten europäischen Bürger des Jahres 2015 ebenso wenig Distanz zur Politik wie die Tübinger Präsentationsstudenten 2007 haben: Die strapazieren ihr Hirn mit der Frage, ob ihre Herrschaft auch richtig gut funktioniert, und stellen tatsächlich fest, dass sie jetzt damit eigentlich so richtig zufrieden sind. Dass sie das im Jahre 2015 sein können, liegt daran, dass die Politik die Aufgaben, die sie sich im Jahre 2007 gestellt hat, in den darauf folgenden Jahren erfolgreich bewältigt hat, aber auch daran, dass sie sich diese selbst erteilten Aufträge noch mal von (nicht ganz) unten in Tübingen vorbuchstabieren ließ.

Nie Gehörtes nimmt man in diesen Thesen zur Kenntnis! „Gefordert“ wird Folgendes:
– Verwirklichung der Chancengleichheit durch Bildung.
– Der Haushalt der Europäischen Union soll nicht durch die Agrarausgaben dominiert werden.
– Umweltschutz = Ökologie und Ökonomie schließen sich nicht aus! Umfassender Emissionshandel. Die EU bekennt sich zu ihrer aktiven globalen Vorreiterrolle.
– Wettbewerb der Ideen zwischen den Ländern.
– Gemeinsame Außen und Sicherheitspolitik
– Zur Euro-Armee noch ein bisschen Schengener Abkommen („aktive gemeinsame Migrations- und Nachbarschaftspolitik“), gewürzt mit ein wenig „Gleichberechtigung von Mann und Frau“ samt „Transparenz und Demokratie“ ergibt dann eine wunderbare „Innenkulturpolitik, der es gelingt, einen gemeinsamen europäischen Geist zu schaffen“
(Alle Zitate aus: www.bundespraesident.de/-,2.635926/europa.htm)

Das nennt man „der Politik aufs Maul geschaut“: Tübinger Studenten ist es glatt gelungen, all die Sprüche, mit denen europäische Politiker ihre Vorhaben und Absichten als Höherem geschuldet umschreiben, in Thesen zu fassen. Die gipfeln in der Forderung, „Europaunterricht in den Schulen“ einzuführen, damit die jüngsten Eurobürger ihre „Innen[Leit]kultur“ erwerben und lernen, dass Einfalt – Verzeihung – „Vielfalt darin als besondere Stärke begriffen“ wird. So sollen die Bürger, obwohl sie im Alltagsleben nur die Last ihres Daseins als dienstbares Material dieses Europa zu spüren kriegen, dennoch ihren für die Macht so fruchtbaren Nationalismus ein wenig auf Europa ausdehnen, damit ihre fraglose demokratische Zustimmung auch für die europäische Politik gesichert wird.

Vor so viel Hochachtung konnten die Staatsoberhäupter gar nicht anders, als sich „entzückt“ (Schw. Tagblatt) zu zeigen. Köhler nahm die „Tübinger Thesen“ gleich auf seine eigene Website, besagen sie doch vor allem ‚Weiter so, Politik!‘. Und schon wieder hat die Uni Tübingen gezeigt, wie exzellent sie ist beim Einfühlen in die Herrschaft, und dass sie deshalb auch zu Recht durch ihre Präsenz auf der präsidialen Selbstdarstellungs-Seite deutscher Macht und Selbstgefälligkeit geehrt wird. Weiter so, Tübingen!

PS und noch einmal Weltspitze:

„Weltrekord-Debatte“

Zwar kein Besuch eines hohen Gastes, dafür aber von „Bundesregierung und deutscher Wirtschaft“ mit einer hübschen Urkunde ausgezeichnet: der Tübinger Streitkultur e.V. mit seinem „Weltrekordversuch im Dauer-Debattieren“. Das Rezept: Man suche sich ein Thema aus, bei dem sichergestellt ist, dass man endlos darüber palavern kann („Brauchen wir mehr Gerechtigkeit in der Welt?“). Damit eines auf gar keinen Fall passiert, nämlich dass in der Debatte Argumente geprüft werden, um ihre Stichhaltigkeit gestritten wird und am Ende gar ein Ergebnis der Debatte herauskommt, womit sie ja dann glatt zu Ende wäre, lege man bei jedem Einzelthema per Los fest, wer dauerhaft die Rolle „Pro“ und wer „Contra“ spielen soll. Dann melde man sich a) bei der Guiness-Redaktion und b) beim Aktionsprogramm „Deutschland – Land der Ideen“. Und schon kommt man 1. in die Zeitung und kriegt 2. auch noch eine nationale Auszeichnung für diesen 40 Stunden dauernden Blödsinn.

Supi!

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